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Wie Bismarck in Amerika zu seinem Namen kam

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Der östliche Teil eines Linienplans der Northern Pacific Railroad, 1897
Der östliche Teil eines Linienplans der Northern Pacific Railroad, 1897 © Wikimedia
Die Namensgebung von Städten nach Personen hat sich in Deutschland häufig nicht bewährt. „Stalinstadt“ (für Eisenhüttenstadt) wurde schon nach wenigen Jahren als unpassend empfunden. 1990 war den Chemnitzern der revoluzzende Philosoph Karl Marx nicht das Gleiche, wie den Wittenbergern ihr reformerischer Theologe. Ebenso wird man die Abwendung der brandenburgischen Kleinstadt Guben vom Namenspatron Pieck verstehen. Glücklicherweise ist auch aus der 1939 geplanten niedersächsischen Metropole „Hermann-Göring-Stadt“ das beschauliche Salzgitter entstanden. Ganz anders in den USA, wo der Regierungssitz stolz den Namen des ersten Präsidenten trägt. So ist es für amerikanische Verhältnisse auch nicht ungewöhnlich, dass North Dakotas Hauptstadt seit 1873 nach einem Politiker benannt ist. Dass sie seit jetzt 150 Jahren den Namen des deutschen Reichskanzlers Bismarck trägt, mag da schon eher erstaunen.

Reichskanzler Otto Fürst von Bismarck, um 1875, PA AA S2/494.
Reichskanzler Otto Fürst von Bismarck, um 1875, PA AA S2/494. © AA

An der Verschiebung der nordamerikanischen Siedlungsgrenze nach Westen hatten die Eisenbahnen maßgeblichen Anteil. Der Kongress konzessionierte für den Bau transkontinentaler Bahnlinien gleich mehrere Gesellschaften und bedachte sie mit Landschenkungen. Seit 1864 baute die Northern Pacific Railroad Company eine Bahn vom Lake Superior zu einem pazifischen Hafen im Nordwesten. Geldmangel, Wirtschaftskrise und Indianer ließen das Unternehmen im Dakota-Territorium vorläufig zum Stillstand kommen.

Dort hatten bisher Völker der Sioux gelebt. Nach bewaffneten Auseinandersetzungen mit weißen Siedlern waren sie zuletzt in das Gebiet westlich des Missouri abgedrängt worden. Beim Fort Abraham Lincoln hätte die Bahntrasse den Fluss überqueren sollen. In Nr. 23, Fifth Avenue, der New Yorker Zentrale der Bahngesellschaft, war man daher eifrig auf der Suche nach Investoren für einen Weiterbau. Von den vielen deutschen Siedlern, die sich entlang der Trasse niedergelassen hatten, durfte man wohl nichts erwarten. Um vielleicht Finanzmittel aus dem fernen Europa anzulocken, musste schon ein beachtlicher Köder an die Rute.

So erhoben am 23. April 1873 die Direktoren der Northern Railroad Company einstimmig den deutschen Reichskanzler Otto von Bismarck zum Namensgeber für jenen Ort, an dem ihre Bahnlinie den Missouri queren sollte. Sie drückten ihren Respekt vor dem großen preußischen Minister aus und bewunderten seine aufgeklärte Staatskunst, mit der er zum Wohle Deutschlands und zum weltweiten zivilisatorischen Fortschritt beitrage. Ihre goldfarben gesiegelte Resolution sandte Sam Wilkeson, Sekretär der Gesellschaft, nach Berlin. In seinem Begleitschreiben gab er obendrein dem Fürsten freudig bekannt, dass die nun „Bismarck“ genannte Siedlung bereits in die Fahrpläne und Karten aufgenommen sei.

Bismarcks Mitarbeiter Lothar Bucher entwarf die Antwort an die Amerikaner, PA AA S2/209.
Bismarcks Mitarbeiter Lothar Bucher entwarf die Antwort an die Amerikaner, PA AA S2/209. © AA

Lothar Bucher, Altlinker der 48er-Revolution und doch seit 1864 Bismarcks Mitarbeiter, entwarf den Antwortbrief an die amerikanischen Verehrer des Reichsgründers. Darin dankt dieser für das schmeichelhafte Kompliment und lässt den Herren Direktoren ausrichten, dass er sehr dankbar sei für die Form, in der sie von den Diensten sprächen, die „ich für mein Land und für jene Interessen, die allen aufgeklärten Nationen gemein sind, in der Lage war zu tun“. Bismarck strich das Wort „aufgeklärten“, bevor er das Schreiben abzeichnete.

Ob nun mit oder ohne neue Finanzquellen, die Bahn wurde unter großen Anstrengungen fertig gebaut. Der Ort Bismarck entwickelte sich, auch dank der Goldfunde in den nahen Black Hills, zu einem wichtigen Handelsplatz und Transportzentrum. 1883 wurde es Hauptstadt des Dakota-Territoriums, 1889 nach der Trennung in zwei Staaten Regierungssitz von North Dakota.

Der deutsche Reisende Friedrich von Hellfeld schilderte das Städtchen, das er Anfang der 1880er Jahre besuchte, noch als tiefste Einöde. Heute hat Bismarck über 70 000 Einwohner – nicht viel für eine Hauptstadt; jedoch mehr als in dem 120 km weiter östlich an der Bahnlinie gegründeten Ort, der nach dem liberalen britischen Premier Gladstone benannt ist. Hier leben nur 270 Menschen. Otto von Bismarck würde vermutlich seine Freude an diesem späten Triumph über einen politischen Gegenspieler haben.

Vollständiges Faksimile in der Bildergalerie unten auf dieser Seite!

Privaturkunde der Northern Pacific Railroad Company für Otto von Bismarck über die Benennung eines Ortes nach ihm, Seite 22. PAAA P 1/1112.
Privaturkunde der Northern Pacific Railroad Company für Otto von Bismarck über die Benennung eines Ortes nach ihm, PAAA P 1/1112, Seite 22. © AA

Regest und Formalbeschreibung

[New York, 1873 April 23]

Die Northern Railroad Company benennt den Ort, an dem ihre Bahnlinie den Missouri überquert, „Bismarck“.

Archivsignatur: PAAA P 1/1112.

Privaturkunde, Ausfertigung, 30 x 21,9 cm, 1 Blatt, Vorderseite handschriftlich beschrieben (in englischer Sprache), oben rechts zwei Paginierungsstempel „000022“ und (durchgestrichen) „023“, am linken Rand vier Stichlöcher einer ehemaligen Fadenheftung, unten mittig ein braun-goldfarbenes geprägtes Papiersiegel, Umschrift: „SEAL OF THE NORTHERN PACIFIC RAILROAD COMPANY CHARTERED 1864 BY CONGRESS“, unten links Journalnummer.

Der Inhalt dieser Präsentation steht unter einer Creative-Commons-Lizenz: CC BY-NC-ND 3.0 DE

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