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Leichtere Einbürgerung für Nachkommen von NS-Verfolgten

Certidão de nacionalidade

Certidão de nacionalidade, © Ute Grabowsky / photothek.net

03.09.2019 - Artikel

Minister Seehofer setzt zwei Erlasse zu Wiedergutmachungseinbürgerungen in Kraft

Nachkommen von NS-Verfolgten können leichter die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten: Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) hat heute zwei umfangreiche Erlassregelungen in Kraft gesetzt, die im Ausland lebenden Nachkommen deutscher NS-Verfolgter, die keinen Anspruch auf Wiedereinbürgerung nach Artikel 116 Absatz 2 des Grundgesetzes (GG) haben, eine erleichterte Einbürgerung ermöglichen.

Bundesinnenminister Horst Seehofer: „Deutschland muss seiner historischen Verantwortung gegenüber denjenigen gerecht werden, die als Nachfahren deutscher NS-Verfolgter staatsangehörigkeitsrechtliche Nachteile erlitten haben. Das gilt insbesondere für Personen, deren Eltern oder Großeltern ins Ausland flüchten mussten. Mit den heute in Kraft gesetzten Erlassen schaffen wir eine schnelle, unmittelbar geltende Regelung zum Erhalt der deutschen Staatsangehörigkeit für diese Betroffenen.“

Nach Artikel 116 Absatz 2 GG sind frühere deutsche Staatsangehörige, denen zwischen dem 30. Januar 1933 und dem 08. Mai 1945 durch NS-Unrecht die Staatsangehörigkeit entzogen wurde, auf Antrag wieder einzubürgern. Dies gilt auch für Abkömmlinge der Ausgebürgerten, weil sie durch die Unrechtsmaßnahmen gegenüber ihren Vorfahren nicht im Abstammungswege Deutsche werden konnten. In einigen Konstellationen, denen aber ein vergleichbarer Unrechtsgehalt zugrunde liegt, können Betroffene die Wiedergutmachungsregelung nach Artikel 116 Absatz 2 GG aus Rechtsgründen nicht für sich in Anspruch nehmen.

Bis zum Jahr 2007 konnten durch § 13 des Staatsangehörigkeitsgesetzes - StAG (Auslandseinbürgerungen ehemaliger Deutscher), dem bis dahin eine Ergänzungsfunktion in Bezug auf die nicht von Artikel 116 Absatz 2 GG erfassten Abkömmlinge zukam, im Einzelfall Wiedergutmachungs-einbürgerungen erfolgen. Diese Regelung ist jedoch 2007 auf minderjährige Abkömmlinge beschränkt worden, da der Gesetzgeber ein öffentliches Interesse, erwachsene Abkömmlinge ehemaliger Deutscher auch über Generationen hinweg im Ausland einzubürgern, nicht mehr angenommen hat. Nachdem in der Folgezeit doch noch ein beachtliches Fallaufkommen festzustellen war, hat das BMI durch Erlass vom 28.03.2012 eine erleichterte Ermessenseinbürgerung ermöglicht.

Das Brexit-Referendum hat in Großbritannien nicht nur zu einem sprunghaften Anstieg von (Wieder-) Einbürgerungsanträgen nach Artikel 116 Absatz 2 GG geführt: Waren es 2015 noch 43 Anträge, so stieg diese Zahl 2016 auf 684, 2017 gab es 1.667 und 2018 1.506 Anträge; im Zusammenhang damit wurden auch zahlreiche Einbürgerungsbegehren geltend gemacht, die nicht von Artikel 116 Absatz 2 GG und auch nicht von der bisherigen Erlasslage erfasst sind.

Das BMI erachtet es als großen Vertrauensbeweis, wenn die Nachkommen von emigrierten NS-Verfolgten heute wieder die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben wollen. Es hat daher weitergehende Einbürgerungsmöglichkeiten im Erlasswege geschaffen, um dem Wunsch der Betroffenen, die deutsche Staatsangehörigkeit zu erhalten, nachzukommen.

Zum begünstigten Personenkreis gehören

  • vor dem 01. April 1953 geborene eheliche Kinder zwangsausgebürgerter deutscher Mütter und ausländischer Väter,
  • vor dem 01. Juli 1993 geborene nichteheliche Kinder zwangsausgebürgerter deutscher Väter und ausländischer Mütter, bei denen die Anerkennung oder Feststellung der Vaterschaft nach deutschen Gesetzen vor Vollendung des 23. Lebensjahres wirksam erfolgt war, und
  • Kinder, deren deutscher Elternteil im Zusammenhang mit NS-Verfolgungsmaßnahmen eine fremde Staatsangehörigkeit erworben und die deutsche Staatsangehörigkeit verloren hat; dazu gehören auch Kinder, deren verfolgungsbedingt emigrierte Mütter nach § 17 Nummer 6 RuStAG a.F. vor dem 01. April 1953 durch Eheschließung mit einem ausländischen Mann die deutsche Staatsangehörigkeit verloren haben,

sowie deren Abkömmlinge bis zu dem zum 01. Januar 2000 eingefügten Generationenschnitt nach § 4 Absatz 4 StAG. Dies entspricht dem Geltungsbereich des Artikels 116 Absatz 2 GG.

Damit können alle zu diesem Personenkreis gehörenden Abkömmlinge, unabhängig davon, ob sie sich in der zweiten, dritten oder vierten bzw. vereinzelt sogar schon fünften Generation befinden, die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben. Für ihre nach der Einbürgerung geborenen Abkömmlinge, also für die nachfolgenden Generationen, gelten dann die allgemeinen staatsangehörigkeitsrechtlichen Regelungen zum Abstammungserwerb (§ 4 Abs. 1 bzw. Abs. 4 StAG bei fortbestehendem Auslandsaufenthalt).

Erfasst werden auch Kinder deutscher Staatsangehöriger, bei denen zwar kein NS-Verfolgungsschicksal zugrunde liegt, die aber ebenfalls aufgrund der früheren nicht verfassungskonformen Abstammungsregelungen vom Geburtserwerb der deutschen Staatsangehörigkeit ausgeschlossen waren, einschließlich deren Abkömmlinge bis zum Generationenschnitt.

Für die Berechtigten mit NS-Verfolgungshintergrund werden die Einbürgerungsvoraussetzungen auf ein Minimum reduziert. Vom Nachweis der Unterhaltsfähigkeit wird abgesehen. Das Sprachniveau wird auf einfache deutsche Sprachkenntnisse abgesenkt; es genügen Grundkenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland. Diese Voraussetzungen werden ohne Prüfung in einem persönlichen Gespräch mit der Auslandsvertretung festgestellt; dabei wird eine wohlwollende Handhabung zugrunde gelegt. Die Einbürgerungen erfolgen unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit und sind gebührenfrei.

Die Regelungen erlangen unmittelbar Geltung. Gesetzliche Grundlage ist die für Auslandsfälle geltende Einbürgerungsvorschrift in § 14 StAG. Durch die konkreten Vorgaben in den Erlassen besteht mit dem heutigen Tage eine anspruchsgleiche Regelung, nach der alle, die zum erfassten Personenkreis gehören und die genannten Voraussetzungen erfüllen, einzubürgern sind.

In vergleichbaren Fallkonstellationen, die in den Erlassen nicht angesprochen sind, sind Einzelfallentscheidungen möglich. Dabei werden die Kriterien der Erlassregelung zugrunde gelegt.

Anträge können ab sofort über die deutschen Auslandsvertretungen gestellt werden.

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