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Botschafter Graf Lambsdorff im Interview mit RBC
Botschafter Graf Lambsdorff im Interview mit RBC, © Андрей Любимов / РБК
Botschafter Alexander Graf Lambsdorff im Interview mit der Zeitung RBC
— Am 15. November fand das erste Telefongespräch seit zwei Jahren zwischen dem deutschen Kanzler Olaf Scholz und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin statt. Es heißt, dass die Berater von Scholz und Putin in Kontakt bleiben. Plant Deutschland, eine Vermittlerrolle in der Lösung des Ukraine-Konflikt einzunehmen? Ist das in den gegenwärtigen Umständen möglich?
— Wie wir als Bundesregierung stets unterstrichen haben: Nur direkte Verhandlungen Russlands mit der Ukraine können zu einem gerechten und dauerhaften Frieden führen. Denn in der Ukraine entscheidet sich, was Frieden in ganz Europa und in einer freien Welt bedeutet. Gerade an diesem Wochenende haben wir wieder massive russische Angriffe auf die ukrainische Energieinfrastruktur gesehen, einen der bisher schwersten Luftangriffe Russlands auf die Ukraine überhaupt. Das ist grausame Kriegslogik, die Russland beenden muss, genau das war auch die Botschaft des Kanzlers. Übrigens hat der Bundeskanzler im Vorfeld und im Nachgang des Gesprächs mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj telefoniert. Denn, wie ich schon sagte, es kann keinen Frieden ohne die Zustimmung der Ukrainerinnen und Ukrainer geben.
— Die Rückkehr Donald Trumps ins Weiße Haus hat in der EU Befürchtungen ausgelöst, da er erklärt hat, er sei bereit, die Verteidigung der europäischen Verbündeten im Falle einer direkten Konfrontation zwischen der NATO und Russland aufzugeben. Wie sehen Sie die Zukunft der transatlantischen Beziehungen unter Trump? Welche Erwartungen hat Deutschland an den neuen US-Präsidenten im Allgemeinen und in Bezug auf Waffenlieferungen an die Ukraine?
— Deutschland, Europa und die Vereinigten Staaten sind engste Partner und Verbündete. Dabei ist unsere transatlantische Freundschaft seit jeher nicht auf eine Partei auf der einen oder der anderen Seite des Atlantiks gebucht. Deutschland wird auch für die künftige amerikanische Regierung ein enger, verlässlicher Verbündeter sein. Natürlich werden wir auch über Differenzen reden – das macht man eben so in einer engen Partnerschaft.
— Deutschland und Großbritannien haben kürzlich ein Abkommen zur Verteidigungskooperation unterzeichnet, das auch gemeinsame Übungen an der Ostflanke der NATO vorsieht. Außerdem wurde beschlossen, die deutsche Marine in Rostock in ein multinationales Marinehauptquartier an der Ostsee umzuwandeln, was in Moskau als Verstoß gegen die Bestimmungen des 2+4-Vertrags wahrgenommen wurde. Können Sie erklären, welches Ziel Deutschland verfolgt? Wie lässt sich dies mit dem Wunsch Berlins vereinbaren, die NATO nicht in einen direkten Konflikt mit Russland zu verwickeln?
— Ich sehe nicht, wie ein Abkommen zwischen Deutschland und Großbritannien in irgendeiner Form die NATO zu einer Konfliktpartei mit Russland machen sollte. Das ist ein bilaterales Abkommen, das mit Russland nichts zu tun hat. Übungen an der Ostflanke der NATO finden auch heute schon statt. Das ist nichts qualitativ Neues.
Was wir konkret vereinbart haben ist zum Beispiel logistische Unterstützung für die deutsche Brigade in Litauen. Großbritannien ist im Baltikum auch als eine sogenannte Lead Nation engagiert. Eine andere Sache, die wir vereinbart haben, sind deutsche Seefernaufklärer in Schottland, die im Nordatlantik gemeinsam mit Großbritannien die Seeraum-Überwachung machen. Da sehe ich überhaupt keinen irgendwie gearteten Konflikt mit Russland.
Was das deutsche Marinekommando in Rostock angeht: Es handelt sich um ein nationales Marinekommando, in das andere Länder einzelne Offiziere entsenden, 26 an der Zahl. Das ist kein Verstoß gegen den 2+4 Vertrag. Wir halten uns an den Vertrag. Ein paar Verbindungsoffiziere in Rostock sind überhaupt kein Problem und stellen definitiv keinen Verstoß dar.
Wenn wir zur Zeit über die rechtswidrige Stationierung ausländischer Soldaten irgendwo anders reden wollen, dann reden wir nicht über diese 26 Verbindungsoffiziere, dann reden wir über mehrere tausend nordkoreanische Soldaten die in Russland ausgebildet werden. Das verstößt gegen VN-Resolutionen, denen Russland selber zugestimmt hat. Das habe ich im Außenministerium auch genauso thematisiert. Da wurde noch gesagt, es handele sich um einen Deepfake. Inzwischen hat der Präsident [Russlands] selber zugegeben, dass die entsprechenden Bilder nicht zu leugnen sind.
— Könnten Sie bitte präzisieren, was ist Ihrer Quelle für diese Information?
—Wenn der Präsident [Russlands] sagt, die Bilder sind klar und Bilder sind sehr aussagekräftig, dann nehmen wir als Diplomaten hier in Moskau den Präsidenten unseres Gastlandes beim Wort.
— Aber wenn wir ganz korrekt seien möchten, dann müssen wir auch sagen, dass seine Aussage verschwommen war.
— Das ist richtig. Aber der Kontrast zwischen dem, was ich gehört habe, das sei alles Fake und den Informationen aus Seoul, den öffentlichen Bildern und dann der Äußerung des Präsidenten ergeben ein Gesamtbild, wo eine verschwommene Äußerung dann doch deutlich konkreter ist.
— Sie wissen auch bestens darum, dass zwischen Nordkorea und der Russischen Föderation auch ein bilaterales Abkommen im Militärbereich besteht. Deswegen können wir auch davon ausgehen, dass das kein Nonsens ist.
Das Abkommen ist ein defensives Abkommen. Im Artikel 4 steht „für den Fall eines Angriffs auf eines der Länder“, aber was wir hier haben, ist ein Angriff von Russland auf die Ukraine. Es gibt also keine juristische Grundlage.
— Im Juli einigten sich die USA und Deutschland auf die phasenweise Stationierung von Mittelstreckenraketen in Deutschland ab 2026. Ist das aus der deutschen Perspektive ein Zeichnen der Eskalation zwischen Westen und Russland?
— Nein, aber das ist natürlich keine Entscheidung, die in einem Vakuum getroffen worden ist. Sie wissen ja, dass der Vertrag zum Verbot der Mittelstreckenwaffen (INF) beendet wurde, nachdem Russland sein System, Novator 9M729, westlich des Ural stationiert hat. Das war durch den INF ganz klar verboten. Daraufhin ist der INF-Vertrag zusammengebrochen. Wir sollten auch nicht die Iskander-Raketen in der Exklave Kaliningrad vergessen, die eine direkte Bedrohung für Deutschland sind.
Wir als Deutschland sind ein nichtnuklearer Staat und brauchen eine Möglichkeit, uns auch mit Mitteln der Abschreckung zu versehen. Diesem Ziel dient die Stationierung dieser Mittelstreckenwaffen, die, und das ist mir ganz wichtig, konventionell bewaffnet sind. Das sind keine nuklearen Waffen, sondern konventionelle.
Wir als Deutschland wollen irgendwann wieder zurückkommen zu Gesprächen über Rüstungskontrolle, idealerweise sogar über Abrüstung. Aber zurzeit ist weder die militärische noch dir politische Lage so, dass wir das können.
— Deutschland ist der größte militärische Unterstützer der Ukraine unter den EU-Ländern. Gleichzeitig hat die Bundesregierung beschlossen, die Militärhilfe für Kiew ab dem kommenden Jahr fast zu halbieren. Warum wurde diese Entscheidung getroffen? Und wurde Berlin im Zusammenhang mit dieser Entscheidung von westlichen Verbündeten und Kiew kritisiert?
— Das ist eine sehr komplizierte Frage. Die Regierung hat im Haushaltsverfahren einen Vorschlag gemacht, wie viel Geld für was ausgegeben werden soll. Das Parlament entscheidet dann im Normalfall, wie viel wirklich ausgegeben wird. Die Regierung hat €4 Milliarden vorgeschlagen, im jetzt laufenden Jahr sind das €7 Milliarden. Jetzt ist das Verfahren durch die neuesten politischen Entwicklungen unterbrochen.
Viel wichtiger wird aber im kommenden Winter ohnehin die Unterstützung auf zivilem Gebiet sein, insbesondere bei der Reparatur und Wiederherstellung der Energieerzeugungskapazitäten in der Ukraine. Russland hat in den letzten Monaten durch viele Monate laufende, sehr gezielte Angriffe auf Kraftwerke ungefähr 50 Prozent der Elektrizitäts- und der Wärmeerzeugungskapazitäten der Ukraine zerstört. Die deutsche Unterstützung, genauso wie die Unterstützung aus der Europäischen Union und aus vielen anderen Ländern der Welt, zielt jetzt darauf, dass diese Kraftwerke so gut wie möglich wieder repariert werden, weil das im Grunde ja ein Krieg gegen die Zivilbevölkerung ist, der da geführt wird, die keinen Strom mehr hat und keine Heizung, jetzt, wo der Winter kommt.
Mir ist es wichtig zu betonen: Das betrifft uns in Deutschland ganz unmittelbar. Wir hatten unmittelbar nach der Invasion im Februar 2022 ungefähr eine Million Flüchtlinge aus der Ukraine in Deutschland. In Polen waren es drei Millionen. Wenn die Leute nicht mehr in ihren Wohnungen bleiben können, weil es keine Heizung gibt, dann kann uns das erneut mit einem Flüchtlingsstrom konfrontieren. Insofern ist das für uns ein Thema ganz hoher Priorität.
— Sie haben von circa einer Million Flüchtlinge aus der Ukraine gesprochen. Vor diesem Hintergrund hat Deutschland Kontrollen an allen Grenzen eingeführt, was natürlich auch für Kritik in Polen gesorgt hat, welches noch mehr Flüchtlinge aufgenommen hat. Könnten Sie das bitte kommentieren?
— Die Kontrollen an den Binnengrenzen jetzt sind nicht verursacht durch die ukrainischen Flüchtlinge, sondern durch die irreguläre Migration über andere Routen, z.B. die Balkan-Route, die Mittelmeer-Route und so weiter. Da sind ja keine ukrainischen Flüchtlinge.
Mit Polen gibt es sehr gute Beziehungen. Am 30. Oktober trafen sich die deutsche Innenministerin Faeser mit ihrem polnischen Kollegen Siemoniak an der Grenze zwischen Polen und Belarus, um sich die Außengrenze der Europäischen Union anzuschauen. Denn das, was wir dort sehen, dass Flüchtlinge zur Grenze gebracht werden, um dann in die EU geschoben zu werden, das ist ein viel größeres Problem als die Frage von Binnengrenzkontrollen.
— Das Haushaltsverfahren hat zum Bruch der Regierungskoalition geführt; die FDP zieht alle Minister aus der Regierung zurück. Wie könnte sich diese politische Krise kurz- und mittelfristig auf die Berliner UKR-Politik auswirken?
— Deutschland steht fest an der Seite der Ukraine, solange es notwendig ist. Daran ändert die aktuelle tagespolitische Lage in Berlin nichts.
— Dieses Verfahren betrifft auch die Voraussetzungen für die Unterstützung, die auch den ukrainischen Flüchtlingen zusteht. Hier gibt es auch Änderungen bzw. Verschärfungen.
— Was Sie sagen, ist vollkommen richtig. Es gibt eine politische Diskussion über das Niveau der Hilfen, die gezahlt werden. Das liegt daran, dass wir in Deutschland die ukrainischen Flüchtlinge von vornherein mit Inländern gleichgestellt haben, mit Anspruch auf die volle Unterstützung.
– Kürzlich stellte der ukrainische Präsident Wladimir Selenskyj seinen „Siegesplan“ vor, der unter anderem den NATO-Beitritt der Ukraine sowie Angriffe mit westlichen Waffen tief in Russland vorsieht. Was hält Deutschland von diesem Plan? Kann er Ihrer Meinung nach ein „Schritt“ zur Vorbereitung einer Friedenskonferenz sein, wie Selenskyj sagte, auch wenn diese Punkte für Russland inakzeptabel sind?
— Aus unserer Sicht ist der sogenannte Siegesplan die andere Seite der Medaille vom Friedensplan. Selenskyj hat ja schon im November 2022 seinen Friedensplan vorgestellt mit zehn verschiedenen Elementen, darunter nukleare Sicherheit, Einstellung der Kampfhandlungen, Rückkehr von Flüchtlingen und ganz vielen verschiedenen Themen. Wir schauen das Ganze sozusagen zusammen an und ich will deswegen keine einzelne Bewertung von einzelnen Elementen dieses Siegesplans oder des Friedensplans machen. Aus deutscher Sicht ist eines zentral. Zum Frieden, den sich wirklich zurzeit nahezu alle wünschen - ich sage nahezu, weil hier in Moskau gilt das nicht - kommen wir sofort, wenn Russland seinen Angriff einstellen würde. Wenn Russland aufhört, zu kämpfen, haben wir eine Situation, in der zumindest einmal das menschliche Leid aufhört.
Alle anderen Regelungen, die nach dem Ende der Kampfhandlungen eintreten, sind Gegenstand von Verhandlungen. Nur eines ist vollkommen klar: Der Schlüssel zum Frieden liegt im Kreml. Wir hoffen darauf, dass er endlich auch in die Hand genommen wird.
— Könnten Sie die Position Deutschlands zum NATO-Beitritt der Ukraine erklären? Herr Bundeskanzler Scholz sagte, dass einige Punkte dieses Siegesplanes für Deutschland bis jetzt inakzeptabel sind. Gibt es irgendwelche Bedingungen, unter denen Deutschland diese Meinung ändern kann?
— Sie haben es selber gesagt, der Bundeskanzler hat sich dazu geäußert. Deswegen gibt es keinen Grund, jetzt zu spekulieren, was sich da ändern könnte. Es gibt die NATO-Beschlüsse von Bukarest, von Vilnius und noch von Washington dieses Jahr. Da steht alles drin und das ist auch eine Position, die von Deutschland so mitgetragen wird.
— Durch die Landtagswahl in Ostdeutschland haben sowohl die Alternative für Deutschland als auch das Bündnis Sarah Wagenknecht ihre Positionen deutlich gestärkt. Beide Parteien richteten ihren Wahlkampf auf Forderungen nach dem Ende der Waffenlieferungen an die Ukraine und der Wiederaufnahme des Dialogs mit Russland aus. Wird dieser Trend nur im Osten des Landes unterstützt? Kann man sagen, dass auch 35 Jahre nach dem Fall der Mauer immer noch ideologische Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland bestehen?
— Das ist eine schwierige Frage. Es stimmt, dass diese von Ihnen genannten Parteien gute Wahlergebnisse haben. Aber das lag nicht nur an ihren außenpolitischen Positionen.
Was die Wiedervereinigung nach 35 Jahren angeht, muss ich sagen, dass es immer noch Unterschiede gibt. Aber mir ist wichtig zu betonen, dass es auch Unterschiede nicht nur zwischen Ost und West gibt, sondern auch zwischen Nord und Süd. Jemand in Bayern hat sehr oft andere politische Präferenzen als jemand in Schleswig-Holstein. In Deutschland wie in Russland – obwohl Russland natürlich viel größer ist - gibt es unterschiedliche politische Präferenzen in den unterschiedlichen Regionen.
— Es gibt die Meinung, dass die Popularität von Parteien wie der AfD eine Gefahr für die deutsche Demokratie ist. Was können Sie dazu sagen?
—Ich habe natürlich als Staatsbürger meine Meinung dazu, aber was sich in Deutschland innenpolitisch abspielt, ist etwas, das ich nicht als Botschafter kommentieren kann. Da bitte ich Sie einfach um Verständnis.
— Kurz vor dem Jahrestag der Nord-Stream-Explosionen veröffentlichten deutsche Medien eine Untersuchung, die auf die Beteiligung der Ukraine an der Sabotage hinweist und besagt, dass polnische Behörden dem Hauptverdächtigen bei der Flucht geholfen haben. In Russland wird angenommen, dass diese Version dazu dient, die Aufmerksamkeit von den tatsächlichen Auftraggebern abzulenken. Welche Informationen haben Sie zum Stand der deutschen Untersuchung und wie können Sie diese Medienberichte kommentieren?
— Zum einen ist es so, dass bei uns in Deutschland diese Ermittlungen nicht von der Regierung geführt werden, sondern von der Justiz, vom Generalbundesanwalt. Fragen müssen daher an ihn gestellt werden. Das zweite Element ist, dass ich das große Interesse hier in Russland an diesen Ermittlungen gut verstehe. Der Bundeskanzler hat selber gesagt, er möchte, dass das aufgeklärt wird. Ich fände es allerdings erheblich glaubwürdiger, gerade seitens der russischen Regierung, wenn man sich zum Beispiel auch um die Frage kümmert, wer eigentlich den Kachowka-Staudamm gesprengt hat. Staudämme sind als Bauwerke genauso international geschützt wie Atomkraftwerke. Der Schaden, der durch diese Sprengung des Staudamms verursacht wurde, ist noch viel größer als bei Nord Stream. Niemand spricht über den Kachowka-Staudamm hier in Moskau. Alle reden über Nord Stream. Aber der Kernpunkt, nämlich was ist eigentlich mit dem Krieg in der Ukraine, was ist mit den Zerstörungen der Hafeninfrastruktur von Odessa beispielsweise, worauf die russische Armee in den letzten Wochen wieder ballistische Raketen abgeschossen hat – das sind Fragen, die nach meinem Eindruck hier in Moskau sehr ungern diskutiert werden.
— Ist Deutschland zu einem direkten Gespräch mit Russland zu diesem Thema bereit?
— Das ist genau das, was die Bundesregierung sagt. Wir sind bereit zu einem Gespräch über diesen Vorgang.
— In Deutschland besteht noch kein Konsens über die Lieferung von TAURUS an die Ukraine. Aber auch für die Entscheidung über die Lieferung von Leopard 2 an Kiew benötigte Berlin Zeit. Gibt es Bedingungen, unter denen Deutschland seine Position zu Taurus ändern könnte? Wie wichtig ist die Meinung der Verbündeten?
— Der Bundeskanzler war vollkommen klar, er ist gegen die Taurus-Lieferung. Aber Ihre Frage ist wichtig, weil sie auf etwas hinweist, was hier in Russland viele nicht klar genug sehen. Wir unterstützen die Ukraine, sich selber zu verteidigen gegen diesen Angriff. Wir tun das auf Grundlage von Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen, das ist das Recht zur Selbstverteidigung, das nicht auf das Territorium des angegriffenen Staates beschränkt ist. Aber wir tun es mit Augenmaß.
— Im Sommer fand in Ankara ein Gefangenenaustausch zwischen Russland und westlichen Ländern, darunter auch Deutschland, statt. Dabei wurden russische Staatsbürger nach Deutschland gebracht. Welchen rechtlichen Status haben Sie jetzt? Wie lange dürfen sie in Deutschland bleiben?
— Was den rechtlichen Aufenthaltsstatus der russischen Gefangenen angeht, die nach Deutschland im Rahmen dieses Austausches gekommen sind, kann ich Ihnen das nicht sagen, weil das in die persönliche Sphäre dieser Menschen gehört. Aber eines ist klar, sie sind in Deutschland willkommen.
— Aber es gibt die Meinung, dass Deutschland eine wichtigste Rolle in diesem Prozess spielte. Warum hat Deutschland dieser Entscheidung geholfen?
—In Deutschland war eine ganz besonders schwierige Entscheidung zu treffen - und deswegen hatte Deutschland da eine besondere Rolle - nämlich die Freilassung eines verurteilten Mörders, der im Auftrag des russischen Geheimdienstes in Berlin einen Mord begangen hat. In diesem Zusammenhang sind einige deutsche Staatsbürger befreit worden. Das ist ein Interesse, dass man als Staat immer hat, seine eigenen Bürger zu schützen.
– Sie sind seit über einem Jahr in Moskau, waren schon zuvor beruflich mit Russland verbunden, Ihre Familiengeschichte ist auch eng verknüpft. Welchen Eindruck hat die russische Hauptstadt auf Sie gemacht? Hat Moskau sich in diesem Jahr in irgendeiner Weise verändert?
– Ich bin das erste Mal 1982 in Moskau gewesen als überall noch die Plakate der KPDSU hingen: „Vorwärts zur Verwirklichung der Ziele des Fünfjahresplans“. Seitdem hat sich sehr, sehr, sehr viel verändert. Ich bin froh zu sagen, dass die Stadt Moskau insgesamt natürlich inzwischen eine Weltmetropole geworden ist, auf dem Niveau anderer großer Weltmetropolen. Ich bin deswegen, so schwierig die politischen Umstände auch sind, gerne hier.
Das liegt vor allem an den Begegnungen mit normalen Menschen, die man hier hat, und die sich immer wahnsinnig freuen, jemanden aus Deutschland zu sehen. Bei allen politischen Spannungen begegnet uns auf der menschlichen Ebene ganz oft die Reaktion: „Wie schön, dass Sie da sind“. Das ist natürlich auch menschlich etwas sehr Positives.
Aber eine Sache, die mir auffällt im Vergleich zu den 90er und 2000er Jahren: die ganzen Kioske sind alle weg. Und die kleinen Buden, wo man seine Sachen kaufen konnte. Moskau sieht sehr, wie soll man sagen, so ordentlich aus, wie ich es noch nie gesehen habe. Manchmal schon fast ein bisschen steril an einigen Stellen.
— Vor einem Jahr hat die Bundesregierung die sogenannte Nationale Sicherheitsstrategie verabschiedet. In diesem Dokument wird die Russische Föderation nun als die größte Gefahr für den Frieden und die Sicherheit in Europa beschrieben. Ihr Vorgänger, Herr Botschafter von Geyr, hat bei seinem Abschied gesagt, dass die bilateralen Beziehungen mit Russland und Deutschland ihren Tiefpunkt erreicht haben und das z.B. im humanitären Bereich keine Projekte mehr möglich sind, so wie auch in anderen Bereichen. Wie haben Sie das Angebot aufgenommen, nach Russland als Diplomat zu kommen? Sie sind kein Berufsdiplomat und hätten daher vielleicht absagen können?
— Ich bin Berufsdiplomat, allerdings habe ich eine „kleine Pause“ von 20 Jahren als Parlamentarier eingelegt und bin danach wieder in meinen Beruf zurückgekehrt. Ich war sehr dankbar, dass die Regierung mich das gefragt hat, weil auch wenn die Zeiten sehr kompliziert und sehr schwierig sind, gibt es ja immer die Hoffnung, dass sie sich eines Tages zumindest graduell wieder verbessern. Wenn man dazu einen Beitrag leisten kann, dann ist das eine ganz wichtige Aufgabe. Abgesehen davon ist Russland das größte Land der Welt, ständiges Mitglied im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen und ein Land, mit dem Deutschland historisch über Jahrhunderte eng und tief verbunden ist. Auch wenn sich Russland – das ist unser politisches Urteil in der nationalen Sicherheitsstrategie – durch diese Kriegsführung in der Ukraine auf einem ganz falschen Weg befindet, sind all das Themen, die für einen Diplomaten spannend und hochinteressant sind. Jedes Mal, wenn ich in Berlin bin, und das geht meinen Kolleginnen und Kollegen genauso, werden wir sehr detailliert ausgefragt zu dem, was hier in Moskau vor sich geht, weil das Interesse an Russland nach wie vor sehr groß ist und - das ist meine persönliche Einschätzung - auch immer groß bleiben wird.
Richtig ist, dass die normale bilaterale politische Arbeit natürlich zurzeit nicht stattfindet. Humanitäre Arbeit aber ist aus deutscher Sicht nicht politisch. Deswegen setzen wir auch in diesen schwierigen Zeiten insbesondere die humanitäre Geste für die Überlebenden der Leningrader Blockade fort, trotz der Gesamtsituation. Es ist gerade wieder beschlossen worden, dass wir das nicht abbrechen, sondern weitermachen, weil das humanitäre Arbeit ist. Auf diesem Feld können wir, wenn auch ein wenig eingeschränkter als sonst, noch etwas tun und das tun wir dann auch.