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Open Source – Das Politische Archiv des Auswärtigen Amts (Folge #76) – Transkript
Das Politische Archiv, © AA
Intro:
Alexandra: Das Auswärtige Amt ist der Verwahrer der Staatsverträge der Bundesrepublik und der Akten, die es zur Erfüllung seiner Aufgaben benötigt.
Karolin: Das Politische Archiv steht sowohl externen Benutzer:innen als auch den Mitarbeitenden des Auswärtigen Amts zur Verfügung.
Alexandra: Es kann also jeder kommen und Fake News oder Desinformation entlarven, und jeder kann das recherchieren.
Aisha: Von den Akten, die zur Benutzung freigegeben sind, kann man bereits 20 Prozent Online einsehen, muss sozusagen nicht extra ins Archiv kommen.
Alexandra: Also, da sieht man immer noch so die Kammern, in denen quasi das Gold eingelagert wurde.
Start:
Julia: Herzlich willkommen zu einer neuen Folge Podcast vom Posten. Ich bin Julia Lehrter und freue mich, dass ihr alle wieder rein hört. Heute begeben wir uns einmal nicht auf eine Reise in ferne Länder, sondern an einen ebenso faszinierenden Ort: In die ehemaligen Reichsbanktresore des Auswärtigen Amts, tief unten in den Kellergeschossen. Dort wird ein bedeutender Teil Geschichte aufbewahrt, nämlich Unterlagen zur deutschen Außenpolitik seit 1867. Diese Unterlagen füllen beeindruckende 27 bis 30 laufende Kilometer und stehen für die Forschung offen. Doch das Archiv leistet weit mehr, als nur Dokumente aufzubewahren. Heute möchte ich mit drei besonderen Gästen darüber sprechen, wie das Politische Archiv des Auswärtigen Amts eine Brücke zwischen Vergangenheit und Zukunft schlägt und wie uns die Arbeit des Archivs dabei hilft, aktuelle politische Entwicklungen besser zu verstehen und Desinformationen entgegenzuwirken. Dazu begrüße ich ganz herzlich Aisha Reiche:
Aisha: Hallo. Ich freue mich, hier zu sein.
Julia: Karolin Wendt.
Karolin: Hallo, danke für die Einladung.
Julia: und Dr. Alexandra Willkommen.
Alexandra: Ein Hallo auch von mir.
Julia: Alle drei sind Archivarinnen hier im Politischen Archiv des Auswärtigen Amts. Schön, dass ihr da seid!
Julia: Viele Hörerinnen und Hörer haben vermutlich ein eher vages Bild vom Alltag in einem Archiv. Wie sieht euer Arbeitsalltag aus? Was macht die Arbeit als Archivarin für euch so besonders?
Alexandra: Also, ich beschäftige mich mit den Akten, die ab 49 entstanden sind, ab 1949, und kümmere mich darum, dass diese Unterlagen in unserer Datenbank verzeichnet werden und recherchierbar sind. Bei mir landen vor allem jene Anfragen von Benutzenden zu heiklen Themen, kann man sagen, beziehungsweise so mit datenschutzrechtlichen Beschränkungen, und außerdem mache ich Führungen und gestalte die Website mit.
Julia: Und 49 ist ein wichtiges Datum.
Alexandra: 49 ist für uns interne Grenze. Wir haben Unterlagen vor 45 und ab 49, und dazwischen gab es quasi keine Unterlagen zur deutschen Außenpolitik.
Aisha: Ja, also ich habe auch ähnliche Aufgaben wie meine Kollegin. Ich bin auch für Schriftgut ab 1949 zuständig und beantworte eben auch Anfragen, die in diesen Bereich fallen, und recherchiere dann zu diesen Forschungsthemen und helfe dann den Personen auch teilweise bei Problemen, die sie haben könnten, auch mit unserer Datenbank. Da sage ich dann später noch was dazu. Und dann bin ich noch in dem Team, das für die Digitalisierung zuständig ist, also die Digitalisierung unserer Unterlagen, und auch dafür, dass die dann den Nutzern zugänglich gemacht werden. Und zusätzlich, das ist aber nur eher ein kleiner Teil, übernehme ich auch Unterlagen, die aus den einzelnen Referaten des Auswärtigen Amts an uns abgegeben werden, also in das Archiv abgegeben werden, und ja, lege diese Unterlagen sozusagen als Datensätze in unserer Datenbank an, damit die dann auch recherchierbar sind.
Karolin: Ich bin wie meine zwei Kolleginnen auch Archivarin für die Zeit nach 1945, also zuständig für die Überlieferungen der Bundesrepublik und der DDR, und übernehme die Akten von den Auslandsvertretungen und kümmere mich um die technische Umsetzung und Gestaltung der Internetseite unseres Intranet-Auftritts. Und weil du sagtest, dass viele Leute ein vages Bild haben, also es gibt ja auch viele Klischees, und ich betone immer, wenn ich gefragt werde, dass ich in einem Büro arbeite mit Fenster, dass wir nicht im Keller unter einer Funzel sitzen in grauen Klamotten, sondern ganz moderne Büros haben und PCs und tatsächlich auch der größte Teil unserer Arbeit am PC stattfindet.
Alexandra: Wenn ich das noch ergänzen darf, was ist das Faszinierende an unserem Beruf? Das Faszinierende ist eben genau eigentlich diese Vielseitigkeit. Also zum einen arbeiten wir mit diesen bedeutenden historischen Dokumenten, und zum anderen hat das Ganze aber auch ganz viel mit Vermitteln zu tun, dass wir eine Webseite haben, die wir bespielen, dass wir viel mit den Nutzern in Kontakt stehen. Also, es ist kein Beruf, in dem man sich in seinem Kämmerlein verzieht und den ganzen Tag keine Leute sieht, was ja auch ein Vorurteil ist, sondern es ist ein sehr kommunikativer Beruf und sehr abwechslungsreich, und am Ende sitzt man hier und macht den Podcast, und es macht einfach Spaß. Genau auch das gehört zum Beruf der Archivarin dazu.
Julia: Was mich da auch besonders interessiert beim Archiv, ist, es gibt ja viele spannende Geschichten und Dokumente, die sich im Archiv verbergen. Könnt ihr mir ein paar Highlights nennen?
Alexandra: Ja, also über die berühmten großen Verträge, wie Versailles oder Zwei-plus-Vier, oder auch über den Aachener Vertrag von 2019 oder auch über so Dokumente wie die Emser Depesche oder das Wannsee-Protokoll oder auch die Karte zum Hitler-Stalin-Pakt, da hat ja eine frühere Folge vom Podcast schon ganz viel erzählt. Es gibt aber in unseren Akten natürlich auch Einblicke in nicht so bekannte, aber genauso spannende Ereignisse am Rande der großen Außenpolitik. Ein Beispiel ist da ein Familienvater aus der DDR, der mit seiner Frau und seinen zwei Kindern schon 1974 die Prager Botschaft besetzt hat und so in die Bundesrepublik ausreisen konnte, und das eben wirklich eine ganze Weile vor diesen berühmten Prager Botschaftsflüchtlinge im Herbst 89. Solche und andere spannende Geschichten kann man übrigens auch auf unserer Webseite nachlesen, in der Rubrik ‚Das besondere Dokument‘, eine kleine Werbung hier am Rande.
Julia: Das finde ich sehr gut, das sind auch wirklich Geschichten. Es gibt natürlich Verträge und Dokumente und Unterlagen, die man jetzt erwarten würde, wo man weiß „Ah ja, das sind natürlich spannende und wichtige Dokumente der Geschichte“. Aber das sind eben auch diese kleinen Geschichten, die es so ausmacht, letztendlich, also die irgendwie auch Teil unserer Geschichte sind.
Alexandra: Ja, genau, und das macht es eigentlich auch so spannend und reizvoll. Aber es sind auch die großen Dokumente, die für uns das Besondere am Beruf machen, wenn man eben mit dem Zwei-plus-Vier-Vertrag arbeitet oder den auch in seinen Beständen hat, der ja unser aller Leben maßgeblich beeinflusst und geprägt hat und ohne den wir vielleicht hier so in dieser Form nicht sitzen würden.
Julia: Und verliert das irgendwann an Reiz, also nach Jahren, wenn man immer Kontakt mit so wichtigen Dokumenten hat? Oder ist das immer wieder, dass man denkt „Wow, das ist der originale Zwei-plus-Vier-Vertrag“?
Karolin: Ich glaube, es ist auch Teil des Klischees, dass wir den ganzen Tag Verträge in den Händen halten. Das ist ja de facto nicht so. Wir haben ja wirklich eher mit den Akten zu tun, die hier im Verwaltungsgeschehen entstehen und die eigentlich in den meisten Fällen erst mal nicht so aufregend sind, was nicht heißt, dass sie nicht spannende Sachen beinhalten. Aber ich würde für mich persönlich schon sagen, dass diese große Aufregung vom Anfang schon auch abnimmt, weil letztendlich ist es unser Alltagsgeschäft und so. Aber es gibt ja immer wieder, also die Themen werden ja an uns herangetragen durch die Anfragenden, und dadurch kann man mal tiefer und mal nicht so tief in Recherchen reingehen, und dann ergeben sich natürlich schon immer wieder spannende Inhalte, die uns auch vorher nicht so bekannt waren.
Julia: Wir haben heute viel über euren Umgang mit den Dokumenten geredet. Aber unser Titel heißt ja heute Open Source, und das ja nicht ganz ohne Grund, denn das Archiv steht für alle offen, und theoretisch hat jeder Zugang zu diesen historischen Dokumenten. Wie funktioniert das?
Karolin: So ganz allgemein gesagt funktioniert der Zugang auf zwei Wegen: Einmal analog, indem die Leute in unseren Lesesaal kommen, und einmal auf digitalem Wege, über unsere Rechercheanwendung Invenio, in der wir unsere Findmittel bereithalten, also wo die Leute drin recherchieren können, aber auch Teile unserer Bestände schon digitalisiert vorliegen. Viele Leute nutzen beides, also die nutzen die digitalisierten Bestände online, die man ja dann direkt bequem von zu Hause einziehen kann, und kommen auch zu uns in den Lesesaal. Aber es gibt auch Recherchen, für die es nicht mehr notwendig ist, zu uns in den Lesesaal zu kommen.
Julia: Und das machen ganz oft Menschen, die zum Beispiel eine wissenschaftliche Arbeit schreiben, für Artikel recherchieren. Welche Fälle gibt's noch, warum Menschen Zugang zum Politischen Archiv brauchen?
Karolin: Im Bundesarchiv-Gesetz ist es ja so verankert, dass jeder Person auf Antrag das Recht zusteht, unser Archivgut zu nutzen, und so ist es auch. Also, wir haben Schüler:innen, die zu uns kommen, wir haben Journalisten, Professorinnen und aber auch einfach Privatpersonen, die Familienforschung bei uns betreiben, und so ergibt es sich also wirklich, dass die verschiedensten Nutzergruppen bei uns sind. Allerdings glaube ich, dass der Großteil tatsächlich wissenschaftlich arbeitet, also für Dissertationen, für Publikationen.
Julia: Und dann gibt's bestimmte administrative Schritte, wie ich Zugang bekommen kann.
Karolin: Also im Idealfall starten die Interessierten über unsere Website, wo es ein Kontaktformular gibt, was Anfrage an das Archiv heißt, und darin formulieren sie ihr Forschungsvorhaben, also ganz kurz, ganz formlos, und dann erhalten sie von uns eine Antwort, und wenn sie die bekommen haben, können sie sich bei Bedarf, also wenn sie in den Lesesaal kommen wollen, über ein zweites Kontaktformular ein Arbeitsplatz reservieren. Und dann gäbe es noch einen dritten Schritt. Das wäre die Registrierung in unserer Rechercheanwendung Invenio, die allerdings für die reine Recherche nicht notwendig ist. Da kann man auch ohne Anmeldung suchen, aber für die Aktenvorbestellung.
Julia: Und brauche ich besondere Voraussetzungen, oder kann jeder quasi Zugang bekommen?
Karolin: Wie ich schon gesagt habe, grundsätzlich steht‘s jeder Person offen, bei uns im Archiv zu recherchieren, und die Benutzung ist auch kostenfrei, also maximal fallen Kosten an, wenn ich einen Kopierauftrag in Auftrag gebe, also nicht ich, sondern die Benutzenden, weil das über externe Dienstleister passiert. Aber ansonsten sind da jetzt keine Barrieren.
Julia: Und die Recherche vor Ort. Ich habe mich jetzt angemeldet, ich habe Zugang bekommen und möchte jetzt vor Ort recherchieren. Wie läuft das ab?
Karolin: Wie ich schon beschrieben hatte, ist die erste Recherche sozusagen nicht erst vor Ort, sondern erfolgt über Invenio von zu Hause aus oder online. Und wie das genau funktioniert, und auf die Möglichkeit, dass man über Invenio recherchiert, weisen wir in unseren Auskünften hin, die wir den Benutzenden erteilen, nachdem sie über unser Kontaktformular sich an uns gewandt haben, und wir verweisen auch auf unsere Website, wo wir nützliche Hinweise für die Recherche und die Bestellung in Invenio auch zur Verfügung stellen. Und wenn die Benutzenden dann fündig geworden sind in Invenio zu ihrem Thema und auch Akten im Lesesaal einsehen möchten, dann reservieren sie sich einen Arbeitsplatz und bestellen auch die Akten selbstständig vor über Invenio. Und das Besondere ist vielleicht noch, dass wir tatsächlich aber auch die Akten, die schon digitalisiert sind, nicht mehr vorlegen im Lesesaal. Es ist ja auch aber nicht mehr notwendig, weil das können sie ja auch bequem online einsehen. So und dann kommen die Leute zum Eingang des Auswärtigen Amts in der Kurstraße 36 und melden sich dann an der Pforte und müssen ein gültiges Ausweisdokument vorlegen, und erhalten einen Besucherausweis und können dann durchlaufen zum Lesesaal, und da melden sie sich dann an, ihre Jacke und Tasche und so müssen sie einschließen. Dafür haben wir Schließfächer. Da erhalten sie von der Lesesaalaufsicht den Benutzungsantrag, den sie dann unterschreiben müssen, und nochmal eine kurze Einführung und natürlich die Akten, die sie vorbestellt haben, und dann kann‘s losgehen.
Julia: Und wenn ich jetzt das erste Mal da bin, ich muss jetzt keine Angst haben, mich zu blamieren, weil ihr unterstützt die Benutzenden ja.
Karolin: Ja, na klar! Wir unterstützen die Benutzenden sozusagen auf verschiedenste Weise. Wir sind ja ein großes Team, und im besten Fall, und so ist es ja auch, haben die Benutzenden von uns ja schon eine gute, ausführliche Auskunft bekommen mit den wichtigsten Informationen. Aber an dem eigentlichen Arbeiten im Lesesaal sind sozusagen alle bei uns, auch im Archiv, beteiligt. Also die Anfrage geht ja ein beim Registrator, der die dann erfasst und verteilt an die zuständige Person. Dann gibt's uns Archivarinnen und die Historiker, die sozusagen die Leute beauskunften und die Vorrecherchen machen und gucken, ob überhaupt was hier ist, was für die Leute interessant ist, und sind auch die inhaltlichen Ansprechpersonen. Dann gibt's noch natürlich das Lesesaal-Team, also zwei Kollegen, die im Lesesaal die Aufsicht führen, die für die ganze Betreuung vor Ort zuständig sind und auch für die technischen Fragen; den Magazin-Dienst: da ist eine Kollegin, drei Kollegen, die die Akten ausheben. Genau dann gibt's noch die Buchbinderinnen aus unserer Restaurierungswerkstatt, die für die Nutzbarmachung der Archivalien zuständig sind. Und zu guter Letzt gibt es noch unser Digitalisierungsteam, die natürlich auch die Scans ins Internet bringen.
Julia: Ein Begriff, der mir begegnen könnte, wenn ich jetzt ins Archiv komme, ist das Wort Schutzfristen. Was hat es damit auf sich?
Karolin: Es gibt verschiedene Schutzfristen, die wir beachten müssen. Wir arbeiten ja auf Grundlage des Bundesarchivgesetzes, und da sind verschiedene Schutzfristen vorgesehen, unter anderem die allgemeine Schutzfrist. Also die gilt für alle Sachakten, und das heißt, dass die allgemeinen Sachakten nach 30 Jahren offen sind. Das betrifft jetzt alle Akten bis einschließlich 1993. Dann gibt es noch die personenbezogene Schutzfrist. Die betrifft dann eben so Einzelfallakten, und da sagt man, dass die offen sind, wenn die Person zehn Jahre tot ist. Wenn wir das nicht wissen, und manchmal kann man das nicht ermitteln, dann gelten nochmal so Ersatzfristen, also dass ist dann 100 Jahre nach Geburt oder 60 Jahre nach Entstehung der Unterlagen. Genau, und beide Fristen haben also datenschutzrechtliche Gründe, so, und dann gibt's aber auch die Möglichkeit, von der wird auch häufiger Gebrauch gemacht, Schutzfristen zu verkürzen auf Antrag. Allerdings liegt da die Entscheidung nicht bei uns, sondern in den jeweiligen Fachreferaten im Haus. So, aber wir sind sozusagen die Vermittlungsstelle, und wir unterstützen das natürlich auch. Genau, und dann gibt's noch eine Sache, die natürlich auch immer wieder gefragt wird, das sind die VS-Akten. Also die sogenannten Geheimakten.
Julia: VS steht für was?
Karolin: Für Verschlusssache. Also da gab's so ein Abstufungssystem. Aber jetzt kann man sagen, werden sie nach 30 Jahren offengelegt und sind dann auch einsehbar, so wie die offenen Akten, also die nicht mit Geheimhaltungsvermerk entstehen. Und grundsätzlich machen diese VS-Akten aber nur einen ganz kleinen Teil unserer Überlieferung aus. Also es sind jetzt für die Zeit ab 72 bis heute gerade mal knapp 2 Prozent.
Julia: Das ist wirklich wenig. Und wenn man daran zurückdenkt, dass wir über 27 bis 30 laufende Kilometer sprechen, ist das schon wenig.
Karolin: Genau, aber auch das ist ja Teil des Klischees, das Leute immer denken, dass hier alles top secret ist. Aber tatsächlich ist es nicht so. In der alltäglichen Arbeit des Auswärtigen Amts entstehen die allermeisten Unterlagen nicht mit Geheimhaltungsvermerk.
Julia: Und die offizielle Bezeichnung für das Archiv ist ja ‚Politisches Archiv und Historischer Dienst‘. Was bedeutet das?
Karolin: Das Politische Archiv steht sowohl extern Benutzerinnen als auch den Mitarbeitenden des Auswärtigen Amts zur Verfügung und dient extern natürlich hauptsächlich der Forschung und der Einsicht in die Unterlagen und ist intern auch für die Übernahme der Akten, die Archivierung und bei Bedarf natürlich für die Bereitstellung der Akten für das Tagesgeschäft zuständig. Aber wir binden und siegeln zum Beispiel auch die Verträge, die geschlossen werden in unserer Restaurierungswerkstatt, und der Historische Dienst ist wiederum eine interne Dienstleistung für's Haus, und wir unterstützen das Auswärtige Amt und seine Auslandsvertretungen bei der Aufbereitung historischer Informationen für die Öffentlichkeitsarbeit, also als Beispiel wäre da zu nennen: Im Jahr 2020 gab es ja das 150-jährige Jubiläum des Auswärtigen Amts, und dafür haben wir eine Publikation veröffentlicht, die heißt auch ‚150 Jahre Diplomatie‘, und darin sind 150 ausgewählte Dokumente aus unserem Archiv zusammen mit Begleittexten und Transkription zu finden, und analog oder eher digital. Dazu gibt es auch eine Jubiläumswebsite.
Julia: Wir haben eben gehört, dass, wenn Dokumente schon einmal digitalisiert wurden, sie mir auch digital vorgelegt werden. Das heißt, Digitalisierung spielt auch im Archiv-Alltag eine große Rolle. Also, welche Meilensteine gibt es für die Digitalisierung?
Aisha: Ja also, wir sind tatsächlich schon relativ weit bei uns gekommen im Archiv, und zwar sind 20 Prozent aller einsehbaren Akten digitalisiert, also von den Akten, die zur Benutzung freigegeben sind, kann man bereits 20 Prozent online einsehen, muss sozusagen nicht extra ins Archiv kommen, und wir haben damit angefangen mit der Digitalisierung 2016, also vor acht Jahren, und seit April 2020 kann man auch die Digitalisate auf Invenio einsehen. Digitalisate sind einfach nur die Scans, die wir sozusagen von den Unterlagen anfertigen und dann in Invenio hochladen. Und mit diesen 20 Prozent sind wir als Archiv schon ziemlich weit, also die meisten Archive haben noch weniger digitalisiert, und wir arbeiten natürlich auch daran, dass es immer mehr wird und kontinuierlich mehr Bestände digitalisiert werden, und arbeiten damit auch mit dem Bundesarchiv zusammen, die uns auch bei Invenio und bei unserer Datenbank-Basis unterstützen.
Julia: Und das Ziel ist, dass das Archiv irgendwann gänzlich digitalisiert ist.
Aisha: Das wird noch eine ganze Weile dauern. Also wie gesagt, wir sind ja gerade mal bei 20 Prozent und arbeiten natürlich stetig daran. Aber es ist einfach ein wahnsinnig großer Aufwand, das alles zu digitalisieren. Also, das ist ja nicht so, dass wir dann einfach zu unserem Kopierer gehen und dann ein paar Seiten da drauflegen und das irgendwie scannen, sondern das muss ja eine gewisse Qualität haben, das muss organisiert werden. Es ist also einfach ein sehr großer Zeitaufwand und auch eine Kostenfrage. Wenn wir jetzt mehrere Akten auf einmal digitalisieren wollen, dann nutzen wir dafür auch externe Firmen, die wir sozusagen beauftragen, die das für uns machen, und deswegen wird das mit der kompletten Onlinepräsenz, sage ich jetzt mal, des Archivs noch eine ganze Weile dauern. Aber was auf jeden Fall kommt, ist, dass wir ab einem gewissen Grad nur noch digitale Unterlagen übernehmen werden, da die E-Akte eingeführt wurde und diese Unterlagen ja nur digital existieren, und irgendwann vermutlich das einzige, was noch in analoger Form kommt, Verträge und vielleicht noch Nachlässe, also zum Beispiel von Botschaftern sein, die dann aber natürlich auch digitalisiert werden und digital dann zugänglich sein sollen.
Julia: Wie kann dann sichergestellt werden, dass digitale Dokumente langfristig erhalten bleiben?
Aisha: Das kann sichergestellt werden, indem natürlich die Formate, in denen diese digitalen Dokumente erstellt werden, dass die immer auf dem neuesten Stand bleiben, damit das dann nicht passiert, dass wir jetzt etwas digitalisieren, und in zehn Jahren möchte man dann diesen Scan öffnen, und dann haben wir gar nicht mehr die Technik dafür, und dann geht das nicht. Also muss man natürlich immer gucken, dass das entsprechend geupdated wird, dass man die neuesten Versionen benutzt, und es muss natürlich auch alles gesichert werden, also auf Festplatten und auf unseren Servern und so, dass das nicht irgendwie wegkommen kann und bei einem Systemabsturz irgendwie weg ist sozusagen. Aber die analogen Dokumente behalten wir ja trotzdem. Also nur weil es digitalisiert ist, sagen wir jetzt nicht mehr „Ach, die Akte brauchen wir nicht mehr“, sondern es ist ja immer dann beides da sozusagen.
Julia: Im Archiv wird nicht nur mit der Vergangenheit gearbeitet, auch aktuelle Konflikte können mit den historischen Dokumenten besser verstanden werden. Was heißt das genau?
Alexandra: Historische Dokumente helfen ja wirklich uns allen. Also und damit meine ich wirklich jeden, denn jeder kann ja grundsätzlich zu uns ins Archiv kommen und die Unterlagen einsehen. Die helfen uns, aktuelle politische Konflikte besser nachvollziehen zu können und auch deren Genese vor allen Dingen nachvollziehen zu können. Nehmen wir jetzt den Nahost-Konflikt als Beispiel. Bei uns im Archiv liegen, beginnend mit der Balfour-Erklärung von 1917, mit der Großbritannien bestätigt, in Palästina eine nationale Heimstätte des jüdischen Volkes errichten zu wollen, zahlreiche Dokumente zu diesem Nahost-Konflikt, die die Entwicklung hin zur Gründung des Staates Israel und die Auseinandersetzung auch in der Region, natürlich überwiegend aus deutscher Perspektive, für jeden nachvollziehbar machen.
Julia: Also diese Dokumente spielen eine wichtige Rolle in aktuellen politischen Diskussionen, aber auch für die historische Forschung. Wie können sie denn genutzt werden, um zum Beispiel auch Desinformation zu bekämpfen?
Alexandra: Wir haben ja bei uns im Archiv die Akten zu außenpolitischen Ereignissen wie der Colonia Dignidad, das ist diese deutsche Sekten-Siedlung in Chile, oder auch zu den Völkermorden an den Armeniern 1915 oder auch zum Völkermord in Ruanda 94 oder auch zur Entstehung des Zwei-plus-Vier-Vertrags, wie schon erwähnt. Und im Zusammenhang der Entstehung des Zwei-plus-Vier-Vertrags hat ja Putin immer wieder behauptet, es hätte 1990 Zusagen an Moskau gegeben, die NATO nicht nach Osten zu erweitern. Die Unterlagen zur Entstehung des Zwei-plus-Vier-Vertrags haben wir bei uns, und Historiker und Journalistinnen zählen zu den häufigsten Benutzenden, und sie werten die Unterlagen zu solchen und ähnlichen heiklen Themen regelmäßig aus, um etwa die Rolle Deutschlands zu beleuchten oder um solche Fragen, wie sie immer wieder durch die Presse gehen, auch zu beantworten. Doch nicht nur Historiker oder Journalistinnen können die Akten anschauen. Es steht ja jedem frei, die Akten selbst einzusehen und die Berichte der Presse oder die Quellen einschlägiger Publikationen und Veröffentlichungen nachzuvollziehen. Es kann also jeder kommen und Fake News oder Desinformation entlarven, und jeder kann das recherchieren, und das ist genau diese Transparenz. Die Akten zu den Ereignissen, die ich genannt habe, wie die Colonia Dignidad oder auch die Völkermorde oder der Zwei-plus-Vier-Vertrag oder die deutsch-russischen Beziehungen Anfang der 90er-Jahre, die stehen für alle offen. Und diese Transparenz zu gewährleisten beziehungsweise bei den noch gesperrten Akten, wie meine Kollegin das erklärt hat, mit dem Schutzfrist Verkürzen, die Nutzung mit der Diplomatie und der deutschen Außenpolitik in Einklang zu bringen, das ist, glaube ich, eine unserer wichtigsten Aufgaben bei uns im Politischen Archiv.
Julia: Damit verbunden auch noch mal eine ganz grundsätzliche Frage: Warum hat das Auswärtige Amt eigentlich sein eigenes Archiv?
Alexandra: Ja, gut, dass du die noch stellst, die Frage. Also zunächst mal muss man sagen, das ist gesetzlich so festgelegt. Das Gesetz über den Auswärtigen Dienst zitiere ich jetzt natürlich nicht vollständig, aber es sagt an einer ganz wichtigen Stelle, dass das Auswärtige Amt die völkerrechtlichen Vereinbarungen des Deutschen Reiches und der Bundesrepublik und außerdem auch noch alle Unterlagen aufbewahrt, die es zur Erfüllung seiner Aufgaben benötigt. Also heißt, das Auswärtige Amt ist der Verwahrer der Staatsverträge der Bundesrepublik und der Akten, die es zur Erfüllung seiner Aufgaben benötigt. Und tatsächlich hat es für die Kolleginnen im Auswärtigen Amt einen ganz anderen Vorteil, die eigenen Archivalien und auch uns Archivarinnen und Archivare mit im Haus zu haben, weil nämlich gute diplomatische Beziehungen zu einem anderen Land immer auch auf einer positiv erzählten Geschichte dieser Beziehung basieren. So war es bei Staatsbesuchen seit jeher ein ganz beliebter Programmpunkt, dass sich die Delegationen gemeinsam über Zeugnisse der seit Jahrzehnten existierenden guten Beziehungen beider Staaten zueinander beugten, und gemeinsam darauf schauten und sich damit vergewisserten, wie gut die Beziehung zueinander doch schon sind. Und tatsächlich nutzen außerdem die Kolleginnen und Kollegen des Auswärtigen Amts täglich unser Archiv und profitieren so von unserer Expertise und auch von der geringen Antwortzeit. Wenn die Unterlagen woanders liegen würden, wäre die Antwortzeit vielleicht viel länger, und der Weg wäre natürlich länger. Unsere Auslandsvertretungen zum Beispiel, die begehen regelmäßig ihre Jubiläen auch mit dem Verweis auf diese gemeinsame Geschichte und zeigen oder wollen das anhand von Archivalien, zum Beispiel in ihrem Social-Media-Account zeigen. Und dazu die Anmerkung, das ist dann immer ein bisschen schwierig. Wir haben nämlich vor allen Dingen Akten, also A4-Papier, das nicht so anschaulich und nicht so Social Media-geeignet und -tauglich ist und einfach ein bisschen schnöde aussieht. Wir freuen uns deswegen immer über Fotos, die bei uns ins Archiv kommen, die man dann etwas besser zeigen kann. Also, wie gesagt, für diese diplomatische Arbeit braucht es einen kurzen Weg zu den eigenen historischen Unterlagen und am besten noch einen eigenen Historischen Dienst, und davon profitiert dann auch unsere Außenpolitik.
Julia: Dann zu guter Letzt noch eine Frage. Ich hatte eingangs erwähnt, dass ich die Unterlagen des Archivs im Keller des Auswärtigen Amts befinden. Warum ist das eigentlich so? Warum liegen Archive so oft im Keller?
Alexandra: Na, zunächst einmal, weil Papier schwer ist und weil ein guter Keller halbwegs passable klimatische Bedingungen bietet, um Papier dauerhaft zu lagern, also 15 bis 18 Grad, 55 Prozent Luftfeuchtigkeit, kaum Temperaturschwankungen. Das sind so die Rahmenbedingungen, die Archive immer in ihren Magazinräumen, die Magazinräume sind die Aufbewahrungsräume, immer gewährleisten. Ich muss allerdings an der Stelle auch mit einem mit einem weiteren Vorurteil aufräumen: Archive, also die Institution Archiv, die haben ihre Magazinräume nicht ausschließlich in Tiefgeschossen und schon gar nicht ihre Büros. Wir sitzen nicht im Keller, sagte meine Kollegin schon, sondern moderne Archiv-Zweckbauten sind passiv klimatisierte Bauten, auch oberirdisch. Passiv klimatisiert, das wäre eine eigene Podcast-Folge zum Thema Archiv-Zweckbauten. Woran die meisten bei Archiven in Kellern denken, das sind eigentlich Altregistraturen in den Behörden oder eben auch schlichtweg irgendwelche Lagerräume für allerlei Sachen, die man so nicht mehr alltäglich braucht. Die befinden sich ja für gewöhnlich eben im Keller, also die Sachen, oder auf Dachböden. Dachböden sind ein ebenso beliebter, aber auch überhaupt nicht geeigneter Ort für altes Papier. Genau, und da befinden sich nun mal die älteren Unterlagen, und daran denken die meisten Leute, wenn sie an Archiv denken. Ja, ich weiß nicht, Julia, wo hast du denn deine alten Sachen zu Hause, im Keller oder auf dem Dachboden?
Julia: Ja das stimmt, im Keller. Gerade diese klimatische Frage, unterm Dach wäre wahrscheinlich dann der schlechteste Ort, oder?
Alexandra: Wegen den starken Temperaturschwankungen: Papier fängt an zu schwitzen, sagt man, genau; und wenn es schwitzt, dann schwitzt es nicht nur, sondern dann schimmelt es auch, wenn es wieder kalt wird. Es kondensiert, und dadurch entsteht Schimmel, und das schadet den Unterlagen. Übrigens nicht nur Papier, sondern auch Filme und Fotos. Die haben nochmal ganz eigene Anforderungen an die klimatischen Bedingungen.
Julia: Ja, auch ein spannender Aspekt, und das Archiv im Auswärtigen Amt ist ja dann auch doppelt besonders. Es ist ja nicht nur im Keller, sondern auch in den ehemaligen Tresorräumen der Reichsbank. Welche Besonderheiten bringt diese Lage mit sich?
Alexandra: Die Unterbringung in den Tresoren der alten Reichsbank bringt so verschiedene Vorteile mit sich, die in einem zweckfremden Archivbau, das ist ja hier ein zweckfremder Bau, weil es nicht primär für ein Archiv gebaut wurde, nicht so selbstverständlich sind. Die Tresore sind von ihrer Statik her bedenkenlos geeignet und durch eine doppelte Wanne vor Wassereintritt, etwa von der Kanalseite des Gebäudes, geschützt. Das ist schon mal ziemlich gut. Auch muss dank des natürlichen Kellerklimas nur verhältnismäßig wenig künstlich klimatisiert werden. Also bei Kellern muss man nur aufpassen, dass sie nicht so feucht sind. Ansonsten ist die geringe Temperaturschwankung ein echter Vorteil. Und der noch unter Denkmalschutz stehende Lastenaufzug, den gab es ja auch hier in der Reichsbank für die Goldbarren, der ursprünglich die Goldbarren eben nach oben beförderte, der transportiert nun unsere Akten, also ein Aufzug war auch schon da, was auch ein Vorteil ist. Nur, wir haben drei Magazinräume, also drei Tresore übereinander. Es geht hier also richtig tief in die Erde. Das denkt man gar nicht, dass in Berlin so tief gebaut werden kann, aber das hat man in den Dreißigern gemacht. Im dritten Untergeschoss unten waren uns vom Denkmalschutz mit der Erhaltung der Goldkammern Grenzen bei der Ausstattung mit Regalen gesetzt. Also, da sieht man immer noch so die Kammern, in denen quasi das Gold eingelagert wurde, je nach Land, und dadurch konnten da zum Beispiel keine Rollregale eingebaut werden. Man kann es aber, wenn man das jetzt alles betrachtet, auch wirklich schlechter treffen als Archiv in einem zweckfremden Bau. Also wir haben hier, wir finden hier sehr gute Bedingungen für unsere Unterlagen vor. Und ich denke auch, dass die Mitarbeitenden, die regelmäßig Führungen durch die Räumlichkeiten veranstalten, die wir sowohl für interne als auch auf Anfrage vor allen Dingen für Bildungsarbeit, für Externe anbieten, dass meine Kolleginnen und Kollegen auch sehr gerne mit ein bisschen Stolz diese dicken, schweren imposanten Türen zeigen, die auch immer wieder die Kolleginnen hier im Haus doch sehr beeindrucken. Also wirklich massive Stahltüren, die nur drei erwachsene Männer aufkriegen, und diese großen schweren Türen, die so massiv sind, die verwahren ja noch immer was ganz Wertvolles, nämlich unsere Akten, und der Unterschied ist aber, dass diese schweren Türen heute im Gegensatz zu damals, als die Goldbarren drin waren, immer offenstehen. Und ich finde das ein sehr schönes Bild, auch was die Benutzung heute des Archivs angeht: Offenstehende Türen.
Julia: Wir durften das Archiv heute von einer ganz neuen Seite kennenlernen, wie ich finde. Der Zugang gestaltet sich deutlich einfacher, als man zunächst vermuten würde, und wir durften erfahren, welche Schätze dort unten unter anderem lagern. Wer weiß, vielleicht haben wir den einen oder anderen Zuhörer begeistern können, doch einfach vorbeizuschauen. Ich bedanke mich herzlich bei Dr. Alexandra Willkommen, Karolin Wendt und Aisha Reiche für eure Zeit und sage: Bis zum nächsten Mal beim Podcast vom Posten!