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Reform des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen

14.01.2022 - Artikel

Die Reform des UN-Sicherheitsrats bleibt ein Kernanliegen der Bundesregierung, um dessen Legitimität und Autorität zu wahren. Eine Anpassung an die heutigen geopolitischen Realitäten ist notweniger Teil einer solchen Reform dieses wichtigen Gremiums der multilateralen Weltordnung.

Sitzung des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen
Sitzung des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen © picture alliance / dpa

Ohne eine Anpassung des Rates an die geopolitischen Realitäten des 21. Jahrhunderts, d.h. insbesondere einer angemessenen Repräsentanz des globalen Südens sowie der zentralen Beitragsleister zum System der Vereinten Nationen, läuft der Sicherheitsrat Gefahr, an Legitimität und Autorität zu verlieren.

Die Diskussion um die Reform des Sicherheitsrats hat Anfang der 1990er Jahre, nach dem Ende des Ost-West-Konflikts, Nachdruck gewonnen. 2005 war eine Einigung zum Greifen nah. Die Verhandlungen, die seit 2009 in einem informellen Plenum der VN-Generalversammlung (IGN) stattfinden, verliefen bisher ohne greifbare Ergebnisse. Es gibt weiterhin starken Widerstand der Gegner neuer ständiger Sitze, die auf Konsens bestehen bevor an einem konkreten Text verhandelt werden kann. Der 75. Jahrestag der Gründung der Vereinten Nationen 2020 ist wichtige Wegmarke und Anlass für konkrete Schritte.

G4: Deutschland, Japan, Indien, Brasilien

Die aktivsten Gruppen innerhalb der IGN sind die G4 – Deutschland, Japan, Indien, Brasilien, die Afrikanische Gruppe, die Konsensgruppe (Uniting for Consensus, mit z.B. – Italien, Pakistan, Mexiko Südkorea, Malta, Türkei), die L.69 Gruppe, die sich insbesondere für eine größere Repräsentanz der Entwicklungsländer im Sicherheitsrat einsetzt und die ACT Gruppe (Accountabilty, Coherence, Transparency), die sich insbesondere für eine Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen dem Sicherheitsrat und anderen VN-Organen sowie Reform der Arbeitsmethoden einsetzt.

Die weit überwiegende Mehrheit der Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen befürwortet eine Reform des Sicherheitsrats einschließlich seiner Erweiterung in beiden Kategorien (ständige und nichtständige Sitze). Es fehlt aber nach wie vor an Einigkeit über die konkrete Ausgestaltung der Reform. Am 14.9.2015 wurde - trotz Widerstands der Reformgegner - erstmals ein „Rahmendokument“ mit allen Reformpositionen einstimmig in die 70. Generalversammlung überführt (69/560). Es bleibt das Ziel, einen Text als Basis für konkrete Textverhandlungen auszuarbeiten, um von der Wiederholung bekannter Positionen zu echten Verhandlungen an einem Text übergehen zu können – dem üblichen modus operandi in den VN.

Der Präsident der 74. Generalversammlung hat die Botschafterinnen Polens und der Vereinigten Arabischen Emirate bei den Vereinten Nationen zu den Vorsitzenden der IGN für die 74. Generalversammlung ernannt.

Am 23.09.2020 treffen sich die G4-Partner (Deutschland, Brasilien, Indien und Japan) auf Außenministerebene. Sie bekräftigen die Absicht, sich weiterhin gemeinsam für eine Reform des UN-Sicherheitsrats stark zu machen.

Erklärung der G4-Außenminister vom 23.09.2020 PDF / 468 KB

Deutschland hat als viertgrößter Beitragszahler, führender Geber von Entwicklungshilfe, aber auch wichtiger politischer Akteur in vielen Bereichen der Vereinten Nationen (Beispiele: Menschenrechte, Klima, Abrüstung, Peacekeeping) ein Interesse daran, einen ständigen Sitz anzustreben. Dies auch, weil unsere internationalen Partner und die deutsche Öffentlichkeit uns immer wieder auffordern, im Sicherheitsrat Einfluss zu nehmen. Dies ist nur als Mitglied möglich.

Gemeinsam mit seinen G4-Partnern setzt sich Deutschland daher weiterhin aktiv für eine Reform des Sicherheitsrates ein. Der 75. Jahrestag der Gründung der Vereinten Nationen 2020 ist wichtige Wegmarke und Anlass für konkrete Schritte. Unter dem neuen Präsidenten der Generalversammlung, Volkan Bozkir aus der Türkei, will Deutschland mit seinen Partnern in der 75. Generalversammlung konkrete Fortschritte erreichen.

Wie setzt sich der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zusammen?

  • Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat gegenwärtig 15 Mitglieder:
    fünf ständige Mitglieder (China, Frankreich, Großbritannien, USA und Russland)
    sowie zehn nichtständige Mitglieder. Dies sind derzeit:
    Indien, Irland, Kenia, Mexiko und Norwegen (bis Ende 2022) und Albanien, Brasilien, Gabun, Ghana und die Vereinigten Arabischen Emirate Estland, Niger, Tunesien, Vietnam, St. Vincent und die Grenadinen (bis Ende 2023).
  • Die nichtständigen Mitglieder werden nach einem festgelegten Regionalschlüssel jeweils für zwei Jahre von der Generalversammlung gewählt. Eine Wiederwahl unmittelbar nach einer Amtszeit ist nicht möglich.
  • Bei der Verabschiedung der Charta der Vereinten Nationen im Jahr 1945 hatte der Sicherheitsrat neben den fünf ständigen nur sechs nichtständige - insgesamt also elf Sitze. 1963 beschloss die Generalversammlung eine Erweiterung um vier zusätzliche nichtständige Sitze, die 1965 in Kraft trat. Seit 1966 besteht der Sicherheitsrat in der heute bekannten Zusammensetzung.

Warum muss der Sicherheitsrat reformiert werden?

  • Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ist das zentrale Organ der internationalen Staatengemeinschaft für Friedenssicherung und Konfliktmanagement. Er fasst Beschlüsse (Resolutionen), die – anders als die der Generalversammlung – für alle Mitgliedstaaten bindend sind. Er verfügt damit über weitgehende Befugnisse und kann gegebenenfalls auch in die Souveränität der Staaten eingreifen, z.B. durch die Verhängung von Sanktionen.
  • Es ist wichtig und richtig, dass der Sicherheitsrat über diese Vollmachten verfügt. Er ist das Herzstück der internationalen Sicherheitsarchitektur. Damit seine Resolutionen von allen Staaten respektiert und befolgt werden, muss er über die notwendige Autorität und Legitimität verfügen. Dies setzt voraus, dass er repräsentativ ist.
  • Der Sicherheitsrat reflektiert in seiner derzeitigen Zusammensetzung jedoch die geopolitischen Verhältnisse von 1945. Hieran hat im Kern auch die Erweiterung von 1963/65 um nicht-ständige Sitze nichts geändert. Der Rat ist in seiner jetzigen Zusammensetzung nicht mehr repräsentativ für eine Welt, in der seit 1945 142 Staaten zusätzlich in die Vereinten Nationen aufgenommen wurden. Insbesondere Afrika ist nicht seinem heutigen Gewicht entsprechend im Rat vertreten und fordert deshalb, dass die Zusammensetzung des Sicherheitsrats den neuen Realitäten angepasst werden muss.
  • Neben einer geographisch ausgewogenen Verteilung der Sitze legt die Charta der Vereinten Nationen auch besonderen Wert darauf, dass Staaten, die erhebliche Beiträge für die Vereinten Nationen leisten, Mitglieder des Sicherheitsrats sein sollen (Art. 23 VN-Charta).
  • Bei Ausbleiben einer Reform des Sicherheitsrats besteht die Gefahr, dass Entscheidungsprozesse auf andere Foren verlagert werden, auch wenn diese nicht die Bindungswirkung und Legitimität des Sicherheitsrates besitzen. Dies liegt in niemandes Interesse.

Warum will Deutschland einen ständigen Sitz?

  • Die Bundesregierung strebt eine Reform des Sicherheitsrats an, um die seit 1945 geopolitisch geänderten Rahmenbedingungen widerzuspiegeln. Nach Art. 23 der VN-Charta spielen dabei auch die Beiträge der Mitgliedstaaten für die Verwirklichung der Ziele der Vereinten Nationen eine entscheidende Rolle. Die Bundesregierung strebt einen ständigen Sitz für Deutschland als Teil einer umfassenden Reform der Vereinten Nationen an und engagiert sich auch für andere Reformschritte. Auch mit dem Einsatz für die Umsetzung der von VN-Generalsekretär Guterres maßgeblich eingeleiteten Reformen unterstreicht Deutschland den Willen, handlungsfähige, starke Institutionen im Zentrum der multilateralen, regelbasierten Weltordnung zu unterstützen.
  • Die Rolle Deutschlands hat sich gegenüber 1945 grundlegend geändert. Aus dem „Feindstaat“ von 1945 und dem Beitrittsland von 1973 ist einer der engagiertesten Vertreter eines effektiven Multilateralismus unter dem Dach der Vereinten Nationen geworden. Diese Rolle Deutschlands gehört zu den Realitäten des 21. Jahrhunderts. Daher wurde Deutschland auch seit Beginn der Reformdiskussion von anderen Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen als Kandidat für einen ständigen Sitz genannt.
  • Deutschland leistet wichtige Beiträge zur Arbeit der Vereinten Nationen. Es ist nicht nur zweitgrößter Beitragszahler (freiwillige und reguläre Beiträge zusammengenommen), sondern trägt auch auf andere Weise vielfältig zur Verwirklichung der grundlegenden Ziele der Vereinten Nationen bei: Durch die Entsendung von Truppen für internationale Friedensmissionen wie MINUSMA in Mali oder UNIFIL im Libanon, durch Mittel für Entwicklungszusammenarbeit, nachhaltige Entwicklung, Stabilisierung und humanitäre Hilfe und durch Eintreten für den Schutz der Menschenrechte.

Was beinhaltet der G4-Vorschlag?

  • Bereits 2005 hat Deutschland gemeinsam mit Indien, Brasilien und Japan (G4) den Entwurf einer Resolution für eine Sicherheitsratsreform ausgearbeitet, der unter anderem folgende Elemente enthält:
  • Erweiterung des Sicherheitsrats um sechs ständige Mitglieder (je zwei Sitze für Asien und Afrika und je einen Sitz für die Westliche Gruppe und die Lateinamerikanisch-Karibische Gruppe),
  • Erweiterung des Sicherheitsrats um vier-fünf nichtständige Mitglieder (je einen Sitz für Asien, Lateinamerika und Karibik, Osteuropa sowie ein oder zwei Sitze für Afrika),
  • Reform der Arbeitsmethoden.

Wäre Europa mit einem weiteren ständigen Sitz nicht überrepräsentiert?

  • Die Charta der Vereinten Nationen sieht im Artikel 23 vor, dass vor allem solche Staaten dem Sicherheitsrat angehören sollen, die erhebliche Beiträge zur Arbeit der Vereinten Nationen leisten. Erst an zweiter Stelle folgt das Kriterium der geographisch ausgewogenen Verteilung der Sitze.
  • Europa, insbesondere die Mitgliedstaaten der EU, gehören zu den stärksten Stützen der Vereinten Nationen: Die Staaten der EU finanzieren über ein Drittel des Haushalts der Vereinten Nationen und sie geben weit mehr als die Hälfte der Mittel für die weltweite Entwicklungszusammenarbeit.
  • Eine Reform, wie sie der G4-Vorschlag vorsieht, würde den relativen Sitzanteil der EU-Mitgliedstaaten nicht erhöhen. Bisher können zwei bis vier EU-Mitgliedstaaten gleichzeitig Mitglieder des Sicherheitsrats sein – neben dem ständigen Mitglied Frankreich, ein bis drei nichtständige Mitglieder, die die Westliche Gruppe und/oder die Osteuropa-Gruppe im Rat vertreten. Nach der Reform nähmen sie wahrscheinlich bis zu sechs oder sieben von dann 25 oder 26 Sitzen ein. Das wäre keine Zunahme, sondern sogar eine leichte Abnahme auf weniger als ein Drittel der Sitze.

Warum fordert die Bundesregierung nicht einen ständigen Sitz für die EU?

  • Die Bundesregierung strebt gemäß Koalitionsvertrag in der Zukunft einen EU-Sitz an. Für die Zukunft, eine entsprechende Weiterentwicklung von Europäischer Union und Vereinten Nationen vorausgesetzt, strebt die Bundesregierung einen ständigen Sitz der Europäischen Union an. Die Charta der Vereinten Nationen sieht jedoch keine Mitgliedschaft für Regionalorganisationen vor, die Europäische Union verfügt in der Generalversammlung der Vereinten Nationen lediglich über einen Beobachterstatus. In absehbarer Zukunft ist daher nur eine Reform des Sicherheitsrates mit Erweiterung um Nationalstaaten denkbar. Wir arbeiten weiter daran, dass die Mitgliedstaaten in allen Fragen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik mit einer Stimme sprechen.

  • Bisher können nur Staaten, nicht aber internationale Organisationen wie die EU, Mitglieder der Vereinten Nationen werden. Wollte man die Charta der Vereinten Nationen in diesem Punkt ändern – wofür hohe Hürden gemäß Artikel 108 VN-Charta bestehen – so würde sich zudem die fast unlösbare Frage stellen, welche der zahlreichen anderen internationalen Organisationen sonst noch Sitz und Mitgliedschaft erwerben könnten.

Kann die Reform des Sicherheitsrats durch ein Veto verhindert werden?

Eine Reform des Sicherheitsrats erfordert eine Änderung der Charta der Vereinten Nationen. Das Verfahren hierfür regelt Artikel 108 der VN-Charta, der zwei Stufen vorsieht:

  • Erster Schritt: Die Generalversammlung, in der alle 193 Mitgliedstaaten je eine Stimme haben, muss die Reform mit Zweidrittelmehrheit der Mitgliedstaaten (also mindestens 128 Staaten) beschließen. Damit wird die Charta der Vereinten Nationen als völkerrechtlicher Vertrag geändert.
  • Zweiter Schritt: Diese Änderung muss dann gemäß den national vorgesehenen Verfahren durch mindestens zwei Drittel der Mitgliedstaaten, einschließlich der fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats, ratifiziert werden. Dies hat bei der bisher einzigen Erweiterung des Sicherheitsrats 1963 etwa anderthalb Jahre gedauert. Bei diesem Schritt müssen auch alle ständigen Mitglieder ratifizieren.

Das bedeutet: Im ersten Schritt gibt es kein besonderes Zustimmungserfordernis der fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats (P5). Im zweiten Schritt könnten die Parlamente der P5 das Inkrafttreten einer Änderung der Charta durch Nichtratifizierung verhindern. Auch wenn ständige Mitglieder in der Generalversammlung gegen eine Charta-Änderung gestimmt haben, bedeutet dies nicht automatisch, dass diese Staaten die Änderung nicht doch noch ratifizieren: So stimmte bei der Entscheidung über die Erweiterung des Sicherheitsrats 1963 nur ein ständiges Mitglied mit „Ja“. 1965, gerade einmal anderthalb Jahre später, hatten schließlich doch alle fünf ständigen Mitglieder die Charta-Änderung ratifiziert.

Sollen neue ständige Mitglieder auch das Vetorecht bekommen?

  • Das Veto-Recht wird von einer großen Zahl der Mitgliedstaaten als anachronistisch empfunden. Viele haben sich gegen eine Ausweitung des Veto-Rechts auf neue ständige Mitglieder im Rahmen einer Reform ausgesprochen und es gibt Initiativen, das Veto-Recht im Falle von Massengräueltaten nicht anzuwenden. Der G4-Vorschlag von 2005 sieht vor, dass neue Mitglieder zunächst auf die Ausübung des Veto-Rechts verzichten, die Frage abschließend dann im Rahmen einer Überprüfungskonferenz 15 Jahre nach Inkrafttreten der Charta-Änderung geklärt wird. Der im Jahr 2005 von den Staaten der Afrikanischen Union vorgelegte Resolutionsentwurf sieht gleiche Rechte und Pflichten für alle ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates vor, einschließlich einer Ausweitung des Veto-Rechts, so lange es dieses gibt.

Zum Weiterlesen

Statement von Botschafter Heusgen im Namen der G4 am 25.11.2019 in der Debatte in der VN-Generalversammlung zur Reform des Sicherheitsrates. PDF / 328 KB

Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen

Dokumente aus den letzten 25 Jahren zur Diskussion um eine Reform des Sicherheitsrates

Frühere Resolutionsentwürfe zur Reform des Sicherheitsrats:

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