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Symbolischer Ort in schwieriger Zeit

02.11.2022 - Interview

Außenministerin Annalena Baerbock im Interview mit den Westfälischen Nachrichten zum Treffen der G7-Außenministerinnen und -Außenminister in Münster

Frage: Die politischen Rahmenbedingungen des G7-Außenministertreffen in Münster könnten kaum dramatischer sein – vor allem wegen der aktuellen Eskalation Russlands im Ukraine-Krieg. Was können die G7-Fachminister unter deutschem Vorsitz da bewegen?

Außenministerin Annalena Baerbock: Deutlich machen, dass wir als starke Wirtschaftsnationen nicht nur für den Frieden, das internationale Recht und vor allem an der Seite der unschuldigen Menschen stehen, sondern mit allem was wir haben auch für sie einstehen. Denn zuallererst ist die Lage für die Menschen in der Ukraine jeden Tag dramatischer. Die Städte, die Putin nicht erobern kann, will er jetzt verhungern, erfrieren, verdursten lassen. Aber dieser Krieg ist eben nicht nur eine Gefahr für die Ukraine, sondern für die gesamte internationale Ordnung. Wenn Putins Plan - erst bombardieren, dann annektieren - aufgeht, dann ist die Blaupause für die nächsten Angriffskriege bereits in der Welt. Wollen wir unseren Kindern unsere Welt nicht noch unsicherer hinterlassen, dann müssen wir als Weltgemeinschaft jetzt so deutlich wie überhaupt möglich Stopp sagen. Die G7 sind in diesem Jahr zum Kern der internationalen Krisenreaktion geworden. Hier haben wir harte und wirkungsvolle Sanktionen gegen Russland entwickelt, aber eben auch all die diplomatischen Bemühungen, zum Beispiel Antworten auf Russlands Kornkrieg, der in der ganzen Welt die Lebensmittelpreise hat explodieren lassen. Und auch bei den anderen drängenden globalen Fragen von der Klimakrise bis zum Umgang mit China schauen viele unserer Wertepartner in der ganzen Welt auf die G7 als große Demokratien und Wirtschaftsmächte.

Frage: Mal abseits der Tagespolitik: In Münster und in Osnabrück wird im kommenden Jahr das Jubiläum 375 Jahre Westfälischer Friede gefeiert. Die Realitäten sind gerade durch hybride Kriegsführung, gefährdete Demokratien, Flucht und Klimakrise geprägt. Braucht die Menschheit einen Westfälischen Frieden für das 21. Jahrhundert, ein neues Friedenswerk, um zerstörerischen Auswirkungen aktiv begegnen zu können?

Außenministerin Annalena Baerbock: Der Westfälische Frieden ist eine der Geburtsstunden des modernen Völkerrechts, grundlegende Konzepte, wie die Gleichheit und Souveränität der Staaten, wurden hier das erste Mal in einem großen Friedensabkommen verhandelt. Dieses Erbe müssen wir bewahren. Deswegen habe ich diesen symbolischen Ort in dieser schwierigen Zeit ganz bewusst als Tagungsort gewählt. Anders als 1648 gibt es heute aber vielfach keinen Mangel an Recht mehr, sondern teilweise eine Respektlosigkeit gegenüber dem Recht. Dass wir benachbarte Staaten nicht überfallen, dass wir die Erwärmung des Planeten begrenzen wollen, das brauchen wir nicht mehr vereinbaren, das haben wir bereits niedergelegt, in der Charta der Vereinten Nationen, im Pariser Klimaabkommen und in vielen anderen internationalen Vereinbarungen. Worauf es heute vor allem ankommt, ist dafür zu sorgen, dass diese Regeln, die wir uns als Weltgemeinschaft gegeben haben, auch eingehalten werden. Wir müssen endlich wieder ins Machen kommen. Daher ist mir auch so wichtig, als Europäer und auch als Deutschland mit neuen Ideen und Vorschlägen voranzugehen. Zum Beispiel mit unseren neuen Energie- und Klimapartnerschaften. Denn die größte Sicherheits- und damit Friedensgefahr ist für viele Länder mittlerweile die Klimakrise. Sie treibt Millionen in die Flucht, weil ihre Heimat überflutet oder vertrocknet ist, und verschärft Konflikte. Klimaschutz ist daher das wichtigste Friedensprojekt des 21. Jahrhunderts.

Frage: Inwieweit ist der aktuelle Zuschnitt der G7 geeignet, die drängendsten Probleme zu lösen? Werden Sie den Kreis auch diesmal durch Gäste erweitern?

Außenministerin Annalena Baerbock: Für mich sind die G7 kein Machtzirkel, der besser ist als andere, sondern als stärkste Demokratien und Wirtschaftsnationen tragen wir besondere Verantwortung. Historisch, weil wir mit dem Kolonialismus und dem weitaus größten Anteil an den globalen Treibhausemissionen weltweit Leid verursacht haben. Aber auch für die Zukunft, weil wir mit unseren Möglichkeiten Impulsgeber für bessere Entwicklungen sein müssen. Die G7 können die Probleme der Welt ganz bestimmt nicht im Alleingang lösen. Aber das müssen wir zum Glück auch gar nicht, weil wir auf der ganzen Welt Gleichgesinnte haben, die wie wir an eine regelbasierte Ordnung glauben und sich mit uns auch in den Vereinten Nationen, der EU, der NATO engagieren. Aber bei vielen Themen können wir als G7 Ausgangspunkt für Initiativen mit anderen Wertepartnern sein, die unsere Überzeugungen teilen. Nach Münster haben wir unsere Kolleginnen und Kollegen von der Afrikanischen Union, aus Ghana und aus Kenia eingeladen. Mit ihnen wollen wir über die globalen Folgen des russischen Angriffs auf die Ukraine sprechen, etwa bei Ernährungs- und Energiesicherheit, aber auch über die Lage am Horn von Afrika und im Sahel.

Frage: Derzeit wird oft behauptet, die vielen Sanktionspakete gegen Russland seien nicht wirksam und schadeten nur der heimischen Wirtschaft. Was setzen Sie dem entgegen?

Außenministerin Annalena Baerbock: Sanktionen sind kein Selbstzweck. Ohne diesen furchtbaren russischen Angriffskrieg gäbe es die Sanktionen nicht. Aber im Lichte dessen, dass Putin Dörfer, Familien, Spielplätze bombardiert, können wir doch nicht einfach unsere Wirtschaftsgeschäfte weitermachen und so den Krieg indirekt unterstützen. Die Sanktionen verhindern den Krieg nicht, aber sie schränken Russlands Möglichkeiten ein und machen deutlich, dass wir diesen Rechtsbruch nicht akzeptieren. Und die Sanktionen zeigen Wirkung. Die Fassade mag noch stehen, dahinter taumelt die russische Wirtschaft aber wie ein angeschlagener Boxer. Russland kommt kaum noch an moderne Technologie, internationale Unternehmen und junge Talente verlassen zu Tausenden das Land. Bald wird Russland wieder Autos auf dem technischen Stand der 80er Jahre bauen müssen. Das zeigt deutlich: der Krieg ist für Russland auch wirtschaftlich eine Katastrophe.

Frage: Man spricht oft davon, dass bilaterale Meetings am Rande derlei Treffen entscheidend nach vorne bringen. Inwieweit lässt sich so etwas im Vorfeld planen?

Außenministerin Annalena Baerbock: Der russische Angriffskrieg hat auch in dieser Hinsicht viele der ungeschriebenen Regeln der G7 auf den Kopf gestellt. Während es früher im Jahr meist nur ein oder zwei Treffen der Außenminister gab, wird Münster in diesem Jahr schon Treffen Nummer 10 sein. Unter dem deutschen Vorsitz sind die G7 zu einem gut eingespielten Krisenmanagementteam geworden, und viele Themen haben unsere Politischen Direktorinnen schon seit Wochen detailliert vorbereitet. Aber trotzdem bietet so ein Treffen die Gelegenheit, besonders sensible Themen auch mal unter vier Augen zu besprechen. Mit meiner kanadischen Kollegin bin ich zum Beispiel eng im Austausch zur Unterstützung der Frauen in Iran, mit meiner französischen Kollegin über die Energieversorgung in Europa.

Frage: Sind dafür noch die klassischen Herrenrunde am Kamin gefragt oder setzen Sie eher auf gemeinsame Spaziergänge – wenn es möglich ist?

Außenministerin Annalena Baerbock: Die Herrenrunde haben wir in den G7 zum Glück hinter uns gelassen, bei unserem letzten Treffen im Mai waren wir gleichviele Männer wie Frauen - ein besserer Frauenanteil als im deutschen Bundestag. Ob wir uns dann um den Kamin setzen oder uns gemeinsam die Stadt ansehen, wird am Ende vor allem vom Münsteraner Novemberwetter abhängen.

Frage: Sie treffen sich im Historischen Friedenssaal. Inwiefern kann die Atmosphäre eines Ortes wirklich auch den „Geist“ eines Treffens prägen?

Außenministerin Annalena Baerbock: Ich habe mich bewusst dazu entschieden, die G7 nicht nach Berlin, sondern hier nach Münster einzuladen. Es ist atmosphärisch ein Unterschied, ob man in einem nüchternen Konferenzraum zusammensitzt oder einem Ort wie dem Friedenssaal mit seiner Geschichte. Ich bin der Stadt und allen Münsteranerinnen und Münsteranern deswegen sehr dankbar, dass sie uns in ihrer schönen Heimatstadt aufnehmen - gerade weil ich weiß, dass es ihren Alltag ja schon etwas durcheinander wirbelt.

Frage: Die G7 sehen sich gerne als Motor für eine lebenswertere Welt. Gibt es abseits der überlagernden Ukraine-Thematik Raum für andere wichtiger Themen wie Klimaschutz, Ernährungssicherheit und Digitalisierung?

Außenministerin Annalena Baerbock: Ja, den muss es geben. Nur so werden wir unserer Rolle und unserer Aufgabe gerecht. Durch den russischen Krieg verschwinden die anderen Krisen ja nicht. Sie verschärfen sich sogar noch. Die Staaten der G7 stehen noch immer für mehr als 40% der weltweiten Wirtschaftskraft. Wenn wir nicht der Motor bei essentiellen Zukunftsfragen der Menschheit, wie dem Umgang mit der Klimakrise, bei der Cybersicherheit, beim Gesundheitsschutz sind, dann wird uns das niemand abnehmen.

Frage: Es gibt im Moment auch in Europa einige neue Regierungen wie in Italien und Großbritannien, die bei den G7-Außenministerinnen und Außenministern vertreten sind. Inwieweit erschwert das Hinzukommen neuer Minister in die eingespielte Runde die Entscheidungsfindung?

Außenministerin Annalena Baerbock: Demokratie lebt vom Wechsel, das ist eine ihrer großen Stärken. Für mich war es ein großes Glück, drei Tage nach meinem Amtsantritt zu einem G7-Treffen zu fahren und wichtige Kolleginnen und Kollegen gleich sehr intensiv kennenzulernen. Und wenn sich wie in Italien die gesamte politische Ausrichtung einer Regierung verändert, haben die anderen Partner auch ein großes Interesse abzuklopfen, wie sich das Land positioniert, wie die neuen Gesprächspartner ticken. Auch dafür sind diese Treffen wichtig. Wenn man sich als Wertepartner sieht, dann ist es natürlich einfacher, wenn alle diese Werte auch teilen und leben.

Frage: Die anstehenden Zwischenwahlen beim G7-Motor USA werden auch das Außenministertreffen prägen. Können die USA mit voller Kraft den entschlossenen Kurs im Ukrainekrieg fahren, wenn die Republikanische Partei die Mehrheit im Repräsentantenhaus und im Senat erringen?

Außenministerin Annalena Baerbock: Als Außenministerin muss ich mich mit Wahlprognosen zurückhalten. Nur so viel: Ohne das enorme Engagement und die klare Haltung aktuellen amerikanischen Regierung hätte auch Europa den Menschen in der Ukraine nicht in dieser Form beistehen können. Ich kann mich an keine historische Situation erinnern, in der Deutschland und die USA enger zusammengearbeitet haben als im letzten Jahr. Wir wissen spätestens seit Donald Trump, dass das keine Selbstverständlichkeit ist. Auch deshalb müssen wir als Europäer wehrhafter werden. Wir dürfen für die Zukunft nicht allein darauf bauen, dass andere für uns die Kastanien aus dem Feuer holen werden.

Interview: Claudia Kramer-Santel und Andreas Fier

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