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Rede von Außenministerin Annalena Baerbock beim Baltic Offshore Wind Forum
„Wir müssen mit Ergebnissen nach Dubai gehen, nicht mit Versprechungen!“
Das hat Mia Mottley, die Premierministerin von Barbados, letzte Woche beim Petersberger Klimadialog gesagt.
Ergebnisse, keine Versprechungen.
Denn wir stehen vor der größten Sicherheitsherausforderung unseres Jahrhunderts. Und wir können diese Krise nur bewältigen, wenn jede und jeder einzelne von uns dazu beiträgt.
In Barbados bedroht der steigende Meeresspiegel die Existenz ganzer Dörfer.
Überschwemmungen, Stürme und Hitzewellen treffen uns auch hier in Europa mit immer größerer Intensität.
Deshalb sind wir alle heute hier. Um konkrete und pragmatische Lösungen vorzustellen, mit denen wir so schnell wie möglich Emissionen verringern und unsere Volkswirtschaften klimaneutral aufstellen können, – anstatt Versprechungen zu machen.
Die Energiewirtschaft spielt dabei eine zentrale Rolle: Sie ist für etwa zwei Drittel der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich. Laut Schätzungen der Internationalen Energie-Agentur müssen wir die weltweiten Kapazitäten bei erneuerbaren Energien verdreifachen, um die 1,5-Grad-Grenze einzuhalten.
Deshalb haben wir uns als G7 konkrete Ziele für den Ausbau erneuerbarer Energieinfrastruktur gesetzt: 150 Gigawatt bei Offshore-Windkraft und 1000 Gigawatt bei Solarenergie.
Deshalb wollen wir bei der COP 28 eine globale Übereinkunft über ein konkretes Ausbauziel für erneuerbare Energien erreichen.
Wir haben die große Chance, in dieser Hinsicht einen gewaltigen Schritt nach vorn zu machen, und zwar direkt hier in unserer Region, in unserer gemeinsamen Nachbarschaft: dem Ostseeraum.
Wo der Wind konstant mit 10 Metern pro Sekunde über das Meer weht.
Dieses Meer ist ein Schatz. Ein Schatz, den wir alle teilen, aber auch ein Schatz, den wir besser nutzen können: ein Schatz für grüne Energie. Die europäische Kommission schätzt die Kapazität für Windenergie in der Ostsee auf mehr als 93 Gigawatt.
93 Gigawatt. Das entspricht der Leistung von ungefähr 90 mittleren Kernkraftwerken.
Wir sind zusammengekommen, um unsere Kräfte zu bündeln und dieses riesige Potenzial zu heben – nicht um Versprechungen zu machen, sondern um Ergebnisse zu erzielen.
Dabei müssen wir ehrlich sein und ganz deutlich sagen: Das ist nicht leicht. Überhaupt nicht leicht.
Wir müssen intensiv daran arbeiten, konkrete Fortschritte zu machen.
Drei Dinge sind mir dabei wichtig.
Erstens ist jede Windkraftanlage, die wir errichten, eine Investition in unsere Sicherheit.
Denn mit der grünen Energiewende werden wir unabhängiger von Öl‑, Kohle‑ und Gaseinfuhren aus Ländern, auf die wir uns nicht immer verlassen können. Es ist auch ein Beitrag, um unsere Energieversorgung günstiger und sicherer zu machen.
Als ich vor gut einem Jahr in die baltischen Staaten gereist bin, hatte Russland gerade seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine begonnen. Als deutsche Ministerin bekam ich im Baltikum kritische Fragen zu hören: „Warum habt ihr euch so abhängig von russischem Gas gemacht? Warum habt ihr mitten durch die Ostsee eine Pipeline gelegt, die unsere Sicherheit untergräbt?“
Die Wahrheit ist: Sie hatten recht – und wir hatten unrecht.
Deutschland war zu lange zu abhängig von russischer Energie.
Für jeden Kubikmeter billiges Gas haben wir mit unserer Sicherheit bezahlt, und zwar doppelt und dreifach.
Und auch deshalb sind wir heute hier, auch deshalb haben wir das letzte Jahr mit so viel Einsatz zusammengearbeitet. Statt Nord Stream bauen wir gemeinsam auf die Energie der Ostsee – auch für unsere Sicherheit.
Und mit Blick auf innenpolitische Debatten – ich bitte unsere Nachbarn und Freundinnen und Freunde, das zu entschuldigen, aber ich möchte etwas zu einigen dieser Diskussionen sagen, die hier in Deutschland geführt werden, über die nötige Geschwindigkeit; ich möchte betonen, dass vor einem Jahr, als wir vor dem Scherbenhaufen der fehlgeleiteten Energiepolitik der letzten Jahrzehnte standen, viele von uns Sorgen hatten, ob wir im Winter noch unsere Wohnungen heizen können würden.
Unser Wirtschaftsminister Robert Habeck hat uns mit einem gewaltigen Kraftakt durch diese Zeit geführt. Sein Ministerium, unsere Regierung, gemeinsam haben wir das entschlossen und sehr erfolgreich bewerkstelligt.
Wir haben den Ausbau von Wind‑ und Solarenergie beschleunigt und unsere direkten Einfuhren fossiler Brennstoffe aus Russland mittlerweile auf null gesenkt. Wir brauchen diese Entschlossenheit auch in Zukunft für unsere Offshore-Pläne in der Ostsee – und auch, wenn wir unser Land klimaneutral machen wollen.
Als wir vergangenen Juli den Vorsitz im Rat der Ostseestaaten übernommen haben, haben wir deshalb gesagt: Lasst uns Windenergie zu einem Schwerpunkt unserer Präsidentschaft machen.
Lieber Lars, lieber Pekka, ich bin froh, dass Sie heute hier bei uns sind, denn dies ist eine gemeinsame Anstrengung. Das ist etwas Neues, den Ostseerat – eine politische Institution – zu einer praktischen Management-Institution zu machen.
Gemeinsam mit Polen, Schweden und den baltischen Staaten sowie unseren drei Ländern haben wir uns letztes Jahr darauf verständigt, die Offshore-Windenergie in der Ostsee bis 2030 zu versiebenfachen.
Das ist ein ehrgeiziges Ziel, aber es ist jede Mühe wert.
Mein zweiter Punkt: Windkraft ist eine riesige Chance für uns alle. Laut Prognosen der Internationalen Organisation für erneuerbare Energien werden sich die globalen Kapazitäten für Windenergie bis 2050 von 740 Gigawatt auf 6000 Gigawatt erhöhen. Das entspricht einem jährlichen Wachstum von mehr als sieben Prozent.
Bereits heute werden durch Investitionen in Erneuerbare dreimal mehr Arbeitsplätze geschaffen als durch fossile Energieträger. Aber als ich mich heute mit 15 Vertreterinnen und Vertretern aus der Wirtschaft getroffen habe, waren wir uns alle einig: Wenn europäische Unternehmen in diesem zukunftsweisenden Markt bestehen wollen, müssen wir jetzt die Weichen dafür stellen – indem wir die nötigen Technologien entwickeln, unsere Lieferketten absichern und Fachkräfte ausbilden.
Wir müssen aber auch die richtigen Investitionen tätigen. Wir haben heute von einigen von Ihnen gehört, dass es gut ist, wenn bei Auktionen oder Ausschreibungsverfahren “negative bidding” betrieben wird; aber wenn wir wollen, dass die Investitionen hier in Europa getätigt werden, hier in unserem Ostseeraum, dann müssen wir deutlich machen, dass sich dies auch auszahlt. Wir können nicht einfach untätig bleiben und auf Projekte warten; wir müssen sie selbst schaffen. Und wir müssen daraus einen „business case“ machen.
Wir haben vom Inflation Reduction Act (IRA) in den USA gehört. Wir haben gestern Abend gehört, dass Kanada große Wasserstoffkraftwerke angekündigt hat; Australien und Japan werden folgen. Wir müssen also deutlich machen, dass sich Investitionen auch in unserer Region lohnen – und wir müssen schneller werden.
Das bringt mich zu meinem dritten Punkt: Wir werden diese Vorhaben nur dann umsetzen können, wenn wir sie gemeinsam in Angriff nehmen. Und wir müssen begreifen, dass diese Investitionen – und auch die Ausschreibungsverfahren – eine Sicherheitsdimension haben, die man mit einberechnen muss.
Jede und jeder hier in diesem Saal weiß, wie komplex der Aufbau eines Offshore-Windparks ist: Von zwölf Tonnen schweren Rotorblättern, die mehrere Kilometer weit auf das Meer hinaus transportiert werden – wofür man Schiffe braucht, aber auch, wie ich heute Morgen gelernt habe, Häfen, die groß genug für diese Schiffe sind; über Windkraftanlagen so groß wie Hochhäuser, die auf offener See installiert werden, bis zu Unterseekabeln, die auf dem Meeresboden verlegt werden.
Diese komplexen Vorhaben brauchen die richtigen Rahmenbedingungen. Aktuell sind die nationalen Genehmigungsverfahren zu kompliziert. Zu oft bremsen sie ambitionierte Projekte aus. Eine Vereinfachung dieser Verfahren mithilfe grenzüberschreitender Vereinbarungen – denn darum geht es, wenn wir über Offshore-Windparks in der Ostsee sprechen: nicht um nationale Projekte, sondern grenzüberschreitende Projekte – könnte uns helfen, das Ganze zu beschleunigen. Es ist auch klar, dass wir diese Projekte nicht zwischen Regierungen am Konferenztisch planen können. Deshalb sind wir heute hier und haben Sie alle ins Auswärtige Amt eingeladen: Vertreterinnen und Vertreter aus der Wirtschaft, von Regierungen, aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft.
Sie alle wissen, was getan werden muss, um diese Vorhaben umzusetzen.
Wir möchten hören, was Sie als Fachleute vorschlagen. Wir wollen voneinander lernen, um miteinander etwas aufzubauen.
Ein gutes Beispiel dafür, wie diese Zusammenarbeit bereits funktioniert, ist die Insel Bornholm. Auf dieser „Energie-Insel“ arbeiten Deutschland und Dänemark zusammen – sowohl auf Regierungsebene durch Verabschiedung der nötigen Gesetzesvorhaben als auch auf Ebene der Wirtschaft. Gemeinsam wollen wir Offshore-Windparks mit einer Kapazität von bis zu drei Gigawatt bauen.
Der erzeugte Strom soll zu gleichen Teilen nach Dänemark und über Seekabel nach Deutschland geliefert werden. Die Kosten und Erträge werden ebenfalls gleichmäßig zwischen unseren beiden Ländern aufgeteilt.
Dänische und deutsche Unternehmen arbeiten dabei Seite an Seite. Schon bald könnten wir insgesamt 4,5 Millionen dänische und deutsche Haushalte mit grünem Strom versorgen. Lieber Lars, vielen Dank für diese hervorragende und zügige Zusammenarbeit.
Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Freunde,
zwischen Barbados und Bornholm liegen fast 8000 Kilometer. Aber lassen Sie uns daran denken, was Mia Mottley letzte Woche gesagt hat: „Was gut für den Norden ist, ist auch gut für den Süden, gut für den Westen und gut für den Osten.“
In diesem Sinne ist unsere heutige Konferenz ein Schritt in die richtige Richtung. Ein Schritt, um die Haushalte unserer Bürgerinnen und Bürger mit sauberer Energie zu versorgen.
Ein Schritt, um unsere Länder sicherer zu machen.
Ein Schritt, um die Zukunft unseres Planeten zu sichern.