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Rede von Außenministerin Annalena Baerbock zum Tag des Peacekeeping
Freiheit ist kostbar. Frieden ist verletzlich. Sicherheit ist nicht selbstverständlich.
Das erleben Sie, liebe Peacekeeperinnen und Peacekeeper, jeden Tag bei Ihrer Arbeit in Krisenregionen. Und Sie sehen dort, was Frieden und Sicherheit für Menschen bedeuten:
Dass Mütter und Väter sich tagtäglich den Kopf zerbrechen, wie sie abends etwas Essen für ihre Kinder auf die Teller bekommen; dass Mädchen auf dem Weg zur Schule keine Angst mehr haben müssen, überfallen zu werden; dass Bürgerinnen und Bürger in freien Wahlen ihre Stimme abgeben, ohne Einschüchterungen vor dem Wahllokal.
Deshalb ist Ihre Arbeit, deswegen sind zivile und militärische Friedenseinsätze ein Kernstück unserer Außen- und Sicherheitspolitik. Das, was Sie jetzt zehn Jahre lang in diesen Friedensmissionen – und zwar integriert, zwischen der Innen-, der Außen- und der Verteidigungspolitik – gemacht haben, genau das spiegelt sich jetzt auch in unserer ersten nationalen Sicherheitsstrategie wider – nämlich die integrierte Sicherheit.
Eine Politik, die wir in der Nationalen Sicherheitsstrategie festgeschrieben haben und gerade auch hier im Deutschen Bundestag intensiv diskutieren. In dieser Strategie stellen wir klar, dass das, was für Ihre Arbeit weltweit gilt, auch für unsere eigene Sicherheit gilt.
Wir brauchen die Fähigkeit, wehrhaft zu sein – und deswegen erhöhen wir unsere Beiträge auch mit Blick auf die NATO.
Aber gleichzeitig wissen wir – und das macht die integrierte Sicherheitsstrategie für dieses Land so besonders und erstmalig:
Bei Sicherheit im 21. Jahrhundert geht es um mehr als Panzer und Luftabwehrsysteme.
Für Frieden braucht es mehr als die Abwesenheit von Krieg.
Sicher sind Deutschland und Europa auf Dauer nur, wenn auch in anderen Weltregionen Kinder, Frauen und Männer in Frieden leben können.
Als starkes Land haben wir eine besondere Verantwortung, unseren Teil dazu beizutragen – zu diesem Frieden, zu einer gerechten internationalen Ordnung, in der die UN-Charta zählt und nicht das Recht des Stärkeren.
Dazu gehört, dass wir die Charta der Vereinten Nationen und die UN als Institution weiterentwickeln. Dazu gehört, dass wir sie finanzieren. Und dazu gehört, dass wir uns weiter im Peacekeeping einsetzen. Dazu gehört auch, dass wir immer reflektieren, was wir tun – im Inland für unsere Sicherheit, aber auch im Ausland, bei unseren Friedensmissionen.
Die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Aydan Özoğuz, hat darauf hingewiesen, dass wir deswegen stärker als zuvor den internationalen Friedensmissionen, zu denen wir beitragen, nicht nur hier im Bundestag einen klaren Auftrag geben, sondern auch reflektieren, was sich vor Ort verändert hat. Weil wir so dazu beitragen können, dass wir unsere Partner vor Ort nicht nur theoretisch, sondern auch ganz konkret unterstützen. Eine Lehre haben wir dazu zum Beispiel gezogen, indem wir das MINUSMA-Mandat angepasst haben, weil die Lage in Mali sich so verändert hat.
So sehr uns Russland zwingt, stärker in unsere eigene Wehrhaftigkeit zu investieren, umso mehr gilt auch – und das unterstreichen wir nicht nur mit der nationalen Sicherheitsstrategie, sondern auch mit dem heutigen Tag: Deutsche Beiträge zu Friedensmissionen im Rahmen der Vereinten Nationen oder der EU sind und bleiben ein wichtiges Werkzeug der integrierten Sicherheitspolitik, der wir uns gemeinsam verschreiben.
Denn wir machen damit Partnerinnen und Partner deutlich: Ihr könnt euch auf uns verlassen. Eure Sicherheit ist auch unsere Sicherheit. Genau das – und vor ein paar Jahren haben wir das vielleicht so beiläufig gesagt – ist jetzt wichtiger denn je.
Denn wir alle reisen – Sie als Peacekeeperinnen und Peacekeeper und wir als Ministerin und Minister – durch die Welt und werben dafür, dass andere auch sehen, dass unsere Sicherheit in Europa zentral ist für die Sicherheit auf der Welt. Und wenn wir wollen, dass andere uns bei diesem brutalen russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und auf unsere europäische Friedensordnung und die Charta der Vereinten Nationen beistehen, dann ist es wichtiger denn je, dass wir deutlich machen:
Wir stehen für die Sicherheit unserer Partner weltweit ein. Und wir kümmern uns als Deutschland nicht nur um Konflikte, die uns in Europa unmittelbar berühren und über die deutsche Zeitungen immer wieder berichten – sondern auch um Konflikte, über die wenige berichten. Wir setzen uns dafür ein, dass Konflikte anderswo vermieden, einhegt, gelöst werden – in Afrika, im Nahen Osten, im Mittleren Osten, in Asien und in Lateinamerika.
Und daher freue ich mich, liebe Nancy Faeser, lieber Boris Pistorius, dass wir heute genau dafür ein Zeichen setzen, indem wir unsere Peacekeeperinnen und Peacekeeper gemeinsam mit unseren drei Ressorts ehren – und nicht wie zu Beginn nur im Auswärtigen Amt.
Eigentlich, und da können Sie als Peacekeeperinnen und Peacekeeper stolz darauf sein, steht dieser Tag des Peacekeeping für die integrierte Sicherheit, die wir versuchen, jetzt aus der Bundesregierung heraus gemeinsam zu machen.
Sie haben schon länger, nämlich zehn Jahre lang, unterstrichen, dass innere Sicherheit und äußere Sicherheit zusammengehören. Sie stehen für unsere deutsche internationale Verlässlichkeit und für ziviles Engagement, Polizei und Militär, die nicht in Silos wie früher arbeiten, sondern gemeinsam. Sie sind damit durch Ihre internationalen Friedenseinsätze, die siloübergreifend zwischen Zivilen, Polizei und Militär arbeiten, auch ein Vorbild und unser Anspruch für unser Agieren in der Bundesregierung.
Ich freue mich daher besonders, dass wir im zehnten Jubiläumsjahr dieses Festaktes zum ersten Mal im Deutschen Bundestag zu Gast sind. Und jetzt könnte man als Politikerin sagen: Das war alles so eingefädelt mit der Nationalen Sicherheitsstrategie und dass wir die zehn Jahre Peacekeeping jetzt genau hier im Bundestag feiern.
Nein, zur Ehrlichkeit gehört: So war es nicht, sondern – wie so oft in der Politik, wo viele oft behaupten etwas war Strategie obwohl es Zufall war – es hat sich so zugetragen, dass, als wir im Oktober 2021 hier vor dem Reichstag den Großen Zapfenstreich für unsere Soldatinnen und Soldaten gemeinsam begangen haben, die aus dem Afghanistan-Einsatz so ad hoc – um nicht zu sagen brutal – zurückkehren mussten, wir vorher hier einen gemeinsamen Empfang hatten.
Ich war damals noch keine Ministerin, sondern eine von vielen Abgeordneten, die sich hier mit den Soldatinnen und Soldaten gemeinsam – es war kalt draußen – vorher ein bisschen aufgewärmt hatte. Und einer der jungen Soldaten, leider habe ich mir seinen Namen nicht notiert, meinte dann: Mensch, warum gibt es das eigentlich nicht immer? Zum ersten Mal sehe ich Politikerinnen, Abgeordnete, Ministerinnen, die einfach hier herumgehen, die mit uns sprechen und sich anhören, was wir in Afghanistan erlebt haben. Und da habe ich gedacht: Er hat recht, das sollten wir öfter machen.
Als wir dann in die Vorbereitung des Tages des Paacekeeping gegangen sind, habe ich mich daran erinnert und gedacht: Ich habe damals gesagt, das sollten wir öfter machen. Also versuchen wir das jetzt beim internationalen Tag des Peacekeeping. Letztes Jahr haben wir das noch nicht ganz geschafft, aber dieses Jahr haben wir es hinbekommen.
Das Schöne ist, dass wir hier nicht nur ins Gespräch kommen mit denjenigen, die als Soldatinnen und Soldaten unterwegs sind, sondern dass das, was der junge Kollege damals gesagt hat, jetzt auch für alle anderen Peacekeeperinnen und Peacekeeper gilt. Ja, es ist wichtig, dass auch die zivilen Peacekeeperinnen und Peacekeeper, seien sie Bundespolizisten, seien sie beim ZIF beschäftigt, diese Anerkennung und Ehrung bekommen, hier im Deutschen Bundestag. Denn das ist der Ort, das Herz der Demokratie, von dem aus wir diese Menschen in die Welt hinaus entsenden.
Und wenn ich das darf, würde ich mich deswegen gleich auch für das nächste Jahr wieder einladen hier in den Deutschen Bundestag. Auch wenn das eigentlich zwischen den Ressorts rotiert. Aber ich glaube, genau hier im Deutschen Bundestag, wo unsere Abgeordneten über die deutschen Beiträge zu internationalen Einsätzen, in die wir Sie als Peacekeeperinnen und Peacekeeper entsenden, entscheiden, wo wir Mandate mandatieren – vergangene Woche zum Beispiel für die UN-Mission UNIFIL in Libanon –, genau das ist der richtige Ort, um Ihnen zu danken.
Und genau darum geht es heute hier bei diesem Festakt. Am Tag des Peacekeeping wollen wir Ihre Leistungen, aber vor allem Ihr Herzblut sichtbar machen – für den Frieden in der Welt, im Auftrag der Bundesrepublik.
Dafür möchte ich jetzt stellvertretend als Außenministerin diejenigen ehren, die für das Auswärtige Amt im Rahmen des ZIF in der Welt unterwegs sind.
Frau Schirmer, Sie haben lange für die OSZE im besetzten Luhansk in der Ostukraine gearbeitet, als kommissarische Leiterin eines Patrol-Hub der Beobachtermission. Ich war selbst ein paar Tage vor Ausbruch dieses brutalen Krieges dort an der Kontaktlinie. Und ich denke oft daran zurück – wo man damals war, da ist jetzt alles zerstört.
Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie es Ihnen geht, die in Luhansk gewohnt hat. Mit Ihrem Team haben Sie damals immer wieder temporäre Waffenstillstände zwischen Separatisten und ukrainischen Truppen überwacht, während derer dann schon damals Wasser- und Stromleitungen repariert wurden.
Als am 24. Februar 2022 der russische Angriffskrieg losbrach, saßen Sie mit Ihren Kolleginnen und Kollegen der OSZE-Mission in Luhansk fest. Tag und Nacht flogen Marschflugkörper über Ihre Köpfe hinweg, von der russischen Seite auf ukrainisches Gebiet. Erst nach einer Woche – auch da kann ich mich daran erinnern, wie wir jede Stunde nachgefragt haben „wo ist jetzt unsere OSZE-Mission?“ – konnten Sie die Stadt verlassen.
Ich glaube, wir können uns alle kaum vorstellen, mit welchem Gefühl Sie heute auf Ihre Arbeit schauen. Vor allem, weil das, was jahrelang vor Ort gemacht worden ist, dann so brutal bombardiert wurde. Manche fragen auch bei uns: Hat das denn alles einen Sinn gehabt? Ich möchte daher deutlich sagen – und Sie wissen das besser als wir alle, aber nicht alle in der Welt wollen es hören:
Ja, es hatte einen Sinn, selbst wenn solche Missionen am Ende scheitern, weil der Aggressor mit noch brutalerer Gewalt vorgeht. Jeden Tag, den Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen vor Ort waren, haben Sie dazu beigetragen, dass Familien doch Wasser hatten, um ihre Kinder zu waschen. Jeden Tag, an dem Sie dort waren, haben Sie dazu beigetragen, dass sie in ihren Wohnungen nicht frieren mussten.
Und Ihr Beitrag von damals ist heute, glaube ich, nochmal umso wichtiger – ich hatte gerade einen Außenministerkollegen zum Gespräch zu Besuch –, weil manche jetzt sagen: Dann probiert es doch mal mit Reden, dann probiert es doch mal mit „wir frieren alles ein“. Sie haben erlebt, was das Tag für Tag bedeutet hat.
Im Namen der Bundesrepublik Deutschland sage ich: Herzlichen Dank für Ihre Arbeit. Kein Tag war umsonst. Jeder Tag war es wert, den Menschen in der Ostukraine zu helfen.
Ich danke auch Herrn Dornig, den wir heute ebenfalls ehren. Herr Dornig und ich waren gerade zufällig gemeinsam in Kolumbien, aber nicht am gleichen Ort. Ich habe dort die Vizepräsident Francia Márquez getroffen, die mir berichtet hat, welch tiefe Wunden der Bürgerkrieg in ihrem Land geschlagen hat – und wie mühsam es ist, Frieden zu bauen.
Bei unserem gemeinsamen Termin, wo sie auch einen Preis bekommen hat für ihre feministische Arbeit vor Ort, war sie ganz aufgeregt, weil am nächsten Tag das Friedensabkommen zwischen der Regierung und der ELN unterschrieben werden sollte. Sie waren nicht an diesem Friedensabkommen direkt beteiligt, aber Ihre Arbeit, die Sie als ziviler Experte der NATO vor Ort geleistet haben, ist ein Baustein auf diesem Weg:
Noch bis gestern waren Sie als Teil eines Expertenteams in Kolumbien und haben das kolumbianische Militär beraten zu menschlicher Sicherheit. Dabei geht es darum, wie Soldaten mit Überlebenden von sexualisierter Gewalt umgehen, wenn sie sie im Einsatzgebiet antreffen.
In Konflikten werden Mädchen und Frauen oft als erste Opfer von Gewalt. Deshalb ist es auch so wichtig, dass dieses Jahr die UN-Agenda „Frauen, Frieden und Sicherheit“ das Thema unseres Festakts ist.
Denn wir alle wissen: Wo Frauen sicherer sind, da sind auch alle anderen Gruppen in einer Gesellschaft sicherer. Das wird mittlerweile im Rahmen der NATO immer wieder deutlich gemacht – aber dennoch wissen wir auch hier im Deutschen Bundestag, dass das nicht überall so eine absolute Selbstverständlichkeit ist.
Deswegen möchte ich auch Ihnen aufrichtig sagen: Danke für Ihre Arbeit. Danke dafür, dass Sie als Teil einer NATO-Delegation – ich sage an dieser Stelle auch: als Mann – so deutlich machen vor Ort: Wenn Frauen nicht sicher sind, ist niemand sicher. Der Frieden auf der Welt braucht die Einbeziehung aller Geschlechter und aller Menschen. Wir ehren Sie für Ihren Einsatz für den Frieden, aber stellvertretend auch für die Arbeit des ZIF auf der ganzen Welt. Herzlichen Dank!
Und dass auch der umgekehrte Schluss nicht nur gezogen werden kann, sondern gezogen werden muss, dass nämlich Friedensarbeit immer auch Mut und Kraft gibt, dass nämlich, wo Frauen sicherer sind auch Gesellschaften sicherer werden – das sehen Sie, liebe Frau El Fassi, tagtäglich in Ihrer Arbeit für das World Food Programm.
Sie arbeiten in Gaza und im Westjordanland mit Frauenkooperativen zusammen, in denen Frauen lernen, wie sie mit weniger Wasser mehr Gemüse anbauen. Das sorgt dafür, dass nicht nur alle Familienmitglieder mehr und besseres Essen haben, sondern es empowert auch diese Frauen, als aktiven Teil einer Gesellschaft.
Es macht für diese Frauen einen Riesenunterschied, wenn sie ihre Produkte dann auch verkaufen können und so ein Einkommen haben – weil es ihnen mehr Unabhängigkeit gibt und Freiheit, sich auch aus Gewaltstrukturen zu lösen. Auch da sehen wir fern von uns, was unser Ansatz für integrierte Sicherheit bedeutet: Unabhängigkeit und Freiheit sichert Frieden.
Dass dieser Frieden und diese Sicherheit nicht selbstverständlich sind, das erleben Sie auf der ganzen Welt – und wir erleben es leider auch jetzt in Europa. Unser Land muss für diesen Frieden einstehen, weltweit, mit unseren Partnern, verlässlich und verantwortungsvoll.
Und dass wir uns aus Orten nicht zurückziehen wie etwa Gaza und dem Westjordanland, auch das zeichnet aus meiner Sicht unseren weltweiten Einsatz für Frieden aus. Aber das zeichnet vor allen Dingen Ihre Arbeit aus.
Liebe Frau El Fassi, wir ehren Sie heute für Ihre Arbeit, aber auch dafür, dass Sie immer wieder den Mut und das Herzblut aufbringen, nicht aufzugeben – gerade dort, wo Sie tätig sind, wo man es über Jahrzehnte nicht geschafft hat, endlich zu einem gemeinsamen Frieden zu kommen. Weil Sie mit Ihrer Arbeit deutlich machen: Vor Ort zu sein heißt auch, dass wir noch Schlimmeres verhindern. Liebe Frau El Fassi, herzlichen Dank für Ihre wichtige Arbeit beim World Food Programm!
Das waren jetzt nur drei von vielen Peacekeeperinnen und Peacekeepern des ZIF – und die Kollegin Nancy Faeser und der Kollege Boris Pistorius werden gleich drei Kräfte stellvertretend für die Polizeiarbeit und das Verteidigungsministerium ehren.
Wir danken Ihnen allen für Ihren Einsatz – und ich freue mich jetzt mit Ihnen, Frau Schirmer, Herr Dornig und Frau El Fassi, ins Gespräch zu kommen und Ihnen Ihre Auszeichnung zu überreichen.
Dazu bitte ich auch den Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses, Herrn Michael Roth, auf die Bühne – denn wie es die Vizepräsidentin des Bundestages gerade so schön gesagt hat: Ihre Friedensarbeit ist auch ein Werben für unsere Demokratie.
Und wir als Bundesregierung könnten diese Arbeit nicht leisten, wenn wir nicht ein so starkes, kritisches und vielleicht auch sportliches Parlament hätten.
Herzlichen Dank!