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Rede von Außenministerin Annalena Baerbock beim Treffen der Außenministerinnen in Ulan Bator
Айвал бүү хий, хийвэл бүү ай!
Mir wurde gesagt, dass dieses mongolische Sprichwort ungefähr Folgendes bedeutet:
„Beginne nichts, wenn du Angst hast; doch wenn du etwas begonnen hast, habe keine Angst.“
Sie, liebe Betty, haben gezeigt, dass Sie keineswegs Angst haben.
Diese Konferenz auf dem asiatischen Kontinent auszurichten – zwischen diesen beiden Nachbarn – ist mutig und visionär.
Und daran, dass Sie uns dazu anhalten, heute so offen miteinander zu diskutieren, können wir außerdem sehen, dass Sie sich nicht beirren lassen, wenn Sie einmal etwas begonnen haben.
Bei feministischer Außenpolitik geht es für mich genau darum: nicht vor Diskussionen oder Auseinandersetzungen zurückzuschrecken, sondern sich ihnen offen und vertrauensvoll zu stellen.
Es geht darum, fest zu unseren Grundsätzen zu stehen. Es geht um die Förderung der Rechte, Ressourcen und Repräsentation von Frauen und marginalisierten Gruppen – die drei R, wie wir sie nennen.
Bei feministischer Außenpolitik geht es darum, menschliche Sicherheit zum Maßstab unseres Handelns zu machen. Sie stellt die Menschen in den Mittelpunkt, unabhängig von ihrer Herkunft, ihrem Geschlecht, ihrem Glauben oder davon, wen sie lieben.
Überall auf der Welt sehen wir, dass Frauen und schutzbedürftige Bevölkerungsgruppen besonders von Krieg und Konflikten betroffen sind.
Wir sehen es auf dramatische Weise in Russlands brutalem Krieg gegen die Ukraine. Wie viele andere Kriege auch verursacht dieser Krieg unsägliches Leid, vor allem für Frauen, Mädchen und diejenigen, die nicht so leicht vor den Bomben fliehen können oder aufgrund ihres Geschlechts angegriffen werden.
Dieser völkerrechtswidrige Krieg trifft die Schwächsten in unseren Gesellschaften auf brutalste Weise – das sehen wir in Russlands Krieg mit Blick auf die Kinder. Die Berichte, dass Tausende ukrainische Kinder nach Russland deportiert werden, sind furchtbar und herzzerreißend. Diese Gräueltaten können wir noch nicht einmal richtig benennen. Wir werden alles in unserer Macht Stehende tun, damit diese Kinder nach Hause zu ihren Eltern zurückkehren können.
Das heißt es, für die Rechte der Schutzbedürftigen einzutreten. Obwohl theoretisch alle Menschen – Männer, Frauen und Kinder – dieselben Rechte haben, sehen wir, dass dies nicht überall der Realität entspricht.
Und ich glaube, dass diese Konferenz ein Anfang sein kann, sich wirklich mit rechtlichen Defiziten zu befassen, vor allem für Frauen. Denn mindestens in meinem Land und auf unserem Kontinent werden wir oft mit diesem Argument konfrontiert: Aber alle haben doch dieselben Rechte. Wo ist also das Problem?
Doch wenn man genauer hinschaut, dann sieht man Beispiele wie Kinder aus Vergewaltigungen. Vielerorts haben sie nicht mal einen Nachnamen, auf staatsbürgerlicher Ebene existieren sie nicht. Das bedeutet ein rechtliches Defizit für diese Kinder.
Oder wenn wir uns die reproduktiven Rechte für Frauen überall auf der Welt anschauen, sehen wir – auch in den USA –, dass es bei der Frage der Abtreibung Rückschläge zu verzeichnen gibt. Also existieren weltweit ganz offensichtlich auch Defizite in Bezug auf das Recht, über den eigenen Körper zu bestimmen.
Und wir können sehen, wenn Frauen, Männer und Kinder in einer schwierigen Lage sind, wenn sie beispielsweise aufgrund von Krieg oder der Klimakrise – der größten Gefahr für die gesamte Welt – fliehen müssen, dass es auch dann rechtliche Defizite für Frauen gibt, im Hinblick auf Gesundheitsrechte oder reproduktive Rechte.
Wir sehen das vor Ort, etwa in Flüchtlingslagern, wo es keine Vorkehrungen für Frauen gibt, die ihre Periode haben oder für Frauen, die Windeln für ihre Kinder brauchen. Denn die besonderen Bedürfnisse von Frauen und Kindern werden nicht automatisch berücksichtigt.
Ich denke, das könnte bei der nächsten VN-Generalversammlung – bei der wir uns wiedersehen werden, wie unsere liebe Kollegin aus Liechtenstein gesagt hat – ein Thema sein, das wir uns wirklich anschauen müssen: Wo gibt es rechtliche Defizite auf der Welt, vor allem mit Blick auf Gesundheit und Familienplanung?
Denn wenn man für Frauenrechte eintritt, tut man das Richtige – aber es ist auch im ureigenen Interesse all unserer Volkswirtschaften. Das wurde auch bei einer der vorangegangenen Diskussionen schon angesprochen.
Bereits 2015 hat McKinsey – nicht gerade als feministische Organisation bekannt – berechnet, dass die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen am weltweiten Arbeitsmarkt das globale BIP innerhalb von zehn Jahren um 26 Prozent steigern könnte. Genug, um die Armut in weiten Teilen der Welt zu überwinden. Sechsundzwanzig Prozent des globalen BIP – wenn Frauen gleichberechtigt beteiligt werden.
Betty, du hast das Problem von Hunger und Hungersnöten angesprochen. Wenn diese 26 Prozent zum globalen BIP hinzukämen – gleichmäßig über die ganze Welt verteilt –, hätten wir eine der größten Krisen auf dem Planeten gelöst.
Wir können also sehen, dass die Beteiligung von Frauen kein überflüssiger Luxus ist. Auf dem Arbeitsmarkt, aber auch im Parlament, in der Regierung und in der Kommunalverwaltung, in großen Unternehmen sowie bei allen politischen und gesellschaftlichen Prozessen kommt es auf Teilhabe an.
Wie wir in Deutschland haben auch Sie hier in der Mongolei Mühe, den Anteil von Frauen in Ihrem Parlament zu erhöhen. Wie gesagt ist in Deutschland nur ein Drittel aller Mitglieder des Bundestags weiblich.
Ich freue mich deshalb immer, von unseren Kolleginnen aus Südafrika, Tansania, Australien und auch von meiner direkten Nachbarin und guten Freundin Catherine aus Frankreich zu lernen, die alle weiter sind als wir und ihre Erkenntnisse mit uns teilen können.
Hier in Ulan Bator haben Sie gerade beschlossen, neue Entwürfe für eine stärkere Repräsentation von Frauen im Parlament auszuarbeiten, und wir sind gespannt zu erfahren, wie gut das funktioniert.
Da wir uns hier als Regierungsvertreterinnen, ja sogar als Ministerinnen eingefunden haben, möchte ich sagen, dass es unsere Aufgabe als Regierungen ist, zu handeln. Wir können Entscheidungen treffen, die sofort Wirkung zeigen. In Deutschland haben wir als Regierung beschlossen, dass unser Kabinett zur Hälfte aus Frauen bestehen soll.
Und das macht einen Unterschied, denn wenn Sie eine Frau an der Spitze haben, sehen Sie die Wirkung in den Ministerien. Sie sehen sie auch hier in den Delegationen: Wären an diesem Treffen mehr männliche Minister beteiligt, ich würde mein gesamtes Vermögen darauf verwetten, dass hier andere Menschen am Tisch sitzen würden.
Es liegt also an uns, die wir an der Regierung sind. Wir haben die Verantwortung, etwas zu bewegen.
Was schließlich besondere Ressourcen für Frauen und marginalisierte Gruppen angeht, so haben wir in unseren Gesprächen heute gesehen, wie wichtig der Austausch bewährter Verfahren ist, etwa auf dem Gebiet der Stabilisierung ehemaliger Konfliktgebiete.
In Deutschland haben wir mit unseren neuen Leitlinien für feministische Außenpolitik das sogenannte Gender-Budgeting eingeführt. Wir haben die Leitlinien mitgebracht, falls es Sie interessiert. Es ist ein wirklich schwieriges Thema und bislang ist es uns nicht gelungen, Gender-Budgeting in allen Bereichen unseres Bundeshaushalts umzusetzen.
Aber wir beginnen jetzt im Auswärtigen Amt damit, Gender-Budgeting auf alle Programme und Finanzierungen weltweit anzuwenden. Und auch hier wurde ich gefragt: Welche zusätzlichen Vorteile bringt uns Gender-Budgeting? Vorher haben wir uns noch nicht einmal gefragt, ob es Sinn ergibt, nicht hinzuschauen, wohin das Geld geht.
Aber wir haben Gender-Budgeting mit dem Ziel eingeführt, während meiner Amtszeit 85 Prozent unserer weltweiten Projektmittel gendersensibel und 8 Prozent gendertransformativ auszugeben.
Und wieder wurde die Frage gestellt: „Soll das heißen, das Geld geht jetzt nur an die Frauen auf der Welt?“ Natürlich nicht.
Was wir aber machen möchten, ist das, was wir auch mit Blick auf Gender-Budgeting in unserer eigenen Gesellschaft begonnen haben. Wir betonen – wie wir es auch in unserem Ministerium für Wohnen oder unserem Verkehrsministerium betonen –, dass beispielsweise Verkehr nicht neutral ist. Wer eine Straße oder einen Bahnhof plant und nicht fragt, wer die Menschen sind, die jeden Tag pendeln – Ältere, Jüngere, Menschen mit Fahrrädern, aber auch Menschen im Rollstuhl oder Eltern mit kleinen Kindern –, wer also nicht darüber nachdenkt, wer diese Züge tatsächlich nutzt, der plant vollkommen anders.
In der Vergangenheit gab es beispielsweise zu viele Bahnsteige, die mit Rollstühlen oder Kinderwagen nicht zugänglich waren. Es macht also einen Unterschied, zu fragen: „Wer kommt?“, wenn man Geld in die Hand nimmt und es investiert.
Und ich glaube wirklich, es bewegt auch in der Außenpolitik etwas. Wenn wir beispielsweise unsere humanitäre Hilfe aufstocken. Wenn wir beispielsweise von Boko Haram zerstörte Dörfer wieder aufbauen, dann schauen wir uns die Planung an. Wo befinden sich beispielsweise Sanitäranlagen? Sind Sie am Rand des Dorfes, ist die Strecke für Frauen und Mädchen in der Nacht offenkundig sehr gefährlich.
Bei jedem von uns finanzierten Projekt müssen jetzt also diese unterschiedlichen Aspekte berücksichtigt werden. Ein weiterer Vorteil ist: Wenn Sie prüfen, ob Projekte gendersensibel sind, schauen Sie auch hin, wohin das Geld geht. Sie tun also etwas gegen Korruption. Und Sie machen transparenter, was internationale Institutionen eigentlich mit dem Geld anstellen.
Für uns ist das also ein Teil des Reformprozesses innerhalb der Vereinten Nationen, denn, wie ja bereits vielfach erwähnt wurde, ist feministische Außenpolitik nicht nur ein netter Slogan. Bei feministischer Außenpolitik geht es um konkretes Handeln.
Und ich freue mich sehr, dass wir konkretes Handeln ankündigen konnten, indem wir eine Million Euro für den Women’s Peace and Humanitarian Fund zur Verfügung stellen, und dass Catherine aus Frankreich dies ebenfalls zugesagt hat.
Wir sehen also bei dieser Konferenz, dass es darum geht, in unsere gemeinsame Sicherheit zu investieren. Und wir sollten keine Angst haben, wenn es mal etwas rauer zugeht – denn das wird es, das wissen wir, in dieser Welt, in der autoritäre Regime nicht nur internationale Regeln infrage stellen und die Menschenrechte ihrer eigenen Bevölkerung missachten, sondern häufig genug auch Frauenrechte wieder beschneiden.
In vielen Ländern haben wir gesehen, wie zunächst das Strafrecht geändert wird: Ein Verbrechen liegt erst vor, wenn jemand seine Frau mehrmals schlägt. Wir haben das in Russland gesehen, wo auch andere Gesetze geändert wurden.
Deshalb ist die Frage der häuslichen Gewalt, der Bekämpfung von häuslicher Gewalt so wichtig. Die Istanbul-Konvention wurde bereits erwähnt. Wir glauben, dass es sich dabei um ein wichtiges Vorbild für unsere eigenen Gesellschaften handelt.
Hier in der Mongolei, auf dieser „Insel der Demokratie“, wissen Sie, wie entscheidend resiliente Gesellschaften sind – für Ihre eigene Sicherheit.
Deshalb ist es so wichtig, dass mongolische Frauen eine aktive Rolle in allen gesellschaftlichen Bereichen spielen, auch beim Militär, wie wir heute erfahren haben.
Die Mongolei, so wurde uns berichtet, gehört zu den zwanzig Ländern, die die meisten Frauen für VN-Friedenssicherungseinsätze entsenden. Wir können von Ihnen lernen.
Deshalb werden wir morgen mit einigen Abgeordneten, die mit mir zu dieser Konferenz gekommen sind, Ihre Truppen besuchen, die Friedenssicherungseinsätze, um zu sehen, was wir von Ihnen lernen können.
Denn wir wissen: Wenn Frauen sicher sind, sind wir alle sicher.
Und davor, verehrte Kolleginnen, sollte niemand Angst haben!