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Rede von Außenministerin Annalena Baerbock bei der Sitzung des UN-Sicherheitsrats zur Lage im Nahen Osten

24.10.2023 - Rede

Tiefer Schmerz zieht sich durch den Nahen Osten.

In Israel, wo Familien um ihre Liebsten weinen, die von Hamas-Terroristen ermordet, gefoltert oder brutal verschleppt wurden.

In Gaza, wo Eltern um das Leben ihrer Kinder bangen.

In den Nachbarstaaten, wo Familien sich sorgen, dass die Gewalt auf ihr Land übergreift.

Auch hier in diesem Saal spüren wir diesen Schmerz.

Wenn wir das qualvolle Leiden beenden wollen, müssen wir all diesem Schmerz Beachtung schenken.

In dem Wissen, dass das Leiden nur endet, wenn es für alle endet.

Dieser Konflikt stellt uns als Weltgemeinschaft auf die Probe.

Wir alle schauen von unserem jeweils eigenen Standpunkt aus und vor dem Hintergrund unserer jeweiligen Geschichte auf diesen Konflikt.

Das müssen wir respektieren.

Aber wenn wir einen Weg aus dieser Krise heraus finden wollen, können wir es dabei nicht belassen. Wir müssen versuchen, den Schmerz des jeweils anderen zu verstehen –

uns vorzustellen, wie es sich anfühlen würde, wenn unsere eigene Schwester entführt worden wäre, unser eigenes Kind von einer Rakete getroffen würde.

Wir müssen einander genau zuhören.

Danach müssen wir schauen, wie wir kleine, aber mutige Schritte unternehmen können.

Um das Leid zu beenden. Gemeinsam.

Ich spreche zu Ihnen als Außenministerin des Staates, der die historische Verantwortung für das schlimmste vorstellbare Verbrechen trägt: das vom nationalsozialistischen Deutschland begangene Verbrechen der Shoah – die systematische Ermordung von sechs Millionen Juden mit dem Ziel, jüdisches Leben in Europa auszulöschen.

„Nie wieder“ – für mich als Deutsche bedeutet das, dass wir nicht ruhen werden, solange wir wissen, dass Enkelkinder von Holocaust-Überlebenden jetzt in Gaza von Terroristen als Geiseln gehalten werden.

Für Deutschland ist die Sicherheit Israels nicht verhandelbar.

Wie jeder Staat der Welt hat Israel das Recht, sich selbst im Rahmen des Völkerrechts gegen Terrorismus zu verteidigen.

Sich der Not der Palästinenserinnen und Palästinenser anzunehmen, widerspricht diesem klaren und unerschütterlichen Standpunkt in keiner Weise.

Es ist vielmehr ein zentraler Bestandteil davon.

In Israel wurden mir Videos gezeigt, in denen die entsetzlichsten Brutalitäten gegen Menschen verübt werden, die man sich vorstellen kann; in denen junge Mädchen als Geiseln auf Pick-Ups geworfen werden. Stellen Sie sich vor, das wären Ihre Kinder.

Alle Geiseln müssen unverzüglich freigelassen werden. Ich danke allen Partnern, die ohne Unterlass daran arbeiten.

In Jordanien habe ich palästinensische Flüchtlingsfamilien getroffen, Schulmädchen, die mir erzählten, dass in den letzten Tagen 53 ihrer Familienmitglieder und Freunde in Gaza getötet wurden. Dreiundfünfzig. Jede und jeder davon ist eine Tochter, ein Sohn.

Stellen Sie sich vor, es wäre Ihre Tochter, Ihr Sohn.

Das Leben aller Zivilistinnen und Zivilisten ist gleich viel wert.

Menschlichkeit ist universal. Und das sollte auch für unsere Empathie gelten.

Dieser Kampf richtet sich gegen die Hamas und nicht gegen die Zivilbevölkerung.

Deshalb ist es für uns entscheidend, dass dieser Kampf im Einklang mit humanitärem Recht und mit größtmöglicher Rücksicht auf die Zivilbevölkerung in Gaza geführt wird.

Deshalb erhöhen wir unsere humanitäre Hilfe für Gaza um 50 Millionen Euro, wovon 19 Millionen an UNRWA gehen.

Deshalb brauchen wir humanitäre Fenster, damit diejenigen, die Not leiden, in Gaza Hilfe bekommen können.

Dabei dürfen wir uns nicht vom Kalkül der Hamas in die Irre führen lassen.

Die Hamas spielt mit dem Leiden der Menschen, benutzt Frauen und Kinder in Gaza als menschliche Schutzschilde, versteckt ihre Waffen unter Supermärkten, Wohngebäuden und sogar Krankenhäusern – und das mit voller Absicht.

Ihr Plan ist es, den brennenden Hass und die Gewalt weiter anzufachen.

Eine regionale Eskalation zu entzünden.

Uns als Weltgemeinschaft auseinanderzureißen.

Wir haben die Wahl: Wir können den Konflikt nur von unserem eigenen Standpunkt aus betrachten.

Uns der Trauer und Wut hingeben.

Wir können aber auch gemeinsam Schritte nach vorn tun, so klein sie auch sein mögen.

Damit die Hamas nie wieder derartige terroristische Taten verüben kann.

Die Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen und das humanitäre Völkerrecht sollten die Leitlinien unserer Arbeit für eine neue Zukunft bilden.

Hin zu einem wahrhaftigen Friedensprozess, der es beiden, Israelis und Palästinensern gleichermaßen, ermöglicht, Seite an Seite in Frieden und Sicherheit zu leben, in zwei unabhängigen Staaten.

In dem Wissen, dass es Frieden nur geben kann, wenn es ihn für alle gibt.

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