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Rede von Außenministerin Baerbock in der Haushaltsdebatte des Bundestages zum Etat des Auswärtigen Amts
„Manchmal glaube ich, die Welt hat uns Frauen vergessen.“
Das war der erste Satz bei meinem Gespräch im Flüchtlingslager im Südsudan. Zu Fuß hat sie die Wüste durchquert, mit ihren Kindern auf dem Rücken. 1,7 Millionen Menschen fliehen vor einem brutalen Krieg im Sudan. Die Frau neben ihr musste bei dieser Flucht miterleben, wie ihre Tochter von Kämpfern mehrfach vergewaltigt wurde.
Und ich habe während dieser Reise auch von einigen Stimmen aus Deutschland gehört, die sagten: Darum sollen wir uns jetzt auch noch kümmern? - Ich sage deutlich: Ja!
Nicht nur, weil es unsere humanitäre Pflicht ist, sondern auch, weil es in unserem eigenen Sicherheitsinteresse ist, dass der Krieg im Sudan und die Auseinandersetzung im Südsudan nicht noch mehr Nachbarländer ins Chaos stürzen.
Der Krieg im Nahen Osten, die Huthi-Raketen überm Roten Meer: Krisen an Orten, die uns mal fern erschienen sind, sie betreffen uns heute unmittelbar. Daher ist das Wegschauen, daher ist das Nichthinschauen keine Option.
Hinschauen, da zu sein, wenn andere uns brauchen, das ist in diesen Tagen harte Sicherheitspolitik. So wie andere da waren, auch fern von uns, als wir Europäer sie seit dem 24. Februar 2022 für unsere Sicherheit brauchten. Deutschlands Verlässlichkeit ist in diesen Zeiten mit unsere wichtigste Währung.
Zu dieser Verlässlichkeit zählt auch unsere Rolle als zweitgrößter internationaler Geber. Ich bin den Kolleginnen und Kollegen aus dem Haushaltausschuss sehr dankbar, auch den Kolleginnen und Kollegen von der demokratischen Opposition, der Union, dass sie die humanitäre Hilfe hier weiter gestärkt haben.
[Zwischenfrage aus dem Plenum]
Sie haben es ja bereits unterstrichen: wenn wir über UNRWA reden, haben wir auf der einen Seite UNRWA in Gaza und auf der anderen Seite die Tätigkeit von UNRWA noch in etlichen anderen Ländern. Darüber haben wir heute auch intensiv im Auswärtigen Ausschuss diskutiert. Ich bin auch an dieser Stelle allen Kolleginnen und Kollegen sehr, sehr dankbar - aus den Ampelfraktionen wie auch aus der Union -, dass alle das an dieser Stelle sehr differenziert betrachten; das mache ich auch. Wir wissen ja, dass UNRWA seit Ewigkeiten ein Konstrukt ist, weil es eben keine Selbstverwaltung für Gaza vor Ort gibt.
Das gilt auch für andere Länder wie zum Beispiel Jordanien, wo wir in der Vergangenheit unsere Gelder immer weiter erhöht haben, um die Situation gerade von Kindern in Schulen deutlich zu verbessern. Wir haben auch da gemeinsam mit dem Auswärtigen Ausschuss und mit dem Finanzausschuss bei der kontinuierlichen Überprüfung unserer Gelder - Otto Fricke hat darauf hingewiesen - Veränderungen in der humanitären Hilfe erreichen können, zum Beispiel mit Blick auf die Schulbücher - auch da bitte ich alle Kolleginnen und Kollegen, immer einen Faktencheck durchzuführen und zu schauen, von wann die entsprechenden Beispiele stammen -, weil es da offensichtlich Reformbedarf gibt.
Zugleich muss man feststellen, dass wir derzeit mitten in einer furchtbaren Kriegssituation sind. Mit Blick auf UNRWA stehen wir vor der Situation, dass die Organisation derzeit der wichtigste - um nicht zu sagen: fast der alleinige - Versorger in Gaza ist. Alle anderen Organisationen, über die wir noch viel mehr humanitäre Hilfe abwickeln, wie zum Beispiel das UN World Food Programme, wie zum Beispiel die Weltgesundheitsorganisation, wie zum Beispiel UNICEF, wie zum Beispiel das Internationale Komitee des Roten Kreuzes, können in Gaza derzeit so gut wie nicht mehr aktiv sein. Über 200 humanitäre Helfer sind bereits umgekommen. Die UNRWA-Strukturen sind derzeit fast die einzigen, die dort überhaupt noch ansatzweise Hilfe verteilen können.
Deswegen ist es nicht so, wie Sie es gerade wiedergegeben haben, dass wir gesagt hätten: Wir kappen das jetzt einfach jetzt alles. Ich bitte auch an der Stelle, meine Äußerungen, genauso wie die Äußerungen der 15 anderen größten Geber, ganz genau zu lesen. Wir haben deutlich gemacht, dass wir wissen: Die Situation im Gaza ist einfach die Hölle. Ich möchte an dieser Stelle auf Ihre Frage aber auch sagen: Das betrifft nicht nur die Situation in Gaza. Auch die Situation - wir haben das auch heute Morgen in der Gedenkstunde noch einmal gehört - für die Menschen, deren Liebste, Angehörige, Kinder, Eltern nach wie vor in Gefangenschaft der Hamas-Terroristen sind, ist unerträglich.
Mir geht der Satz „Sei ein Mensch!“ nicht aus dem Kopf, so wie all die Sätze, die seit dem 7. Oktober gesagt wurden. Dabei geht es eigentlich nur darum, dass man bereit ist, das Leid von allen Menschen zu sehen und nicht nur das Leid der einen Seite.
In diesem Sinne haben wir jetzt auch mit Blick auf die unerträglichen Vorwürfe gegen UNRWA-Mitarbeiter agiert. Ich kann in einer solchen Situation, wo es diese Vorwürfe gibt, nicht ignorieren, wenn sich offensichtlich Mitarbeiter von UNRWA an diesen barbarischen Taten beteiligt haben. Das ist für mich keine Option.
Zugleich kann ich auch nicht ausblenden oder ignorieren - und das war unsere Diskussion heute im Auswärtigen Ausschuss -, wenn es heißt: „UNRWA muss jetzt reformiert werden“, dass da gerade Krieg herrscht. Von einigen wurde ja zumindest in Pressebeiträgen ausgesprochen: Dann soll das jetzt irgendwie jemand anders machen. Herr Laschet und ich haben vorhin auch darüber diskutiert. In der jetzigen Situation ist „irgendwie“ keine Antwort. Daher haben wir gegenüber den Vereinten Nationen deutlich gemacht: Sie sind jetzt in der Verantwortung.
Wir wissen, dass 1,9 Millionen Menschen auf diese humanitäre Hilfe angewiesen sind. Wir wissen, dass das, was derzeit da ist, nur noch für ein paar Wochen reicht. Deswegen haben wir unsere Mittel für das Rote Kreuz und für UNICEF erhöht. Aber diese Mittel müssen verteilt werden. Daher ist es so essenziell, dass die UN jetzt in den nächsten Wochen ihrer Verantwortung gerecht werden, ein Untersuchungsverfahren einleiten und parallel dazu - in Abstimmung mit unseren europäischen Partnern - einen unabhängigen Audit von UNRWA durchführen, an dem auch europäische Akteure beteiligt sind.
An der Stelle sage ich deutlich: Das Leid ist unerträglich, aber wegschauen ist für uns keine Option. Wir können nicht ignorieren, dass Kinder derzeit ohne Narkosemittel amputiert werden. Wir können nicht ignorieren, dass ein einjähriges Kind nach wie vor in der Gefangenschaft der Hamas ist. Deswegen arbeiten wir in diesen Tagen weiter daran, täglich das Konkrete zu tun, ohne die großen Linien der Außenpolitik aus den Augen zu verlieren. Aber ich glaube, unsere humanitäre Verantwortung in unserem eigenen Interesse ist es jetzt, das Vertrauen in uns weiter auszubauen, verlässlicher Partner für die Menschen vor Ort zu sein. Denn Vertrauen ist in diesen Zeiten kein „Nice to have“ - es ist die Grundlage dafür, dass wir in dieser Welt der Zeitenwenden überhaupt noch handeln können.