Willkommen auf den Seiten des Auswärtigen Amts

Rede von Außenministerin Annalena Baerbock beim Global Media Forum der Deutschen Welle

17.06.2024 - Rede

„Im Moment gibt es keine lauten Stimmen aus Afghanistan, deshalb müssen wir für sie unsere Stimme erheben. Wir müssen die Stimme derjenigen sein müssen, die selbst keine Stimme haben.“

Das sind die Worte von Ali Sajad Mawlaee, einem afghanischen Journalisten, der nach der Machtübernahme der Taliban 2021 sein Land verlassen hat.

Heute lebt er in Pakistan. Dank der Unterstützung durch das Programm „Space for Freedom“ der Deutschen Welle konnte er im Exil weiter als Journalist arbeiten.

Seine Geschichte zeigt in meinen Augen zwei Dinge: Einerseits die enorme Kraft des Journalismus. Die Kraft aller, die heute hier anwesend sind.

Die Fähigkeit, Geschichten zu erzählen, auf die sonst niemand aufmerksam würde.

Fragen zu stellen, die sonst niemand aufwerfen würde.

Diejenigen zur Verantwortung zu ziehen, deren Macht sonst nicht begrenzt würde.

Und die Stimme derjenigen zu sein, die derzeit nicht laut genug sein können, um gehört zu werden. So wie viele Menschen in Afghanistan.

Doch die Geschichte dieses Mannes zeigt auch, dass unabhängiger Journalismus weltweit unter Druck steht.

Laut der NGO „Reporter ohne Grenzen“ hat die Pressefreiheit in fast jeder Region der Welt abgenommen.

Ein Grund dafür ist, dass Journalistinnen und Journalisten in Kriegen und Konflikten zu oft zur Zielscheibe werden.

Im Jahr 2023 wurden Schätzungen zufolge 120 Journalistinnen und Journalisten bei ihrer Arbeit getötet, fast zwei Drittel davon allein in Gaza. Das ist inakzeptabel.

Wir erleben außerdem, wie autokratische Regime weltweit immer vehementer gegen unabhängige Medien vorgehen. Dafür nutzen sie immer vielfältigere Methoden, auch digitale. Was bedeutet, dass sie nicht immer leicht zu erkennen sind.

Gleich wird uns Maria Ressa von ihren persönlichen Erfahrungen berichten. Als wir uns in ihrem Heimatland trafen, erzählte sie mir von den Lügen, die in den sozialen Medien über sie und ihre Familie verbreitet wurden. Wie sie pro Stunde 90 Hassnachrichten im Internet bekam, wie sie Opfer von Scheinprozessen und Verhaftungen wurde.

Diese Nachrichten hat sie einmal als „Tod unserer Demokratie durch Tausend Schnitte “ beschrieben. Genau deshalb sind diese Methoden so gefährlich. Sie kommen schleichend, anfangs oft unbemerkt, sie kommen von vielen Seiten gleichzeitig anstatt geballt auf einen Schlag.

Von Herrn Limbourg habe ich auf dem Weg hierher eine ähnliche Geschichte über einen Menschenrechtsaktivisten in Äthiopien gehört. Es passiert jeden Tag, überall auf der Welt.

Wir müssen uns diesen Bedrohungen als Gesellschaft entgegenstellen. Wenn die Pressefreiheit unter Druck gerät, ist die Freiheit selbst, die Freiheit aller Bürgerinnen und Bürger, in Gefahr – das dürfen wir nicht vergessen. Deshalb setzt sich Deutschland so engagiert für die Medienfreiheit ein.

Die entscheidende Frage ist natürlich: Was können wir tun, um diese unabhängigen Stimmen zu stärken?

Für mich gibt es hier zwei zentrale Handlungsfelder:

Erstens müssen wir den physischen Raum schützen, in dem Journalistinnen und Journalisten arbeiten. Menschen wie der Journalist aus Afghanistan.

Oder die 29-jährige Enaam Al Noor aus Darfur. Sie berichtete als Journalistin über den Bürgerkrieg in Sudan. Über Vergewaltigungen und gezielte Hinrichtungen. Über eine Unterkunft für Geflüchtete, die von Militärs niedergebrannt wurde, sodass Dutzende Kinder ihr Zuhause und ihre Familien verloren.

Als ihre eigene Familie unter Beschuss geriet, musste schließlich auch Enaam Al Noor fliehen. Heute lebt sie in Uganda und erstellt Radiobeiträge zur Lage in Darfur für all jene, die noch dort sind.

Sie wird von der Hannah-Arendt-Initiative unterstützt, dem Programm der Bundesregierung für den Schutz von Journalistinnen und Journalisten, in dessen Rahmen wir mit Partnern aus der Zivilgesellschaft wie der DW Akademie und dem Programm „Space for Freedom“ zusammenarbeiten.

Auf diese Weise haben wir bereits 5000 Journalistinnen und Journalisten unterstützt und ihnen dabei im wahrsten Sinne des Wortes einen Raum für ihre Arbeit gegeben.

Gerade eben durfte ich einige von ihnen treffen, aus Russland, aus Belarus und auch aus der Ukraine. Eine Journalistin, die früher im Osten der Ukraine, in Donezk, gelebt hat, erzählte mir: Wissen Sie, wenn ihr jetzt während der Fußball-Europameisterschaft eure Teams anfeuert, muss ich daran denken, dass ich in der Ukraine Stadionsprecherin für die UEFA war, bevor ich fliehen musste.

Sie erzählte auch, dass ihre Berichterstattung für die Deutsche Welle die letzte Verbindung in ihre Heimatregion ist. Sie sagte uns, dass es manchmal diese wenigen wundervollen Momente gebe, wenn alte Schulfreundinnen und ‑freunde einen Kommentar unter einem ihrer Berichte hinterlassen und sie dadurch weiß, dass sie noch am Leben sind.

Es geht also nicht nur um Medienfreiheit und um die Stärkung unabhängiger Stimmen und unserer Demokratie. Es geht auch darum, die Menschen zu Hause nicht zu vergessen. Dafür haben wir die Hannah-Arendt-Initiative ins Leben gerufen.

Und daher bin ich so dankbar für all Ihre Arbeit hier bei der Deutschen Welle – Sie zeigen, dass wir gemeinsam stärker sind.

Damit Journalistinnen und Journalisten weiterhin ihre Stimme erheben und den Menschen in ihren Heimatländern Gehör verschaffen können.

Das bringt mich zu meinem zweiten Punkt: Wir müssen sicherstellen, dass der digitale Raum für unabhängige journalistische Stimmen nicht durch Technologie eingeschränkt wird.

Vor zwei Wochen haben wir die größten Wahlen der Welt in Indien gesehen.

Wir haben einen beeindruckenden Wahlprozess gesehen, in dem fast eine Milliarde Menschen zur Wahl aufgerufen waren.

Und wir haben gesehen, warum manche diese Wahl als die erste „KI-Wahl“ der Geschichte bezeichneten.

Während des Wahlkampfs hielten die Kandidatinnen und Kandidaten Reden, die von einer KI-App simultan in 14 Sprachen gedolmetscht wurden.

KI-generierte Stimmen riefen bei den Menschen an, um für eine bestimmte Politik und bestimmte Kandidatinnen und Kandidaten zu werben.

KI bietet riesige Chancen, um die Stimmen von Menschen zu stärken.

Aber wir haben auch gesehen, wie während des Wahlkampfs in Indien Hunderte Deepfake-Videos auftauchten. Gefälschte Reden von Politikerinnen und Politikern, gefälschte Botschaften von Bollywood-Stars.

Mit Blick auf unsere Wahlen fürchte ich: Das ist nur ein Vorgeschmack auf das, was noch kommt.

KI macht Desinformationskampagnen billiger, einfacher und effektiver.

Kampagnen, die das Vertrauen in demokratische Institutionen, aber auch in unabhängigen Journalismus untergraben können. Wie im Fall von Maria Ressa.

Deshalb müssen wir auch jetzt wieder darüber nachdenken, wie wir mit dieser Situation umgehen – wie damals, als das Internet aufkam. KI hat eine enorme positive Dimension. Und KI wird nicht wieder verschwinden. Doch wir müssen auf ihre Schattenseiten vorbereitet sein. Daher setzen wir uns für die internationale Regulierung von KI ein.

Wir möchten das große Potenzial von KI nutzen, aber gleichzeitig sicherstellen, dass sie fair und ethisch verantwortungsvoll eingesetzt wird.

Nehmen wir zum Beispiel das KI-Rahmenübereinkommen, das letzten Monat im Europarat verabschiedet wurde. Oder das KI-Gesetz der Europäischen Union, das der Rat der EU gerade gebilligt hat. Das sind konkrete Schritte, mit denen sichergestellt werden soll, dass Grundrechte, Meinungsfreiheit und Schutz vor Diskriminierung auch auf dem Gebiet der KI gelten.

Wir müssen diese Technologie so gestalten, dass die Menschen weiterhin die Kontrolle haben und jede Gesellschaft davon profitiert. Uns ist bewusst, dass das eine Aufgabe für eine ganze Generation ist – nicht nur für den Journalismus und die Politik, sondern für alle Teile der Gesellschaft. Doch wenn wir diese Aufgabe jetzt nicht angehen, laufen wir Gefahr, den Anschluss zu verlieren.

Und ich möchte ganz klar sagen: Wir sollten denselben Fehler nicht zweimal begehen.

Als die großen Social-Media-Plattformen in den 1990er-Jahren entstanden, haben wir die Herausforderungen, die diese neuartige Form der Interaktion mit sich bringen würde, nicht erkannt. Heute wissen wir, dass wir es nicht einer Handvoll CEOs und Algorithmen überlassen können, die Regeln für die Kommunikation von Millionen von Menschen zu bestimmen.

Deswegen hat die EU den Digital Service Act erlassen, durch den große Technologieunternehmen mit mehr als 45 Millionen Usern dazu verpflichtet werden, Falschinformationen schneller zu löschen.

Diese Lösungen sind wichtig, damit unabhängige Stimmen nicht zum Schweigen gebracht werden, damit unsere Plattformen nicht von Fake News überschwemmt werden und damit Journalistinnen und Journalisten ihrer Arbeit nachgehen können.

All das ist Teil einer noch größeren Frage: Wie machen wir unsere Gesellschaften widerstandsfähiger – nicht nur gegenüber technologischen Herausforderungen, sondern auch gegenüber der Zunahme von Hass und Propaganda, der wir alle ausgesetzt sind? Im Journalismus, in der Politik und als Mitglieder offener Gesellschaften. Ich freue mich darauf, mit Ihnen gleich über diese Themen zu sprechen.

Klar ist: Unabhängiger Journalismus ist ein Grundpfeiler unseres demokratischen Systems.

Und deshalb möchte ich Ihnen allen danken.

Ich möchte Ihnen nicht nur als Journalistinnen und Journalisten, sondern auch als Menschen danken.

Dafür, dass sie diejenigen, die an der Macht sind, zur Verantwortung ziehen.

Dafür, dass sie die Geschichten erzählen, auf die sonst niemand aufmerksam würde.

Dafür, dass sie denjenigen eine Stimme geben, die sonst nicht gehört würden.

Und dafür, dass sie unsere Demokratien dadurch widerstandsfähiger machen.

Schlagworte

nach oben