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Rede von Außenministerin Annalena Baerbock beim Großen Zapfenstreich zu Ehren des früheren NATO-Generalsekretärs Jens Stoltenberg
Übersetzung der Rede aus dem Englischen
Jens, du hast einmal erzählt, wie du als Teenager die Treppe deines Elternhauses hinuntergeschlichen bist, weil du unbekannte Stimmen gehört hast.
Als du dann die Tür geöffnet hast, saß da am Küchentisch – Nelson Mandela.
Denn dein Vater lud als Außen- und Verteidigungsminister oft Politiker zu euch nach Hause ein.
Er bot ihnen dann schwarzen Kaffee an, norwegische Makrelen und Brot vom Bäcker an der Ecke.
Das norwegische Protokoll war manchmal etwas schockiert wegen dieser sehr bodenständigen Termine am Frühstückstisch.
Aber dein Vater wusste: Seine „Küchentisch-Diplomatie“, sein warmherziger und freundlicher Umgang mit den Menschen waren eine Möglichkeit, Vertrauen zu schaffen.
Die wertvollste Währung in der internationalen Politik.
Dieser Ansatz hat auch deine Arbeit als Ministerpräsident, als Politiker und besonders als NATO-Generalsekretär geprägt.
Dir ging es immer um die Sache. Niemals um dich selbst.
Vertrauen, Beharrlichkeit.
Klar in der Sache, freundlich im Ton.
Das war und ist dein Stil.
Und bei allem immer in einer sehr menschlichen Art.
Ich erinnere mich daran, wie dir Präsident Biden im Juli die Freiheitsmedaille verlieh. Boris [Pistorius] und ich saßen nebeneinander in einem Raum voller Sicherheitspersonal und Regierungsbeamter.
Und du nahmst diese Medaille entgegen. Mit einem breiten Lächeln. Der Verteidigungsminister und ich – und viele andere – konnten sehen, wie gerührt du warst.
Der Mensch Jens Stoltenberg, der Generalsekretär, ehemalige Ministerpräsident, aber auch Sohn und heute selbst Vater. In dem Wissen, dass die Zukunft von uns abhängt.
Und dann sehen wir dein Sicherheitspersonal hier in Berlin, so viele Motorräder und Autos um dich herum, vielleicht einen der am stärksten geschützten Menschen in Europa, aber mit einem derart bodenständigen, menschlichen Auftreten. Das ist es, was dich so besonders macht. Und das findet sich heutzutage ziemlich selten.
Ich glaube, eines, was der russische Präsident unterschätzt hat, ist, dass wir Sicherheit nicht nur im Sinne von Abschreckung und harter Verteidigungspolitik denken, sondern auch im Sinne von „Soft Power“.
Wir erinnern uns sehr gut daran, dass der 24. Februar 2022 nicht nur den Angriff auf die Ukraine bedeutete; er war ein Test für unsere Solidarität, unsere Freundschaft und unser Vertrauen. Aber wir sind standhaft geblieben.
Auch dank dir und dem Geist der NATO: Einer für alle, alle für einen.
Gestern haben wir 25 Jahre Nordische Botschaften hier in Berlin gefeiert. Und wir haben einen Film gesehen, in dem es hieß: Wir als Nordische Länder glauben, dass „Soft Macht“ ist manchmal die wahre „Super Power“.
Und Jens, wir haben deine Supermacht in den letzten Jahren gebraucht, nicht erst seit dem 24. Februar, sondern auch in den zehn Jahren davor.
Deine Führung während Afghanistan, nach der illegalen Annexion der Krim durch Russland und zweifellos seit dem 24. Februar 2022.
Denn als Wladimir Putin seinen brutalen Krieg startete, setzte er darauf, dass die NATO zerbrechen würde.
Aber wir haben ihm das Gegenteil bewiesen. Du hast ihm das Gegenteil bewiesen.
Er hat unterschätzt, was „Einer für alle, alle für einen“ bedeutet: Einstehen für die Werte der NATO, wie sie in unseren Verträgen formuliert sind: Frieden, Freiheit, Demokratie – nicht nur für uns, sondern auch für unsere Kinder.
Wir haben ihm das Gegenteil bewiesen.
Deshalb hast du hart für uns alle gearbeitet, um die NATO noch stärker, noch geeinter als vorher zu machen.
Du hast beharrlich dafür gearbeitet, Schweden und Finnland in die NATO zu bringen. Du hast geholfen, unsere Beziehungen zum Globalen Süden zu stärken.
Du hast neue Wege gefunden, die NATO und die EU zusammenzubringen – mit informellen Gesprächen, die wir in Berlin begonnen haben, mit ein bisschen der „Küchentisch-Diplomatie“, mit der du aufgewachsen bist.
Du hast die Rolle des NATO-Generalsekretärs neu definiert.
Und du hast einmal gesagt: „Wir müssen bereit sein, den Preis für Frieden zu bezahlen.“
Die Wahrheit ist: In der Vergangenheit hat mein Land nicht genug auf diesen Rat gehört.
Aber – und das ist wichtig – wir haben unsere Lektion gelernt.
Das haben wir auch dir zu verdanken.
Ich erinnere mich daran, wie wir die Präsenz der NATO im Osten unseres Bündnisses nach dem russischen Angriff diskutiert haben.
Es gab kritische Stimmen, auch hier in Berlin. Aber du hast geholfen, sie zu überzeugen. Wir sind jetzt stolz, wie es der Minister gesagt hat, dass wir eine komplette Brigade nach Litauen entsenden.
Und schließlich geben wir nun mehr als 2 % unseres BIP für Verteidigung aus. Wir haben intensiv darüber diskutiert, dass es nicht nur um Zahlen und das BIP geht; es geht auch um Fähigkeiten. Und wir investieren in diese Fähigkeiten.
Wir werden die Ukraine auch weiterhin unterstützen. Du hast von Anfang an betont, dass wir es mit hybrider Kriegsführung zu tun haben. Deshalb haben wir mit unserer nationalen Sicherheitsstrategie nicht nur die militärische Seite im Blick, sondern auch integrierte Sicherheit.
Du warst auch derjenige, der die Klimakrise angesprochen hat und die Frage von Gleichstellung der Geschlechter und Sicherheit in die NATO-Diskussionen eingebracht hat.
Als wir das Kommuniqué von Vilnius für Juli 2023 vorbereitet haben, auch mit informellen Gesprächen und „Küchentisch-Diplomatie“, warst du es, der dafür gesorgt hat, dass wir mit dem Kommuniqué eine klare Botschaft senden:
„Die Zukunft der Ukraine ist in der NATO.“
Jens, als Angela Merkel dich vor zehn Jahren anrief und fragte, ob du dir vorstellen könntest, den Posten des NATO-Generalsekretärs zu übernehmen, hast du deinen Vater um Rat gebeten, wie du es immer getan hast, wenn es um schwierige Entscheidungen ging.
Und er sagte: „Nun, es passiert nicht so viel in der NATO.“
Mein Vater sagte mir übrigens, als ich Außenministerin wurde: Werd‘ bloß kein NATO-Falke.
Nun, manchmal ist es gut, nicht auf seine Eltern zu hören, aber eben nur manchmal. Heute sagen meine Töchter und viele, viele Töchter und Söhne in ganz Europa: Wir sind dankbar, dass wir Mitglied in der NATO sind.
Einer für alle, alle für einen.
Und wir sagen: Danke, dass du vor zehn Jahren den Posten übernommen hast. Ich bin froh, dass wir dich überzeugen konnten, nicht einen anderen Posten zu übernehmen, den du gerne wolltest. Sondern du bist geblieben, denn wir brauchten dich dringend nach Putins Angriff.
Jens, ich werde deine Beharrlichkeit, dein Einfühlungsvermögen und deine Besonnenheit vermissen.
Aber wo ich von Töchtern sprach: Ich weiß, dass du eine Menge Konzerte deiner Tochter Catharina verpasst hast.
Ich freue mich wirklich, dass du nun mehr Zeit für ihre Auftritte haben wirst.
Zumindest bis du deinen Posten in München antrittst.
Von ganzem Herzen: Danke für deine Arbeit.
Danke für deinen Beitrag zu Sicherheit und Freiheit in Europa und zu einem starken transatlantischen Bündnis!
Danke für deine Freundschaft.
Danke, dass du uns angehalten hast, das NATO-Versprechen zu leben: Einer für alle, alle für einen.