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Erklärung von Außenministerin Annalena Baerbock auf der Internationalen Hilfskonferenz für Libanon in Paris
Ich bin letzte Nacht aus Beirut zurückgekommen. Gestern konnte ich mit den Menschen im Libanon sprechen. Und ich konnte sehen und spüren, wie erschöpft sie sind. Erschöpft von den letzten Krisenjahren. Erschöpft von der Wirtschaftskrise. Erschöpft vom politischen Stillstand.
Und erschöpft von den vergangenen zwei Monaten.
2400 Menschen sind getötet worden, darunter 127 Kinder und 95 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Gesundheitswesens.
Ich saß in New York gerade in einer Podiumsdiskussion mit Flüchtlingskommissar Grandi, als er vom Tod zweier Mitarbeiterinnen des UNHCR erfuhr – eine der beiden war zusammen mit ihrem Baby ums Leben gekommen.
Die Erschöpfung ist nicht nur eine Belastung für jeden einzelnen Menschen in Libanon; sie ist auch eine Belastung für das, was Libanon in der ganzen Region so einzigartig macht: seine multiethnische und multireligiöse Gesellschaft.
Was ich gestern in Beirut spüren konnte, war aber nicht nur Erschöpfung, sondern auch ein starkes Gefühl der Solidarität. Da sind Kinder auf der Straße, die in der Schule hätten sein sollten – aber auch Menschen, die kommen, um ihnen zu helfen. Deutschland leistet dem libanesischen Roten Kreuz substanzielle Unterstützung. Als ich die Organisation gestern besuchte, wurde mir berichtet, dass es nicht genug Arbeit für all die Freiwilligen gibt, die vorbeikommen und helfen möchten. Die Menschen in Libanon zeigen, dass sie ihr Land schützen möchten, dass sie ihre multiethnische und multireligiöse Gesellschaft schützen möchten.
Deshalb stockt Deutschland in diesem Moment der Krise seine humanitäre Hilfe auf. Denn genau das ist gerade nötig.
Im September haben wir Libanon 62 Millionen Euro an humanitärer Unterstützung zugesagt. Diese Mittel werden unter anderem bereits in vier mobilen Kliniken in Akkar, Nabatieh und Baalbek eingesetzt, um über 1,9 Millionen Menschen medizinisch zu versorgen.
Heute sagen wir weitere 96 Millionen Euro zu, mit denen Binnenvertriebene unterstützt werden sollen:
36 Millionen Euro werden in die humanitäre Hilfe und 60 Millionen Euro in die Entwicklungshilfe gehen.
Aber es ist klar, dass wir auch eine politische Lösung brauchen. Wir brauchen eine Waffenruhe. Wir brauchen eine politische Perspektive.
Da wir uns hier auf einer Arbeitskonferenz befinden, möchte ich hier einige der Fragen setellen, die gestern in Beirut, aber auch schon in den Tagen davor an mich herangetragen wurden.
Wir fordern bereits seit 12 Monaten die Umsetzung der Resolution 1701.
Natürlich ist es wegen der anhaltenden Raketenangriffe der Hisbollah auf Israel nicht dazu gekommen.
Und obwohl wir in New York einen von den USA, Frankreich und auch arabischen Ländern angeführten nachdrücklichen Aufruf zu einer 21-tägigen Waffenruhe gestartet haben, ist es auch dazu nicht gekommen.
Ich glaube, dass wir unsere Anstrengungen nun verstärken müssen.
In meinem gestrigen Gespräch mit den libanesischen Streitkräften, mit General Aoun, wurde sehr deutlich, dass diese bereit sind, ihren Beitrag im Süden Libanons zu leisten – das haben wir auch hier gehört.
Außerdem ist ganz klar, dass wir UNIFIL dort brauchen. Deshalb möchte ich betonen, dass wir nicht weniger UNIFIL, sondern eine stärkere UNIFIL-Mission brauchen.
Das heißt aber auch, dass wir uns fragen müssen, was das bedeutet. Denn im Süden Libanons war UNIFIL direkt neben Tunneln der Hisbollah im Einsatz. Dieser Frage müssen wir uns stellen.
Und wenn wir sagen, dass sich UNIFIL und die libanesischen Streitkräfte um den Süden Libanons kümmern sollen, müssen wir auch die Frage beantworten, wie das geschehen soll. Ich glaube fest daran, dass es gemeinsam gelingen kann. Es braucht den politischen Willen aller Seiten.
Doch wir müssen auch der Frage nachgehen, die der französische Sondergesandte Jean-Yves Le Drian aufgeworfen hat: Welche Rolle spielt Iran gerade? Gestern habe ich erfahren, dass sich nun offenbar Soldaten der Revolutionsgarde im Süden aufhalten. Auch das ist ein Thema, mit dem wir uns befassen müssen, wenn wir über die Umsetzung der Resolution 1701 sprechen.
Die Hisbollah muss ihre Streitkräfte hinter den Litani- Fluss zurückziehen.
Die Milizen müssen entwaffnet werden.
Und natürlich sollten sich die israelischen Streitkräfte hinter die Blaue Linie zurückziehen – diese Botschaft habe ich gestern auch klar und deutlich zum Ausdruck gebracht.
Denn andernfalls wird die gesamte Umsetzung der Resolution 1701 nicht funktionieren.
Und im Moment müssen wir alles dafür tun, dass diese Resolution umgesetzt wird.
Das ist meiner Meinung nach wichtiger denn je.