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Außenministerin Annalena Baerbock in der Aktuellen Stunde des Bundestages zu den „Konsequenzen des amerikanischen Wahlergebnisses für Deutschland“

08.11.2024 - Rede

Es ist kein Geheimnis: Ich hatte gestern Mittag eine andere Rede vorbereitet, die ich zu den US-Wahlen halten wollte. Heute liegen die Dinge offensichtlich anders.

Wir sind in einer neuen Phase des Regierens.

Genau deswegen sind die klaren Botschaften, die wir mit Blick auf die US-Wahlen an unsere europäischen und internationalen Partner richten, wichtiger denn je; denn sie richten sich noch stärker auch an uns selbst.

Es geht in dieser Zeit um nichts Geringeres als um unsere Freiheit und unseren Frieden in Europa. Es geht um unsere Sicherheit. Es geht um die Verantwortung, die wir alle - und zwar jeder Einzelne hier in diesem Hohen Hause - ab heute tragen.

Amerika hat gewählt, und Donald Trump hat diese Wahl gewonnen. Dazu hat die Bundesregierung gratuliert. Für uns ist klar: Deutschland wird für die künftige amerikanische Regierung ein starker, verlässlicher Verbündeter bleiben - ein Partner und ein Freund. Das ist unser Angebot. Gerade jetzt, in einer Zeit des Übergangs in den Vereinigten Staaten, der größten demokratischen Volkswirtschaft und zugleich der größten Volkswirtschaft der Welt, in einer Zeit des Übergangs auch hier bei uns in Deutschland, der größten Volkswirtschaft Europas und zugleich der zweitgrößten demokratischen Volkswirtschaft der Welt.

Gerade jetzt in einer Zeit, in der Autokraten in einem globalen Systemwettbewerb mit Demokratien um Macht und Einflusssphären ringen, gerade in dieser Zeit ist die transatlantische Partnerschaft so wichtig für unsere Sicherheit und für unsere Freiheit.

Aber weil es gerade in dieser Zeit, die so stürmisch und herausfordernd ist, nicht um Prosa, sondern um tägliches Handeln geht, möchte ich kurz ausführen, was es heißt, jetzt ein starker und verlässlicher Partner zu sein.

Erstens: Es heißt, zu wissen, wo man selbst steht, und das klar und deutlich zu benennen. Wir stehen zu den Werten und Prinzipien, auf deren Grundlage die deutsch-amerikanische Partnerschaft über Jahrzehnte gediehen und gewachsen ist und, ja, die wir Deutschen auch Amerika verdanken und die in unserem ureigenen Interesse sind: Freiheit, Demokratie, Völkerrecht.

Und das ist nichts sogenanntes Westliches, wie hier vorhin gesagt wurde, sondern das steht in unserem Grundgesetz. Alle Demokratinnen und Demokraten sollten genau deswegen dahinterstehen. Denn Freiheit, Demokratie und Völkerrecht sind der beste Selbstschutz für uns als Bürgerinnen und Bürger, aber auch für unsere Wirtschaft. Dazu zählt auch das Verständnis, dass gemeinsame Regeln und Vereinbarungen unsere Freiheit und unseren Wohlstand schützen - auf beiden Seiten des Atlantiks und überall auf dieser Welt.

Als in den USA gewählt wurde, war ich nicht zufällig in der Ukraine. Die Menschen dort leben seit fast 1 000 Tagen im Krieg. Die Methoden haben sich immer wieder in diesen 1 000 Tagen geändert, der furchtbare Zerstörungswille aber nicht. Er wächst mit jedem Tag. Der russische Terror findet jetzt vor allen Dingen aus der Luft statt. 65-mal Luftalarm in Kyjiw allein in den letzten vier Wochen! Genau deswegen war ich in den letzten Tagen dort: um deutlich zu machen, dass wir in diesen stürmischen Zeiten einstehen für die Freiheit und den Frieden in Europa, für den Frieden und die Freiheit in der Ukraine, was in diesem Moment bedeutet, fest an der Seite der Ukraine zu stehen, solange sie uns braucht, weil das unser bester Schutz für unsere eigene Freiheit und unsere Demokratie und für das Völkerrecht ist.

Es ist gut, zu wissen, dass uns das hier eint als Demokratinnen und Demokraten; das sage ich auch in Richtung der Union. Ich bin wirklich dankbar für die intensive Zusammenarbeit gerade mit Blick auf den Frieden in Europa, mit Blick auf die Ukraine. Denn es ist doch auch seit fast 1 000 Tagen genau Putins Strategie, uns als Demokratien zu spalten, uns ganz bewusst in Deutschland zu spalten, genau das Narrativ zu setzen, das wir gerade eben vom BSW gehört haben und wahrscheinlich gleich auch wieder hören werden: dass der Frieden in Europa im Gegensatz zu sozialer Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft stehe. Diese Spaltung will Putin. Und genau das müssen wir verhindern.

Genau deswegen müssen wir jetzt geeint in Europa zusammenstehen, eine starke geeinte Stimme auch in der Welt sein, weil es um Verlässlichkeit in diesen unsicheren Zeiten geht.

Und weil diese Rede jetzt anders ist, ist genau heute mein Appell - man kann auch „meine Bitte“ sagen, an alle in diesem Hause, dass wir uns gemeinsam immer wieder daran erinnern, was unsere Verantwortung ist: jetzt verlässlich nicht nur für unsere Bürgerinnen und Bürger in Deutschland da zu sein, sondern auch für die zukünftigen Generationen hier in Europa, und deutlich zu machen, dass trotz allem, was uns auch trennt in den demokratischen Parteien, keine Lücke zwischen äußerer Sicherheit, innerer Sicherheit und sozialer Sicherheit entstehen darf, sondern dass all das zusammen Demokratien im Kern zusammenhält.

Weil wir dies zusammendenken, um unsere Freiheit zu schützen - und das ist mein zweiter Punkt -, müssen wir gerade jetzt unsere Investitionen in die europäische Sicherheit groß denken und auch groß machen. Wir müssen genau darüber sprechen, dass wir uns nicht weiter Fesseln anlegen, die uns daran hindern, uns selbst zu schützen.

Die Vorschläge der Kommissionspräsidentin zur Stärkung der europäischen Verteidigung liegen auf dem Tisch. Ich möchte noch mal an die Tage nach dem 24. Februar erinnern, auch weil ich dafür so dankbar bin, dass wir damals über Parteigrenzen hinweg gemeinsam Verantwortung gezeigt haben. Nach dem 24. Februar haben wir hier mit einer Mehrheit gemeinsam die parlamentarische Kraft gefunden, nicht im parteipolitischen Eigeninteresse zu handeln, sondern den Ernst der Lage erkennend gemeinsam das Sondervermögen auf den Weg zu bringen. Genau das braucht es auch jetzt wieder: weitere finanzielle Mittel zur Friedenssicherung - das haben wir als verbleibende Bundesregierung gestern Abend deutlich gemacht -; denn wir Europäerinnen und Europäer werden noch mehr - das ist nach diesem Wahltag in den USA jetzt klar - sicherheitspolitische Verantwortung für uns selbst übernehmen müssen, gerade auch innerhalb der NATO, egal wer die nächsten Kanzler stellt.

Das ist keine Erkenntnis, die uns in Reaktion auf das Wahlergebnis in den USA ereilt hat, sondern das ist der Fokus unserer Arbeit, der Arbeit dieser Bundesregierung, seit fast drei Jahren gewesen. Das sind die Weichen, die wir in unserer Sicherheitspolitik mit der Nationalen Sicherheitsstrategie neu gestellt haben: bei der Stärkung des europäischen Pfeilers in der NATO, mit der deutschen Brigade in Litauen, mit Investitionen in die Verteidigung von 2 Prozent, die, ja, jetzt noch höher werden müssen, und auch mit unserer Unterstützung der Ukraine.

Denn so machen wir uns selber auch widerstandsfähiger, etwa mit dem KRITIS-Dachgesetz, das wir gerade gestern noch verabschiedet haben. Jede Investition in unsere Sicherheit ist eine Investition in unsere Freiheit.

Das bedeutet, als Partner selbstbewusst jetzt auch über den Atlantik Differenzen offen anzusprechen, um gemeinsam Lösungen zu finden, nicht nur mit Blick auf die Sicherheit auf unserem Kontinent, sondern auch mit Blick auf die großen Fragen, die Herr Hardt auch angesprochen hatte: Handels- und Wirtschaftsfragen, die China-Politik und natürlich die Lage im Nahen und Mittleren Osten.

Unsere transatlantische Freundschaft ist vielschichtig, sie ist tief und vor allem unendlich wertvoll. Deswegen wollen wir ein Partner sein, der diese Freundschaft weiterträgt: selbstbewusst, prinzipienfest, stark und verlässlich.

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