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Rede von Außenministerin Baerbock zur Eröffnung des SZ-Wirtschaftsgipfels

11.11.2024 - Rede

“Change is the law of life”, hat John F. Kennedy einmal gesagt.

Well. In diesen Zeiten reicht eine einzige Woche.

Und der Satz passt nicht nur auf die letzte Woche, sondern auf die gesamten letzten Jahre.

Change, Wandel - Umbruch. Das haben Sie nicht zufällig für den Wirtschaftsgipfel hier gesetzt - auch wenn es jetzt noch mehr passt, als es vielleicht ursprünglich geplant war. Weil es auch die Überschrift dieser Regierungszeit der letzten drei Jahre hätte sein können.

Auch weil wir es zu Beginn dieser Koalition, und da möchte ich einmal kurz dran erinnern, bewusst als Thema gesetzt haben. Dass es einen Umbruch, Wandel, dass es Change geben muss.

Weil wir gesagt haben, in dieser damals neuen Konstellation: jetzt erst recht. Wagen wir, was vorher nicht gewagt worden ist. Das haben wir aus Verantwortung für unser Land und auch aus Verantwortung für Europa ganz bewusst in dieser Koalition angelegt. Denn einige der großen Probleme, die uns heute auf die Füße fallen, die liegen darin, dass sie vorher nicht angegangen worden sind: gerade die großen strukturellen Fragen wie Digitalisierung, wie Energiewende, aber vor allen Dingen die Infrastruktur unseres Landes in guten Zeiten auf Trab zu bringen. Die Probleme hier haben in den letzten Jahren deswegen so reingehauen, weil wir in einer wirklichen Krise waren – und weil man vorher nicht den Mut dazu hatte, das anzugehen!

Und daher war das auch ein bisschen das Leitmotiv meiner eigenen drei Jahre. Bei all den Krisen immer wieder zu sagen: das Glas ist dennoch halb voll. Meine Philosophie von Politik ist: wenn man sich nicht mehr zutraut, auch in der schwierigsten Krise doch noch ein Stückchen, und sei es nur einen Millimeter, voranzugehen, dann hat man offensichtlich nicht mehr die Kraft. Und deswegen habe ich persönlich auch dafür geworben, dass wir uns dieser Verantwortung gemeinsam stellen.

Offensichtlich ist es jetzt anders gekommen.

Aber das Verständnis der Vorgängerregierungen: „wir setzen einfach nur auf den halbwegs sicheren Weg“- das hat uns in großen Teilen, das wissen Sie als Industrie und Wirtschaftslenker, als Unternehmer nur zu gut, dazu gebracht, dass wir im internationalen Wettbewerb zurückgefallen sind. Jeder Wandel braucht nicht nur Mut, sondern Kraft und Weitblick. Weil es, das hat Corona gezeigt, das haben die Themen davor gezeigt, das Wesen von Menschen ist, im Zweifel erst einmal zu sagen: „Wenn ich nicht weiß, was kommt, dann halte ich doch einfach an dem fest, zu dem ich schon ein bisschen Erfahrung habe.“ Und genau deswegen wurden große Fragen, gerade der Infrastruktur, nicht angegangen.

Den größten Respekt an dieser Stelle an Volker Wissing. Der eine Bahnmodernisierung angegangen ist, von der wir doch wussten, auch als Koalition: die Lorbeeren dafür werden andere ernten. Weil eine Streckensperrung von ICE-Trassen erst mal bedeutet: alle finden's blöd. Aber wenn wir diese Streckensperrungen nicht gemacht hätten, dann wäre die Frage: wann brechen weitere Brücken in diesem Land im wahrsten Sinne des Wortes zusammen?

Und dieses Verständnis, „Change is the law of life“, das ist es, was wir aus meiner Sicht jetzt umso mehr brauchen. Und zugleich als Lehre aus den letzten Jahren: in diesem Wandel immer auch Sicherheit zu geben. Offensichtlich, auch das muss man selbstkritisch sagen, ist uns das nicht in jeder Phase dieser letzten drei Jahre gelungen. Aber für mich bedeutet das dann nicht im Umkehrschluss zu sagen: wir lassen es jetzt lieber sein. Sondern immer wieder zu fragen, da, wo es geklappt hat in den letzten drei Jahren, was waren da die treibenden Faktoren? Und an die sollten wir anknüpfen.

Und das würde ich gerne heute hier auch bei diesem Auftakt tun: Nicht noch weiter alles schlecht zu reden. Das können andere vielleicht besser. Sondern zu schauen: was haben wir gerade in Krisenzeiten gemeinsam gelernt, was hat uns stark gemacht und was brauchen wir jetzt?

Und da ist natürlich der 24. Februar 2022 ein entscheidendes Datum. Wer hätte in diesem Raum, in Europa, und erst recht im Kreml, uns - und zwar nicht uns Deutschen allein, sondern uns in Europa - das zugetraut? An einem Wochenende eine Entscheidung mit 27 Mitgliedstaaten zu treffen, die sich vorher gestritten haben und ihre Differenzen betont haben.

Aber in dem Moment, wo es um die wirklich wichtigen Dinge im Leben geht, Krieg oder Frieden, steht Europa zusammen oder zerbricht die Europäische Union, da haben wir die Kraft zum gemeinsamen Handeln gefunden. Und warum? Weil es im Deutschen Bundestag, bei dieser Debatte, bei der der Kanzler das Wort „Zeitenwende“ geprägt hat, eben nicht um parteipolitische Taktiererei ging, sondern ich glaube, jeder im Raum sich vorgestellt hat: was wird meine Antwort auf die Fragen meiner Kinder sein? Wenn sie fragen: was hast du in diesem Februar 2022 für Deutschland, für Europa, für unsere Freiheit und unsere Sicherheit getan.

Und die gleiche Kraft und Entschlossenheit haben offensichtlich die Gesellschaften auch in Ungarn, in Italien, in Polen, in Schweden, in Spanien und überall aufgefunden.

Das sollten wir uns aus meiner Sicht immer in Erinnerung rufen; dass wir, wenn wir wollen, die Kraft haben, als Europa zusammenzustehen.

Und das gilt natürlich auch nach dieser Woche.

Amerika hat gewählt. Donald Trump hat die Wahl gewonnen.

Wir haben ihm dazu natürlich als Demokraten, als Europäische Union gemeinsam gratuliert.

Denn für uns ist klar: die künftige amerikanische Regierung, sie muss ein starker und verlässlicher Verbündeter bleiben. Und Amerika ist wie auch Deutschland und Europa mehr als eine Regierung. Es sind Millionen von Menschen, Tausende von Unternehmen. Es ist eine Verbindung, die über Generationen trägt. Die transatlantischen Beziehungen sind Beziehungen von Freunden und von Partnern. Und gerade deswegen ist in diesem Moment die transatlantische Partnerschaft so wichtig. An ihr zu arbeiten. Und auch das haben wir in den letzten dreieinhalb Jahren mit anderen Akteuren gelernt: Zusammenarbeit, natürlich. Überall dort, wo möglich. Das ist das oberste Gebot von internationalen Beziehungen. Aber was wir zugleich auch gelernt haben, und das hat uns stärker gemacht: Eigenständigkeit als Europäer dort, wo nötig.

Und in diesem Sinne werden wir jetzt auch mit unseren transatlantischen Partnern weiter zusammenarbeiten. Partnerschaft, Freundschaft, das ist unser Angebot an die neue US-Administration.

Ein Angebot, und ich glaube das ist neu, bei dem wir genau wissen, wo wir selber stehen. Man kann als Partner nur auf Augenhöhe verhandeln, wenn man weiß, wo man selber steht. Wenn man nicht weiß, wo man herkommt, welche Werte und Interessen man hat - wie soll man dann für die eigenen Werte und Interessen kämpfen? Und zugleich, auch das habe ich in meinen letzten drei Jahren wirklich noch mal selbst gespürt, ist die Bereitschaft so wichtig, sich in die Schuhe des anderen zu stellen. Die wichtigste Voraussetzung, in schwierigen Zeiten überhaupt zu Lösungen zu kommen, bereit zu sein, seinen eigenen Standpunkt einmal zurückzunehmen.

Auch das kann man nur, wenn man weiß, wo man selber steht. Weil man nur dann antizipieren kann, was eigentlich der Gegensatz oder die Schnittmengen sind. Und daher gilt für mich genau in diesen Tagen, wo wir deutlich machen, wir wollen unsere partnerschaftliche Zusammenarbeit weiter ausbauen, ebenso deutlich zu machen, dass wir nicht nur wissen, wo wir stehen, sondern zu unterstreichen, worauf diese transatlantische Partnerschaft über Jahrzehnte gebaut und gewachsen ist. Auf Freiheit, auf Demokratie und auf dem Völkerrecht.

Früher waren das vielleicht Floskeln. Die hat man heruntergeschrieben und hat nicht mal darüber nachgedacht. Heute sind es keine Floskeln mehr. Und es kommt darauf an, das mit Inhalt zu füllen. Denn wir haben in den letzten drei Jahren, aber auch schon davor, ja erlebt, dass wir als Demokratien in einem globalen Systemwettbewerb um Macht und Einflusssphären mit Autokratien ringen. Das müssen wir uns gerade jetzt noch einmal stärker bewusst machen. Und dass diese Prinzipien, für die wir stehen, nicht nur unsere Werte, sondern unsere ureigensten Interessen sind.

Wenn der freie Welthandel keine Selbstverständlichkeit mehr ist, dann können wir in einer Industrienation wie Deutschland, die gerade darauf aufgebaut ist, uns nicht zurücklehnen. Daher gilt es für uns, gerade in diesem Systemwettbewerb, uns gegenseitig und unsere demokratischen, rechtsstaatlichen und völkerrechtlichen Prinzipien zu verteidigen.

Wir müssen uns wieder in Erinnerung rufen, was ein anderer amerikanischer Präsident, Ronald Reagan, einmal gesagt hat: “Freedom is never more than one generation away from extinction. We didn't pass it your children in the bloodstream. It must be fought for, protected and handed on for them – to do the same.”

Und genau darum geht es jetzt. Wir haben mit dem 24. Februar 2022 erlebt, dass Frieden und Freiheit und unsere Demokratie nicht die Selbstverständlichkeit sind, als die ich und sicher viele hier im Raum sie immer angesehen haben. Wir sind automatisch hineingeboren, aufgewachsen und haben gedacht, das bleibt auch immer so! Aber jetzt ist es unsere Verantwortung, uns immer wieder zu vergegenwärtigen: in schwierigen Momenten verteidigen wir wirklich diese Freiheit und diesen Frieden und unsere Demokratie.

Das Gute, und darauf komme ich in diesen Tagen immer wieder zurück, ist aber: das ist uns als Bundesregierung eben nicht erst am 6. November eingefallen, sondern wir haben uns als Auswärtiges Amt, als Bundesregierung in den letzten drei Jahren genau auch darauf eingestellt: als größter europäischer Unterstützer der Ukraine ihren Überlebenskampf. Deren Überlebenskampf wir auch als einen für unsere Freiheit und Frieden in Europa zu sehen. Mit einer Investition von 100 Milliarden Euro in unsere eigenen Streitkräfte.

Und das sage ich auch gerade in diesen Tagen, in der es keine Regierungsmehrheit gibt. Diese 100 Milliarden Euro, die wurden gemeinsam mit der Union, mit der FDP, der SPD und uns Grünen beschlossen. Es war wieder einer dieser Momente, wo sich, glaube ich, jeder gefragt hat: ist meine Verantwortung gerade punktuell oder greift sie für die nächsten Jahrzehnte?

Wir haben diese Verantwortung auch angelegt, im Übrigen auch mit einer sehr guten fraktionsübergreifenden Debatte im Bundestag, in unserer Nationalen Sicherheitsstrategie. Mit der wir unsere Gesellschaft widerstandsfähiger machen gegen Angriffe auf unsere Freiheit, und uns vor allen Dingen endlich den häufigen hybriden Angriffen und der gezielten Desinformation stellen. Uns bewusst machen, dass es eine hybride Kriegsführung bewusst gegen unsere Demokratie ist.

Und wir haben Putin gezeigt, dass man uns mit Erdgas nicht erpressen kann. Auch das keine Selbstverständlichkeit. Das war vor dem 24. Februar leider keine Mehrheitsmeinung im Deutschen Bundestag. Und all das hat dazu geführt, dass insbesondere unsere baltischen und unsere osteuropäischen Partner uns wieder mehrvertrauen.

Auch das möchte ich so ehrlich sagen: gerade aufgrund von Fehlentscheidungen wie Nord Stream 2, wo wir nicht nur falsche Entscheidungen getroffen haben, sondern bewusst nicht auf unsere Partner gehört haben, ist es essenziell gewesen und eine Investition in unsere eigene Sicherheit, dass wir gemeinsam als Bundesregierung deutlich gemacht haben: die Sicherheit Osteuropas ist die Sicherheit Deutschlands.

Und diesen Weg, den müssen wir jetzt weiter gehen, und zwar mit noch mehr Kraft und noch mehr Mut, weil natürlich die Verunsicherung noch größer geworden ist, auch seit letzter Woche. Das geht nur gemeinsam europäisch. Wir haben nach dem 24. Februar nur gemeinsam, europäisch, diese Kraft gefunden. Und wir werden diesen Weg jetzt auch nur gemeinsam mit unseren europäischen Partnerinnen und Partner weitergehen können.

Und dafür haben wir keine Zeit, bis zum Frühjahr zu warten. Jetzt ist der Moment der Zwischenphase, auf den Putin immer gewartet und gezielt hat. Mit Blick auf den Ausgang der Wahlen in den USA. Aber dass der Mittwochabend dann zeitgleich so endet…? Den Satz können Sie sich zu Ende denken.

Und deswegen, das sage ich ein bisschen auch an die Berliner Blase: so wichtig ein geordnetes Verfahren und Sicherheit für den Wahltermin ist, mindestens ebenso wichtig ist, dass wir in diesen entscheidenden Wochen, im November, Dezember, Januar, Februar bei dieser einen Frage, die uns schon mal so einheitlich als Demokraten verbunden hat, jetzt nicht ins Wanken geraten.

Denn entscheidend ist, dass wir in den nächsten Wochen weiterhin alles dafür tun, nicht nur die Ukraine zu unterstützen, sondern unseren Frieden in Europa und den Frieden bei uns zu sichern. Das betrifft zuallererst unsere eigene Verantwortung, unsere eigene Sicherheit und Verteidigung nicht nur zu diskutieren, sondern massiv in sie zu investieren, auch und gerade innerhalb der NATO. Es geht darum, Investition in unsere europäische Sicherheit jetzt groß zu denken und groß zu machen. Das heißt: jetzt die Unterstützung hochzufahren. Die Fesseln abzulegen, die wir uns selber angelegt haben. Anzuerkennen, dass ein 2% NATO-Ziel in unserer heutigen Lage nicht mehr ausreichen wird. Und anzuerkennen, dass es dabei natürlich um viel mehr als um finanzielle Mittel geht. Es geht darum, unsere Verteidigungsfähigkeiten tatsächlich in Material und vor allen Dingen in der Interoperabilität mit anderen Partnern zu stärken.

Und auch wieder hier: das Gute ist – die Stärkung unserer Verteidigungsfähigkeit europäisch zu denken, die Vorschläge dazu liegen auf dem Tisch. Die Vorschläge der Kommissionspräsidentin, die großen Zahlen, die wir jetzt investieren müssen. Sie müssen aus meiner Sicht jetzt kommen.

Wenn wir dieser Verantwortung gerecht werden, dann tun wir das nicht gegen unsere transatlantischen Partner, sondern wir bauen damit die Brücke über den Atlantik stabiler. Wir haben immer deutlich gemacht: unabhängig vom Ausgang der Wahl müssen wir unseren europäischen Pfeiler innerhalb der NATO stärken. Das ist kein Gefallen an einen Präsidenten im Weißen Haus oder auch eine Präsidentin, wenn es anders ausgegangen wäre. Sondern: wir tun das in unserem ureigensten Sicherheitsinteresse.

Und deswegen war es auch kein Zufall, dass ich zu Beginn letzter Woche, am Montag und Dienstag in der Ukraine war.

Die Menschen dort erleben seit fast 1000 Tagen Krieg. 1000 Tage, in denen sie nicht, wie wir hier, zusammensitzen, aufstehen, zur Arbeit gehen können.

Im letzten Monat, im Oktober, direkt vor diesen Wahlen hat es so viele Drohnenangriffe auf Kyjiw gegeben wie nie zuvor. Bewusst auf die Hauptstadt. Der Krieg hat eine neue Dimension erreicht. Diejenigen, die in dem Bereich unterwegs sind, die wissen: dieser Krieg verändert alle drei Monate sein Gesicht. Jetzt ist es ein voller Luftkrieg.

Und auch das ist kein Zufall. Nicht nur wegen des Wahltermins. Die Drohnen schwirren auch über den ukrainischen Städten, weil die Temperaturen fallen, weil die winterliche Kälte kommt. Weil Russland versucht, die Energieinfrastruktur der Ukraine zu Fall zu bringen.

Ganz bewusst, damit die Menschen in Kälte und Dunkelheit sitzen, damit sie, um nicht zu erfrieren, sich auf die Flucht machen.

Wir haben rund 1 Million Ukrainerinnen und Ukrainer bei uns aufgenommen. Es leben noch knapp 40 Millionen weiter dort. Das ist die Strategie, die hinter diesen Angriffen auf Kyjiw – ungefähr so groß wie Berlin – steckt.

Wir dürfen uns an dieser Stelle nichts vormachen. Die russischen Drohnen treffen die Ukraine, aber sie zielen auch auf uns, auf das freie und demokratische Europa. Und erst recht in diesem Moment, wo wir jetzt in Neuwahlen gehen, auf das freie und demokratische Deutschland.

Unsere Nachrichtendienste sagen uns mittlerweile sogar öffentlich: Russlands Kriegswirtschaft zielt darauf ab, in wenigen Jahren zu einer noch größeren Konfrontation in der Lage zu sein. Ich sage daher so deutlich: wir müssen unsere Antworten an diesen Herausforderungen, die sich niemand ausgesucht hat, ausrichten. Wir müssen unsere Antworten an den Herausforderungen ausrichten, und nicht umgekehrt.

Deswegen brauchen wir jetzt, neben den Maßnahmen auf europäischer Ebene, mehr finanzielle Mittel im Haushalt, die wir zielgerichtet und klar definiert einsetzen können, um wenigstens die nötigsten Bedarfe an der ukrainischen Verteidigung zu decken. Und das gilt insbesondere mit Blick auf die Drohnenverteidigung.

Und gleichzeitig müssen wir verhindern, dass hier bei uns die Sicherung unseres Friedens in Europa gegen die innere und soziale Sicherheit unserer Gesellschaft ausgespielt wird.

Wir müssen Brücken, Straßen und Schienenverbindungen sanieren, die uns förmlich zerbröseln, die digitale Infrastruktur ausbauen und uns gegen Cyberangriffe sicherer zu machen.

Es ist die perfide Strategie des Kremls, zu behaupten wir müssten uns zwischen der Digitalisierung, der Rente und dem Frieden in Europa entscheiden. Zwischen Sicherheit und Strom, zwischen Zukunftsinvestitionen und Zügen, die fahren. Und unsere Demokratie und Freiheit im Zweifel eintauschen. Nein, das müssen wir nicht. Es liegt in unserer Hand. Wir müssen uns nur entscheiden, ob wir die Kraft haben.

Wir haben es schon einmal geschafft, im Frühjahr 2022. Deutlich zu machen: wir sind stark und vereint. Wir können beides zusammen. Unsere äußere und innere Sicherheit und unsere soziale Sicherheit verteidigen - und darin investieren.

Weil wir verstanden haben, dass Sicherheit noch mehr ist als nur militärische Stärke. Das ist der Kerngedanke unserer Nationalen Sicherheitsstrategie, verbunden mit der Chinastrategie und auch der Klimaaußenpolitikstrategie.

Weil in dieser Welt alles miteinander zusammenhängt.

Genau das bedeutet es, wenn wir davon sprechen, unsere Gesellschaft widerstandsfähiger zu machen, widerstandsfähiger gegen Populismus, Versuche der Desinformation und auch in diesen Tagen gegen ein Aushöhlen und Schlechtreden von staatlichen, demokratischen Institutionen.

Darauf ist dieses freie Land, demokratisch und wiedervereint seit 35 Jahren, angewiesen.

Und darauf ist die deutsche Wirtschaft angewiesen, weil die deutsche Wirtschaft natürlich auf dieser Freiheit, auf dieser Rechtsstaatlichkeit gebaut ist. Und sie ist, und das wurde aus meiner Sicht am letzten Mittwoch von einigen falsch eingeschätzt, auf einer politischen Stabilität gebaut. In Davos vor einem Dreivierteljahr habe ich mit einigen von Ihnen über Standortfaktoren und Vorteile gesprochen. Manche davon haben wir nicht mehr. Wir sind nicht mehr nur führend bei der Frage von Innovationskraft. Aber die Frage von Freiheit, von Rechtsstaatlichkeit, von politischer Stabilität, das hat uns doch immer unterschieden – und sollte uns weiterhin einen Standortvorteil geben.

Und genauso wie Sie und Ihre Unternehmen, wie die Wirtschaft jeden Tag auf Veränderungen reagiert und dabei Sicherheit schafft in diesem Wandel, so sollten wir das auch. Tag für Tag tun, Sie für Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, und wir als Politik für unsere Gesellschaft.

Das heißt, dass wir die Grundlagen weiter schaffen müssen für Diversifizierung unserer Lieferketten. Dass wir mehr internationale Partner brauchen. Und deswegen ist unsere Chinastrategie vor allen Dingen eine Diversifizierungsstrategie, die eine Rohstoffstrategie beinhaltet, damit wir nicht mehr einseitig abhängig sind. Im Zweifel abhängig sind von Diktaturen, die uns erpressen können.

Es ist eine Strategie, die selbstbewusst auftritt. Das bedeutet nicht arrogant und überheblich. Sondern Selbstbewusstsein bedeutet zu wissen, wo man steht. Bereit zu sein. Dafür braucht man auch Größe. Die Sichtweise des anderen einzunehmen und deutlich zu machen: wir lassen uns nicht verunsichern.

Und noch einmal: der Blick auf das „halbvolle“ Glas. Wir stehen heute genau am Beginn der Klimakonferenz in Aserbaidschan. Und natürlich ist mit Blick auf den Regierungswechsel in den USA auch da die Frage: was passiert eigentlich jetzt? Wäre der Mittwoch innenpolitisch nicht so kommen, wie er gekommen ist, wäre sicherlich das die Frage, eines der zentralen Themen: grüne Transformation, Wettbewerbsvorteile und -nachteile mit Blick auf Trump. Was bedeutet das jetzt eigentlich? Und – dieses Thema geht ja nicht weg, nur weil wir jetzt noch größere Probleme haben. Aber gerade hier ist für mich das Glas mehr als halbvoll, weil die Welt, das ist das Gute an diesem schnellen Wandel, sich so schnell in diesem Bereich verändert hat, dass manche Dinge überhaupt gar nicht mehr einseitig rückgängig gemacht werden können.

Wenn jetzt also aus den USA zu hören ist, - mal gucken, ob es dann so kommt wie schon unter der ersten Administration -, man wolle man aus dem Pariser Klimaabkommen aussteigen, würde ich jedenfalls nicht die Panik haben, die man beim ersten Mal vielleicht gehabt hat. Das war 2017 anders, obwohl das eigentlich eine normalere Zeitrechnung war. Damals war dieses Gefühl: „Oh Gott, wenn die USA austreten!“ Damals waren wir darauf nicht vorbereitet, was wir heute definitiv sind. Und zweitens war damals die Sorge: dann bricht uns beim Klimaschutz alles zusammen.

Aber gerade im Bereich der grünen Transformation hat der Wandel so viel Veränderung mit sich gebracht, dass er am Ende schon einfach Fakten geschaffen hat. Dass man selbst in Texas, wo ich vor kurzem war, um dort unter anderem deutsche Unternehmen im Bereich Erneuerbare Energien zu besuchen, auch ein bisschen mit Blick auf die Wahlen, dass man selbst dort gesagt hat „Nein, also Ihre Unternehmen, die sollen bleiben.“

Weil durch die Investitionen, die es in die grüne Transformation gegeben hat, eben auch in einem Bundesstaat Texas, der Gouverneur, den ich dort getroffen habe, ein enger Unterstützer des noch zu vereidigenden US-Präsidenten, sehr deutlich gemacht hat: Wenn wir davon reden „wir wollen das nicht mehr“, heißt das nicht, dass ihr euch zurückziehen soll. Ganz im Gegenteil. Weil eben auch in Texas rund 30 % des Stroms mittlerweile aus erneuerbaren Energien stammt.

Weil auch Texas im globalen Wettbewerb nicht nur mit Europa steht, sondern auch mit Golfstaaten. Und bei der letzten Klimakonferenz eben diese Golfstaaten, fossile Staaten, in Dubai gesagt haben: das Ende des fossilen Zeitalters steht an. Und auch sie zweigleisig fahren. Also: selbst wenn man mit Klimaschutz nichts am Hut haben möchte, kann man es sich rein ökonomisch überhaupt nicht mehr leisten zu sagen, wir drehen das jetzt alles zurück. Und das bedeutet – wieder unter der Prämisse, dass man nicht nur defätistisch alles schlechtredet – es könnte sogar eine kleine Chance für uns in dieser Situation liegen, weil wir eben nicht mit einem Drittel unserer Kraft sagen, wir wollen diese grüne Transformation weiter voranbringen – sondern als Gesellschaft, als Industrie, als Wirtschaft und als Politik parteiübergreifend. Weil wir gesagt haben: das ist unser Weg, wie wir Deutschland weiterhin führen, wettbewerbsfähig halten können.

Das heißt aber eben auch, dass wir uns nicht weiter leisten können, und auch da waren die letzten dreieinhalb Jahre ein Härtetest, so bequem wie zu anderen Zeiten in der Außenpolitik zu sagen: im Zweifel gehen wir immer mit der Mehrheit. Das war vielleicht einmal zu seiner Zeit die richtige Antwort nachdem wir wieder in die internationale Gemeinschaft aufgenommen worden sind. Das war die Aufgabe nach dem Zweiten Weltkrieg. Zu zeigen, dass wir ein verlässlicher Partner sind. Aber wir hatten natürlich auch eine Rolle, wo wir gesagt haben, wir wollen nicht immer unsere Extra- und Einzeltour machen.

Aber diese Haltung war auch sehr bequem, weil man erst mal geschaut hat, wo geht denn die Mehrheit hin? Diese letzten Jahre haben wieder gezeigt – und vor allen Dingen jetzt die Situation im Nahen Osten: Manchmal muss man auch wissen, wo man steht, wenn man relativ alleine steht. Weil es unsere Staatsverantwortung, unsere internationale Verantwortung ist, aber vor allen Dingen unsere Verantwortung aus der deutschen Geschichte.

Und dennoch zu schauen, wie man in solchen Situationen immer wieder Partner hat. Das ist es, was ich meine, wenn ich sage: Unsere Werte und unsere Interessen, die müssen wir vor allen Dingen selber kennen, um uns dann im Zweifel auch stark dafür einsetzen zu können.

Das gilt, nicht nur mit Blick auf den Nahen Osten. Das gilt natürlich auch mit Blick auf China. Das gilt mit Blick auf die Handelspolitik und mit Blick auf die Wirtschaftsfragen.

Und es gilt immer nur europäisch.

Wir sind eine der stärksten Volkswirtschaften auf dieser Welt.

Aber wir können nur gemeinsam als Europäische Union in diesem Systemwettbewerb bestehen. Denn “change is the law of life”.

Und weil wir schon einmal gezeigt haben, dass wir mit diesem „Change“ umgehen können. Gemeinsam mit unseren europäischen Partnern und gemeinsam mit unseren amerikanischen Partnern.

Weil unsere Freiheit nicht selbstverständlich ist, aber weil wir wissen, dass unsere wichtigste Aufgabe in diesen Zeiten ist, unsere Freiheit jeden Tag zu sichern, im Zweifel zu verteidigen.

Für uns, und vor allen Dingen für zukünftige Generationen. Herzlichen Dank.

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