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Rede von Außenministerin Annalena Baerbock im Plenum des Ministerrats der OSZE 2024
Übersetzung aus dem Englischen
In anderen Zeiten wäre unser Treffen heute ein Anlass zum Feiern.
Viele hier haben es schon gesagt:
Vor fast auf den Tag genau 30 Jahren wurde mit dem Budapester Dokument die OSZE ins Leben gerufen.
Ich zitiere: „Der Weg zu echter Partnerschaft in einem neuen Zeitalter“.
Die Hoffnung war: Dieses Dokument sollte eine neue Zeit des Dialogs, des Friedens und der Zusammenarbeit einläuten.
Wie mein ukrainischer Kollege ausgeführt hat, hat Russland, gemeinsam mit den Vereinigten Staaten und dem Vereinigten Königreich, der Ukraine im Budapester Memorandum ebenfalls heute vor genau 30 Jahren ihre Souveränität und territoriale Unversehrtheit zugesichert – im Gegenzug dafür, dass die Ukraine auf ihre Atomwaffen verzichtet.
Als Putins Russland 2014 in die Ukraine einfiel, hat es dieses Versprechen gebrochen.
Und seit mittlerweile über 1000 Tagen führt Russland nicht nur einen unrechtmäßigen Angriffskrieg gegen die gesamte Ukraine, der unfassbares Leid über Millionen von Menschen bringt.
Es führt auch einen Krieg gegen dieses geschichtsträchtige Budapester Dokument und seine Kerngrundsätze, auf denen die OSZE – unsere OSZE – gründet:
Einen Krieg gegen die Achtung der Souveränität und territorialen Unversehrtheit ihrer Teilnehmerstaaten.
Gegen die Achtung der wirtschaftlichen Sicherheit – durch Angriffe auf Heizkraftwerke und andere Kraftwerke. Nicht einmal vor der Bedrohung von Kernkraftwerken schreckt Russland zurück.
Einen Krieg gegen die Achtung der Menschenrechte – durch die Entführung ukrainischer Kinder und die Unterdrückung von Rechtsstaatlichkeit und Meinungsfreiheit in den Gebieten unter seiner Kontrolle und auch im eigenen Land.
Indem es Tausende seiner eigenen jungen Männer zwingt, nicht nur Krieg zu führen, sondern einen Krieg gegen ihre eigene Zukunft.
Indem es nicht einmal davor zurückschreckt, andere, wie jetzt Asien, in diesen brutalen Krieg hineinzuziehen, indem es Männer aus Nordkorea rekrutiert, die diese Entscheidung offenkundig nicht aus freien Stücken getroffen haben.
Der Außenminister der Vereinigten Staaten hat es ganz deutlich gesagt: Das ist kein Zufall, das wurde von langer Hand geplant.
Und auch ich möchte in aller Deutlichkeit sagen, auch nachdem wir gerade wieder diese Kriegsrhetorik, diese schrecklichen Lügen des russischen Außenministers, gehört haben:
Sie können sich selbst etwas vormachen, nicht aber der Welt, nicht den 1,3 Milliarden Menschen in der OSZE-Region, denen eines gemeinsam ist: Sie wollen, dass ihre Familien in Frieden leben.
Sie können sich selbst etwas vormachen, nicht aber uns: Wir alle haben gesehen, was in Butscha geschehen ist.
Dass Sie – Ihre Regierung, Russland – Soldaten nach Butscha und nach Irpin geschickt haben, um Zivilisten abzuschlachten. Und ihre Leichname unbestattet in den Straßen zurückgelassen haben.
Ich zitiere die schreckliche Lüge des russischen Außenministers, der diese Opfer, „Fernsehschauspieler“ nannte.
Das ist eine unfassbare Lüge, die niemanden in diesem Raum überzeugen wird.
Ich möchte daher noch einmal unterstreichen:
Ich war vor einem Monat in dem kleinen Dorf Jahidne, wo ich mit einem alten Mann sprach, der fast einen Monat lang unter unvorstellbaren Bedingungen im engen Kellergeschoss der örtlichen Schule gefangen gehalten worden war. Fast einen ganzen Monat lang, mit mehr als 300 anderen Menschen, Alten, Babys, ohne Licht, ohne Essen. Das ist seit 1000 Tagen die Realität für Dörfer unter russischer Besatzung.
Und das ist der Grund dafür, dass wir vor mehr als zwei Jahren bei all unserer Unterschiedlichkeit gemeinsam aufgestanden sind. Wir sind uns nicht in allem einig. Manche von uns sind sich nur in wenigen Dingen einig. Aber wir, 55 Staaten an diesem Tisch, stimmen zu 100 % darin überein, dass Frieden, Freiheit und Sicherheit das Wichtigste überhaupt sind.
Deswegen stehen wir seit zweieinhalb Jahren in all unserer Verschiedenheit zusammen. Nicht nur, um die OSZE zu verteidigen, die Tag für Tag und in jedem Winkel Europas für diese Werte einsteht.
Sondern um diese Organisation am Leben zu erhalten und zu stärken. Wegen allem, was in der Ukraine geschieht.
Zunächst möchte ich Helga Schmid danken, die in dieser sehr schwierigen Lage als Generalsekretärin fungiert hat. Sie hat gezeigt, was es wirklich bedeutet, für Frieden einzustehen.
Dir, lieber Ian, bin ich ebenfalls äußerst dankbar, dass Ihr letztes Jahr so kurzfristig den OSZE-Vorsitz übernommen habt. Auch hier zeigt sich wahre europäische Führungsstärke.
Es ist nicht zuletzt auf Eure unermüdlichen Vermittlungsbemühungen zurückzuführen, dass wir uns trotz all der Herausforderungen, denen sich diese Organisation gegenübersieht, auf ein Paket für die vier Führungspositionen einigen konnten.
Mit Dir, liebe Maria, haben wir eine Frau mit herausragender Erfahrung in Konfliktmanagement und -mediation in diesem Team. Dies unterstreicht auch die zentrale Rolle, die Frauen in den Bereichen Frieden und Sicherheit spielen, insbesondere in der heutigen Zeit, in der Frauenrechte in so vielen Ländern unter Druck geraten.
Und vielleicht zeigt dies noch etwas anderes: Wenn eine Frau in Verhandlungen einbezogen wird, dann kann plötzlich ein Paket zustandekommen, das vor 30 Jahren vielleicht niemand von uns für möglich gehalten hätte.
Wir begrüßen, dass Griechenland und die Türkei großes Vertrauen ineinander gezeigt haben – und auch wir haben großes Vertrauen in diesen Teamgeist.
Ich hoffe, dass dieses Beispiel auch andere Länder innerhalb der OSZE wie Armenien und Aserbaidschan dazu motiviert, diese Art der Streitbeilegung weiterzuverfolgen.
Schließlich möchte ich betonen, dass in diesen Zeiten auch deutlich wird: wir müssen unsere eigenen Institutionen weiter reformieren.
Wir haben nicht nur in Moldau, sondern auch vor Kurzem in Georgien und Rumänien gesehen, dass faire Wahlen nicht nur auf dem Papier fair sein müssen, sondern dass wir auch den digitalen Raum aufmerksam im Blick behalten müssen.
Mit der OSZE und ihren Missionen haben wir ein Instrument zur Verfügung, mit dem wir auf diese neuen Herausforderungen reagieren können.
Aber wir müssen sie mit vollem Einsatz weiterentwickeln.
Die Vertreterin Georgiens hat in Bezug auf Russlands Krieg gegen die Ukraine gerade klare Worte gefunden, auch was die Einmischung in andere Länder und Russlands anhaltende Besatzung von Teilen ihres Landes angeht.
Wir würdigen den Mut der Menschen in ganz Georgien, die auf die Straße gehen, um ihre Demokratie und die europäischen Werte zu verteidigen.
Und wir rufen die Regierung Georgiens auf, auf den europäischen Pfad zurückzukehren. Hier stimme ich übrigens mit der Vertreterin Georgiens nicht überein: Es ist die Regierung Georgiens, die in Wort und Tat von diesem Pfad abweicht.
Dreißig Jahre nach den Vereinbarungen von Budapest haben wir dennoch gute Gründe, optimistisch zu sein:
Schließlich wissen wir, dass unsere gemeinsame Sicherheit dank der OSZE, der EU und der NATO auf einem stabilen Fundament gründet.
Es liegt an uns, und zwar Tag für Tag, dass wir das verteidigen, was wir uns für die Zukunft unserer Kinder wünschen.
Dass wir uns geschlossen für Demokratie und Freiheit einsetzen, weil wir wissen, dass sie uns als Gemeinschaft stärker machen.