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Rede von Außenministerin Annalena Baerbock in der Aktuellen Stunde des Bundestages zu Syrien
Wie oft haben wir in den letzten Jahren hier in diesem Hohen Haus über Krisen, Gewalt und Konflikte debattieren müssen!
Da ist es eine gute Nachricht, dass uns jetzt, kurz vor Jahresende, mit dem Ende dieses brutalen Assad-Regimes endlich mal eine gute Botschaft erreicht hat - nicht nur für die Menschen in Syrien, sondern auch für uns.
Weil diese gute Nachricht deutlich macht, wie wichtig es ist, dass wir uns in unserer Politik nicht von Resignation oder auch von nationalen Interessen treiben lassen, die unseren Blick auf die Außenpolitik beschränken, sondern dass wir gerade in schwierigsten Zeiten, in schwierigsten Momenten, für unsere Werte und unsere Interessen einstehen und an der Seite derjenigen stehen, die weltweit für Frieden und Freiheit kämpfen.
Wir haben in den letzten Jahren erlebt, dass unsere Werte und Interessen, nämlich die Sicherung von Frieden, von Freiheit und von Sicherheit, in einer globalisierten Welt maximal miteinander vernetzt sind. Und wir haben eben auch immer wieder erlebt, wie wichtig es ist, dass wir deutlich machen:
Jedes Menschenleben zählt, und jedes Menschenleben ist gleich viel wert.
Genau deswegen war es so richtig – und ich möchte an dieser Stelle, nicht nur, weil wir kurz vor Weihnachten stehen, Danke sagen –, dass wir gemeinsam in unserem Land über all die Jahre die Kraft gefunden haben, uns eben nicht von denjenigen treiben zu lassen, die eine Normalisierung im Umgang mit dem Massenmörder Assad eingefordert haben, sondern dass wir gemeinsam deutlich gemacht haben:
Es kommt darauf an, Haltung zu zeigen.
Wir haben auch daraus gelernt, dass es mit Blick auf Afghanistan ein Fehler war, sich allein von nationalen Stimmungen oder auch Wahlkampflogiken treiben zu lassen und dass das nicht nur für die Menschen in Afghanistan gefährlich, fatal war, sondern, wie wir jetzt erleben mussten, auch für unsere eigene Sicherheit.
Ich möchte das an dieser Stelle auch betonen, weil auf der einen Seite Syrien weit weg erscheint und auf der anderen Seite in den letzten Jahren sehr, sehr viele Menschen zu uns gekommen sind.
Wichtig ist mir auch, zu sagen: Seit Jahrzehnten leben in unserem Land Menschen - das gilt auch für Kolleginnen und Kollegen, die unter uns sind -, deren Familien, deren Freunde Opfer dieses Assad-Regimes geworden sind. Auch deswegen ist der Sturz dieses Regimes eine wichtige und gute Nachricht für die Menschen hier in Deutschland.
Genau deswegen haben wir in den letzten Jahren, gerade in den Momenten, wo man sich gefragt hat: „Wie kann das eigentlich weitergehen?“, so eng mit diesen Akteurinnen und Akteuren zusammengearbeitet. International, aber eben auch national, hinter den Kulissen, mit der syrischen Exilopposition, mit der syrischen Diaspora, mit den vielen internationalen Kontakten, die immer wieder deutlich gemacht haben: Es wird auch wieder einen Moment der Hoffnung geben.
Genau auf diesen Moment der Hoffnung, von dem wir nicht wissen, ob er trügerisch ist oder ob er tragfähig ist, wollen wir jetzt aufbauen: gemeinsam als Bundesregierung in den unterschiedlichen Ressorts, gemeinsam mit unseren internationalen Partnern.
Deswegen war gestern eine Delegation des Auswärtigen Amts zusammen mit dem BMZ in Damaskus vor Ort, um sich selbst ein Bild über die Lage nach 14 Jahren des brutalen Bürgerkriegs zu machen, um ein Gefühl dafür zu bekommen, was es braucht, damit die Menschen nicht nur ein paar Wochen und Monate lang aufatmen können, sondern damit aus dieser Hoffnung endlich tragfähige Freiheit wird.
Denn nur zu oft - deswegen möchte ich das hier so betonen - haben wir erlebt, dass diese Hoffnung auch zerplatzt ist, weil Akteure von außen in Aktionismus verfallen sind. Es ist jedoch klar: Es braucht jetzt einen Prozess, der nicht von Staaten, also von außen, getrieben ist, sondern von den Syrerinnen und Syrern, also von innen.
Ich habe dazu, abgestimmt mit unseren engsten Partnern, letzte Woche einen Acht-Punkte-Plan vorgelegt. Es ist ein Plan mit Angeboten und Erwartungen, angefangen beim Aufbau von staatlichen Institutionen über die Vernichtung von Chemiewaffen bis hin zu humanitären Fragen, zum Wiederaufbau und auch zur Möglichkeit zur Rückkehr.
Jetzt ist es essenziell, dass wir gemeinsam international ausloten, und zwar mit den unterschiedlichen Akteuren, wie das zum Tragen kommen kann.
Dabei möchte ich einmal deutlich sagen: So erleichtert wir sind, dass es mit diesen Folterknästen endlich vorbei ist, dürfen wir nicht vergessen, dass dieser Bürgerkrieg eben unterschiedliche Konfliktherde hatte.
Wir dürfen auf der einen Seite nicht vergessen, was IS-Terroristen gerade auch in Syrien angerichtet haben: gegenüber Minderheiten, gerade gegenüber Jesidinnen und Jesiden, gerade auch gegenüber Frauen, die versklavt worden sind.
Wir dürfen auf der anderen Seite wiederum nicht vergessen, dass wir in einigen Gebieten gerade auch mit der Entwicklungshilfe, der humanitären Hilfe aktiv sein konnten, in der Hauptstadt Damaskus wiederum aber nicht.
Das war einer der Eindrücke, den die Kolleginnen und Kollegen mitgebracht haben: wie unglaublich die Zerstörung gerade auch in Damaskus ist, wo viele Menschen seit Jahren unterernährt sind.
Deswegen haben wir jetzt kurzfristig weitere 8 Millionen Euro für humanitäre Hilfe zur Verfügung gestellt. Denn klar ist: Wiederaufbau kann nur funktionieren, wenn die Menschen mit dem Nötigsten versorgt sind.
Wiederaufbau und ein politischer Pfad kann auch nur funktionieren, wenn auf Gerechtigkeit aufgebaut wird. Deutschland hat schon in vielen Regionen in dieser Welt daher im Bereich der Accountability immer wieder unterstützt. Auch diese Unterstützung bieten wir jetzt an, und das gilt auch mit Blick auf den Staatsaufbau.
Denn klar ist: Wenn es einen friedlichen Machtübergang in Syrien geben soll - und da sind wir uns gerade auch mit den Partnern aus der Region einig -, dann müssen die Rechte aller ethnischen und religiösen Gemeinschaften im Land berücksichtigt werden.
Dieser syrische Dialogprozess darf weder von innen noch von außen torpediert werden.
Und klar ist auch: Das Völkerrecht gilt dabei für alle.
Man kann das in diesen Tagen gar nicht oft genug sagen.
Das heißt, es gilt auch für die Nachbarn Syriens, die Sicherheitsinteressen geltend machen; denn wenn wir Frieden in der Region wollen, darf die territoriale Integrität Syriens nicht infrage gestellt werden.
Um es einmal klar zu sagen: Eine auf Dauer angelegte Besatzung auf dem Golan verstößt gegen das Völkerrecht. Sie dient nicht dem Ziel einer dauerhaften Stabilisierung der Region, die wir alle brauchen und die vor allen Dingen die Region so dringend braucht.
Ähnlich habe ich bereits deutlich gemacht und werde das in diesen Tagen weiter tun, dass in den Gebieten der Kurden derzeit zehntausende Menschen aus Angst vor weiteren Angriffen auf der Flucht sind. Orte wie Kobanê sind ein Symbol für den mutigen Kampf der Kurdinnen und Kurden gegen die Terrorherrschaft des IS.
Wir als Bundesrepublik Deutschland sind Teil der Anti-IS-Koalition; der Verteidigungsminister war gerade noch mal im Irak. Deswegen ist die Einbeziehung aller Gruppen auch in unserem eigenen, in unserem nationalen Sicherheitsinteresse. Ich werde das bei meinem Besuch in der Türkei am Freitag auch noch einmal sehr, sehr deutlich machen; denn wir müssen gemeinsam mit den unterschiedlichen Partnern hier an einem Strang ziehen. Wenn wir in unterschiedliche Richtungen gehen, dann kann ein Weg zum Frieden kaum beschritten werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind jetzt alle mit einem Fuß schon in der Weihnachtspause, aber vielleicht auch schon im Wahlkampf. Die Welt wird uns allerdings nicht den Gefallen tun, jetzt erst mal zwei Monate Wahlkampfpause zu machen.
Deswegen sage ich umso mehr nicht nur Dank, sondern äußere auch die Einladung, gerade in den nächsten zwei Monaten gemeinsam dafür einzustehen, dass wir in dieser krisenbehafteten Welt Freiheit, Frieden und Sicherheit hochhalten, und dies nicht nur im Nahen Osten, sondern in den unterschiedlichsten Konfliktregionen.
Herzlichen Dank und allen frohen Weihnachten!