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Rede von Außenministerin Annalena Baerbock in der Debatte des Bundestages über den Etat des Auswärtigen Amts für 2023
„Wir brauchen Partner, auf die wir uns verlassen können.“
- Das ist der eindringlichste Satz, den ich als Außenministerin im letzten Jahr immer wieder gehört habe, egal an welchen Ort ich gereist bin, nicht nur in der Ukraine, nicht nur im Baltikum, sondern auch in Asien, in Afrika, im Nahen Osten und erst recht auf dieser Klimakonferenz.
Für viele Partner außerhalb Europas steht Russlands brutaler Angriffskrieg mit Blick auf ihre Sicherheit eben nicht an erster Stelle, sondern ihre Sicherheitslage ist zentral durch die Klimakrise, durch Dürren, durch Fluten, durch Vertreibung aufgrund des Klimawandels gezeichnet. Die Wahrheit, die wir in diesem alles andere als einfachen, ich würde sagen, größtenteils furchtbaren Jahr erleben mussten, ist, dass Russlands Angriffskrieg bestehende Wunden noch weiter aufgerissen hat, insbesondere mit Blick auf die weltweite Ernährungskrise. Deshalb stellen wir noch in diesem Haushalt, noch im Haushalt 2022, eine Milliarde Euro zusätzlich zur Linderung der globalen Nahrungsmittelkrise bereit.
Ja, ich weiß, dass der Bedarf deutlich größer ist. Er liegt laut World Food Programme bei 44 Milliarden Euro.
Aber ich möchte an dieser Stelle auch einmal sagen: Deutschland hat innerhalb der letzten zehn Jahre - und das umfasst alle demokratischen Parteien hier im Deutschen Bundestag - seine Mittel für humanitäre Hilfe mehr als verzwanzigfacht. 2023 werden es - das haben einige Vorredner bereits erwähnt - 2,7 Milliarden Euro sein. Dafür möchte ich Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem Haushaltsausschuss, aber auch allen anderen, die in den letzten Jahren und in diesem Jahr daran mitgewirkt haben, wirklich von Herzen danken, weil das schafft das Vertrauen, das Deutschland weiterhin in der Welt genießt.
Frau Papenbrock und andere haben es angesprochen: Verlässlichkeit brauchen wir nicht nur bei humanitärer Hilfe, sondern auch bei Stipendien, bei Bildungs- und Kulturarbeit. Ich höre aus unterschiedlichen Ecken immer mal wieder: Deutschland ist die viertstärkste Volkswirtschaft, warum müssen wir eigentlich zweitstärkster globaler Geber sein? - Das müssen wir nicht sein. Wir können das natürlich auch ganz anders machen.
Aber ich glaube, dieses Jahr hat deutlich gezeigt - das sollten Sie von Rechtsaußen sich auch überlegen -: Wir werden unseren Frieden, unsere Freiheit, unsere Sicherheit in Europa niemals alleine verteidigen können, niemals alleine mit Waffen, niemals alleine mit Diplomatie, sondern auch wir brauchen die internationale Gemeinschaft.
Deswegen bin ich stolz darauf, dass unser Land weltweit zweitgrößter Geber ist.
Wir werden daher unsere weltweite Zusammenarbeit weiter ausbauen. Das gilt insbesondere auch für das Engagement im Sahel. Wir haben gestern gemeinsam mit Ministerkolleginnen und -kollegen entschieden, dass wir unser Engagement im Sahel, in dieser so krisengebeutelten Region, neu aufstellen werden, gemeinsam mit unseren internationalen Partnern. Wir wollen in diesem Zusammenhang dem Deutschen Bundestag vorschlagen - das Mandat steht bekanntermaßen im Mai an; so können wir das auch gemeinsam mit Ihnen intensiv diskutieren -, nach zehn Jahren im Rahmen einer neuaufgestellten Sahel-Strategie auch unser Engagement aus der MINUSMA-Mission strukturiert zurückzuziehen.
Sie, Frau Dağdelen, haben gerade gesagt, das sei der längste Rückzug, den Sie kennen. Ja, weil wir verlässliche Partner sind, weil es das Gegenteil von einer vertrauensvollen Außenpolitik wäre, sich Hals über Kopf zurückzuziehen.
Wir sagen nicht einfach: Wir haben es uns anders überlegt, obwohl wir Ländern wie Bangladesch oder anderen afrikanischen Staaten, die bei MINUSMA engagiert sind - Sie waren ja selber vor Ort, Frau Dağdelen -, versprochen haben, noch ein Jahr lang Transporthubschrauber zu stellen.
Aber bei uns in Deutschland wird es gerade ein bisschen schwierig. Deswegen ziehen wir uns jetzt Hals über Kopf zurück. - Nein, das wäre das Gegenteil von verantwortungsvoller und vor allen Dingen vertrauensvoller Außenpolitik.
Weil es bei dieser Mission um Friedenssicherung, um Schritte zur Demokratie geht, ist unser Vorschlag, dass wir insbesondere die Wahlen, die wir immer wieder eingefordert haben und die hoffentlich, so wurde es versprochen, im nächsten Jahr und im Frühjahr 2024 anstehen, noch mit begleiten. Zugleich machen wir deutlich, auch in den Vorbereitungen der Nationalen Sicherheitsstrategie: UN-Friedensmissionen bleiben zentraler Bestandteil unserer Außen-, Entwicklungs- und Sicherheitspolitik.
UN-Friedensmissionen dienen auch unserer eigenen Sicherheit hier bei uns.
Das Leben ist komplex. Wenn es nur schwarz oder weiß wäre, wenn alles einfach wäre, dann bräuchten wir hier so intensive Debatten gar nicht zu führen. Natürlich bedeutet Sicherheit in der Sahelzone genauso wie bei uns eine absolut vernetzte Sicherheit. Wenn wir über Unterstützung durch die Bundeswehr reden, müssen wir auch immer über Bildungspolitik reden.
Wir müssen über Klimapolitik reden. Wir erleben auf dramatische Art und Weise, warum uns Länder wie zum Beispiel Niger - eines der ärmsten Länder der Welt und trotzdem mit aller Kraft dabei, demokratisch zu bleiben -, warum uns Länder wie Ghana oder auch Kenia auf dem G-7-Außenministertreffen gebeten haben, warum sie sogar darauf gedrungen haben, dass wir vor Ort bleiben.
Diese wissen nämlich, dass die terroristischen Strömungen nur darauf bauen, dass es in der Bildungsarbeit und der Klimaarbeit nicht weiter vorangeht, weil sie dann rekrutieren können.
Deswegen ist es so für uns so wichtig, dass wir diesen vernetzten Ansatz zusammendenken, auch wenn es bei uns schwierig ist, auch wenn bei uns die Inflationsquote gerade weiter nach oben geht.
Weil die Welt nun mal vernetzt ist - zum Glück leben wir nicht in einer abgeschotteten Welt -, haben wir insbesondere gemeinsam mit der Entwicklungsministerin, aber auch der Umweltministerin, dem Landwirtschaftsminister und dem Wirtschaftsminister - wir sind nämlich bei der Klimaaußenpolitik breit aufgestellt - auf dieser Klimakonferenz dafür gekämpft, dass wir endlich unsere CO2-Emissionen mindern und zugleich ein neues Kapitel der Klimagerechtigkeit aufschlagen.
- Sie rufen jetzt rein: „Kein Mensch braucht Klimaaußenpolitik!“ - Doch! Denn ansonsten gefährden wir unsere eigene Sicherheit.
Wir haben natürlich auch erlebt, dass es auf der Klimakonferenz im Hintergrund die ganze Zeit um Geostrategie ging. Deswegen hat unsere China-Strategie ganz viel mit unserer Klimaaußenpolitik zu tun.
Wir haben nämlich auf dieser Konferenz erlebt, dass sich ein Land wie Sambia plötzlich dafür ausspricht, dass Industriestaaten nicht weiter ihre Emissionen senken sollten. Da fragt man sich: Wie kann denn das eigentlich sein?
Als sich dann der chinesische Vertreter gemeldet hat, hat er Sambia gedankt. Da fragt man sich: Was hat das jetzt mit China zu tun? Ja, die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung war gerade in Sambia und kann berichten, wer den Flughafen in Sambia finanziert hat: China.
Alles hängt in dieser komplizierten, komplexen Welt mit allem zusammen. Deswegen ist es so wichtig, dass wir Klimapolitik, dass wir humanitäre Hilfe, dass wir unsere China-Strategie zusammendenken und nicht das eine gegen das andere ausspielen.
Dazu gehört für mich auch, dass wir Diplomatie und militärisches Engagement nicht gegeneinander ausspielen. Es gibt Momente im Leben, da reicht es nicht, sich zu wünschen, dass dieser Krieg vorbeigeht. Vielmehr gibt es Momente im Leben, da muss man sich entscheiden, auf welcher Seite man steht: auf der Seite des Rechts oder auf der Seite des Unrechts, auf der Seite des Angreifers oder auf der Seite des Angegriffenen.
Wir haben uns hier zum Glück als demokratische Parteien am 24. Februar 2022 bzw. am Wochenende danach gemeinsam entschieden: Wir stehen auf der Seite der Ukraine, auf der Seite der Menschen in der Ukraine. Auch da kann ich sagen: Ich bin stolz, dass ich ein Land repräsentieren darf - das ist ein Privileg -, in dem die allergrößte Mehrheit sagt: „Das ist nicht einfach mit den Energiepreisen, und es ist wahnsinnig schwierig, wenn die Lebensmittelpreise auch noch steigen“, und zu Recht kritische Fragen an ihre Regierung stellt, aber zugleich eine 98-jährige Rentnerin genauso wie eine 9-jährige Schülerin sagt: Diesen Winter werden wir weiter an der Seite der Ukraine stehen, weil die Bombardierung nicht aufhört trotz Getreidedeal, trotz diplomatischer Verhandlungen über Saporischschja, sondern gezielt Infrastruktur angegriffen wird. Wir lassen nicht zu, dass die Strategie des Verhungerns und des Erfrierens von Russland Erfolg hat.
Herzlichen Dank, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen.