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Rede von Außenministerin Annalena Baerbock bei der Auftaktveranstaltung der Unterstützungsplattform für die Republik Moldau
In der Republik Moldau gibt es ein Sprichwort.
Man kann es, so habe ich mir sagen lassen, etwa so übersetzen: „Den Freund erkennt man in der Not.“
Und ich glaube, das ist auch der Grund, warum wir alle heute hier zusammengekommen sind und als Freunde zusammenstehen. Denn Freunde brauchen wirklich unsere Hilfe in der Not – nicht nur die Ukraine, sondern auch die Republik Moldau.
Ich heiße deshalb Ministerpräsidentin Gavrilita, Dich, liebe Natalia, und unseren Kollegen Außenminister Nicu Popescu sehr herzlich hier in Berlin willkommen.
Sie und Ihre Mitbürger haben in den vergangenen Wochen den Satz „Den Freund erkennt man in der Not“ in konkretes humanitäres Handeln umgesetzt.
Als ich im letzten Monat Chisinau und die ukrainisch-moldauische Grenze besuchte, war ich vor allem von der enormen Solidarität beeindruckt, die Ihre Bürger beweisen.
In den letzten Wochen sind ungefähr 400.000 Ukrainerinnen und Ukrainer in die Republik Moldau geflüchtet. Sie kamen in ein Land mit rund 2,6 Millionen Einwohnern – das ist in etwa die Einwohnerzahl von Städten wie Chicago, Toronto oder Rom.
Der Bürgermeister von Chisinau, Ion Ceban, hat mir gezeigt, dass die Bürger seiner Stadt ihre ukrainischen Freunde und Nachbarn ganz buchstäblich mit offenen Armen aufgenommen haben. Trotz der kalten Witterung haben Bedienstete und viele Freiwillige Notunterkünfte, Betten und Busse organisiert; sie haben den Menschen ihre Wohnungen, ihre Kinderzimmer, ihre Wohnzimmer geöffnet. Sie haben heißen Tee und Mahlzeiten ausgegeben – und sich so in der Not als Freunde erwiesen.
Was sie in den letzten Wochen geleistet haben, ist wirklich beeindruckend, und wir alle wissen das sehr zu schätzen. Meine Gespräche mit den Geflüchteten an der Grenze haben mir den Ernst der Lage sehr deutlich vor Augen geführt. Viele dieser Frauen und Kinder haben keine Verwandten in anderen Teilen Europas, die sie aufnehmen könnten.
Sie sind auf sich allein gestellt – oft mit Säuglingen, die besonderen Schutz brauchen, mit Kindern, die natürlich zur Schule oder in den Kindergarten gehen müssen.
Es ist völlig klar, dass kein Land der Welt, weder Deutschland, noch Frankreich, noch Rumänien – oder gar die Republik Moldau –, diese riesige Herausforderung allein schultern kann. Wir können hier nur als Freunde zusammenstehen.
In der Republik Moldau gibt es ja auch ein anderes kluges Sprichwort: „Ich habe vielleicht nicht 100 Rubel, aber ich habe 100 Freunde.“
Und das zeigt sich auch heute hier in Berlin. Wir haben erst vor ein paar Tagen mit der Organisation dieser Konferenz begonnen. Aber innerhalb von Minuten haben viele von Ihnen gesagt: „Ja, ich komme. Und zwar persönlich.“ 47 Delegationen können wir heute begrüßen, davon 39 hier in Berlin und die anderen digital zugeschaltet, viele mit Ministern und sogar Ministerpräsidenten, und viele internationale Organisationen. Ich freue mich, Sie alle hier in Berlin begrüßen zu können. Ein besonders herzliches Willkommen gilt meinen lieben Kollegen und Freunden Jean-Yves Le Drian und Bogdan Aurescu, die den Ko‑Vorsitz der heutigen Konferenz innehaben.
Die Unterstützungsplattform für die Republik Moldau ist eine Brücke der Solidarität zwischen Freunden – aber dies ist erst der Anfang. Denn dies ist keine Veranstaltung für nur einen Tag, sondern eine Brücke, die in die Zukunft führt.
Die Plattform und die heutige Konferenz haben eine zweifache Zielsetzung:
Erstens wollen wir die unmittelbare Unterstützung für die Republik Moldau mobilisieren, die unsere moldauischen Partner benötigen – in politischer, finanzieller und materieller Hinsicht.
Nicht, weil wir der Republik Moldau nur einen Gefallen tun wollen. Hier geht es auch um uns und unsere Sicherheit. Es geht um das europäische Friedensprojekt, für das wir Verantwortung tragen. Die heutige Konferenz, diese Brücke zwischen Freunden, umfasst mehr als die Republik Moldau. Sie ist eine Brücke für die Sicherheit von Menschen, für die Solidarität zwischen Menschen.
Dabei ist ein zentraler Aspekt die Solidarität bei der Umverteilung ukrainischer Flüchtlinge. Ich bin froh, dass wir schon viele Flüge organisieren konnten – von Chisinau nach Deutschland für 300 Menschen, und viele Partner haben weitere Flugzeuge bereitgestellt, die in Chisinau starten. Wir fordern andere Partner dazu auf, sich uns in dieser Bemühung anzuschließen.
Denn was wir jetzt brauchen, sind konkrete Zusagen, und wir machen sie hier und heute auf dieser gemeinsamen Plattform.
Wir haben darüber hinaus ein zweites Ziel: die Notwendigkeit, über die konkrete Notlage hinauszublicken und die längerfristigen Bedürfnisse der Republik Moldau, auch im Hinblick auf ihre Sicherheit, anzugehen.
Lassen Sie mich dies klar und deutlich sagen: Russlands Krieg ist nicht nur gegen das ukrainische Volk gerichtet. Er ist auch ein Angriff auf unsere regelbasierte internationale Ordnung und die Werte, die uns alle verbinden. Auch darum geht es bei dieser Konferenz. Es geht um Freiheit, Frieden und das Recht auf Selbstbestimmung.
Alle Völker haben ein Recht darauf, ihre Zukunft selbst zu bestimmen.
Niemand sollte seinem stärkeren Nachbarn ausgeliefert sein – und dies gilt auch für das ukrainische Volk und das der Republik Moldau.
Deshalb wollen wir unsere Zusammenarbeit mit der Republik Moldau über die unmittelbare Notsituation hinaus auf lange Sicht verstärken. Gemeinsam mit unseren moldauischen Partnern wollen wir erörtern, wie wir dazu beitragen können, die Abhängigkeit der Republik Moldau von Russland – in wirtschaftlicher, finanzieller und energiepolitischer Hinsicht – zu verringern und die Resilienz des Landes zu stärken.
Und ich bin nicht nur dankbar dafür, dass 47 Delegationen an dieser Konferenz teilnehmen, sondern auch dafür, dass viele Partner bereit waren, die Federführung für die verschiedenen thematischen Körbe zu übernehmen. Neben Frankreich, Rumänien und Deutschland werden also Kanada, die USA, Italien, das Vereinigte Königreich, Schweden und die Europäische Kommission den Vorsitz bei bestimmten Themen übernehmen.
Im Bereich Energie schauen wir auf die Abhängigkeit und wollen ermitteln, wie die Republik Moldau ihre erneuerbaren Energien diversifizieren und fördern kann, um mehr Energieeffizienz zu erzielen – insbesondere im Lichte steigender Preise.
Wir werden überlegen, wie wir die Bemühungen der Regierung bei der Korruptionsbekämpfung und der Stärkung der Rechtsstaatlichkeit unterstützen können. Wir wollen die Herausforderungen und Chancen im Hinblick auf die nächsten Schritte einer Justizreform ermitteln.
Drittens werden wir uns mit dem Grenzmanagement beschäftigen, denn dort ist die Situation, wie sich in den vergangenen Tagen erneut gezeigt hat, sehr angespannt. Wir wollen also mit dieser Konferenz auch das Grenzmanagement und Grenzkontrollen fördern.
Und wir wollen erörtern, wie die wirtschaftliche Resilienz der Republik Moldau gestärkt werden kann, damit die Regierung ihre geplanten Reformvorhaben auch verwirklichen kann. Deshalb – und als Auftakt der heutigen Konferenz – haben wir, hat Deutschland, ein ungebundenes Darlehen in Höhe von 50 Millionen Euro bereitgestellt, um den Finanzbedarf der moldauischen Regierung zu decken.
Wir haben ferner unsere humanitäre Hilfe für die gesamte Region um 370 Millionen Euro aufgestockt: dieser Betrag wird auch genutzt, um akute humanitäre Bedürfnisse in der Republik Moldau zu befriedigen.
Heute Nachmittag, und darum geht es ja bei dieser Konferenz, werden wir unsere Beiträge zu den anderen Bereichen der Unterstützung für die Republik Moldau erörtern.
Ich möchte den jeweils federführenden Staaten für ihre Bereitschaft danken, diese fünf Bereiche in enger Abstimmung mit der moldauischen Regierung zu bearbeiten. Und ich bin dankbar, dass wichtige internationale Organisationen und Finanzinstitutionen nicht nur mit am Tisch sitzen, sondern sich auch über die kommenden Monate mit engagieren werden.
Für mich steht fest, dass wir nur dann wirkungsvoll mit dieser Krise umgehen können, wenn wir gemeinsam als Freunde zusammenstehen, als Freunde, die zusammengehören, und zwar mit konkreten Maßnahmen, praktischer Solidarität und handfester finanzieller Unterstützung.
Ich danke Ihnen allen, dass Sie heute hier sind, und insbesondere der moldauischen Regierung, liebe Frau Ministerpräsidentin und Herr Außenminister, dass Sie mit einer so überzeugenden Delegation an dieser Konferenz teilnehmen.