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Rede von Außenministerin Annalena Baerbock an der Abdou Moumouni Universität, Niamey

13.04.2022 - Rede
Außenministerin Annalena Baerbock an der Abdou Moumouni Universität, Niamey
Außenministerin Annalena Baerbock an der Abdou Moumouni Universität, Niamey © Florian Gaertner

Ramadan Mubarak.

J’aurais aimé tenir ce discours en français.

Mais après mûre réflexion, j’ai décidé de le tenir en allemand, car c’est mieux pour moi ... et … c’est mieux pour vous.

Ich komme gerade aus Mali, mit einer Gruppe von deutschen Abgeordneten, deutschen Parlamentariern.

Wir haben dort viele sehr beeindruckende Menschen getroffen. Vor allen Dingen viele mutige Frauen. Gestern im Camp von MINUSMA war eine Agrarexpertin zu Gast, eine Künstlerin, eine Lehrerin. Und so unterschiedlich die Frauen waren, sie hatten alle die gleiche Botschaft: dass sie für ihr Land einstehen, dass sie für ihre Dörfer einstehen und vor allen Dingen für ihr Recht auf eine bessere Zukunft.

Zugleich eint sie die große Sorge um die Herausforderungen, vor denen diese Region steht. Eindrücklich haben die Frauen geschildert, was für ein Sturm aus Not und Krisen mit unglaublicher Kraft über die Menschen im Sahel, über Sie hier gerade, fegt.

Gewalt und Konflikte zwingen Menschen in die Flucht. Angst und Not begleitet tagtäglich.

Unsere Gesprächspartnerinnen haben uns erzählt, dass manche von ihren Freundinnen, von ihren Müttern, aber auch von ihren Töchtern sich gerade in einigen Regionen Malis gar nicht mehr auf die Straße trauen. Dass sie sich nicht mehr trauen, auf den Markt zu gehen, wo sie ja eigentlich so dringend ihre wenigen Früchte verkaufen müssten, weil sie Sorge haben vor terroristischen Angriffen, vor Vergewaltigung und Gewalt.

Aber die Gewalt ist nicht der einzige Grund, der die Menschen aus ihrer Heimat treibt.

Es sind auch die extremen Dürren. Ich habe grad ihren Außenminister am Flughafen getroffen, der meinte: „bisher hatten wir diese Dürren alle zehn Jahre, jetzt ist es jedes zweite Jahr.“

Es sind auch die unregelmäßigen Regenfälle, trockene Brunnen, schlimme Überflutungen und damit immer knapper werdendes fruchtbares Land - getrieben durch die Klimakrise. Es nimmt den Menschen im Sahel, es nimmt Ihnen, Ihren Familien, Ihren Freunden, den Raum zum Leben.

Und wir sehen auch, wie extremistische Gruppen die Not der Menschen ausnutzen und versuchen, sie für ihre barbarischen Zwecke zu rekrutieren.

Und zugleich erleben Sie hier wie auch in Europa, wie die Auswirkungen der Pandemie den Handel und den Zugang zu wichtigen Waren erschweren oder gar unmöglich gemacht haben. All das treibt die Preise für Lebensmittel in unglaubliche Höhen.

Wenn man auf einen Markt geht, muss man heute doppelt so viel für das Getreide bezahlen wie noch vor einem Jahr.

Mit diesen Preisen wächst auch die Not. Rund 38 Millionen Männer und Frauen und Kinder werden in den nächsten Monaten in Westafrika Hunger leiden müssen. Das sind dreimal so viel wie noch vor drei Jahren.

Konflikt, Klimakrise und Hunger. Das ist ein brutaler Sturm, ein gefährliches Gemisch, das sich über dem Sahel aufbaut.

Und in dieses Gemisch hinein bricht jetzt das, was uns dieser Tage in Europa so umtreibt : Russlands Angriffskrieg in der Ukraine.

Russlands Truppen zerstören Fabriken, Äcker und Felder, Straßen und Häfen und ermorden unschuldige Menschen.

Zudem sind Transportwege blockiert, so dass es zu schweren Lieferausfällen kommt. Gerade bei dem, was Sie hier in der Region so dringend brauchen: Getreide, Nahrungsöle, Dünger - all das, was die Lebensmittelpreise an vielen Orten der Welt noch weiter in die Höhe treibt. Gerade dort, wo Menschen jetzt schon Hunger leiden, wie im Jemen, wie in Somalia oder hier im Sahel.

Das ist eine Situation, der wir uns gemeinsam stellen müssen.

Denn Russlands Krieg wird auf grausame Weise ausgetragen auf den Straßen und in den Städten und Dörfern der Ukraine. Aber seine Spuren des Leids reichen bis tief hinein in den globalen Süden.

Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Antonio Guterres, hat vor einem Hurricane des Hungers gewarnt, wenn die Weltgemeinschaft jetzt nicht reagiert.

Und auch deswegen bin ich bei Ihnen zu Gast hier im Land, um genau das zu tun, damit wir uns diesem Hurricane gemeinsam als Weltgemeinschaft entgegenstellen.

Dabei sind mir drei Punkte wichtig.

Erstens möchte ich Ihnen deutlich sagen : Die Tatsache, dass in der Ukraine, in unserer unmittelbaren Nachbarschaft, in Europa ein furchtbarer Krieg tobt, darf und wird nicht dazu führen, dass wir uns von den anderen Krisen dieser Welt abwenden. Das Gegenteil ist für mich der Fall.

Denn es ist doch genau die Folge von Russlands Krieg, wenn nicht gar die Strategie, die Not in den ärmsten Ländern der Welt durch Lieferausfälle oder Lieferstopps von Nahrungsmitteln weiter anzuheizen.

Deswegen rufe ich unsere internationalen Partner dringend auf, die weltweite Ernährungskrise jetzt entschieden und gemeinsam anzugehen.

Es ist gut, dass der Generalsekretär der Vereinten Nationen eine globale Krisenreaktionsgruppe aufgestellt hat, die sich genau diesen Fragen, diesem Hurricane von Themen, besonders widmet: der Ernährung, der Energie und der Finanzierung.

Deutschland – das ist meine Botschaft an Sie, Deutschland wird sich hier aktiv einbringen. Denn klar ist : Wir brauchen eine internationale Antwort, weil wir eine internationale Verantwortung haben.

Wir haben daher mit den G7, wo Deutschland gerade den Vorsitz hat, also mit der Gruppe der stärksten Industrienationen weltweit, vereinbart, dass 430 Mio. € für die Ernährungssicherheit zur Verfügung gestellt werden, um die Folgen dieses Krieges in anderen Ländern der Welt abzufedern, vor allem in Afrika und im Nahen Osten.

Wir haben zusätzlich 100 Mio € bereitgestellt für akute Nahrungsmittelhilfe und für die Unterstützung von Binnenvertriebenen hier in der Region. Und wir werden das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen zusätzlich mit 15 Mio € unterstützen, für die Bekämpfung der Hungerkrise hier im Sahel, bei Ihnen hier in Niger.

Mein zweiter Punkt ist :

Wenn wir überhaupt eine Chance haben wollen, den Hunger hier im Sahel und in anderen Teilen Afrikas effektiv zu lindern, dann müssen wir die Klimakrise endlich in den Griff bekommen.

Klimakrise - das heißt hier im Sahel nicht das, was es noch für uns bedeutet, in Europa: nämlich die Klimakrise zu verstehen als abstrakte Prozentzahlen, als Gradmesser und Emissionsziele von 0,1 oder 0,5 %.

Klimakrise - hier im Sahel bedeutet das, dass Konflikt, Hunger und Flucht zusammenstoßen.

Klimakrise - das bedeutet hier bei Ihnen im Land und in Ihren Nachbarländern, dass eine Mutter nicht weiß, was sie ihren Kindern abends zu essen machen soll.

Klimakrise - das bedeutet bei Ihnen, dass ein Bauer seine Ernte schon wieder vertrocknen sieht.

Und es bedeutet, dass dieser Bauer, dass diese Bäuerinnen sich darum sorgen, dass ihr Sohn, weil sie nichts mehr anbauen können und damit keine Einnahmequelle mehr haben, sich extremistischen Schergen anschließt.

Wir haben für unsere neue deutsche Bundesregierung und auch im Rahmen unserer deutschen G7 Präsidentschaft das Thema Klimakrise und Sicherheit als einen Schwerpunkt gesetzt.

Viele können sich bei uns nicht vorstellen, was das eigentlich bedeutet. Auch deswegen sind wir hier, um insbesondere Europa zu zeigen, was es im Sahel bedeutet, wenn die Klimakrise sich immer weiter verschärft, nämlich, dass die Klimakrise zu einer entscheidenden Sicherheitsfrage wird.

Und zwar nicht nur hier in ihrer Region. Von den 20 am meisten vom Klimawandel betroffenen Staaten sind mehr als die Hälfte davon bereits ohnehin von bewaffneten Konflikten gekennzeichnet.

„Auch der Klimawandel ist eine Pandemie mit furchtbaren Auswirkungen.“

So hat es Ihr Außenminister im letzten Jahr vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen gesagt und unterstrichen, wie der Klimawandel Konflikte und humanitäre Krisen anheizt.

Herr Außenminister. Sie haben Recht. Wir hören Sie. Und wir werden gemeinsam handeln.

On est ensemble.

Das ist ein Ausdruck, den man hier im Niger bei Ihnen oft sagt und hört, von Freunden und von Partnern.

Und das sind wir : Freunde und Partner Ihres Landes.

Wir stehen zusammen, und zwar vor einer Herausforderung, die uns alle angeht. Der Klimawandel betrifft uns alle auf dieser Welt. Aber er betrifft uns nicht überall gleichermaßen.

Deswegen bin ich heute auch hier, um Ihnen zuzuhören. Weil ich wissen möchte, mit welchen Auswirkungen der Klimakrise Sie tagtäglich ihre Familien, Ihre Freunde konfrontiert sind.

Weil wir hören wollen, was Ihre Perspektiven sind, was Ihre Lösungsansätze sind. Und zwar ganz konkret.

Hier, im von Deutschland geförderten WASCAL-Programm, bringen Sie Expertise aus der ganzen Welt zusammen. Hier forschen so viele von Ihnen aus vielen unterschiedlichen Ländern, in denen man weiß, was Klimakrise konkret bedeutet.

Und wo man weiß, was die Antworten und was die Lösungen sein können: Neue saubere Energiequellen, grüner Wasserstoff.

Und es ist hervorragend, dass wir hier an der Abdou Moumouni Universität miteinander sprechen, denn ihr Namensgeber, Professor Abdou Moumouni, war ein Pionier im Feld der Solarenergie in Niger.

Das Gute bei der Solarenergie ist, dass die Sonne - anders als Exporteure von Öl und Gas -, keine Rechnung schickt.

Wenn man mit dem Flugzeug in Ihr Land hineinfliegt, dann sieht man die weiten Flächen.

Da ist die Dürre, da ist die Trockenheit. Aber da ist auch dieses unglaubliche Potential, was wir in unserem Land nicht haben - nämlich Platz. Bei uns kommt man von einer Straße zur nächsten, von einer Stadt zur nächsten und freut sich, wenn dazwischen noch ein paar Bäume stehen. Und die Flächen werden knapp. Deswegen bauen wir unsere Solaranlagen auf Dächer. Das wird aber nicht reichen, sondern wir brauchen große Solarparks. Vor allen Dingen in der Fläche, um Wasserstoff herzustellen.

Das, was wir als Industriestaaten 2015 auf der historischen Klimakonferenz in Paris beschlossen haben – nämlich die Bekämpfung der Klimakrise auch für eine Elektrifizierung Afrikas zu nutzen -, das müssen wir endlich umsetzen.

Denn der Ausbau erneuerbarer Energien ist gerade für diesen Kontinent eine der großen Entwicklungschancen.

In Glasgow, der letzten Klimakonferenz, wiederum, hat sich die Welt darauf verständigt, globale Emissionen um 45 % zu senken, bis 2030 um das Ziel, von 1,5 Grad überhaupt noch halten zu könne.

Es ist jetzt entscheidend, auf der nächsten Klimakonferenz in Ägypten, auf dem afrikanischen Kontinent, diese Weichenstellung vorzunehmen und aus Ambitionen endlich auch konkrete Aktionen zu machen.

Es stimmt mich optimistisch, heute hier vor Ihnen zu stehen, weil Sie - so wie die eindrucksvollen Frauen in Mali - deutlich machen, dass Sie den Mut haben, auch die Kraft, diese Veränderung, diese Herausforderung anzugehen.

Es sind junge Menschen wie Sie, die weltweit gemeinsam auf die Straße gehen und deutlich machen: Wir müssen jetzt handeln. Junge Menschen wie Sie, die hier an der Universität forschen und die Debatte antreiben.

Es ist die Verantwortung der Industriestaaten, auch das war unser Versprechen von Paris 2015, für diese Forschung, für diese Transformation endlich die finanziellen Mittel bereitzustellen.

Denn dass wir in dieser Klimakrise so tief drinstecken, das liegt an der industriellen Entwicklung von Industriestaaten. Davon sind wir reich geworden. Und jetzt ist es an uns, das zurückzugeben, weil die Auswirkungen dieser Klimakrise Sie hier treffen.

Und daher ist auch meine Botschaft heute hier - und das wird meine Botschaft als Außenministerin auf der nächsten Klimakonferenz sein -, dass wir alles dafür tun, endlich unser Versprechen der Klimafinanzierung von 100 Mrd. $ umzusetzen.

Das heißt auch, dass wir eine Anpassungsfinanzierung auf den Weg bringen, bei der wir unsere Ausgaben verdoppeln.

Denn Anpassung an den Klimawandel, das ist das, was Sie hier umtreibt. Es geht nicht mehr nur um Eindämmung, sondern es geht um Anpassung.

Das ist mein dritter Punkt.

Klimahandeln ist eine Frage von globaler Gerechtigkeit.

Denn wenn wir es ernst nehmen, dass die Klimakrise uns zwar alle betrifft, aber eben nicht alle gleichermaßen, dann müssen wir auch die Belange der besonders betroffenen Staaten besonders berücksichtigen.

Ja, es geht um die Mitigation, um die Eindämmung der Klimakrise. Das ist entscheidend, und das muss es auch bleiben. Aber gerade im Sahel sehen wir, wie wichtig ist, dass wir uns zugleich der Abmilderung von Klimarisiken widmen. Es geht um Anpassung. Sie als Studierende wissen, was dahinter steckt, weil genau das Ihr Forschungsfeld ist.

Und es geht um Resilienz. Und es geht leider auch darum, mit den Folgen der Klimakrise umzugehen, die wir heute schon nicht mehr verhindern können.

Dafür setzen wir uns ein.

Deswegen hilft Deutschland Bauern im Sahel dabei, ihre Ernte weniger anfällig für extreme Wetterereignisse zu machen.

Deswegen arbeiten wir mit Ländern wie Niger, aber auch Mali und Burkina Faso daran, dass Straßen, Brunnen und Pumpen gebaut werden, die Menschen einen schnelleren und vor allen Dingen sicheren Zugang zu Wasserversorgung ermöglichen.

Deswegen unterstützen wir Länder wie Ihr Land dabei, kostbare Wasserressourcen noch besser zu nutzen, indem wir beim Bau von Regenauffanganlagen helfen, oder Landwirte darin unterstützen, Erosionsschutzsysteme und Tröpfchenbewässerung im Ackerbau auf den Weg zu bringen.

Deswegen investieren wir in Sie und in die lokale Forschung, um zu eruieren, wie sich Bauern und Hirten am besten auf Dürreperioden vorbereiten können, die wir, so bitter ist die Wahrheit, nicht mehr zurückholen können.

Und deswegen setzen wir auf Warnmechanismen und Risikoanalyse, um Ereignisse besser vorhersagen zu können.

Wir werden im Rahmen unserer G7-Präsidentschaft eine Initiative zu Klima, Frieden und Stabilität starten, bei der die Nutzung solcher Instrumente noch besser abgestimmt wird und wir unsere Ressourcen gemeinsam einsetzen. Damit wir nicht als starke Industrieländer, die einen in einem Land dies fördern, die anderen im anderen Land das andere fördern, sondern unsere Kräfte bündeln, um gemeinsam etwa große Solarparks auf den Weg zu bringen, und gemeinsam dafür zu sorgen, dass wir Bauern in dieser Situation unterstützen.

Das ist auch ein Auftrag für die nächste Klimakonferenz. Wir haben dafür eine Klima-Sonderbeauftragte, Jennifer Morgan, die hier in der zweiten Reihe sitzt, als neue Bundesregierung installiert.

Sie ist auch die Ansprechpartnerin für Ihr Land, um bei Fragen von Energiepartnerschaft in Zukunft noch besser zusammenzuarbeiten.

Wir tun das nicht, weil wir denken, wir kümmern uns um andere, sondern wir tun das auch, weil wir wissen: wenn wir nicht gemeinsam auch in Ihrer Region handeln, dann wird es auch zu einer Sicherheitsfrage für uns, weil die Klimakrise eben nicht an Grenzen halt macht, sondern die Klimakrise die Krise der ganzen Welt ist.

Wenn wir unsere Investitionen im Klimaschutz stärken, dann stärken wir Investitionen in alle.

Es sind Investitionen in die Arbeit der mutigen Frauen in Gao, in Bamako, in Niamey oder Ouallam, die mit so viel Mut und so viel Kraft für eine bessere Zukunft kämpfen.

Es sind Investitionen in Sie, in Ihre Universität, aber vor allen Dingen in die junge Generation im Sahel, deren Zukunft noch vor ihnen liegt und die diese Energie in Zukunft brauchen.

Sie wissen dies ganz genau, weil Sie daran forschen, weil Sie Vorreiter sind an Ihrer Universität :

Wir haben eigentlich all die Werkzeuge in der Hand, die wir brauchen, um als Welt diesen Hurricane der Krisen zu lösen.

Wir müssen es jetzt gemeinsam tun. Entschlossen und miteinander.

On est ensemble.

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