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Rede von Außenministerin Annalena Baerbock anlässlich der Übergabe der Benin-Bronzen
„Die Kunst lebt in der Geschichte und die Geschichte lebt in der Kunst.“
So hat es die nigerianische Autorin Chimamanda Ngozi Adichie formuliert. Sie beschreibt, wie Artefakte wie jene, die wir heute hier sehen, nicht bloße Objekte sind. Sie erzählen Geschichten. Und wir sehen das genauso.
Kunst sagt etwas darüber aus, wer wir sind. Kunst prägt unsere Wahrnehmung von uns selbst und unsere Wahrnehmung von der Welt. Über die Kunst sehen wir unsere Vergangenheit und erfahren etwas über den Weg, den wir als Menschen – aber auch als eine Nation, als ein Volk – zurückgelegt haben.
Daher geben wir Ihnen, dem nigerianischen Volk, heute nicht bloße Objekte zurück. Von Ihnen haben wir gelernt: Was wir zurückgeben, ist ein Teil Ihrer Geschichte, ein Teil dessen, wer Sie sind.
Ich glaube, als Deutsche und Europäer sollten wir einen Moment innehalten und darüber nachdenken, was das eigentlich bedeutet.
Was es bedeutet, einen wesentlichen Teil seiner Geschichte nicht bei sich zu haben, weil er einem weggenommen wurde.
Was würde es für uns bedeuten, wenn wir auf unser kulturelles Erbe verzichten müssten? Nicht die Gutenberg-Bibel in Mainz bestaunen könnten? Nicht Luthers Schriften bewundern? Oder nicht vor einer Skulptur von Käthe Kollwitz in Berlin oder vor Goethes Schreibtisch in Weimar stehen könnten?
Das löst ein Gefühl des Verlusts aus, das ich mir schwer vorstellen kann. Für Sie hier in Nigeria war dieser Verlust aber Ihre Realität.
Heute sind wir hier, um die Benin-Bronzen denen zurückzugeben, denen sie gehören, dem nigerianischen Volk. Wir sind hier, um ein Unrecht wiedergutzumachen.
Amtsträger aus meinem Land kauften einst die Bronzen, obwohl sie wussten, dass sie geraubt und gestohlen worden waren. Danach haben wir Nigerias Bitte um Rückgabe sehr lange Zeit ignoriert.
Es war falsch, sie mitzunehmen. Aber es war auch falsch, sie zu behalten.
Dies ist eine Geschichte des europäischen Kolonialismus. Es ist eine Geschichte, in der unser Land eine dunkle Rolle gespielt und in verschiedenen Teilen Afrikas enormes Leid verursacht hat.
Die Rückgabe der Bronzen heute ist ein entscheidender Schritt in Richtung dahin, wie wir mir mit diesem Kapitel umgehen sollten: offen, aufrichtig, mit der Bereitschaft, die eigenen Handlungen kritisch zu bewerten.
Und entscheidend dabei ist, dass wir aufmerksam den Anliegen derjenigen zuhören, die die Opfer kolonialer Grausamkeiten waren.
Diese Bereitschaft miteinander zu sprechen und zuzuhören war es, die die heutigen Rückgaben möglich gemacht hat.
Und ich bin dafür allen Beteiligten sehr dankbar. Mein besonderer Dank gilt den Museumsdirektorinnen und -direktoren sowie den Fachleuten auf beiden Seiten.
Herr Minister, Sie haben es gerade sehr klar gesagt: Das ist heute hier kein Moment für Ministerinnen und Minister, für Politikerinnen und Politiker. Viele Menschen haben für diesen Moment jahrelang gearbeitet. Das ist jetzt Ihr Applaus – für Sie, die in der zweiten und dritten Reihe sitzen.
Ich möchte der nigerianischen Nationalen Kommission für Museen und Denkmäler danken.
Und ich bin froh, dass mich Direktorinnen und Direktoren großer deutscher Museen nach Abuja begleitet haben. Prof. Barbara Plankensteiner, Prof. Hermann Parzinger, Léontine Meijer-van Mensch, Nanette Snoep und Prof. Inés de Castro, Ihre Museen sind in Stuttgart, Leipzig, Berlin, Hamburg und Köln. Von Anfang an haben Sie diesen Prozess unterstützt.
Das ist ein emotionaler Moment. Denn in diesem Prozess wurden Freundschaften geschlossen. Mit dem Blick auf die Vergangenheit wurde Zukunft gebaut.
Es war eine vorherige Bundesregierung, die diesen wichtigen Prozess angestoßen hat. In unserer neuen Bundesregierung haben wir es zu einer Priorität gemacht, weiter auf diesem Weg voranzukommen.
Das ist die Stärke von Demokratien – von Zeit zu Zeit ändern sich Regierungen, aber man kann auch auf die gute Arbeit von Vorgängerregierungen aufbauen. Deswegen bin ich froh, dass ich hier heute von Parlamentarierinnen und Parlamentariern begleitet werde – sowohl der Regierungsparteien, als auch der Opposition.
Auch Deutschlands Bundesländer und Städte haben eine entscheidende Rolle gespielt. Sie haben die Eigentumsübertragung der Bronzen ermöglicht und wegweisenden Vereinbarungen mit Nigeria geschlossen. Vielen Dank, Frau Ministerin Olschowski aus Baden-Württemberg, dass Sie heute mit uns nach Abuja gekommen sind – und vielen Dank für die Rolle der Bundesländer in diesem Prozess.
Ich muss sagen: Die heutige Delegation ist eine der größten, mit der ich als Außenministerin je gereist bin. Dass wir hier alle zusammen sind, gemeinsam mit Kulturstaatsministerin Claudia Roth und Staatsministerin Katja Keul, zeigt, was für eine großartige Gemeinschaftsleistung das war!
Vor allem aber bin ich unseren nigerianischen Partnern dankbar. Ihre Regierung und das nigerianische Volk waren Wegbereiter: Indem Sie weltweit Kontakt zu Museen und Regierungen gesucht haben und über Jahre für Ihre Sache eingetreten sind – bis Sie endlich erreichten, dass Vereinbarungen über die Rückübertragung von Eigentum und die Rückgabe von Artefakten geschlossen wurden.
Was für uns in diesem Prozess besonders war, war das Vertrauen, das uns unsere nigerianischen Partnerinnen und Partner entgegengebracht haben, die unsere Werte und unseren Glauben an Respekt und offenen Dialog teilen. Wir können wirklich sagen, dass dieser Prozess unsere Partnerschaft noch stärker gemacht hat.
Darauf wollen wir aufbauen – auch, indem wir Sie darin unterstützen, den Bronzen den öffentlichen Rahmen zu geben, den Sie für angemessen halten.
Wenn die Kunst in der Geschichte lebt und die Geschichte in der Kunst – wie es Chimamanda Adichie sagt –, dann, so glaube ich, ist es wichtig, dass Frauen, Männer und insbesondere Kinder in die Lage versetzt werden, Kunst wirklich zu erleben, damit sie ihre und unsere gemeinsame Geschichte verstehen können.
In Deutschland können wir noch besser darin werden, Kunst inklusiver zu machen, damit wir sie alle genießen können – unabhängig davon, wer wir sind, wo wir leben oder wieviel Geld wir haben. Kunst sollte allen in unseren Gesellschaften zugänglich sein.
Daher freuen wir uns, den Bau eines Kunstpavillons im Edo-Staatsmuseum zu finanzieren und Sie einzuladen, die Bronzen dort auszustellen. Außerdem haben wir vereinbart, dass einige Bronzen auf globale Wanderausstellungen gehen und einige von ihnen als Leihgaben in deutschen Museen bleiben – damit sie dort Ihre Geschichten und Ihre Geschichte erzählen.
Entscheidend ist eins: Sie wissen, wo die Bronzen sind. Sie wissen, dass sie Nigeria gehören. Und Sie wissen, dass sie nach Hause kommen können.
Das wissenschaftliche Projekt „Digital Benin“ ist ein fantastisches und universelles Instrument zu diesem Zweck. Es ist eine digitale Plattform, die eine Vielzahl an Informationen über mehr als 5.000 Artefakte, ihren Verbleib und ihre Geschichte enthält. Ich lade Sie alle ein, diese Schatzkammer zu erforschen.
Es gibt ein Artefakt auf der Website, das ich besonders faszinierend finde. Es handelt sich um ein sehr kleines Objekt: einen Schlüssel, den wir heute mitgebracht haben. Es ist ein einzigartiges Stück, wunderschön mit Leoparden und menschlichen Gesichtern verziert. Sein Schöpfer muss ein großer Künstler gewesen sein.
Wir sind nicht ganz sicher, wofür der Schlüssel verwendet wurde. Vielleicht, um einen Schrein, eine Palasttüre oder auch eine Schatztruhe zu öffnen. Aber wir wissen, dass er, nachdem er aus Benin geraubt worden war, ins Vereinigte Königreich gebracht wurde. Dort wurde er verkauft und wanderte dann über Irland und Frankreich nach Köln.
Heute ist der Schlüssel zurück. Er ist wieder da, wo er hingehört.
Es bewegt mich zu sehen, mit welcher Liebe Sie diesen Schlüssel und die anderen Bronzen heute hier in Abuja aufgenommen haben.
Dieser Schlüssel ist ein Symbol. Er kann uns helfen, ein neues Kapitel in der Freundschaft zwischen unseren beiden Völkern aufzuschließen.
Dafür sind wir heute hier – um die Tür in die Zukunft unserer Freundschaft weit zu öffnen.
Vielen Dank!