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Koloniales Unrecht anerkennen, Vertrauen stärken – Namensbeitrag von Außenministerin Baerbock zum 140. Jahrestag der Berliner Afrika-Konferenz in der Frankfurter Rundschau
„Die Welt hat vielleicht niemals einen Raubzug solchen Ausmaßes gesehen“. So fasste ein Journalist im westafrikanischen Lagos vor fast 140 Jahren die Ergebnisse der sogenannten Kongo-Konferenz zusammen, die am 15. November 1884 in Berlin begann. Dort vereinbarten die Kolonialmächte miteinander Regeln, um Afrika unter sich aufzuteilen und zu beherrschen. Auf Einladung des damaligen deutschen Reichskanzlers, organisiert vom damaligen Auswärtigen Amt. Und: ohne einen einzigen Vertreter der betroffenen Länder und Gesellschaften am Tisch.
Die deutsche Kolonialpolitik war geprägt von Unrecht, Gewalt und Rassismus. Sie führte zu den Vernichtungskriegen im ehemaligen Deutsch-Südwestafrika, zum Völkermord an den Herero und Nama, für den unser Land historische Verantwortung trägt.
Diese Vergangenheit können wir nicht ungeschehen machen. Doch wir können gemeinsam an einer besseren Zukunft arbeiten. Dafür ist es entscheidend, Unrecht zu benennen und anzuerkennen.
In diesem Sinne hat der deutsche Bundespräsident im November 2023 in Tansania um Verzeihung gebeten für die Grausamkeiten bei der Niederschlagung des Maji-Maji Aufstands in der ehemaligen Kolonie Deutsch-Ostafrika.
In diesem Verständnis sprechen wir mit Namibia, Tansania und anderen Nachfolgestaaten der ehemaligen Kolonien, wie wir unserer historischen Verantwortung gerecht werden können.
Unrecht anzuerkennen und zu handeln.
Darum geht es auch bei der Rückgabe von Kulturgütern, die wir in dieser Bundesregierung endlich angehen wie die Rückgabe von Benin-Bronzen nach Nigeria.
Darum geht es beim würdevollen Umgang mit den weit über 16.000 menschlichen Gebeinen in öffentlichen Sammlungen, die in der Kolonialzeit nach Deutschland gebracht wurden. Ihre Repatriierung ist für uns eine ganz besondere Verpflichtung.
Sich der Aufarbeitung unserer kolonialen Vergangenheit zu stellen ist mehr als Rückgabe. Es bedeutet, sich einem Prozess zu stellen, der auch unbequem ist. Hinzuhören. Sich den Vorwürfen und dem kolonialen Schmerz zu stellen. Sich bewusst zu machen, warum diese von uns verantworteten Wunden immer wieder aufreißen und wie sie heute noch die internationalen Beziehungen prägen. Weil Vertrauen in die gemeinsame Zukunft nur wachsen kann, wenn es in gegenseitigem Verständnis gebaut ist. Der Bereitschaft, sich immer wieder in die Schuhe der anderen zu stellen.
Als wir vor zweieinhalb Jahren weltweit um Unterstützung gebeten haben, um Russlands Angriffskrieg in der Ukraine entgegenzutreten, war die Gegenfrage mancher:
„Wo wart ihr eigentlich, als wir euch brauchten? Als wir gegen den Kolonialismus, gegen die Apartheid in Südafrika gekämpft haben? Und wo seid ihr jetzt? Wenn unsere Inseln untergehen, unsere Felder vertrocknen, wegen des Öls und der Kohle, die ihr verfeuert habt, die euch reich gemacht haben?“
Aufarbeitung heißt nicht nur, um Verzeihung zu bitten, sondern es in Zukunft besser, gerechter zu machen.
Auch deshalb setzen wir uns dafür ein, dass wir als Industrieländer Verantwortung übernehmen, für den Ausgleich von Klimaschäden, die vor allem die ärmsten Länder hart treffen.
Deshalb unterstützen wir die Forderung afrikanischer Staaten, endlich international angemessen repräsentiert zu sein – sei es in den G20, in den internationalen Finanzinstitutionen oder im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen.
Denn unsere gemeinsamen Institutionen tragen am besten, wenn sie die Welt von heute abbilden. Gerade auch, weil autokratische Akteure versuchen, diese zu schwächen und dabei die Wunden instrumentalisieren, die auch Europas Kolonialismus in der Welt hinterlassen hat.
Weil die Wahrnehmung in vielen Ländern lautet: „Die Europäer haben ihren Kolonialismus nie aufgearbeitet.“ Dem müssen wir uns stellen.
Deswegen ist eine selbstkritische „Vergangenheitspolitik“ nicht nur Teil einer wertegeleiteten Außenpolitik, sondern auch unserer Sicherheitspolitik. Weil es uns nicht schwächer, sondern stärker macht hinzuhören - auf die Verletzungen der Vergangenheit, die bis heute fortwirken, aber genauso auf die Bedürfnisse unserer Partner heute.
Deswegen entwickeln wir die Afrikapolitischen Leitlinien der Bundesregierung weiter. Für eine differenzierte Politik, die auf gegenseitigem Respekt und Interessen beruht. Und für eine Zusammenarbeit bei globalen Herausforderungen.
Bei der Energiewende etwa, die Motor für wirtschaftliches Wachstum in Afrika sein kann. Oder bei Partnerschaften für soziale und umweltverträgliche Rohstoffgewinnung – auch zur Diversifizierung der deutschen Rohstoffimporte.
Heute, 140 Jahre nach der „Berliner Kongo-Konferenz“, ist das der Weg, vertrauensvolle Partnerschaften zu bauen. Um unsere Vergangenheit zu verstehen. Und an einer gemeinsamen Zukunft zu arbeiten.
https://www.fr.de/meinung/gastbeitraege/annalena-baerbock-afrika-kolonialzeit-kulturschaetze-gruene-gastbeitrag-93407516.html