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Rede von Außenministerin Annalena Baerbock bei der Verleihung des German Dream Awards
Als unser Grundgesetz 50 Jahre alt wurde, da sagte der damalige Bundespräsident Roman Herzog einen Satz, der mir zurzeit häufig durch den Kopf geht:
„Frei können wir nur gemeinsam sein.“
Ein Vierteljahrhundert ist das her, aber vielleicht ist er aktueller denn je. Heute, in einer Zeit, in der es manchmal schwer scheint, überhaupt über Gemeinsamkeit, über Zusammenhalt zu sprechen, wie wir das hier auch in den Eingangsworten schon gehört haben.
Am Ende eines Jahres, das mit Meldungen über Nazitreffen, da wo ich wohne, in Potsdam, begann.
Nach Rekordwahlergebnissen für eine rechtsextreme Partei bei drei Landtagswahlen im September.
Nach 14 Monaten brutalstem Krieg im Nahen Osten – und Debatten darüber bei uns in Deutschland, die scheinbar immer verbitterter und kompromissloser werden.
Und ja, am Ende einer Legislaturperiode, die vorzeitig endet, weil wir, die regierenden Parteien, in zentralen Fragen offensichtlich die Gemeinsamkeit nicht mehr gefunden haben.
Das Gegenteil von Gemeinsamkeit – Spaltung – erscheint manchmal wie das Geschäftsmodell unserer Zeit.
Politische Akteure im In- und Ausland wollen uns vermitteln, wir müssten uns auf eine Seite stellen: Zugewandert gegen Alteingesessen, Jung gegen Alt, Ost gegen West, muslimisch gegen jüdisch.
Sie machen schwarz-weiße „Entweder-Oder“-Entscheidungen auf, wo eigentlich gar keine sind: soziale Sicherheit oder äußere Sicherheit. Frieden oder Rente.
Ich bin dankbar, heute Abend hier sprechen zu dürfen, denn wie wir schon im Eingangsfilm gehört und gesehen haben: der German Dream wurde in der Überzeugung gegründet, dass dieses „Entweder-Oder“ genau die falsche Frage ist.
Dass es in diesem wunderbaren Land für den weitaus größten Teil unserer Gesellschaft eben nicht darauf ankommt, was uns trennt, sondern was uns zusammenbringt, was wir gemeinsam haben. Diejenigen, die spalten wollen, sind einfach nur fünfmal so laut. Was wir gemeinsam haben, nämlich unsere Werte, unser Grundgesetz, was wir gerade dieses Jahr gefeiert haben, unsere Freiheit, unsere Demokratie, die sind nicht vom Himmel gefallen. Sie sind nicht selbstverständlich, sondern kostbar. Und, wie wir in diesen Zeiten erleben, fragil.
Und daran erinnern uns heute in Deutschland gerade diejenigen, deren Familien nicht schon seit Generationen hier leben. Wir haben es eben auf so schöne Art und Weise gehört, von Khesrau. Was Deine, Eure, Sie, sehr geehrte Familie Behroz geleistet haben. Sie, die wie so viele Menschen hier in unserem Land wegen Verfolgung, wegen dem Mangel an Freiheit und Chancen einmal unfreiwillig hierhergekommen sind. Und es ist ein Geschenk, dass gerade Sie und nachfolgende Generationen uns immer wieder daran erinnern, wie dankbar wir eben dafür sein können. Und genau dafür steht der German Dream auch: für die Dankbarkeit, in Frieden und Freiheit zu leben, die eben nicht vom Himmel gefallen sind, sondern der kostbarste Schatz, den wir gemeinsam haben.
Der German Dream, er steht auch dafür, dass es Orte und Menschen braucht, die unsere Demokratie, unsere Freiheit beschützen, die sie mit Leben füllen. Und zwar jeden einzelnen Tag. Die trotz Anfeindungen, trotz der Polemik und dem Versuch, uns zu spalten, eben nicht in denselben Ton verfallen, sondern für ein positives Miteinander stehen. Und die Demokratie feiern. Gerade wenn man Dinge beschützen will, weil man weiß, wie kostbar sie sind, dann sollte man das Leben feiern. Und genau das wollen die Feinde der Demokratie uns allen als Demokratinnen und Demokraten ja nehmen: die Freude am Leben, die Freude an der Demokratie.
Wir dürfen uns gerade deswegen in diesen schwierigen Zeiten nicht selber den Blick dafür verstellen, was alles positiv ist, was wir gemeinsam als Demokratinnen und Demokraten in den letzten Jahren erreicht haben.
Wir haben, und ich glaube, jeder kann 20 Anekdoten darüber erzählen, eine Jahrhundert-Pandemie gemeinsam und in Solidarität füreinander überstanden.
Wir haben, als der russische Präsident unseren Frieden und unsere Freiheit in Europa angegriffen hat, als demokratische Parteien nicht nur jahrzehntelange politische Differenzen, die es in Europa immer gab, überwunden und gemerkt, dass sie doch eigentlich ganz klein sind, sondern als Gesellschaft einer Million Ukrainerinnen und Ukrainern, und vor allen Dingen den Kindern, ein Zuhause gegeben.
Und nach den Potsdamer Enthüllungen sind Hunderttausende auf die Straße gegangen. In ganz Deutschland, gerade auch an kleinen Orten im Osten. Für eine Gesellschaft, die weiß, dass sie ohne Menschen mit Zuwanderungsgeschichte schlicht und einfach einpacken kann.
Und auch in der Welt, so schwer es trotz dieser Kriege scheint, als Staatengemeinschaft, ist es uns zusammen gelungen, gemeinsam mit über 140 Staaten uns immer wieder für die Charta der Vereinten Nationen und gegen Russlands Angriffskrieg zu vereinen. Auch jetzt, bei der gerade zu Ende gegangenen Klimakonferenz, waren es über 160 Staaten, die deutlich gemacht haben: wir haben nur diese eine Erde, und wir können sie nur gemeinsam erhalten.
Was all das aber mit sich bringt, und das ist in der Außenpolitik genauso wie im Kleinen oder hier auch bei Euch beim German Dream: das ist kein Zufall, sondern das ist harte Arbeit. Auch wenn sie immer wieder Spaß machen darf.
Und wie schon Bundespräsident Herzog vor über einem Vierteljahrhundert wusste: „Ohne den Einsatz des Einzelnen für die Gemeinschaft ist auf die Dauer jedes Gemeinwesen überfordert“.
So kommt es jetzt auch auf jeden Einzelnen an. Denn unsere demokratische Gemeinschaft erschaffen nicht Politikerinnen, keine noch so geeinte Regierung oder die Parteien des Bundestages alleine. Sondern die Heldinnen und Helden einer demokratischen Gesellschaft. Stellvertretend für so viele Tausende ehren wir heute Abend einige von ihnen.
Was braucht eine demokratische Gesellschaft, damit jeder eine Chance hat? Damit sie zusammenhält.
Man muss nur in das heutige Abendprogramm schauen. Die Kategorien des German Dream machen es mehr als deutlich: es braucht Vorbilder. Vorbild zu sein, das klingt irgendwie toll und einfach. Aber ich glaube, gerade die Preisträgerinnen und Preisträger wissen, dass es manchmal auch gar nicht so einfach ist, dieses Label anzunehmen.
Aber Hillary Clinton hat häufig ein englisches Sprichwort zitiert, und das finde ich immer wieder wichtig, sich das in Erinnerung zu rufen: „if you can see it, you can be it“. Jeder, der die Chance hat, herauszutreten ins Scheinwerferlicht, ist immer auch eine Chance für andere. Dass sie wissen: auch sie könnten das eines Tages sein. Egal, ob man das dann Vorbild, First of His or Her Kind oder Role Model nennt. Es geht darum, dass man inspirieren kann, andere befähigen kann.
Und das möchte ich deutlich sagen: Vorbild sein, da kriegt man Preise, da kriegt man Applaus. Aber Vorbild im Alltag zu sein, das heißt eben auch, Mut zu haben. Gerade, wenn man keinen Personenschutz hat, der einen ständig begleitet. Es erfordert Mut, an den Orten unserer Republik gegen Neonazistrukturen aufzustehen, wo man manchmal nur ein paar Mitstreiterinnen hat, aber sonst ziemlich alleine auf dem Marktplatz steht. Sich immer wieder dem zu stellen, obwohl man weiß, die eigene Familie könnte davon gefährdet sein.
Und wir wissen, gerade in diesen Zeiten, dieser Hass richtet sich insbesondere gegen Frauen. Und auch ich möchte deswegen an dieser Stelle einmal herzlichen Dank sagen an euch als Tekkal-Schwestern, die hier für den German Dream auf der Bühne stehen, aber auch diejenigen, die im Hintergrund die Arbeit machen. An Tugba, weil die Scoring Girls ja so meine ganz persönliche große Leidenschaft bei den Tekkal-Schwestern sind. Danke für Euren Mut, für Euer Engagement. Mit dieser Initiative des German Dream stellt ihr Euch immer wieder dem Hass entgegen, und macht durch Eure „Sisterhood“ deutlich: unsere Stärke ist das Zusammensein. Und das macht Euch unbesiegbar.
So wie wir Vorbilder brauchen, brauchen wir auch, und das ist die zweite Kategorie des Abends, Brückenbauerinnen und Brückenbauer. Gerade in einer Zeit der Spaltung, des „Entweder-Oder“, in der es so einfach wäre, einfach nur in seiner eigenen Blase, in seinem Social Media Kreis oder in seiner Freundesgruppe zu verharren. Angesichts des Leids im Nahen Osten, wollen manche uns einreden, international wie auch hier bei uns, man müsse sich einfach nur entscheiden. Sie wollen uns einreden, man müsse sich entscheiden zwischen dem Leid einer palästinensischen Mutter, die um ihre Tochter trauert, oder dem Leid eines israelischen Vaters, dessen Sohn seit 14 Monaten im Gazastreifen verschleppt ist.
Aber wie es so treffend eine Geiselangehörige sagte: „in einem Wettkampf der Schmerzen gibt es keine Gewinner.“ Wenn die Mutter einer getöteten Geisel dies in ihrer dunkelsten Stunde sagen kann, dann muss auch uns das hier gemeinsam immer wieder gelingen. Wir müssen doch gerade als diejenigen, denen in diesem Moment nicht aus persönlichem Schmerz das Herz zerreißt, immer wieder genau diese Kraft des Miteinanders finden.
Wir kommen nur voran, wenn wir bereit sind, gerade im tiefsten Schmerz, uns in die Schuhe des anderen zu stellen, zuzuhören, das Leid des anderen zu sehen und uns zu vergegenwärtigen: Menschlichkeit - sie ist und bleibt unteilbar.
Und deswegen ist vielleicht diese Kategorie, auch wenn man nie eine herausstellen sollte, die ganz besondere und wichtige. Diese Kategorie und das, was die Wertebotschafterinnen und -botschafter, wie wir gerade gehört haben, jeden zweiten Tag an zwei Schulen machen, über 1000 Menschen, die gemeinsam in unsere Schulen gehen, dort für respektvollen Dialog eintreten, etwa zwischen jüdischen und muslimischen Schülerinnen und Schülern. Aber natürlich nicht nur zwischen denjenigen, weil dieser Hass, diese Spaltung eben in alle gesellschaftlichen Gruppen hineingetragen wird.
Und ja, gerade in unsere Schulen. Denn so gerne ich von unserem wunderbaren Land rede, bleibt Bildung doch die größte Baustelle in unserem Land. Wir sind eines der reichsten Länder auf dieser Welt, und trotzdem hängt es nach wie vor vom Elternhaus ab, was man für schulische Möglichkeiten hat. Und gerade, wenn zu Hause nicht Deutsch die Muttersprache ist, oder es keine Mittel gibt, die Kinder zu unterstützen, die Chancen noch mal geringer sind. Weil Bildung eben nicht immer die oberste Priorität hat.
Ich glaube, Sie als Wertebotschafter und diejenigen, die von uns auch als Politikerinnen und Politiker in Schulen gehen, erleben auch immer wieder diesen Reality Check, dass dort Fake News massiv im Umlauf sind. Lehrkräfte, die sagen: wir brauchen Unterstützung, wir brauchen Angebote, damit wir uns gemeinsam dem stellen können. Und dass wir dazu, wie gesagt, in einem der reichsten Länder nicht in der Lage sind, das erinnert uns daran, wie viele Baustellen wir hier noch haben. Wenn 12-jährige über den Holocaust reden wollen, aber leider gerade im Geschichtsunterricht die Römer dran sind. Weil wir noch immer ein System haben, wo wir ganz hinten in der Steinzeit beginnen und dank Schulausfalls manchmal überhaupt nicht zu den großen Themen kommen.
Dass Eure Bildungsarbeit, Eure Bildungsinitiative, genau da reingeht, das ist unbezahlbar. Der German Dream ergänzt das, was so viele Lehrkräfte sich eigentlich von der Politik wünschen, dass es in den Momenten, wo ein Diskussionsbedarf da ist, Brückenbauerinnen und Brückenbauer, gibt, die Botschafterinnen und Botschafter für Demokratie und Zusammenhalt sind. Und deswegen Danke, dass Ihr nicht nur diese Kategorie heute Abend und damit wunderbare Menschen, die genau das tun, ehrt. Sondern Danke auch an Euch alle, liebe Wertebotschafterinnen und -botschafter. Ihr seid das Rückgrat auch unserer Bildungsgesellschaft.
Und die dritte Kategorie des German Dreams ist „Germandreamer“. Was für ein schönes Wort. Und nein, ich habe meine Hoffnung und meinen Anspruch noch nicht aufgegeben, dass in diesem Wahlkampf Anstand das Gebot der Stunde wird. Und „Germandreamer“ so eine Art Überschrift für alle Wahlplakate in den nächsten drei Monaten. Denn was ist das für ein wunderschöner Anspruch an uns alle, dass wir unsere Träume davon nicht aufgeben, wie es gerade in schwierigen Zeiten auch wieder besser werden kann. Und das heißt ja ganz und gar nicht: naiv zu sein. Sondern es heißt, im besten Sinne an das Morgen zu denken. Das heißt Germandreamer.
Eigentlich sollte in unserem Land jeder ein Germandreamer sein. Nichtsdestotrotz haben wir hier heute Abend tolle Vorbilder. Die zum Beispiel zeigen, wie man mit dem wohl entwaffnendsten Instrument überhaupt gegen Alltagsrassismus und Diskriminierung in unserem Land anarbeiten kann – mit Humor und Comedy!
Es gibt nicht den einen Germandreamer, sondern es sind Millionen in unserem Land. Die nicht trotz, sondern wegen ihrer körperlichen Einschränkungen deutlich machen, dass das, was man schafft, immer auch zeigt, wie stark eine Gesellschaft ist. Wenn sie diese Vielfalt feiert und deutlich macht: unser German Dream ist bunt und nicht grau und eintönig.
Diese Millionen German Dreamer, diese Alltagsheldinnen und -helden, die brauchen wir alle. Sie zeigen, was Deutschland kann. Das sind die Leute, die morgens aufstehen, Bus fahren, auch wenn sie sich 50mal darüber beschweren könnten, dass eigentlich versprochen worden war, dass der Nahverkehr besser ausgebaut wird.
Das sind die Angehörigen, die ihre Eltern pflegen, noch neben dem Job und den Kindern.
Das sind die Menschen, die unsere Kinder unterrichten und unsere Infrastruktur am Laufen halten. Auch wenn wir da zig Baustellen haben. Das sind die Menschen, die nicht unterscheiden: hier geboren, nicht hier geboren. Mann oder Frau. Ob ich das oder jenes gut finde.
Sie machen einfach ihren Job, weil sie wissen: unsere Gemeinschaft ist nur im Miteinander stark. Sie zeigen, was uns wirklich zusammenhält. Nicht die German Angst, sondern unser German Dream. Gemeinsam in Freiheit.