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Eröffnungsrede von Außenminister Heiko Maas beim Berlin Dialogue on Business and Human Rights „Werte, Offenheit, Partnerschaften“
200 Jahre nach Einführung der ersten Arbeitsschutzbestimmungen in Europa bleiben für Hunderte Millionen von Menschen grundlegende Arbeitsstandards, ein gesundes Arbeitsumfeld und das Recht, sich gewerkschaftlich zu organisieren, außerhalb jeder Reichweite.
Und viel zu oft schaffen unsere globalen Wertschöpfungsketten einen „Wert“ nur in manchen Teilen der Welt, während sie in anderen das Elend vergrößern.
Viele von Ihnen, meine Damen und Herren, setzen sich dafür ein, dies zu ändern. Und zehn Jahre nach Annahme der VN‑Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte haben wir auch schon vieles erreicht:
Verbraucherinnen und Verbraucher überall auf der Welt legen größeren Wert auf Nachhaltigkeit.
In der Europäischen Union wird gegenwärtig über eine Richtlinie diskutiert, die eine zivilrechtliche Haftung für Menschenrechtsverstöße in Wertschöpfungsketten schaffen könnte.
Und wer hätte es noch vor zehn Jahren für möglich gehalten, dass wir uns in Deutschland auf ein ehrgeiziges Lieferkettengesetz verständigen würden, das hoffentlich noch in diesem Sommer verabschiedet werden kann?
Nun mögen manche sagen, das Glas sei halb voll.
Das Glas ist aber schlicht nicht voll genug, solange Männer, Frauen und Kinder überall auf der Welt auch weiterhin unter unmenschlichen Arbeitsbedingungen leiden.
Während die Pandemie uns einerseits vor Augen geführt hat, dass wir alle in einer Welt leben, so hat sie gleichzeitig ihre verheerendsten Auswirkungen auf die Ärmsten.
Fortschritte im Kampf gegen die Kinderarbeit sind zum Stillstand gekommen.
Die Verwerfungen auf den Arbeitsmärkten sind ohne Beispiel in der jüngeren Geschichte. Nach Angaben der Internationalen Arbeitsorganisation sind Arbeitsstunden in einem Umfang verlorengegangen, der 250 Millionen Vollzeitarbeitsplätzen entspricht.
Und Millionen von Menschen, die im informellen Sektor arbeiten, leben am Rande der Armut oder leiden Hunger.
Für sie bedeutet die verantwortungsvolle Gestaltung von Lieferketten einen Silberstreif am Horizont.
Meine Damen und Herren,
Menschenrechte zu schützen ist eine Pflicht, die alle Staaten haben. Sie trifft die Regierungen von Ländern, in denen Güter produziert, genauso wie diejenigen derjenigen, in denen sie konsumiert werden.
Drei Punkte sind in diesem Zusammenhang besonders wichtig.
Erstens: Menschenrechte, Sozial- und Umweltstandards müssen in allen unseren internationalen Handelsbeziehungen und Handelsverträgen Beachtung finden. Ja, wir wollen offene Märkte. Aber unsere Märkte dürfen nicht länger Produkten und Unternehmen offenstehen, die mit Zwangs- oder Kinderarbeit im Zusammenhang stehen oder auf Praktiken setzen, die Menschenrechte verletzen.
Zweitens: Ein besserer Wiederaufbau („building back better“) nach der Pandemie wird nicht funktionieren ohne den Schutz von Menschenrechten auf der ganzen Länge globalen Lieferketten.
Viele unserer Unternehmen wissen das. Sie wollen sicherstellen, dass das Gütesiegel „Made in Germany“ auch für Produkte „Made with Germany“ gilt.
Unser neues Gesetz über menschenrechtliche Sorgfaltspflichten in Lieferketten wird dafür einen Anreiz bieten.
Auf europäischer Ebene haben wir kürzlich einen Sanktionsmechanismus eingeführt, der es uns ermöglicht, diejenigen klar zu benennen, die systematisch Menschenrechte verletzen. Er schafft auch eindeutige Regeln für Fälle, in denen Unternehmen Geschäftsbeziehungen mit gelisteten Personen und Entitäten abbrechen müssen.
Und wir begrüßen es sehr, dass die Kommission derzeit eine ehrgeizige EU‑Richtlinie über Sorgfaltspflichten für Unternehmen ausarbeitet. Dies ist nicht nur von entscheidender Bedeutung, wenn wir innerhalb Europas gleichwertigere Wettbewerbsbedingungen schaffen wollen, sondern stellt auch sicher, dass unsere Werte und Standards für alle Güter gelten, die in unseren gemeinsamen Markt eingeführt werden sowie für die Art und Weise, wie unsere Unternehmen Geschäfte tätigen.
Mein dritter und letzter Punkt hat mit Partnerschaften zu tun. Sie bilden das Fundament der Leitprinzipien der Vereinten Nationen.
Ich bin Ihnen daher sehr dankbar, Frau Bachelet und Herr Ryder, dass Sie unsere heutige Einladung angenommen haben. Durch Ihre Arbeit setzen Sie Standards, die uns allen als inklusive Bezugspunkte dienen. In einer Welt wachsender politischer Spannungen ist dies wichtiger denn je.
Gleichzeitig stärken wir unsere Zusammenarbeit mit gleichgesinnten Regierungen wie der Ihren, Frau Ministerin Hallberg. Vielen Dank, dass Sie uns heute an der schwedischen Sichtweise teilhaben lassen! Und vielen Dank dafür, dass Sie an unserer Seite stehen, wenn es darum geht, das Thema „Wirtschaft und Menschenrechte“ auch auf die europäische, transatlantische und globale Tagesordnung zu setzen.
Schlussendlich profitieren wir auch vom Gedankenaustausch mit Ihnen allen – Politikern, Experten und Aktivisten. Dies gilt insbesondere dann, wenn es um die Überprüfung unseres Nationalen Aktionsplans Wirtschaft und Menschenrechte geht. Derzeit arbeiten wir an dessen zweiter Auflage. Sie hebt Aspekte hervor, die über bloße Regulierung hinausgehen, wie zum Beispiel internationalen Handel, den Schutz von Menschenrechtsverteidigerinnen und
-verteidigern im wirtschaftlichen Kontext, die Entwicklungszusammenarbeit und Unterstützungsmechanismen für die Industrie.
Wir werden sicherstellen, dass diese Maßnahmen sich in den neuen politischen Rahmen für Wirtschaft und Menschenrechte einfügen, an dem der Europäische Auswärtige Dienst derzeit arbeitet. Und wir werden auch weiterhin alle EU‑Mitgliedstaaten ermutigen, ihre eigenen Aktionspläne zu erarbeiten.
Meine Damen und Herren,
lassen Sie uns gemeinsam sicherstellen, dass die Arbeitsbedingungen des 19. Jahrhunderts endlich in die Geschichtsbücher eingehen - denn dort gehören sie hin.
Dies beginnt mit einer einfachen Erkenntnis – dass wir endlich damit aufhören, Güter zu produzieren, zu handeln oder zu verbrauchen, die unseren Mitmenschen anderswo auf der Welt schaden.
Vielen Dank!