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Rede von Außenminister Heiko Maas anlässlich der Verleihung des Shimon-Peres-Preises

15.09.2019 - Rede

„Dort oben / am Himmel zwischen den Blitzen / wird der Regenbogen erscheinen / und ich werde wissen, dass die Zeit gekommen ist“

Dies ist eine Strophe, die Sie, lieber Yoni Peres, eben uns mit ihrer Band vorgetragen haben.

Für manche von uns, die in dem hektischen Berlin leben, klingen diese Worte vielleicht etwas poetisch, vielleicht sogar etwas entrückt.

Aber wie muss es erst den Menschen in Israel gehen, die seit 70 Jahren in einem Land leben, das von Frieden nur träumen kann.

Und doch ist es gar nicht so lange her, dass junge Israelis, Palästinenser und Norweger dieses Lied gesungen haben, voller Hoffnung. Bei den Oslo-Verhandlungen, wo das Lied zur Hymne geworden ist für all diejenigen, die trotz allem noch an Frieden glauben in Israel. Denn darum geht es in dem Lied, wie wir am Ende auch alle auf Deutsch mitsingen durften: „Zeit für Frieden“.

Fast erscheint es ja mutig, in Israel heute noch über Frieden zu reden, oder gar von ihm zu träumen. Nur allzu verständlich wäre es vielmehr - nach Jahrzehnten der vielen Auseinandersetzung - zu resignieren.

Und auch uns in Deutschland schmerzt, dass der Traum von Oslo, der Traum von Frieden ganz fern scheint.

Das haben wir auch in den letzten Tagen wieder gesehen, wie weit dieser Frieden weg ist. Das macht uns allen Sorgen.

Meine Damen und Herren,

Frieden entsteht dadurch, dass zwei Seiten aufeinander zugehen. Dass man sich an einen Tisch setzt. Dass man beginnt, miteinander zu sprechen. Dass man nach Lösungen sucht. Dass man bereit ist zu geben und nicht nur zu nehmen.

Und genau dafür stehen die Organisationen, die das Auswärtige Amt heute, zusammen mit dem Deutsch-Israelischen Zukunftsforum, auszeichnet.

Sie tun das im Sinne von Shimon Peres, der sich Zeit seines Lebens für den Ausgleich eingesetzt hat. Genau wie in dem Lied war die Hoffnung auf Frieden ein Fixpunkt seines ganzen Lebens.

Ihm widmete er sich mit dem politischem Geschick, das wir alle an ihm geschätzt haben und einer ungeheuren Willensstärke, die uns alle beeindruckt hat. Er setzte sich für die Zwei-Staaten-Lösung ein, für eine israelisch-palästinensische Verständigung.

Und für uns Deutsche wurde er vor allem zu einem der verlässlichsten Freunde unseres Landes.
Wir können kaum ermessen, wie viel ihn diese Freundschaft an persönlicher Überwindung gekostet haben muss! Wurden doch auch seine in Polen verbliebenen Verwandten auf grausamste Weise von unseren Vorfahren umgebracht.

Er steht damit stellvertretend für die Vielen, die trotz der deutschen Menschheitsverbrechen auf uns zugegangen sind. Ihnen vor allem ist es zu verdanken, dass Deutschland und Israel heute so enge Bindungen haben.

Ihrer Bereitschaft, „über einem Abgrund von Hass und Misstrauen Brücken zu schlagen“, wie es David Grossman einmal ausgedrückt hat.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

Hass und Misstrauen. Shimon Peres glaubte fest daran, dass es gerade die jungen Menschen in der Hand haben, eine Welt zu gestalten, in der genau das keinen Platz mehr hat.

Und wir alle wissen, dass sich Peres‘ Hoffnung leider nicht, hoffentlich noch nicht, erfüllt hat.

Dass es trotz der bitteren Erfahrung der Shoa in der Welt und auch in Deutschland wieder Antisemitismus gibt, das ist eine beschämende, das ist für uns Deutsche auch eine unerträgliche Wahrheit. Zumindest sollte es das sein.

Man muss nur nach Berlin schauen, der Bürgermeister hat bereits davon gesprochen: Es ist gerade mal einen Monat her, dass Rabbi Teichtal auf offener Straße bespuckt wurde. Und erst vor wenigen Tagen wurde einem israelischen Touristen auf offener Straße ins Gesicht geschlagen. Und warum? Weil er hebräisch gesprochen hat!

Das zeigt: Antisemitismus scheint das zu werden, was es niemals sein darf: alltäglich.

Laut einer Studie aus dem Dezember hatten 41 Prozent der deutschen Juden im Vorjahr antisemitische Erfahrungen gemacht. Das ist wirklich unfassbar. Das macht uns wütend.

Doch in der Wut darf man nicht verharren. Man muss gegenhalten. Und man muss in Zeiten wie diesen vor allem eines: laut werden.

Wir müssen den Mut haben, den Mund aufzumachen, wenn antisemitische Klischees verbreitet werden: in der Kneipe, im Freundeskreis, in der Schule oder im Sportverein. Wir dürfen nicht wegschauen, wenn jemand beleidigt oder angegriffen wird – nur weil er sich als Jude zu erkennen gibt.

Denn, meine Damen und Herren hier im Rathaus zu Berlin: Wir alle wissen doch, wozu mangelnde Zivilcourage, wozu Gleichgültigkeit führen kann.

Meine Damen und Herren,

gleichgültig, diese Vokabel passt ganz sicher nicht, um die diesjährigen Preisträger zu beschreiben. Ganz im Gegenteil. Sie stehen beispielhaft für die vielen Menschen und Organisationen in Israel und in Deutschland, die sich einsetzen gegen Extremismus und für Toleranz und Freiheit.

Die wissen, dass Demokratie eben keine Selbstverständlichkeit ist und immer wieder mit Leben gefüllt werden muss.

Und das sollten sich vielleicht gerade die vergegenwärtigen, die wie ich gar nichts anderes kennen als Demokratie. Die in Frieden und Freiheit und relativem Wohlstand aufgewachsen sind. In einem Rechtsstaat, mit allem, was dazu gehört. Es ist alles schon da gewesen, das haben andere erkämpft. Die Leute meiner Generation genießen es nur.

Und wenn man sich heute auf der Welt umschaut – und da muss man nicht in entfernte Regionen blicken – wird man feststellen, dass nichts davon eine Selbstverständlichkeit ist.

All das, was unser Leben gut macht, sollte man nicht nur leben. Manchmal muss man auch dafür einstehen. Und ich glaube, wir leben in solchen Zeiten.

Meine Damen und Herren,

und so ist es auch bei dem Projekt „Mehr als eine Demokratie“. Was die Erfahrungen dreier Gesellschaften ausmacht, bringt es zusammen. Und ihr so entstandenes Buch beweist, dass diese Erfahrungen mehr sind als nur die Summe der einzelnen Teile. Sondern daraus etwas Eigenes, etwas Besonderes entsteht.

Und das Projekt „Professional Exchange“ zeigt mit seiner Arbeit, dass sich jede Anstrengung lohnt, um gerade junge Menschen, die viel Schwieriges durchgemacht haben, zu fördern. Dass man auch auf sie setzen und ihnen Hoffnung geben muss. Und dass dieses Angebot dankbar angenommen wird. Das zeigt, wie man eine Gesellschaft zusammenhalten kann. Im Kleinen – und genau so funktioniert es auch im Großen.

Ich mache die Erfahrung, überall wo ich bin: Wenn junge Menschen zusammenkommen, dann wächst sehr schnell sehr viel zusammen. Und deshalb freut es mich, dass aus den prämierten Projekten heraus viele Freundschaften entstanden sind.

Und diese Freundschaften werden glücklicherweise, und das ist auch wichtig, nicht nur zwischen den Hauptstädten gelebt, sondern auch zwischen Orten in Sachsen und im Süden Israels.

Ja, gerade das schon erwähnte Sachsen! Wo noch vor zwei Wochen jeder Vierte eine Partei gewählt hat, die offen rassistisch ist, die alles Fremde ablehnt und unser Land spalten will. Projekte wie diese zeigen auch das andere Sachsen, das leider häufig viel zu wenig Aufmerksamkeit erhält. Und es macht sichtbar, dass die Mehrheit der Menschen in diesem Land die Spaltungsversuche eben nicht will, dies nicht zulassen will.

Meine Damen und Herren,

Shimon Peres` Vertrauen in die Zukunft zeigte sich auch in einer nie versiegenden Neugierde, die er bis ins hohe Alter bewahrte.

So erkannte er zum Beispiel früh, dass unsere Lebenswelt von den neuen Technologien geprägt sein würde. Wie Recht er hatte. Nanotechnologie, Hirnforschung, grüne Technologie – das alles faszinierte ihn.

Und auch für die neuen Medien begeisterte er sich. Das Jewish Journal krönte ihn zum „first social media president“ – aber nicht etwa, weil er seine Politik via Twitter machte.

Es gab da dieses Video, dass Sie, liebe Frau Almog, 2014 mit ihrem Großvater gedreht haben und über das bald ganz Israel sprach. Klar – und darum ging es in dem Video -, wenn sich der 91-jährige Präsident noch einmal auf eine, wenn auch nur fiktive, Jobsuche begibt, ist das etwas Ungewöhnliches.

Leider, und das sieht man in dem Video, beurteilte die Dame vom Arbeitsamt seine Berufserfahrungen als Milchmelker und Schafshirte als nicht mehr zeitgemäß.

So versuchte er sich als Tankwart, Pizza-Lieferant oder als Stand-up Comedian namens „Shimi P“. Sein letzter Job bei dieser fiktiven Jobsuche war der eines Fallschirmsprunglehrers. Seinem nervösen Schüler, der den Sprung scheute, gab er schließlich Folgendes mit auf den Weg. Er sagte zu ihm:

„Die Zukunft gehört den Mutigen“

Nun kann man vielleicht verstehen, dass jemand, bevor er sich in die Tiefe stürzt, erst noch einmal fragt, wie viel Zukunft er überhaupt hat.

Aber im Ernst, und auch das ist ein Thema, mit dem wir uns in unserer Gesellschaft vielleicht etwas zu wenig beschäftigen: Viel zu häufig sind wir zu zaghaft, und wir sollten uns diesen Satz immer wieder vor Augen führen.

Und eigentlich ist es noch schlimmer, denn vielfach habe ich den Eindruck, dass die Falschen in unserem Land nicht so zaghaft sind.

Und mit Sicherheit hätte Shimon Peres auch Ihnen, den mutigen Preisträgern, diesen Satz mit auf den Weg gegeben. Weil Menschen wie Sie auch uns Hoffnung machen. Hoffnung, dass eine Zeit kommen wird, von der das vorhin gespielte Lied handelt: die Zeit für Frieden.

Herzlichen Dank!

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