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Erklärungen des Auswärtigen Amts in der Regierungspressekonferenz vom 30.11.2022
Eckpunkte zur Fachkräfteeinwanderung aus Drittstaaten
HEBESTREIT (BReg): Das Kabinett hat heute außerdem die Eckpunkte zur Fachkräfteeinwanderung aus Drittstaaten beschlossen. Diese Eckpunkte haben der Bundesarbeitsminister, die Bundesinnenministerin, der Bundeswirtschaftsminister, die Außenministerin und die Bundesbildungsministerin erarbeitet. Wenn ich richtig informiert bin, dann haben sie sie vor wenigen Minuten in einer Pressekonferenz bereits vorgestellt.
Der Bedarf an Fachkräften ist enorm; die Zahl offener Stellen liegt auf einem Höchststand. Deshalb wird die Bundesregierung alles Notwendige tun, um mehr Fachkräfte aus dem Ausland zu gewinnen. Mit den Eckpunkten werden die Grundlagen für die Weiterentwicklung des Fachkräfteeinwanderungsgesetz und damit für das modernste Einwanderungsrecht, das Deutschland je hatte, geschaffen.
Die Erwerbseinwanderung wird künftig auf drei Säulen beruhen: der Fachkräftesäule, der Erfahrungssäule und der Potenzialsäule. Die Fachkräftesäule bleibt das zentrale Element der Einwanderung. Sie umfasst wie bisher die Blaue Karte EU und die nationale Aufenthaltserlaubnis für Fachkräfte mit anerkanntem Abschluss. Die Erfahrungssäule ermöglicht weiteren qualifizierten Fachkräften die Einwanderung, auch dann, wenn der Berufsabschluss nicht vorher formal anerkannt ist. Voraussetzung ist ein Arbeitsvertrag in einem nicht reglementierten Beruf. Zudem benötigen sie eine berufliche Qualifikation, mindestens zweijährige Berufserfahrung und eine Mindestgehaltsschwelle. Die Potenzialsäule richtet sich an Menschen, die noch keinen Arbeitsvertrag in Deutschland haben. Kern ist die Einführung einer Chancenkarte zur Arbeitssuche.
Die rechtlichen Regelungen werden von weltweiter Werbung für Deutschland als modernes und attraktives Einwanderungsland und von weiteren praktischen Erleichterungen flankiert. Gleichzeitig soll die Zusammenarbeit mit den Institutionen in den Partnerländern, die für Arbeitsmigration zuständig sind, ausgebaut werden.
Proteste gegen das Regime in Iran
FRAGE: Herr Wagner, eine Frage zu den Protesten im Iran. Die Revolutionsgarden haben gestern zum wiederholten Mal Deutschland beschuldigt, hinter den Unruhen im Iran zu stehen. Die Menschenrechtsorganisation „Amnesty International“ hat westliche Regierungen aufgefordert, als Prozessbeobachter an den Gerichten im Iran teilzunehmen. Wie steht die Bundesregierung zu solchen Forderungen?
WAGNER (AA): Wir haben uns hier immer wieder dazu eingelassen, wie wir die Lage im Iran beurteilen. Wir haben das Vorgehen, die Repressionen des dortigen Regimes gegen die eigene Bevölkerung immer wieder verurteilt.
Mir sind Forderungen nach Beobachtungen von Prozessen, wie Sie gesagt haben, nicht bekannt. Ich kann natürlich ganz grundsätzlich sagen, dass es wahnsinnig schwierig ist, wenn es um den Zugang zu solchen Verfahren im Iran geht. Das sehen wir ja zum Beispiel auch ‑ das haben wir wiederholt betont ‑ bei Verfahren gegen deutsche Staatsangehörige. Wenn es konkrete Planungen gibt, müsste ich das nachreichen. Aber ich habe hier dazu nichts weiter zu sagen.
ZUSATZFRAGE: Nun gab es schon Todesurteile gegen dutzende von Demonstranten. Wie steht die Bundesregierung dazu?
WAGNER: Wir kennen natürlich die Berichte über diese Prozesse. Es sind weitestgehend Schauprozesse, die da geführt werden. Wir verurteilen diese Prozesse natürlich.
US-Inflationsbekämpfungsgesetz
FRAGE: Es geht um die USA und die Auseinandersetzung über deren “Inflation Reduction Act” und die Folgen für Europa. Herr Hebestreit, der Wirtschaftsminister hat gestern gesagt, er könne sich vorstellen, dass man in Europa Gegenmaßnahmen ergreifen sollte, dass man also Lokalisierungsvorschriften erlässt, wie viele und welche Produkte in Europa produziert werden müssen und dass man auch bei öffentlichen Ausschreibungen Wert darauf legen könnte, vor allem europäisch produzierte Waren zu bevorzugen. Teilt der Bundeskanzler diese Meinung?
HEBESTREIT (BReg): Im Augenblick sind wir vor allem auf europäischer Ebene in Gesprächen mit den amerikanischen Partnern, um deutlich zu machen, was wir von den Auswirkungen des „Inflation Reduction Act“ für Europa und für die europäische Industrie halten. Wir versuchen, dabei zu gütigen Einigungen zu kommen. Alles Weitere, was sich anschließt, wenn es dazu nicht kommen sollte, wird dann diskutiert. Insofern habe ich dazu nichts Aktuelles beizutragen.
Richtig ist, dass wir auch innerhalb der Europäischen Union sowohl auf Ebene der Fachminister als auch dann auf Ebene der Staats- und Regierungschefs sehr genau darauf blicken, welche Auswirkungen dieser “Inflation Reduction Act” haben kann.
ZUSATZFRAGE: Der französische Präsident hat ja schon von einem „Buy European Act“ als Alternative gesprochen. Wäre das eine der möglichen Antworten?
HEBESTREIT: Wie man das dann am Ende bezeichnet, wäre noch zu diskutieren. Wenn ich richtig rezipiert habe, was der Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz gestern dazu gesagt hat, wäre das ja faktisch so etwas.
FRAGE: Herr Säverin, der Wirtschaftsminister hat gestern auch beschrieben, dass er solche Lokalisierungsvorschriften WTO-kompatibel machen will. Da ist das grundsätzliche Problem, dass das eigentlich gegen Hersteller aus anderen Ländern diskriminierend ist und das unter WTO-Regeln nicht geht. Hat er schon Ideen, mit welchen Ausnahmevorschriften das dann doch kompatibel mit dem internationalen Handelssystem gemacht werden könnte, was ja für Deutschland sehr wichtig ist?
SÄVERIN (BMWK): Minister Habeck hat gestern noch einmal deutlich gemacht, dass über allem die WTO-Regelungen stehen. Das ist auch für uns eine Frage der Glaubwürdigkeit, denn die WTO steht für uns für das Bestreben, eine regelbasierte und multipolare Weltordnung zu betreiben und zu unterstützen. Innerhalb dessen, was die WTO-Regelungen zulassen, sind verschiedene Dinge möglich. Das muss im Einzelnen geprüft werden. Die Diskussion darüber, was im Rahmen der Local-content-Regeln, die Sie ansprechen, möglich ist und was nicht, ist eine sehr alte Diskussion, und da gibt es auch immer verschiedene Vorstellungen, wie das jetzt konkret umgesetzt werden soll. Wie gesagt: immer unter Einhaltung der WTO-Regeln, und das muss man jetzt im Einzelnen sehen.
ZUSATZFRAGE: Ohne das jetzt zu sehr zu einem Seminar über Handelsregeln zu machen: Es gibt in den WTO-Regeln ja recht scharfe Vorschriften, und es gibt, glaube ich, zwei Ausnahmen, nämlich zum einen bei Umweltstandards und zum anderen bei nationaler Sicherheit. Der Minister hat ja gestern ein bisschen darauf abgezielt, dass Energiepolitik auch als Sicherheitspolitik verstanden werden könnte. Auf diese nationale Sicherheitsausnahmeregelung, die es in der WTO gibt, hat ja Donald Trump bei seinen Stahl- und Autozöllen zurückgegriffen. Wäre das auch etwas, was Sie sich als gangbaren Weg vorstellen könnten?
SÄVERIN: Von nationaler Sicherheit ist in diesem Zusammenhang noch nicht die Rede. Die Rede ist von Diversifizierung und von Bezugsquellen. Es geht uns ja nicht primär darum, Wertschöpfung in Deutschland anzusiedeln, sondern wir wollen Lieferketten diversifizieren, wir wollen dafür sorgen, dass die Rohstoffe, die für unsere Wirtschaft, für die Klima- und Energiewirtschaft, erforderlich sind, pünktlich bei uns ankommen und verfügbar sind, und zwar nicht nur aus einem Land und nicht mit verteilten politischen Risiken, sondern zuverlässig. Darum geht es bei den Lieferketten. Um dieses Ziel zu erreichen, sind solche Überlegungen, wie sie der Minister gestern angestellt hat, auch geeignet. Wir fassen die nicht zusammen unter dem Begriff der sozialen Sicherheit ‑ bis jetzt jedenfalls nicht.
FRAGE: Bei welchen Fördermaßnahmen würde denn die “local content rules” greifen?
Zweite Frage: In diesem Zusammenhang hat ja auch Thierry Breton noch einmal einen europäischen Souveränitätsfonds ins Spiel gebracht. Wie ist da die Meinung der Bundesregierung, insbesondere des Wirtschaftsministers?
SÄVERIN: Er hat sich gestern noch einmal deutlich zu dem Inflation Reduction Act geäußert und hat gesagt, dass wir eine robuste europäische Antwort darauf brauchen, die nicht darin besteht, zu schützen und zu schützen, sondern darin, dass wir die Herausforderung annehmen ‑ auf der Ebene Wettbewerbs, auf der Ebene der Innovation. Ich glaube, er hat gestern acht Punkte genannt, wie dieser Herausforderung zu begegnen ist. Da steht nicht im Vordergrund, dass wir subventionieren, dass wir in einen Subventionswettlauf eintreten ‑ im Gegenteil, das hat er sozusagen klar verneint. Wir sehen das vielmehr als positive Herausforderung an, unsere Genehmigungsverfahren, unsere Innovation, unsere Wirtschaftspolitik so anzupassen, dass wir dieser Herausforderung begegnen ‑ auf der Ebene des Wettbewerbs und im Rahmen der WTO-Regeln.
ZUSATZFRAGE: Mir ist das immer noch nicht ganz klar. Sie sagen auf der einen Seite, dass Sie sich im Rahmen der WTO-Regeln bewegten und es Möglichkeiten gebe, das WTO-kompatibel zu machen, aber Sie können nicht wirklich sagen, wie. Das ist ja durchaus essenziell, wenn Sie sagen, dass Sie die WTO-Regeln schützen wollen, aber gleichzeitig etwas tun, was grundsätzlich diesen Regeln widerspricht. Können Sie noch etwas besser beschreiben, was eine Möglichkeit wäre, diese lokalen Vorschriften umzusetzen?
SÄVERIN: Da kann man auf den European Chips Act schauen; das ist so etwas wie ein Ansiedlungsprogramm für heimische Chipproduktion. Das ist ein Vorhaben der EU, und die Juristen der Europäischen Union, der Kommission, haben natürlich genau geprüft, ob die dort vorgesehenen Regelungen WTO-kompatibel sind. Diese IPCEIs und dieser European Chips Act werden natürlich so konzipiert, dass sie WTO-konform sind; da sind kluge Leute damit beschäftigt, darüber nachzudenken und das zu tun. Das, was der Minister gestern meinte, hat er auch selbst in den Zusammenhang mit dem European Chips Act gestellt. Das ist so etwas wie eine Blaupause, auch hinsichtlich der Einhaltung der WTO-Regeln.
FRAGE: Herr Säverin, weil Sie sagten, dass Wertschöpfung in Deutschland keine Priorität von Ihnen ist: Welche Rolle spielt denn noch Wertschöpfung in Deutschland und in Europa?
SÄVERIN: Natürlich ist Wertschöpfung in Deutschland eine Priorität.
ZUSATZ: Sie haben genau das Gegenteil gesagt.
SÄVERIN: Nein, habe ich nicht.
ZUSATZ: Sie haben gesagt: keine Priorisierung von Wertschöpfung in Deutschland. Das haben Sie vor zwei Minuten hier gesagt.
SÄVERIN: Im Zusammenhang mit dem European Chips Act und der Ansiedlung von Industrie sowie der Diversifizierung von Lieferketten ist es wichtig, dass unsere Industrie mit den Zulieferungen stabil läuft. In diesem Zusammenhang ist natürlich auch die Wertschöpfung in Deutschland von Bedeutung; das hat der Minister gestern auf der Industriekonferenz auch klar gesagt. Das kommende Jahr ist ein Jahr der Industrie ‑ das hat er, glaube ich, sogar wörtlich gesagt ‑, und dazu gehört natürlich auch die Wertschöpfung im Lande.
Deutsch-katarische Beziehungen / Gaslieferungen aus Katar
FRAGE: Auch noch einmal an Herrn Wagner zu den deutsch-katarischen Beziehungen: Herr Wagner, der katarische Energieminister hat gestern Wirtschaftsminister Habeck scharf kritisiert, nachdem Herr Habeck die WM-Ausrichtung durch Katar als eine „bekloppte Idee“ bezeichnet hat. Letzten Monat wurde auch der deutsche Botschafter ins Außenministerium einbestellt, nachdem die Innenministerin Katar scharf kritisiert hatte. Wie bewerten Sie die momentanen Beziehungen zwischen Doha und Berlin?
WAGNER (AA): Ich habe diese Berichterstattung gesehen. Wir sind mit der katarischen Regierung auf vielen Ebenen im Austausch und im Gespräch. Darüber hinaus würde ich diese Medienberichte nicht kommentieren.
ZUSATZFRAGE: Noch einmal meine Frage: Wie bewerten Sie momentan den Stand der Beziehungen? Würden Sie sagen, dass sie gut sind oder dass sie angespannt sind?
WAGNER: Wir unterhalten mit Katar bilaterale Beziehungen, die auf einer Vielzahl von Kooperationen fußen. Das zeigen ja auch die Reisen der verschiedenen Ministerinnen und Minister sowie des Kanzlers in die Region. Darüber hinaus würde ich das hier jetzt nicht einordnen wollen.
FRAGE: An Herrn Säverin zum Thema Gas aus Katar: Es ist ja gestern beschrieben worden, welche Größenordnung die Gaslieferungen ab 2026 haben werden. Könnten Sie uns einen Überblick geben, wie viel Gas in den künftigen Jahren durch Lieferverträge abgesichert ist, wenn man alle einzelnen Verträge zusammenrechnet?
SÄVERIN (BMWK): Nein, eine solche klare Übersicht kann ich Ihnen nicht geben, und zwar aus dem einfachen Grunde, dass die Verträge über Gaslieferungen von den Unternehmen abgeschlossen werden. Die Unternehmen sind am europäischen Gasmarkt aktiv und sorgen dafür, dass sie ihr Geschäftsmodell verfolgen können. Dazu gehört auch der Import von Flüssiggas. In welchem Maße und mit welchen Terminen ‑ denn das wird ja oft auch im Terminhandel gemacht ‑ dort Gas eingekauft wird, melden die Unternehmen der Bundesregierung nicht, und darüber gibt es auch keine systematischen Erhebungen. Die Bundesnetzagentur ist recht gut darüber informiert im Zusammenhang mit der Beurteilung der Versorgungssicherheit. Wenn dort eine solche Aufstellung besteht und diese unter Wahrung der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse veröffentlicht werden kann, dann liefere ich die gern nach.
Vereinbarung zwischen Iran und Irak über grenzüberschreitende Militäroperationen
FRAGE: An das AA zum Iran und Irak: Irans Präsident Raisi hat gestern in einer Pressekonferenz mit dem irakischen Premierminister verlautbart, dass es eine Vereinbarung zwischen den beiden Regierungen über sogenannte grenzüberschreitende Militäroperationen gebe. Dabei geht es ausschließlich um das irakische Kurdistan, also darum, dass die Iraner dort mit dem grünen Licht der irakischen Regierung Militärangriffe fliegen können. Wie bewertet die Bundesregierung das?
WAGNER (AA): Da muss ich passen; ich habe diesen Bericht oder diese Äußerung tatsächlich nicht gesehen. Ich würde das nachreichen.
ZUSATZFRAGE: Unbedingt ‑ danke.