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Erklärungen des Auswärtigen Amts in der Regierungs­­­­­pressekonferenz vom 11.09.2023

11.09.2023 - Artikel

Reise der Bundesaußenministerin in die USA

FISCHER (AA): Ich darf Ihnen eine Reise der Außenministerin ankündigen. Die Außenministerin wird morgen früh in die USA reisen, zunächst nach Austin in Texas. Das ist die zweite bilaterale USA-Reise von Außenministerin Baerbock. Die Antrittsreise war Anfang Januar 2022. Das war allerdings aufgrund der damals noch herrschenden Coronapandemiebedingungen nur eine Tagesreise nach Washington.

Die Reise geht jetzt nicht nur in die Hauptstadt, sondern auch in einen Bundesstaat, nämlich nach Texas. Ziel der Reise ist es, auch außerhalb der Hauptstadt mit den Menschen und politischen Verantwortungsträgern beider großer Parteien ins Gespräch zu kommen und unsere gesellschaftlichen Netzwerke in den USA noch weiter zu verbreitern und dichter dazu weben. In Austin wird die Außenministerin zu einem Gespräch mit dem texanischen Gouverneur Abbott zusammentreffen. Das ist für den Nachmittag, Ortszeit, am 12. September, also am morgigen Dienstag, vorgesehen. Es ist zudem ein Wirtschaftstermin zum Thema der Mobilität geplant. Im Anschluss, am Abend, wird die Ministerin dann weiter nach Houston reisen.

In Houston wird die Ministerin dann am Mittwoch unter anderem ein Ammoniakspeichersystem der Firma Advario besuchen. Dieses Speichersystem ist eine wichtige Komponente für die Energiewende. In Houston selbst sind mehr als 4700 Unternehmen aus dem Energiesektor tätig, darunter etwa 150 Unternehmen aus der Solarenergiebranche und 40 Windenergieunternehmen. Zudem steht ein Gespräch mit der Zivilgesellschaft auf dem Programm. Die Ministerin wird am Vormittag auch den Bürgermeister von Houston treffen.

Sie wird während des Reiseteils in Texas vom Oberbürgermeister der Stadt Leipzig, Herrn Burkhard Jung, begleitet, ebenso wie von Bürgerinnen und Bürgern der Stadt Leipzig. Houston ist, wie Sie sich jetzt denken können, eine Partnerstadt von Leipzig.

Am Nachmittag des 13. Septembers wird die Ministerin dann zur Sheppard Air Force Base in Wichita Falls weiterreisen, ebenfalls in Texas. Sie wird dort das Taktische Ausbildungskommando der Luftwaffe besuchen. Seit 1966 werden dort deutsche Jetpilotinnen und Jetpiloten ausgebildet. 1981 wurde das bestehende Programm um Pilotenanwärterinnen und Pilotenanwärter weiterer NATO-Nationen erweitert. Die Ausbildung ist ein praktisches Beispiel für die transatlantische Zusammenarbeit in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik.

Im Anschluss wird die Außenministerin weiter nach Washington reisen. Dort stehen am 14. September zunächst Termine im US-Kongress an. Sie wird dann auch mit Studierenden der Howard University sprechen. Abends hat ihr Amtskollege, Außenminister Blinken, die Außenministerin zu einem Arbeitsabendessen eingeladen.

Am 15. September sind dann ein bilaterales Gespräch mit ihrem Amtskollegen Blinken und eine Pressekonferenz ‑ für alle, die sich das schon einmal vormerken wollen: voraussichtlich gegen 11.45 Uhr Ortszeit ‑ vorgesehen.

Die Ministerin wird dann nicht nach Deutschland zurückreisen, sondern in den USA bleiben, weil direkt im Anschluss die UN-Vollversammlung beginnen wird. Über diesen Programmteil der Reise werden wir Sie zu einem späteren Zeitpunkt informieren.

FRAGE: Herr Fischer, wird sich Frau Baerbock, da sie das Thema Assange immer auch persönlich bewegt, auf der USA-Reise erneut für Herrn Assange einsetzen, insbesondere bei der US-Regierung?

FISCHER: Sie wissen, dass wir den Gesprächsinhalten der jeweiligen Termine nicht vorgreifen können. Aber Sie wissen, dass die Ministerin das Thema regelmäßig anspricht und es auch schon in Gesprächen mit Großbritannien und den USA getan hat.

ZUSATZFRAGE: Beobachtet das Auswärtige Amt, dass sich in diesem Fall etwas bewegt? Man vernimmt ja aus Australien, dass sich die australische Regierung daran versucht, sich für einen sogenannten “plea deal” einzusetzen.

FISCHER: Ich würde sagen: Wir haben diese Meldungen aus Australien zur Kenntnis genommen. Nun ist es so, dass Herr Assange australischer Staatsbürger ist, der von Australien konsularisch betreut wird, nicht von uns. Insofern liegt es sicherlich nahe, dass sich Australien sozusagen aus dieser konsularischen Verantwortung heraus dieses Falls annimmt.

FRAGE: Herr Fischer, können Sie bitte inhaltlich noch ein bisschen sagen? Ist zu erwarten, dass auf der Reise irgendwelche bilateralen Verträge bezüglich des Energiesektors unterzeichnet werden, entweder zwischen Regierungen oder zwischen der Bundesregierung und Texas oder zwischen Firmen?

FISCHER: Ich werde den möglichen Ergebnissen dieser Reise nicht vorgreifen.

ZUSATZFRAGE: Aber geplant ist etwas?

FISCHER: Nach meiner Kenntnis nicht.

FRAGE: Plant Frau Baerbock, mit der Flugbereitschaft zu reisen, oder erwartet sie dabei wie in der Vergangenheit Probleme?

FISCHER: Die Außenministerin wird in der Tat mit der Flugbereitschaft in die USA reisen. Wir erwarten keine Probleme. Wir sind fest davon überzeugt, dass uns die Flugbereitschaft sicher und heil in die USA transportieren wird, wie wir das immer sind - bis zum Beweis des Gegenteils.

FRAGE: Die Ministerin wird Greg Abbott treffen, den texanischen Gouverneur. Das ist einer der bekanntesten Antifeministen und härtesten Abtreibungsgegner in den USA. Wird diese Thematik eine Rolle spielen?

FISCHER: Ich werde, wie gesagt, den Gesprächsthemen nicht vorgreifen. Aber dass es unterschiedliche Sichtweisen zu verschiedenen Themen gibt, ist, glaube ich, offensichtlich.

ZUSATZFRAGE: Aber ist es unter dem Anspruch einer feministischen Außenpolitik nicht eigentlich zwingend, diese Thematik anzusprechen?

FISCHER: Ich habe ja nur gesagt, dass ich den Gesprächsthemen nicht vorgreifen werde. Aber Sie können sicher davon ausgehen, dass die Ministerin ihre Überzeugungen vertreten wird.

Erdbeben in Marokko

FRAGE: Herr Fischer, Herr Hebestreit, es gibt ja aus Deutschland Hilfsangebote an Marokko für die Opfer, aber Marokko hat bisher nicht nach deutscher Hilfe nachgefragt. Ich weiß auch nicht, ob es deutsche Hilfe akzeptiert. Das THW ist ja wohl noch nicht im Einsatz. Können Sie uns eine Erklärung geben, warum Marokko nicht daran interessiert ist, Hilfe aus mehr als den genannten vier Staaten zu bekommen?

HEBESTREIT (BReg): Ich glaube, darüber lohnt es sich von unserer Seite aus nicht zu spekulieren. Wir haben Hilfe angeboten. Wir stehen auch zu diesem Hilfsangebot. Wenn die marokkanische Seite entscheidet, dieses Angebot annehmen zu wollen, dann werden wir das auch liefern.

KALL (BMI): Nur eine ganz kurze Ergänzung: Das THW hält sich weiter einsatzbereit. Das heißt, wir sind jederzeit bereit, zu helfen, sozusagen auch über die erste Bergungsphase hinaus, wenn es dann zum Beispiel um die Trinkwasseraufbereitung geht. Auch damit könnte das THW helfen. Es hat zwei THW-Kollegen an die Botschaft in Rabat entsandt, sogenannte Fachberater, die dort darüber beraten können, wo die deutsche Hilfe am besten zum Einsatz kommen kann. Die sind vor Ort, die sind da, und insofern können wir weiterhelfen, wenn das gewünscht wird.

FRAGE: Hat es Kontakt zur marokkanischen Regierung gegeben? Die Frage geht an Herrn Hebestreit und Herrn Kall oder wer auch immer etwas dazu sagen kann.

Gibt es über die jetzt im Raum stehende Nothilfe hinaus auch schon Überlegungen für eine mittel- oder längerfristige anderweitige Hilfe?

FISCHER (AA): Vielleicht kann ich darauf antworten. Ja, selbstverständlich hat es Kontakte zur marokkanischen Regierung gegeben. Zum einen stellen wir sozusagen über die europäischen Plattformen unsere Hilfsmöglichkeiten zur Verfügung. Zum anderen hat es auch direkte Kontakte gegeben. Aber bislang sind diese Hilfsangebote nicht abgerufen worden.

ZUSATZFRAGE: Hat es irgendwie eine Antwort darauf gegeben, aus der sich schon oder nicht oder irgendwie erschließen ließe, was eine mögliche Begründung dafür wäre?

FISCHER: Ich glaube, über vertrauliche Kontakte gebe ich hier keine Auskunft.

ZUSATZFRAGE: (ohne Mikrofon, akustisch unverständlich)

KALL: Ich habe ja gerade gesagt, welche anderweitige Hilfe des THW in Betracht käme, nämlich Trinkwasseraufbereitung. Dazu hat das THW ja eine Einheit, die jederzeit bereit ist, schnell eingesetzt werden zu können. Es hat auch selbst gesagt: Die steht bereit. – Alles andere ‑ möglicherweise Unterkünfte für Menschen, die ihr Obdach verloren haben, usw. ‑ ‑ ‑ Wir könnten also helfen, und stehen zur Verfügung, auch über die erste Phase hinaus.

FISCHER: Vielleicht kann ich noch ergänzen, dass sich die marokkanische Seite selbstverständlich für die Hilfsangebote bedankt hat.

FRAGE: Können Sie uns sagen, ob es noch weitere Angebote über den Einsatz des THW hinaus gab? Stehen diese I.S.A.R.-Kräfte mit Rettungshundestaffeln, die sich offensichtlich bereithalten, unter der Regie des THW, oder ist das eine eigene Einheit?

KALL: I.S.A.R. ist eine NGO, die häufig bei Erdbeben hilft. Selbstverständlich bestehen da gute Kontakte und man spricht sich miteinander ab, aber I.S.A.R. entscheidet unabhängig über seinen Einsatz und ist meines Wissens auch noch nicht im Einsatz.

ZUSATZFRAGE: Sagen Sie, dass Sie abwarten, bis es ein Hilfeersuchen gibt, und dass es das nicht gibt?

KALL: Genau. Insofern gilt da der gleiche Stand. Aber die stehen jetzt nicht sozusagen unter der Leitung des THW, sondern die stimmen sich miteinander ab. Aber das ist eine unabhängige NGO.

ZUSATZFRAGE: Hat Deutschland also nur THW-Einsätze oder auch weitere Hilfe angeboten?

FISCHER: Zunächst einmal ging es ja darum, Möglichkeiten zu finden, wie Erdbebenopfer gegebenenfalls geborgen werden können. Da ist das THW ja sozusagen das Instrument der ersten Wahl. Zusätzlich gibt es natürlich noch Nichtregierungsorganisationen, die in ähnlichen Bereichen aktiv sind und die, wenn notwendig, von uns unterstützt werden, aber auch diese wurden nicht angefragt. Vielleicht ist einfach noch einmal wichtig, festzuhalten, dass am Ende nur die marokkanischen Behörden ein akkurates und genaues Lagebild haben und auch den Bedarf und damit sozusagen auch den Bedarf an ausländischer Hilfe feststellen. Da hat es verschiedene Anforderungen gegeben, aber bislang nicht bei uns.

FRAGE: Vermutet die Bundesregierung politische Gründe hinsichtlich der Länder, die jetzt helfen dürfen? Hat man sich vielleicht beim europäischen Partner Spanien erkundigt, was der angeboten hat, was Deutschland jetzt nicht angeboten hat, dass dessen Hilfe angenommen wurde und Deutschlands nicht?

FISCHER: Ich glaube, politische Gründe kann man hier für unseren Fall ausschließen. Ich habe ja gesagt: Die marokkanische Seite hat sich für das Hilfsangebot bedankt.

Gleichzeitig muss man, und das haben wir ja auch im Ahrtal gesehen, bei Katastrophen auch die Koordinierung sicherstellen. Man muss sicherstellen, dass sich all die Einsatzkräfte, die dann vor Ort sind, nicht sozusagen gegenseitig in die Quere kommen, dass genügend Kapazitäten für Transporte usw. vorhanden sind, dass sie auch an die Einsatzorte kommen. Ich habe also sozusagen kein genaues Bild davon, wie die marokkanische Seite den Einsatz plant. Aber ich bin sicher, dass man sich dort sehr genau Gedanken gemacht hat, welche Einsatzkräfte man wo einsetzen kann, wie die dorthin kommen, welche Transportkapazitäten zum Beispiel zur Verfügung stehen und wo die “bottlenecks” sind. Vor dem Hintergrund sind dann die Anforderungen erfolgt, nehme ich an.

ZUSATZFRAGE: Ich weiß nicht, ob das schon öffentlich kommuniziert wurde, aber sind irgendwelche Deutsche oder Doppelstaatler unter den Opfern?

FISCHER: Das Team an unserer Botschaft in Rabat ‑ das wissen Sie ‑ hat gleich am Samstag einen Krisenstab eingerichtet. Es hat auch eine Notrufnummer eingerichtet, unter der sich betroffene Deutsche melden können. Diese würden dann auch konsularische Hilfe erhalten. Aber bis zum jetzigen Zeitpunkt haben wir keine Kenntnis, dass es deutsche Todesopfer gegeben hat. Aber wir beobachten die Lage natürlich sehr genau weiter und stehen dazu auch in einem sehr engen und ständigen Austausch mit den marokkanischen Behörden auf der einen Seite, aber auch mit deutschen Reiseveranstaltern auf der anderen Seite, die sich ja in diesen Lagen auch um ihre im Ausland befindlichen Kunden kümmern.

FRAGE: Herr Fischer, wie würde das Auswärtige Amt vor dem Hintergrund des ausgeschlagenen Hilfsangebots die derzeitigen diplomatischen Beziehungen zu Marokko bewerten?

FISCHER: Die diplomatischen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Marokko sind gut. Es gibt, wie gesagt, keinen Hinweis darauf, dass es politische Gründe für die Nichtabrufung des deutschen Angebots gibt, genauso wenig, wie es Hinweise darauf gibt, dass zum Beispiel die Hilfsangebote von Italien oder Frankreich nicht abgerufen worden sind.

FRAGE: Mitte Oktober ist ja ein internationales Finanztreffen in Marrakesch geplant, zu dem der Finanzminister reisen wollte. Ich hätte ganz gerne gewusst, ob das Erdbeben irgendwelche Auswirkungen auf diese Planungen hat, ob jetzt schon absehbar ist, ob es stattfindet, und ob der Finanzminister dorthin reist.

MIGENDA (BMF): Danke für die Frage. Ich habe Ihnen dazu aber keinen neuen Sachstand mitzuteilen.

Regionalwahlen in Russland und in Teilen der von Russland besetzten Regionen der Ukraine

FRAGE: Herr Fischer, es geht um die Ukraine und die Regionalwahlen auch in den russisch besetzten Gebieten. Ich hätte dazu gern eine Reaktion von Ihnen, auch dazu, dass es Forderungen gibt, man solle die dort Beteiligten, also etwa die Kandidaten, unter EU-Sanktionen stellen.

FISCHER (AA): Wir haben uns am vergangenen Freitag über vormals Twitter, jetzt X bereits zu den Scheinwahlen geäußert und erklärt, dass die Scheinwahlen der in Teilen der von Russland besetzten Regionen der Ukraine einen weiteren eklatanten Bruch des Völkerrechts durch Russland darstellen und null und nichtig sind, genauso wie die illegalen Annexionen dieser Regionen der Ukraine durch Russland im vergangenen Jahr. Wir werden die Ergebnisse solcher Scheinwahlen ebenso wenig anerkennen wie Russlands illegale Annexion von Teilen der Regionen Donezk, Luhansk, Saporischschja, Cherson sowie der Krim.

Was die Sanktionen angeht, beraten wir darüber immer auf europäischer Ebene. Es ist durchaus vorstellbar, dass Verantwortliche dabei ins Blickfeld geraten. Aber wie Sie wissen, ist es ein ständiger Vorgang, dass wir die Sanktionierung neuer Personengruppen prüfen. Ganz konkret habe ich dazu jetzt nichts anzukündigen.

FRAGE: Herr Fischer, Wahlen waren nicht nur in den besetzten Gebieten, sondern, wenn ich mich nicht täusche, auch in 26 Regionen von Kernrussland. Wie ist die Einschätzung dieser Prozedur, der Wahlen innerhalb Russlands?

FISCHER: Vielleicht ganz grundsätzlich: Das russische Regime hat in den vergangenen Jahren und noch verstärkt seit Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine Stück für Stück die Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit in Russland auf systematische Weise abgeschafft. Der öffentliche Raum in Russland ist durch politische Zensur, Propaganda und Desinformation dominiert. Viele Kandidatinnen und Kandidaten, die die Regierungspolitik oder gar den russischen Angriffskrieg kritisiert haben, wurden gar nicht erst zu den Wahlen zugelassen. Das heißt für uns, dass die Menschen in Russland keine freie Wahl hatten. Die Stimmabgabe ist deshalb nicht Ausdruck einer wirklichen Entscheidung, sondern dient dem russischen Regime allein dazu, die bestehenden Machtverhältnisse zu bestätigen. Auch Berichte über Wahlmanipulationen im Vorfeld und bei der Abhaltung der Wahlen und die Tatsache, dass unabhängige Wahlbeobachterinnen und Wahlbeobachter ausgeschlossen wurden, zeigen sehr deutlich, dass von freien und fairen Wahlen nicht gesprochen werden kann. Im Ergebnis waren diese Wahlen weder frei noch fair.

ZUSATZFRAGE: Herr Fischer, man kann auch davon ausgehen, dass sich die Lage im nächsten Frühjahr, wenn in Russland die Präsidentenwahl stattfindet, nicht wesentlich geändert haben wird. Im Umkehrschluss würde das bedeuten, dass die Bundesregierung auch die Wahl des Präsidenten im Frühjahr des nächsten Jahres nicht anerkennt. Damit ist der russische Machthaber nicht mehr Präsident, sondern so wie Lukaschenko Machthaber. Ist das so?

FISCHER: Ich werde jetzt nicht über Wahlen im nächsten Frühjahr und darüber, unter welchen Rahmenbedingungen sie stattfinden werden, spekulieren. Wenn sie unter den jetzigen Rahmenbedingungen stattfinden sollten, kennen Sie die Einschätzung der Bundesregierung.

Migrationspolitik in Bezug auf Afghanistan

FRAGE: Ich habe eine Frage zum Thema Afghanistans an Herrn Fischer. Es gibt ein Interview mit dem afghanischen Migrationsminister Haqqani. Er bietet Deutschland die ausgestreckte Hand in der Zusammenarbeit bei der Rückführung von Flüchtlingen an. Das Regime ist natürlich nicht anerkannt.

Deshalb meine Frage: Gibt es eine Reaktion der Bundesregierung oder aus Ihrem Hause darauf?

Gibt es überhaupt Möglichkeiten, irgendeine Art der Kooperation mit dem Talibanregime einzugehen, was dieses ja offensichtlich vorschlägt?

FISCHER (AA): Ich kenne dieses Interview nicht. Ich kenne dieses angebliche Angebot eines Vertreters der von uns nicht anerkannten Regierung nicht. Von daher werde ich dazu auch keine Stellung nehmen.

ZUSATZFRAGE: Dann lassen Sie es mich anders versuchen: Bleibt Afghanistan auf der Liste der nicht sicheren Herkunftsländer? Bleibt Deutschland bei seiner Haltung der Migrationspolitik?

FISCHER: Wenn ich es richtig verstehe, ist Afghanistan ein Land, in das wir derzeit nicht abschieben. Angesichts der innenpolitischen Lage in Afghanistan, wenn man sich die systematische Diskriminierung von Frauen und Mädchen anschaut und auch die Verfolgung von Oppositionellen oder einfach nur von Menschen, die nicht ganz im Sinne der Taliban handeln, habe ich gerade auch keinen Hinweis darauf, dass sich das ändern würde.

FRAGE: Herr Kall, auch wenn Afghanistan nicht auf der Liste sicherer Herkunftsstaaten steht, gibt es gerade aus der FDP Forderungen danach, die Liste weiter auszuweiten, und zwar über Georgien und Moldawien hinaus. Die Außenministerin hat das abgelehnt. Ich wüsste aber gern von Ihnen, ob Ihre Ministerin einen neuen Vorstoß für eine verlängerte Liste vorlegen will.

An Herrn Hebestreit eigentlich dieselbe Frage: Ist das aus Ihrer Sicht eine Totes-Pferd-Debatte, die man nicht mehr führen muss, weil sich die Regierung vor dem Hintergrund unterschiedlicher Meinungen nicht einigen kann, oder wäre der Bundeskanzler dafür, dass man die Liste der sicheren Herkunftsstaaten weiter ausweitet?

KALL (BMI): Die Bundesregierung hat gerade erst am 30. August, vor nicht einmal zwei Wochen, beschlossen, Georgien und Moldau als sichere Herkunftsstaaten einzustufen, bzw. einen Gesetzentwurf beschlossen, der das vorsieht und jetzt im parlamentarischen Verfahren ist. Insofern werden auch die weiteren Beratungen darüber im Parlament stattfinden. Damit hat die Bundesregierung klar zum Ausdruck gebracht, welche Staaten jetzt aus ihrer Sicht als sichere Herkunftsstaaten eingestuft werden sollen. Das wird auch begrenzende Effekte bei der irregulären Migration haben. Georgien befindet sich auf Platz sechs der Asylanträge, aber mit einer Schutzquote im Null-Komma-Bereich, weil dort nicht von systematischer Verfolgung von Menschen auszugehen ist. Bei Moldau sieht es ähnlich aus. Insofern hat die Bundesregierung klar ihre Linie beschlossen.

Das knüpft an die EU-Beitrittsperspektive dieser beiden Staaten an. So ist es auch in der Ministerpräsidentenkonferenz im Mai vereinbart worden, dass die Beitrittsperspektive ein wesentlicher Faktor dabei ist. Natürlich muss man sich auch mit den Ländern einig sein, weil ein Gesetzentwurf, der Länder als sichere Herkunftsstaaten einstuft, der Zustimmung des Bundesrates bedarf. Rückführungen sind am Ende Sache und Aufgabe der Länder. Insofern braucht man dafür ein breites Einvernehmen. Die Bundesregierung setzt genau das um, was mit den Ländern auch in der MPK vereinbart wurde.

HEBESTREIT (BReg): Das muss ich nicht ergänzen. Herr Kall hat es sehr umfassend und richtig dargestellt.

FRAGE: Herr Kall, mir ist Ihre Antwort zu dieser Problematik nicht ganz klar. Sie sagten, es gehe bei Rückführungen nur um Staatsangehörige von Georgien. Warum werden die Ausländer, die über Georgien als Transitland nach Deutschland einreisen und versuchen, hier Fuß zu fassen, nicht nach Georgien zurückgeführt?

KALL: Bei der Frage der sicheren Herkunftsstaaten geht es um Staatsangehörige dieser jeweiligen Länder und die Frage, ob ihnen systematische Verfolgung droht oder nicht. Dabei geht es nicht um Menschen die im Transit durch das jeweilige Land gereist sind. Darum geht es bei den Dublin-Regelungen. Wenn jemand in einem vorherigen EU-Staat schon hätte Schutz bekommen können, dann ist das eine Frage. Aber nicht bei sicheren Herkunftsstaaten.

Medienbericht über mögliche Kontakte des BND zur Colonia Dignidad im Zusammenhang mit dem Militärputsch in Chile im Jahre 1973

FRAGE: Herr Hebestreit, heute vor 50 Jahren wurde die Regierung von Salvador Allende in Chile durch einen Putsch gestürzt, der bisher noch nicht ganz aufgeklärt ist. Vergangene Woche haben wir durch eine Recherche der Kollegen von (akustisch unverständlich) davon erfahren, dass der Bundesnachrichtendienst offenbar auch an der Vorbereitung des Putsches durch geheime und illegale Waffenlieferungen über die deutsche Sekte Colonia Dignidad beteiligt war.

Welche zusätzlichen Informationen hat die Bundesregierung heute dazu?

Ab wann könnten wir damit rechnen, dass der BND den Zugang zu den entsprechenden Dokumenten seines Archivs erlaubt, um seine offenbare Beteiligung aufzuklären?

HEBESTREIT (BReg): Wir hatten die gleiche Thematik bereits am Freitag. Damals hatte ich eine Fehlinformation gegeben. Nicht der Bundespräsident, sondern der Bundesratspräsident reist nach Santiago de Chile und ist heute dort vor Ort. Das ist ein Nachtrag, den wir, denke ich, noch nachgearbeitet haben. Das war ein Missverständnis meinerseits.

Ansonsten wissen Sie, wie es beim BND ist, dass wir nämlich von dieser Stelle aus zu Angelegenheiten, die Nachrichtendienste angehen, grundsätzlich nichts sagen dürfen. Ich weiß aber, dass wir der Sache nachgehen. Sobald wir etwas sagen können, werden wir das über die uns jeweils möglichen Kanäle tun.

FRAGE: Herr Hebestreit, Sie wollten uns aber nachreichen, wer aus Sicht der Bundesregierung vor 50 Jahren hinter dem Putsch stand. Am Freitag hatten sie den aktuellen historischen Stand nicht dabei und wollten ihn uns nachreichen. Wir warten noch.

HEBESTREIT: Ich glaube, ich hatte die Formulierung gewählt: Wenn ich das nachreichen kann, dann reiche ich es nach. ‑ Ich würde Sie darauf verweisen, dass einer der besten Kenner dieser Materie, der auch den Namen Rinke trägt, aber nicht verwandt oder verschwägert mit Andreas Rinke ist, heute in einem sehr klugen Interview im Deutschlandfunk sehr ausführlich dazu Stellung genommen hat. Ich denke, das ist ein ganz guter Überblick über die aktuelle Forschung.

ZUSATZFRAGE: Mich würde ja quasi die deutsche Position interessieren. Vielleicht können Sie, Herr Fischer, aus Sicht des Auswärtigen Amtes sagen, ob Sie auch wie quasi alle Historiker und auch amerikanische Historiker der Meinung sind, dass die CIA Herrn Pinochet beim Putsch geholfen hat, oder haben Sie andere Erkenntnisse?

FISCHER (AA): Ich glaube, ich habe dem, was Steffen Hebestreit gerade ausgeführt hat, nichts hinzuzufügen. Im Übrigen müsste ich auch für das Auswärtige Amt antworten. Ich bin kein Geschichtshistoriker.

HEBESTREIT: Ich glaube, es wäre auch eine seltsame Sache, wenn wir historische Erkenntnisse und Tatbestände hier bewerten würden, ob wir sie richtig oder falsch finden. Die Wissenschaft ist frei. Deshalb habe ich Sie auf einen der besten Kenner dieser Materie verwiesen. Dann können Sie ja da noch weiter forschen.

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