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Erklärungen des Auswärtigen Amts in der Regierungs­­­­­pressekonferenz vom 28.02.2024

28.02.2024 - Artikel

Russischer Angriffskrieg gegen die Ukraine

Frage

Herr Hauck, Sie haben gesagt, die EU-Kommission hat schon angekündigt, dass sie die Zollausnahmen (für die Ukraine) um ein Jahr verlängern möchte. Unterstützt das BMEL diesen Vorschlag der Kommission?

Hauck (BMEL)

Wie ich schon gesagt habe, begrüßen wir diesen Vorstoß der Kommission, die autonomen Zollmaßnahmen zu verlängern. Ich glaube, das gälte dann bis zum 5. Juni 2025. Diese Zollmaßnahmen sollen auch durch Schutzmaßnahmen zur Stabilisierung der wirtschaftlichen Lage in den Anrainerstaaten beitragen. Zu nennen sind dabei empfindliche Agrarerzeugnisse wie beispielsweise Geflügelprodukte, Eier und Zucker. Ich will an der Stelle ganz klar sagen: Unilaterale Maßnahmen sind weder mit der solidarischen Haltung gegenüber der Ukraine noch mit dem Ziel der Ernährungssicherheit vereinbar.

Um vielleicht die nächste Frage zu antizipieren: Die EU-Kommission hat ja auch mehrere Hilfspakete geschnürt, um die Lage in den Agrarmärkten in den Anrainerstaaten finanziell abzufedern. Da wurden aus der Agrarreserve zwei Hilfspakete finanziert. Das erste Hilfspaket für Polen, Bulgarien und Rumänien belief sich auf 56 Millionen Euro. Das zweite, 100 Millionen Euro, war auf alle fünf Anrainerstaaten der Ukraine ausgerichtet.

Fischer (AA)

Ich würde gerne noch einmal ergänzen, dass wir in der EU geschlossen hinter der Ukraine stehen und dass Polen zu den stärksten politischen Unterstützern der Ukraine gehört. Deshalb ist es wichtig, dass die Blockaden an der ukrainischen Grenze jetzt schnell aufgelöst werden, damit wieder dringend benötigte Güter von der Ukraine nach Polen und von dort weiter in die Europäische Union und darüber hinaus, aber auch in die andere Richtung dringend benötigte Güter in die Ukraine gelangen können. Es ist jetzt an Polen und der Ukraine, hier eine Einigung herbeizuführen. Dazu ist ja auch eine ukrainische Delegation an die Grenze gereist, um mit der polnischen Seite darüber zu sprechen.

Ich möchte auch noch einmal das unterstützen, was der Kollege aus dem Landwirtschaftsministerium gerade erläutert hat. Der Ukraine ist es ja gelungen, einen Getreidekorridor im Schwarzen Meer freizukämpfen, auch mithilfe von Waffen, die wir geliefert haben. Über diesen Getreidekorridor ‑ darauf hat die Außenministerin bei ihrem Besuch in Odessa am Wochenende hingewiesen ‑ wird mittlerweile wieder genauso viel Getreide wie vor dem Krieg exportiert. Das heißt, die Zahlen sind auf einem hohen Stand. Deshalb sind auch die Getreideexporte der Ukraine über diese Solidarity Lanes in den letzten Monaten sehr deutlich zurückgegangen. Der Kollege sprach von 13 Prozent. Wenn man sich jetzt vorstellt, was das für Polen heißt, ist das noch einmal deutlich weniger. Die meisten Getreideexporte aus der Ukraine, die die polnisch-ukrainische Grenze passieren, werden dann weiter in die Europäische Union exportiert, von wo aus sie auf Schiffe verladen und in Drittstaaten exportiert werden. Das heißt, das, was der Kollege beschrieben hat, dass es keine wirklichen Auswirkungen auf die Agrarpreise gibt, ist zutreffend, weil der Großteil des Getreides mittlerweile über andere Exportrouten exportiert wird und das, was über die polnisch-ukrainische Grenze hineinkommt, zu einem großen Teil auch in Drittstaaten exportiert wird. Insofern ist es umso wichtiger, dass diese Blockade jetzt beendet wird.

Frage

Sie sagten schon, Sie können den Gesprächen nicht vorgreifen. Ich verstehe aber schon, dass das jetzt ein Thema werden wird. Ich möchte dazu noch einmal fragen: Unternimmt die polnische Regierung nach der aktuellen Entscheidung bereits genug, um dieses Problem zu lösen, oder geht der Minister mit der Aufforderung dahin, wie Sie sagten, das jetzt schnell abzustellen?

Hauck (BMEL)

Ich hatte Ihnen ja gesagt, dass die Folgen auf den Agrarmärkten infolge des Ukrainekrieges in den politischen Gesprächen auf jeden Fall Thema sein werden. Wie ich auch schon erläutert habe ‑ das ist auch die Haltung des Bundesministers ‑: Wir brauchen ein geeintes Vorgehen innerhalb der Europäischen Union. Da müssen alle 27 Mitgliedstaaten an einem Strang ziehen. Sie können natürlich davon ausgehen, dass das bei diesen Gesprächen auch Thema sein wird.

[…]

Frage

Indirekt zur Ukraine: Herr Hebestreit, wie würden Sie denn jetzt nach diesen manchmal ein bisschen widersprüchlichen und irritierenden Äußerungen, Macron schließe westliche Soldaten in der Ukraine nicht mehr aus, sagen, wie es um das deutsch-französische Verhältnis gerade bestellt ist, vor allen Dingen in der Frage einer wirklich gemeinsamen Politik gegenüber dem, was in der Ukraine und in Russland geschieht?

Hebestreit (BReg)

Lassen Sie mich vielleicht zwei Sätze vorwegschicken, und dann komme ich konkret auf Ihre Frage. Zur Genese: Es hat am Montag auf Einladung des französischen Präsidenten eine Konferenz in Paris mit 21 Staats- und Regierungschefs gegeben, unter anderem auch mit dem Bundeskanzler. Diese Konferenz hatte das Thema, wie man mehr Unterstützung für die Ukraine organisieren kann. Das war zweigeteilt. Im ersten Teil ging es um mehr von dem, was bisher schon gemacht wird, und in einem zweiten Teil - zum Abendessen - ging es um die Frage, ob man qualitativ noch anderes tun möchte. Daraus hat sich eine ganze Menge an Gemeinsamkeiten ergeben, was die Cyberabwehr, die Unterstützung für Moldau, den Getreideexport über das Schwarze Meer ‑ der hier auch schon eine Rolle spielte ‑, insbesondere aber auch die Organisation weiterer Waffenlieferungen und auch die Lieferung von Artilleriemunition angeht. Da herrschte große Einhelligkeit. Alle Staats- und Regierungschefs, die vor Ort waren ‑ mit zwei Ausnahmen, weil auch die Länder Österreich und Irland dabei waren, die traditionell in solchen Fragen neutral sind ‑, haben sich mitgenommen, dass sie noch einmal schauen werden, wie sie da weiter vorangehen können.

Im zweiten Teil ging es auch um die Frage, ob man qualitativ etwas anderes tun sollte. Der französische Präsident hat dann, wie ja auch auf der Pressekonferenz danach zu erfahren war, seinen Vorschlag gemacht, ob man auch einmal über Bodentruppen oder Ähnliches nachdenken müsste. Der Bundeskanzler hat dann auch relativ bald gesprochen und diesen Vorschlag als nicht besonders zielführend bezeichnet. Im weiteren Verlauf des Abends hat sich niemand der dort Anwesenden hinter dem französischen Vorschlag versammelt. So ging man im festen Einvernehmen auseinander, dass das, was ich eben vorgetragen habe, das ist, was diese Unterstützerinnen und Unterstützer der Ukraine jetzt anstreben.

Insofern gibt es da eine Sachfrage, in der es unterschiedliche Positionen zwischen Frankreich, Deutschland und dem Rest der dort Versammelten gibt. Das ist völlig in Ordnung. Solche Fragen muss man miteinander klären. Der Bundeskanzler hat gestern noch einmal seine Position sehr deutlich gemacht, die, wenn ich das im Moment so überschaue, auch die Position der überwiegenden Zahl derer ist, die dort versammelt waren. Das hat jetzt aber keine Auswirkungen ‑ das war ja Ihre Frage ‑ auf das deutsch-französische Verhältnis, sondern da sind die Positionen klar und in einer Sachfrage unterschiedlich.

Trotzdem bleibt es dabei ‑ das haben ja auch beide Seiten und alle dort Anwesenden massiv geteilt ‑, dass wir die Ukraine unterstützen. Deutschland ist in Europa der stärkste Unterstützer ‑ nicht nur finanziell, sondern auch militärisch ‑ der Ukraine und hat seit Jahresbeginn auch seine europäischen Freundinnen und Freunde gebeten und aufgefordert, dass wir alle insgesamt mehr tun und dass wir es ermöglichen, noch mehr von dem, was jetzt in der Ukraine gebraucht wird ‑ da steht an vorderster Stelle die Artilleriemunition ‑, in die Ukraine zu schicken, um der Ukraine zu ermöglichen, sich gegen den russischen Angriffskrieg zu wehren.

Das sind die Punkte. Der eine Punkt ist eine Position, die Frankreich markiert hat, und wir und viele andere haben eine andere markiert. Aber das ist dann nicht weiter dramatisch.

Frage

Herr Stempfle, wenn man mit aktiven sowie ehemaligen Bundeswehrangehörigen spricht, dann erklären die ziemlich unisono, dass Taurus eigentlich nicht ohne direkte Beteiligung von Bundeswehrsoldaten bedient werden könne. Insbesondere wird auf das Geländereferenznavigationssystem verwiesen. Verteidigungspolitische Vertreter der Ampel ‑ vor allem wiederum grün und gelb ‑ negieren das und sagen, das sei durchaus möglich. Könnten Sie da ein bisschen Klarheit schaffen und erklären, ob Taurus tatsächlich ohne direkte Beteiligung von Bundeswehrsoldaten durch die Ukraine vollumfänglich nutzbar wäre?

Stempfle (BMVg)

Danke für die Frage. ‑ Ich muss Sie leider enttäuschen: Wie Waffen zum Einsatz kommen, werde ich hier ganz bestimmt nicht beschreiben.

Zusatzfrage

Aber das hat ja nun wirklich unter Umständen Auswirkungen auf jeden einzelnen Bewohner dieser Republik. Deswegen wäre es doch, glaube ich, für die bundesdeutsche Bevölkerung schon relevant zu wissen, ob der Einsatz von Taurus, den der Kanzler bisher ausgeschlossen hat, der aber in der Koalition umstritten ist, ohne jegliche Beteiligung von Bundeswehrsoldaten möglich ist. Das ist, glaube ich, eine Frage, die man durchaus beantworten kann.

Hebestreit (BReg)

Das kann ich Ihnen sogar in Vertretung für den Kollegen Stempfle beantworten Auch wenn ich nicht weiß, ob Sie sich mit Ihrem Produkt an die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes wenden, mach ich das trotzdem und sage: Der Bundeskanzler hat das am Montag sehr klar ausgeschlossen, und insofern herrscht an dieser Stelle Klarheit. Auf alle weiteren Fragen, die Sie hypothetisch stellen mögen, braucht es keine Antwort.

Zuruf

Herr Hebestreit ist Gast hier und beschimpft mein Medium. Das ist ja nun wirklich ein bisschen anmaßend!

Vorsitzende Buschow

Eine Beschimpfung habe ich tatsächlich nicht gehört, muss ich sagen. Aber die Regel ist nach wie vor: Frage, Nachfrage. Ich nehme Sie gerne wieder auf die Liste, wenn Sie eine Nachfrage haben. Aber die nächste Frage zum Thema hat ein Kollege.

Frage

Herr Hebestreit, auch zum Thema Taurus: Der Bundeskanzler hat sich am Montag ausführlicher zu der Frage geäußert, warum er Taurus zum jetzigen Zeitpunkt nicht liefern will. Ein Argument, das er genannt hat, war eben, dass andere ‑ Briten und Franzosen namentlich ‑ bei der Zieleingabe Dinge tun könnten, die Deutschland nicht tun könne. Nun hat das britische Verteidigungsministerium klargestellt, dass die Zieleingabe Sache der Ukrainer sei. Sehen Sie da einen Widerspruch, oder können Sie diesen Widerspruch auflösen?

Hebestreit (BReg)

Ich sehe keinen Widerspruch, also muss ich ihn auch nicht auflösen.

Zusatzfrage

Das verstehe ich nicht ganz; denn wenn die britische Seite sagt, die Zieleingabe sei Sache der Ukrainer, dann ist es doch eigentlich so, dass sie dem Bundeskanzler widersprochen haben, oder nicht?

Hebestreit (BReg)

Ich habe da keinen Widerspruch gesehen.

Zusatzfrage

Was hat denn den Bundeskanzler veranlasst ‑ der Streit geht ja schon seit einigen Monaten ‑, zum jetzigen Zeitpunkt diese Klarstellung vorzunehmen, die ja eventuell auch Sicherheitsinteressen der Verbündeten ‑ namentlich der Briten und der Franzosen ‑ betrifft?

Hebestreit (BReg)

Es steht im Benehmen des Bundeskanzlers, zu entscheiden, zu welchem Zeitpunkt er sich in politischen Debatten oder auch in einer solchen Frage äußert. Ich weiß nicht, wie oft wir diese Frage in den letzten Wochen und Monaten hier miteinander diskutiert haben. Sie haben immer wieder gedrängt, er möge das erklären. Jetzt hat er es getan. Insofern nehme ich das jetzt als Lob zur Kenntnis, dass er es getan hat, und streite nicht über den Zeitpunkt.

Frage

Ein Kernsatz der ablehnenden Begründung des Bundeskanzlers war ‑ ich zitiere ‑:

„[Wir] dürfen an keiner Stelle und an keinem Ort mit den Zielen, die dieses System erreicht, verknüpft sein.“

Ist eine Verknüpfung aus Sicht des Bundeskanzlers schon dann gegeben, wenn das System Taurus als deutsches System ein Ziel erreicht, oder ist die Verknüpfung erst dann gegeben, wenn deutsche Kräfte Soldaten bei der Erreichung des Zieles durch Programmierung und Erfassung mit involviert sind?

Hebestreit (BReg)

Ich würde Ihnen jetzt gerne genau das sagen, was ich Ihrem Kollegen schon geantwortet habe. Das wäre jetzt eine hypothetische Frage. Der Bundeskanzler hat, wie Herr Brössler das eben auch sehr genau zitiert hat, erklärt, dass es zum jetzigen Zeitpunkt keine Lieferung geben wird, und er hat die Gründe, die ihn dazu bewegt haben, dargelegt. Das ist jetzt Fakt. Darum geht es. Insofern brauche ich die Hypothese und das Abklopfen und „Was wäre wenn?“ oder so gar nicht weiter beantworten, weil es ja geklärt ist.

Zusatzfrage

Mit Verlaub, ich halte es nicht für eine Hypothese, wenn ich darum bitte zu erläutern, ob der Satz des Bundeskanzlers, es dürfe keine Verknüpfung mit Zielen geben, bedeutet, dass alleine die Erreichbarkeit eines Zieles eine Verknüpfung darstellt. Das ist eine definitorische Frage, und ich bitte da um eine Antwort.

Hebestreit (BReg)

Da ziehe ich mich auf das beliebte Bundespressekonferenz-Bullshit-Bingo zurück. Die Worte des Bundeskanzlers stehen auch an dieser Stelle für sich. Ich habe Sie lediglich darauf hingewiesen, warum eine Antwort Sie nicht wirklich weiterbringt, nämlich weil Sie die Antwort schon haben. Der Bundeskanzler hat klar geäußert, dass zum jetzigen Zeitpunkt Taurus nicht geliefert wird.

Frage

Es gibt Stimmen in Frankreich, die sagen, Macron habe eigentlich eher so etwas gemeint wie Ausbilder, die dann in der Ukraine sein sollten. Herr Pistorius hat das dann eher als Impuls und weniger als wirklich ernst gemeinten Vorschlag verstanden. Da würde mich einmal interessieren: Wie hat denn der Kanzler Macrons Vorschlag interpretiert? Hat er das wirklich so verstanden, dass jetzt Bodentruppen in die Ukraine einmarschieren sollen? Wo liegt er da im Interpretationsspektrum?

Hebestreit (BReg)

Ich weiß gar nicht, ob ich Ihre Interpretation eins zu eins teile. Es hat am späten Montagabend eine Pressekonferenz in Paris gegeben, und es gab dazu am Dienstag Agenturmeldungen, die dazu geführt haben, dass der Bundeskanzler am Rande eines ganz anderen Termins gestern in Freiburg ‑ reagierend auch auf die Agenturmeldungen und die öffentliche Debatte, die aufgrund dieser Agenturmeldungen entstanden ist ‑ noch einmal sehr deutlich und klar gesagt hat, dass es Bodentruppen nicht geben wird. Er hat auch gesagt, dass es dazu Einigkeit innerhalb der NATO gibt.

Ich muss dazu auch noch einmal meine drei Punkte bemühen ‑ die ständigen Gäste können jetzt kurz vorspulen ‑: Wir unterstützen die Ukraine, so stark es geht. Gleichzeitig sorgen wir dafür, dass weder die NATO noch Deutschland Kriegspartei in dieser Auseinandersetzung werden. Drittens stimmen wir uns international eng ab, insbesondere mit unseren amerikanischen Freunden. Das sind die drei Prinzipien, die seit Anbeginn an unser Handeln in dieser Frage bestimmt haben und es weiterhin bestimmen.

Zusatzfrage

Sie würden jetzt also nicht interpretieren wollen, wie Herr Macron das mit Blick auf explizite Auswirkungen gemeint hat?

Hebestreit (BReg)

Nein, das steht mir auch gar nicht zu. Wir interpretieren ja nicht die Äußerungen anderer Staatschefs. Wichtig ist ja, in der Position klar zu sein und auch deutlich zu machen, wo man selber steht.

Frage

Herr Hebestreit, Sie haben gerade gesagt, es gebe eine Meinung, die Frankreich markiert hat, die Bundesregierung und Alliierte hätten eine andere Meinung und das sei nicht weiter dramatisch. Warum ist das denn nicht dramatisch? Andersherum gefragt: Ist es nicht eher dramatisch, wenn Deutschland und Frankreich in einer solchen, doch sehr wichtigen Frage zu einem kritischen Moment auch öffentlich ganz gegensätzliche Positionen vertreten? Vor allen Dingen ist der französische Präsident in dieser Pressekonferenz ja Deutschland angegangen ‑ ich beziehe mich da auf die Helme und die Schlafsäcke. Dazu auch nachgefragt: Gab es da nachträglich noch einmal ein Gespräch oder wurde das einmal angesprochen? Hat man irgendwie protestiert, dass dort so etwas so deutlich Deutschlandkritisches vorgebracht wurde?

Hebestreit (BReg)

Den konkreten Fall habe ich überhaupt nicht als deutschlandkritisch wahrgenommen. Ich glaube, Deutschland hat so stark wie niemand anderes die Ukraine unterstützt. Wir haben eine wunderbare lange Liste über Militärmaterial, das wir geliefert haben. Ich glaube, das summiert sich inklusive der Dinge, die wir für 2025 schon reserviert haben, auf mehr als 28 Milliarden Euro. Insoweit sind wir da sehr entspannt.

Zu der anderen Frage: Ich wundere mich ein bisschen, dass man das zu einem deutsch-französischen Problem oder zu einer deutschen Diskussion macht. Es ist doch vielmehr so, dass der französische Präsident eine Position markiert hat, für die es ansonsten wenig internationale Unterstützung gibt. Deutschland gehört zu der großen Gruppe derjenigen, die das in diesem Fall anders sieht.

Die Frage des Kollegen vorhin war: Was heißt das für das deutsch-französische Verhältnis? Da sage ich: Das ist nicht dramatisch. Wir haben da unterschiedliche Positionen. Deutschland sieht sich da im Konzert mit den Vereinigten Staaten, Großbritannien, Spanien, Italien und vielen anderen Ländern ‑ ich kann noch sagen: Polen, Dänemark und Norwegen; habe ich wen vergessen? ‑, die das genauso betrachten wie wir. Insofern fühlen wir uns da in einem guten Konzert. Trotzdem ist es doch völlig legitim, auch eine andere Position zu vertreten. Wichtig ist, dass man einheitlich handelt, und das tut das Bündnis, das die Ukraine unterstützt.

Zusatzfrage

Ganz kurz nachgefragt: An diesen 28 Milliarden Euro Unterstützung besteht ja kein Zweifel. Sie sagen, Sie haben es nicht so aufgefasst. Wenn ich einmal quer durch die Presse gehe, ist aber ganz klar zu sehen: Dieser Bezug auf die Helme und die Schlafsäcke wurde als deutliche Kritik an Deutschland aufgefasst.

Hebestreit (BReg)

Den Schuh muss man sich ja nicht anziehen. Deshalb habe ich kurz auf die 28 Milliarden Euro verwiesen. Ich habe das in einer anderen Situation bei einem innenpolitischen Thema einmal als internationale Härte bezeichnet. Das ist jetzt international, und ich würde sagen: Da darf man nicht so schnell mucksch werden, wie man in Norddeutschland sagt.

Zusatzfrage

In der Frage wird das also nicht forciert?

Hebestreit (BReg)

Nein.

Frage

Herr Hebestreit, das war ja immer noch keine definitive Absage des Kanzlers an Taurus-Lieferungen, sondern er hat ja gesagt: zum jetzigen Zeitpunkt oder auf absehbare Zeit. Die Frage wäre: Wann wäre denn die Zeit gekommen, dass diese Verknüpfung zwischen Deutschland und dem Ziel keine Rolle mehr spielt?

Hebestreit (BReg)

Eine Glaskugel habe ich nicht, aber vielleicht hilft ja ein Blick zurück ein wenig. Wir haben vor etwas über zwei Jahren zusammengesessen und uns überlegt, wie Deutschland der Ukraine helfen kann. Das war der Tag nach der Rede zur Zeitenwende im Deutschen Bundestag. Da hat die Bundesrepublik zum ersten Mal überhaupt größere Mengen an Waffen in ein Kriegsgebiet geliefert. Damals ging es, glaube ich, vor allem um schultergestützte Panzerfäuste und Ähnliches. Was wir seither in enger Abstimmung mit unseren nationalen Partnern auch im Lichte der Kriegsentwicklungen dort alles gemacht haben, ist ja immer ein Abwägungsprozess gewesen und wurde auch immer an einer realen Entwicklung, die es dort gegeben hat, gemessen.

Insofern ist es richtig: Zum jetzigen Zeitpunkt und auf absehbare Zeit ist diese Entscheidung für den Bundeskanzler gefallen. Wenn sich die Situation in einer Art und Weise verändert, dass man all die Gründe, die man hat, um gewisse Entscheidungen im Augenblick nicht zu treffen, anders beurteilen würde, dann wäre der Moment gekommen. Aber das kann ich nicht hypothetisch im Vorhinein definieren.

Deswegen sollten wir auch immer wieder sagen ‑ die Diskussion über dieses eine Waffensystem ist ja auch immer sehr interessant ‑, dass es im Augenblick ganz wichtig ist ‑ darüber waren sich in Paris auch alle einig und haben das gelobt ‑, sich noch weiter zu bemühen, Artilleriemunition zu organisieren, Luftverteidigungssysteme loszueisen und Produktionen zu steigern. Das ist das, worum es im Augenblick geht, um Tag für Tag die Ukraine konkret dabei zu unterstützen, dass sie sich verteidigen kann.

Ich sage es noch einmal für alle, die hier im Raum sind: Es ist der russische Überfall auf die Ukraine, der erbarmungslos fortgesetzt wird. Seit mehr als zwei Jahren wird ein friedliches Land überfallen, das nach wie vor besetzt ist. Das ist der Grund für all unsere Bemühungen im Augenblick, der Ukraine bei ihrem Kampf für Freiheit und Leben zu helfen.

Frage

Herr Fischer und Herr Stempfle, in den Begründungen, die der Bundeskanzler genannt hat, sind ja Dinge enthalten, die rechtliche und völkerrechtliche Fragen betreffen, etwa die Frage, wo eventuell eine Kriegsbeteiligung verstanden werden kann, oder die Frage, wo eventuell ein Mandat des Bundestages notwendig sein könnte. Machen sich die Außenministerin und der Verteidigungsminister die Überlegungen und die Argumentation des Bundeskanzlers in dieser Hinsicht zu eigen?

Fischer (AA)

Vielleicht kann ich für die Außenministerin einmal sagen: Es ist doch ganz klar, dass wir als Deutschland weiterhin alles dafür tun, die Ukraine bestmöglich in diesem Kampf gegen den russischen Aggressor zu unterstützen. Deswegen haben wir unsere bilaterale Hilfe zusätzlich zu der europäischen Unterstützung maximal ausgebaut - politisch, wirtschaftlich, humanitär und auch mit Waffen. Für das kommende Jahr planen wir ‑ darauf hat Herr Hebestreit schon hingewiesen ‑ militärische Unterstützung im Wert von mehr als 7 Milliarden Euro. Es geht hier um unsere Sicherheit, um unser aller Sicherheit in Deutschland und Europa, die die Ukraine verteidigt.

Was Ihre Frage angeht, so müsste man das natürlich im Einzelfall sehen. Herr Stempfle hat vorhin die Frage beantwortet, in welchem Kontext Taurus eingesetzt werden könnte. Es gibt ja auch Möglichkeiten, die Hersteller zu befragen und zu schauen, was man da so machen kann. Die Außenministerin selbst hatte am Wochenende eine Frage zu diesem Thema beantwortet und dabei noch einmal hervorgehoben, dass wir fortlaufend prüfen, wie wir die Ukraine noch besser unterstützen können, und uns dabei an den Notwendigkeiten an der Front und den Bedarfen vor Ort orientieren.

Wie Sie wissen, hat gerade eben auch der Deutsche Bundestag mit der Mehrheit der Regierungsfraktionen einen Antrag zur Lieferung zusätzlicher weitreichender Waffensysteme beschlossen. Wie Sie auch wissen, verfolgen wir mit unserer militärischen Unterstützung einen sehr breiten Ansatz, und der Schwerpunkt lag bislang vor allen Dingen bzw. liegt unter anderem auf der Luftverteidigung. Da haben wir, glaube ich, in diesem Winter einiges erreicht, wenn man vergleicht, wie die Angriffe der russischen Armee gegen zivile Ziele in der Ukraine durchgeführt worden sind und wie sich die Ukraine vor allen Dingen in diesem Jahr im Vergleich zum letzten Jahr verteidigen konnte. Darüber hinaus habe ich keinen weiteren neuen Stand für Sie.

Stempfle (BMVg)

Es ist immer ein bisschen undankbar, wenn man als Drittes sprechen muss; denn dann ist schon so vieles gesagt. ‑ In der Tat ‑ Herr Hebestreit hat es gesagt ‑ hat der Kanzler die Entscheidung gefällt. Der Verteidigungsminister trägt diese Entscheidung mit; das hat er ja auch klar gesagt.

Ansonsten kann ich nur ergänzen, was Herr Fischer gerade gesagt hat. In der Tat ist es ist eine sehr, sehr breite Unterstützung. Sie wissen, dass wir bei den Unterstützungsleistungen weltweit auf Platz zwei sind. Von den vielen Aspekten, die genannt wurden, ist vielleicht einer noch nicht genannt worden, nämlich die Capability Coalition. Auch da sorgen wir dafür, dass im Bereich der Luftverteidigung langfristig Fähigkeiten für die Ukraine aufgebaut werden. Das ist in der Summe wirklich eine sehr starke Hilfe.

Vielleicht noch ganz kurz zur Capability Coalition, weil ja auch immer das Verhältnis zu Frankreich angesprochen wird: Das wird gemeinsam mit Frankreich im Co-Lead gemacht. Daran sieht man, dass das Verhältnis auch bei der Unterstützung der Ukraine sehr gut ist.

Zusatzfrage

Herr Fischer, Sie haben von fortlaufenden Prüfungen gesprochen. Darf ich Sie dann so verstehen, dass die Diskussion über Taurus nicht nur in der Koalition, sondern auch im Kabinett weitergeht?

Fischer (AA)

Sie dürfen mich so verstehen, wie ich das gesagt habe: Wir prüfen fortlaufend, wie wir die Ukraine noch besser unterstützen können, und dabei orientieren wir uns an den Notwendigkeiten im Kampfgebiet und den Bedarfen vor Ort.

Frage

Ich probiere es noch einmal bei Herrn Hebestreit mit einer Lern- und einer Verständnisfrage: Sind bei Taurus eigentlich amerikanische Komponenten im Spiel? Der Hintergrund ist, ob die Amerikaner dann bei einer eventuellen Lieferung ein Mitspracherecht hätten.

Hebestreit (BReg)

Es wäre mir neu, dass es da etwas gibt ‑ aber neu heißt nicht, dass es nicht stimmt. Ich habe keine Ahnung. Dieser Aspekt begegnet mir jetzt aber das erste Mal ‑ so viel vielleicht dazu.

Zusatzfrage

Falls das doch noch der Fall sein sollte, würden Sie es bestimmt nachreichen, richtig?

Hebestreit (BReg)

Weiß ich nicht, denn das ist ja kein deutsches Waffensystem, sondern das Waffensystem eines deutschen Herstellers. Ich werde aber schauen, ob ich etwas herausfinde.

Zusatzfrage

Die Verständnisfrage ist: Bisher hat man den Ukrainern Waffen immer wieder unter der Bedingung geliefert, dass russisches Gebiet nicht angegriffen werden darf, und die Ukrainer haben dies immer wieder zugesichert. Jetzt geht es ja bei Taurus um die Reichweite von 500 Kilometern. Glauben Sie den Ukrainern nicht, wenn es um die Frage geht, ob Taurus hinter dem ukrainischen Staatsgebiet eingesetzt werden könnte?

Hebestreit (BReg)

Ich glaube, der Bundeskanzler hat seine Beweggründe dargelegt, und denen habe ich nichts hinzuzufügen.

Frage

Ich habe noch eine Nachfrage an Herrn Hebestreit zu den Bodentruppen, und zwar möchte ich gerne eine Präzisierung haben, was der Kanzler eigentlich ausschließt. Schließt er aus, dass NATO- oder EU-Truppen dorthin gesendet werden, oder schließt er auch aus, dass Bodentruppen aus einzelnen NATO- oder EU-Staaten in die Ukraine geschickt werden? Würde er es also auch ablehnen, wenn ein Land ‑ ich nenne jetzt zum Beispiel einmal Frankreich ‑ sich entschließen würde, Soldaten in die Ukraine zu schicken?

Hebestreit (BReg)

Der Bundeskanzler kann für die deutschen Soldaten sprechen, und er kann dafür sprechen, was im Rahmen der NATO oder der Europäischen Union in einer gemeinsamen Lage beschlossen wird. Was einzelne Länder machen, entzieht sich seinem Einflussbereich. Er hat aber, glaube ich, gestern sehr deutlich gemacht, was für eine Empfehlung er in einer solchen Frage geben würde, wenn man ihn danach fragen würde bzw. wenn man sich mit dem Gedanken tragen würde.

Zusatzfrage

Ich frage deswegen, weil zumindest die russische Seite die Anwesenheit von Soldaten aus einem NATO-Land schon als direkte Kriegsbeteiligung ansehen würde. So weit würde der Kanzler in der Analyse aber nicht gehen?

Hebestreit (BReg)

Mir fällt es sehr schwer ‑ ‑ ‑ Das ist ja auf einer anderen Ebene. ‑ Russland verstößt seit mindestens zwei Jahren ‑ man kann auch sagen, seit zehn Jahren ‑ kontinuierlich gegen Völkerrecht und hat gerade einen völkerrechtswidrigen Krieg vom Zaun gebrochen, bei dem hunderttausende Opfer zu beklagen sind. Jetzt in eine juristische Auseinandersetzung zu gehen, was Russland wie empfinden könnte oder sollte oder so, ist aus meiner Sicht nicht besonders zielführend.

Frage

An Herrn Fischer: Ab Samstag reist der Eurasien-Beauftragte der chinesischen Regierung, Li Hui, nach Russland, nach Polen, in die Ukraine, nach Frankreich und auch nach Deutschland. Meine Frage wäre: Welche Rolle spielt diese Reise für Sie und für die Gespräche in Sachen Ukraine, und wie beurteilen Sie Chinas bisheriges Engagement in Bezug auf den Ukrainekrieg?

Fischer (AA)

Wir haben die chinesische Ankündigung zur Kenntnis genommen. Wenn ich das richtig sehe, sind meine Kolleginnen und Kollegen just, wo wir hier sprechen, genau zu dieser Reise im Gespräch mit der chinesischen Seite. Sie wissen vielleicht, dass der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine und Chinas Verhältnis zu Russland regelmäßiges Gesprächsthema sind, wenn wir mit der chinesischen Seite sprechen. Insofern begrüßen wir die Reise des Sonderbeauftragten nach Europa, weil sie die Möglichkeit gibt, noch einmal direkt miteinander, sozusagen von Mensch zu Mensch, von Auge zu Auge, zu sprechen.

Es ist grundsätzlich zu begrüßen, wenn China sich bemüht, für den Weltfrieden einzustehen. Als ständiges Mitglied im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen trägt China dafür auch eine besondere Verantwortung. Das ist genauso wichtig, wie wenn es andere tun. Man muss aber auch sagen, dass China bis heute Russlands Angriffskrieg nicht als solchen benannt hat, was wir, wie Sie wissen, sehr bedauern. Denn wer von Frieden spricht, muss auch den Krieg klar benennen und muss vor allen Dingen klar benennen, dass es hier eine Aggression gegen einen unabhängigen und souveränen Staat gibt, einen Angriffskrieg, der nach der Charta der Vereinten Nationen verboten ist.

Für eine Bewertung der anstehenden Gespräche ist es naturgemäß noch zu früh. Diesbezüglich würde ich Sie darauf verweisen, dass wir uns gegebenenfalls dazu unterhalten können, wenn die Gespräche stattgefunden haben.

Friedensgespräche zwischen Aserbaidschan und Armenien

Frage

Es finden ja Friedensgespräche zwischen Aserbaidschan und Armenien statt. Welche Rolle spielt die Bundesregierung dabei bzw. welche Erwartungen knüpft sie an diese Gespräche?

Fischer (AA)

Sie haben recht, heute finden im Gästehaus des Auswärtigen Amtes, der Villa Borsig, Friedensverhandlungen zwischen den Außenministern von Armenien und Aserbaidschan statt. Diese laufen zur Stunde.

Vielleicht zur Einordnung: Dem Treffen geht ein trilaterales Gespräch von Bundeskanzler Scholz am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz mit dem Ministerpräsidenten Armeniens und dem Präsidenten Aserbaidschans voraus, sowie eine Reise von Außenministerin Baerbock nach Armenien und Aserbaidschan Anfang November 2023, anlässlich derer die Außenministerin für eine verhandelte, umfassende Friedenslösung geworben hat. Wie Sie wissen, setzen wir uns dafür ein, dass die offenen Fragen zwischen Armenien und Aserbaidschan auf friedlichem Weg und ohne Anwendung von Gewalt gelöst werden. Dafür ist ein zügiger Abschluss von Friedensverhandlungen zwischen den beiden Ländern natürlich wichtig und zentral. Deutschland und auch Europa stehen bereit, dies nach Kräften zu unterstützen, auch durch die Bemühungen des Präsidenten des Europäischen Rates, Charles Michel. In diesem Rahmen ordnet sich das ein.

Außenministerin Baerbock trifft im Rahmen der Verhandlungen, sozusagen “as we speak” ‑, beide Außenminister jeweils zu bilateralen Gesprächen, und zudem ist ein trilaterales Gespräch geplant. Die Außenministerin wird zu Beginn dieses trilateralen Gesprächs ein presseöffentliches Auftaktstatement abgeben. Sehen Sie mir insofern bitte nach, dass ich dem nicht weiter vorgreifen kann.

Nahostkonflikt

Frage

Ich hätte die Frage, wie sich denn die Lieferung der Waffen nach Israel entwickelt hat, also das Volumen. Im vierten Quartal 2023 hat sich die Zahl der Waffenlieferungen ja verzehnfacht. Gibt es aktuelle Zahlen seit Januar?

Stempfle (BMVg)

Ich habe dazu keine aktuellen Zahlen vorliegen. Wir veröffentlichen die Zahlen ja quartalsweise und werden sie dann wieder zum Ende des Quartals veröffentlichen. Monatsscharfe Zahlen veröffentlichen wir nicht.

Zusatzfrage

Vorher können Sie auch keine Zahlen nennen?

Stempfle (BMVg)

Ich habe die nicht vorliegen. Die werden, wie gesagt, dann wieder zum Ende des Quartals veröffentlicht.

Frage

Herr Fischer, UNRWA hat gesagt, dass seit dem Urteil des Internationalen Gerichtshofs 50 Prozent weniger Hilfslieferungen angekommen seien. Dabei war das Urteil ja eindeutig so, dass es zu deutlich mehr kommen muss. Ich glaube, der Monat ist jetzt auch um. Israel hatte ja vier Wochen Zeit, das umzusetzen. Wie beurteilen Sie die Nichtumsetzung des IGH-Urteils?

Fischer (AA)

Was ich sagen kann, ist, dass Israel laut Medienberichten am Montag den Bericht vorgelegt hat, also fristgerecht. Dieser Bericht ist nicht öffentlich. Das entspricht im Übrigen der laufenden Praxis des Internationalen Gerichtshofs bei Verfahren oder auch bei Gerichtsverfahren im Allgemeinen. Es ist am Internationalen Gerichtshof, der das jetzt wahrscheinlich auch tut, diesen Bericht auszuwerten und daraus dann seine Schlüsse zu ziehen.

Im Übrigen gilt aber natürlich für uns, dass wir uns unermüdlich dafür einsetzen, mehr humanitäre Hilfe nach Gaza hereinzubekommen, und dass wir unermüdlich daran arbeiten, dass es zu einer Feuerpause kommt, die es ermöglicht, die noch verbliebenen Geiseln der Hamas freizubekommen und gleichzeitig die humanitäre Lage der Bevölkerung in Gaza zu verbessern.

Zusatzfrage

Ich hatte jetzt aber nicht nach dem Bericht Israels gefragt, sondern nach seinen völkerrechtlichen Verpflichtungen. Sie hatten ja immer wieder darauf hingewiesen, dass das IGH-Urteil verbindlich ist und dass Sie auf Israel einwirken. Nun hat Israel die Pflicht, deutlich mehr Hilfslieferungen im Vergleich zum Januar hineinzulassen. UNRWA und auch andere UN-Stellen sowie westliche Partner sagen, das Gegenteil passiere. Wie bewerten Sie diesen Bruch des IGH-Beschlusses? Das sind ja Fakten!

Fischer (AA)

Ich erläutere Ihnen, glaube ich, einmal, was jetzt passiert. Der Bericht wird jetzt von dem sogenannten Committee aus drei Richterinnen und Richtern des IGH geprüft, und dieses Committee kann im Anschluss an die Prüfung weitere Vorschläge zum Vorgehen machen. Da besteht zum Beispiel die Möglichkeit, dass der IGH weitere Maßnahmen anordnen oder die ergangenen Maßnahmen modifizieren kann. Ich würde Sie bitten, dass wir darauf warten, weil ich den Bericht Israels nicht kenne. Deshalb kann ich ihn auch nicht bewerten. Die Maßnahmen, die angeordnet wurden, wurden vom IGH angeordnet. Insofern muss auch der IGH beurteilen, ob sie umgesetzt worden sind oder nicht. Aber ich habe Ihnen vorhin ja schon einmal die Haltung der Bundesregierung klargemacht, die ist, dass wir alles dafür tun müssen, die Bevölkerung in Gaza so gut wie möglich mit humanitärer Hilfe zu versorgen.

Hebestreit (BReg)

Vielleicht kann ich an dieser Stelle auch noch zwei Punkte ergänzen, die hier schon in der Vergangenheit Thema waren. Der eine ist, dass wir uns natürlich auch dafür einsetzen, dass es mehr humanitäre Hilfe gibt, nicht, wie Sie jetzt beschrieben haben, weniger. Die Außenministerin war vor Ort an der Grenze zu Gaza, um das sozusagen auch noch einmal persönlich zu verdeutlichen. In all unseren Gesprächen mit unseren israelischen Partnerinnen und Partnern machen wir das immer wieder deutlich. Zu dieser Frage gehört natürlich auch, und das haben wir auch von dieser Stelle aus schon mehrfach gesagt, dass eine Bodenoffensive gegen Rafah im Augenblick schwerste Besorgnis hervorrufen würde. Wir können davon nur hart abraten, wie andere Regierungen das auch gemacht haben. Das ist eine Großstadt. Im Augenblick sind mehr als eine Million Menschen dorthin geflüchtet. Die haben keinen Ausweg, um dort wegzukommen, und eine solche Bodenoffensive würde das Leid dort vor Ort noch um ein Vielfaches steigern. Deswegen ist unser Aufruf an unsere israelischen Freundinnen und Freunde auch an dieser Stelle, von diesen Plänen abzusehen.

Frage

Sie sagen, Sie bemühen sich darum, dass mehr Hilfe nach Gaza hereinkommt. Haben Sie Möglichkeiten, vielleicht auf Israel Druck auszuüben, damit mehr humanitäre Hilfe hereinkommt?

Fischer (AA)

Vielleicht noch einmal vorweg: Israel ist natürlich verpflichtet, die Anordnung des IGH umzusetzen, aber die Bewertung dessen obliegt dem Internationalen Gerichtshof.

Ob wir mehr Möglichkeiten haben? Wenn Sie sich die jetzige Situation im Vergleich zu der vor einigen Monaten anschauen, als Israel mit der Bodenoffensive begonnen hat, sehen Sie: Damals ist keine humanitäre Hilfe hereingekommen. Damals sind keine Treibstoffe hereingekommen. Damals sind keine medizinischen Güter hereingekommen. Über die letzten Wochen hinweg ist es uns gelungen, gemeinsam mit den europäischen Partnern, den USA und den arabischen Partnern Israel dazu zu bewegen, mehr humanitäre Hilfe nach Gaza hereinzulassen. Das ist nicht in dem Ausmaß erfolgt, das wir uns vorstellen, aber trotzdem sind Grenzübergänge geöffnet worden, zum Beispiel Kerem Schalom. Wir erwarten von Israel, dass es auch weitere Grenzübergänge öffnet, um weitere humanitäre Hilfe hereinzulassen, insbesondere in Nordgaza, wo die Situation desaströs ist. Wir arbeiten daran ‑ das war auch Gegenstand der Gespräche der Außenministerin in Israel mit dem israelischen Präsidenten, mit dem israelischen Ministerpräsidenten und auch mit dem israelischen Außenminister ‑ und setzen darauf, dass es gelingt, jetzt die Menge der humanitären Hilfe zu vergrößern, aber auch die medizinische Versorgung zu verbessern. Daran arbeiten wir gemeinsam mit unseren Partnern in der Region und darüber hinaus.

Zusatzfrage

Wenn das jetzt nicht gelingt, weil die Menschen in Gaza hungern, würde die deutsche Regierung dann an Sanktionen gegenüber Israel denken?

Fischer (AA)

Wir konzentrieren uns darauf, jetzt humanitäre Hilfe nach Gaza hereinzubekommen, und vor allen Dingen konzentrieren wir uns darauf, daran zu arbeiten, dass es zu einer humanitären Feuerpause kommt, die es ermöglicht, dass die von der Hamas festgehaltenen Geiseln freigelassen werden, und eben auch ermöglicht, die humanitäre Situation zu verbessern.

Erlauben Sie mir vielleicht noch ein Wort. Die Regierung Netanjahu hat ja einen Plan für die Zeit nach dem Krieg in Gaza vorgelegt. Dieser Plan ist dringend erforderlich. Dazu haben wir ‑ wir, die Amerikaner und andere ‑ die israelische Regierung ja auch immer wieder aufgefordert. Aber die Lösungsfindung muss halt alle relevanten Partner einschließen, das heißt, vor allem die palästinensische Behörde und auch moderate arabische Nachbarstaaten. Neben der Sicherheit Israels müssen eben auch die Sicherheit und die Rechte der israelischen Zivilbevölkerung in Gaza gewährleistet werden. Für die Bundesregierung sind dabei weiterhin die Rahmenbedingungen für eine Post-Konflikt-Ordnung maßgeblich, die die G7 in Tokio definiert hat, und an diesen ist für uns auch der Plan von Premierminister Netanjahu zu messen. Hierzu gehört selbstverständlich, dass von Gaza keine Gefahr mehr für Israel ausgehen darf. Aber es gehört eben auch dazu, dass es keine dauerhafte Besatzung oder eine Verkleinerung des Territoriums von Gaza geben darf. Der Plan, den die israelische Regierung, den Premierminister Netanjahu vorgelegt hat, sieht in seiner aktuellen Fassung insbesondere eine zeitlich unbegrenzte Sicherheitskontrolle über das gesamte Gebiet westlich von Jordanien einschließlich des Gazastreifens vor ‑ das heißt, auch über das gesamte Westjordanland inklusive der A-Gebiete ‑ und lehnt eine Zweistaatenlösung ausdrücklich ab. Im Falle seiner Umsetzung ‑ darauf möchte ich hier noch einmal klar hinweisen ‑ wäre der Plan nicht nur nicht mit den G7-Leitlinien vereinbar, sondern er verstieße mit Blick auf das Westjordanland auch gegen die Vereinbarungen des Osloer Abkommens. Für uns steht fest: Langfristige Sicherheit für Israel kann nur erreicht werden, wenn auch die Sicherheit und Rechte der palästinensischen Zivilbevölkerung gewährleistet werden. Daher setzt sich die Bundesregierung weiterhin gegenüber allen Beteiligten für eine Zweistaatenlösung ein. Jeder Plan, der das ignoriert, schafft keinen Frieden, und ohne einen palästinensischen Staat wird es keinen nachhaltigen Frieden geben, nicht für Israel, nicht für die Israelis, nicht für die Palästinenser.

Frage

Herr Hebestreit, Sie haben jetzt gerade noch einmal gesagt, Deutschland bitte Israel darum, eben keine Bodenoffensive in Rafah zu starten. Der Bundeskanzler hat das bei der Münchner Sicherheitskonferenz auch noch einmal ganz gut gesagt: Wir bitten sie darum, wir sagen ihnen das, und wir sprechen das bei jeder Gelegenheit an. – Die Frage ist aber: Werden irgendwelche Konsequenzen folgen, falls sich Israel an diese Bitten der deutschen Bundesregierung nicht hält?

Hebestreit (BReg)

Im Augenblick geht es darum, im Gespräch mit unseren israelischen Freundinnen und Freunden genau diesen Punkt immer wieder deutlich zu machen. Da wir ja immer auf die Zuversicht und die Vernunft setzen, hoffen wir auch, dass solche Appelle fruchten. Wenn sich das anders ergeben sollte, dann müssten wir überlegen, wie wir darauf reagieren. Aber es bleibt dabei, dass Deutschland ein enger Freund Israels ist und bleibt und an dieser Stelle auch seine Verantwortung wahrnimmt.

Zusatzfrage

Verstehe ich es richtig, dass Sie also zumindest schon einmal überlegen, was Sie machen werden, wenn Israel Ihren Bitten nicht folgt?

Hebestreit (BReg)

Nein. Das ist immer der Schwierige, wenn man auf solche Fragen nicht nichts sagt. Dann wird das Bisschen, das man sagt, sofort zu etwas Großem, und in zwei Tagen heißt es dann, die Bundesregierung plane, mache oder wolle. Erst einmal setzten wir im Moment vielmehr darauf, dass das, was wir, unsere amerikanischen Freunde und viele andere Regierungen Israel raten, in Israel gehört wird, dass es ankommt. Das hat Sebastian Fischer ja gerade schon für die Bundesregierung und auch für die Bundesaußenministerin deutlich gemacht. Wir hoffen auf Waffenpausen und auf einen Austausch oder die Freilassung der Geiseln, die seit inzwischen bald sechs Monaten im Gazastreifen in Gefangenschaft sind. Da auch noch einmal zur Erinnerung: Die Hamas könnte jederzeit diese humanitäre Geste leisten und die Frauen, Kinder und Männer, die dort seit vielen Monaten in Gefangenschaft sind, freilassen. Die Perspektive, auf die wir setzen, ist eine Zweistaatenlösung. Auch das hat Sebastian Fischer eben noch einmal deutlich gemacht. All die Anstrengungen, die wir, die viele unserer Freunde und auch der arabischen Freundinnen und Freunde in der Region unternehmen, setzen genau darauf, dass wir diesen Konflikt perspektivisch entschärfen können.

Tod von Alexej Nawalny

Frage

Am Freitag soll Alexej Nawalny in Moskau beigesetzt werden. Wird der deutsche Botschafter oder ein anderer Vertreter der Bundesregierung an der Trauerfeier bzw. der Beisetzung teilnehmen?

Fischer (AA)

Das kann ich Ihnen derzeit noch nicht sagen.

Zusatzfrage

Werden Sie es uns, wenn es feststeht, mitteilen, auch vorab, bitte?

Fischer (AA)

Wir werden das mitteilen, wenn wir es Ihnen mitteilen können. Das setzt ja erst einmal voraus, dass die Beerdigung auch so stattfinden kann, wie sich seine Familie das wünscht.

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