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Erklärungen des Auswärtigen Amts in der Regierungspressekonferenz vom 10.04.2024
Nahostkonflikt
Frage
Herr Fischer, zwei Fragen zu Israel:
Erstens: Die Bundesaußenministerin hat wiederholt vor einem Angriff oder Einmarsch Israels in Rafah gewarnt. Nun hat der israelische Ministerpräsident gestern gesagt, auch das Datum stehe schon fest. Darauf hätte ich gern eine Reaktion.
Zweitens: Im Zusammenhang mit der Irankrise hat der israelische Außenminister heute gesagt, dass Israel, sollte Iran seine Drohung wahr machen und Israel angreifen, Ziele im Iran angreifen werde. Das wäre eine neue Eskalation der Spannungen. Wie sehen Sie das?
Fischer (AA)
Erst einmal zu Israel: Sie kennen die Äußerungen der Ministerin, die immer wieder vor einer groß angelegten Offensive auf Rafah gewarnt hat. Sie hat aber immer wieder betont, auch in Israel, dass sich in Rafah mehr als eine Million Menschen aufhält. Diese Menschen sind von der israelischen Armee aufgefordert worden, ihre Wohnungen zu verlassen und in Rafah Schutz zu suchen. Schon jetzt sind die Bedingungen in Rafah unerträglich. Die Versorgungslage ist schlecht, wie wir wissen. Die Menschen sind von Hunger und Krankheiten gezeichnet. Bei dem militärischen Vorgehen bleibt der Schutz von Zivilistinnen und Zivilisten natürlich oberstes Gebot. Wie das in der jetzigen Situation in Rafah gelingen könnte, ist für mich nur sehr schwer vorstellbar.
Das heißt, letztlich muss sich Israel um besseren Schutz von Zivilisten bemühen Die israelische Armee muss sicherstellen, dass diese im Ergebnis geschützt sind. Das ist, glaube ich, das, was die Ministerin gesagt hat, und dabei bleibt sie auch.
Zusatzfrage
Zu Iran?
Fischer (AA)
Wir haben das Thema hier schon in den letzten Tagen diskutiert. Wir sehen, dass die Spannungen zunehmen. Ich werde jetzt nicht auf einzelne Wortmeldungen eingehen, aber wir haben immer wieder betont, dass eine regionale Eskalation unbedingt vermieden werden muss und alle Akteure in der Region aufgefordert sind, dementsprechend zu handeln.
Frage
Ich will auf das Thema der Hilfslieferungen kommen. Herr Fischer, Israel kolportiert, dass zum Beispiel am Dienstag 468 Lastwagen mit Hilfsgütern in den Gazastreifen gefahren seien und am Montag 419. Halten Sie diese Zahlen für korrekt? Laut Rotem Kreuz und Vereinten Nationen waren es viel weniger. Das liege unter anderem daran, dass zahlreiche Fahrzeuge nach israelischen Bestimmungen nur halb beladen seien.
Fischer (AA)
In der Tat gibt es unterschiedliche Zählweisen. Das liegt darin begründet, dass die Lastwagen an den Grenzübergängen umgeladen werden müssen. Aber entscheidend ist doch die Ankündigung der israelischen Regierung, dass sie mehr Hilfe in den Gazastreifen hineinlässt. Das muss jetzt rasch umgesetzt werden, damit die Hilfe jetzt sehr viel schneller zu den Menschen kommt. Das hat die Ministerin übrigens gestern noch einmal betont.
Unabhängig von der exakten Zahl der Lkw und davon, wie man das rechnet, ob man also in Tonnen rechnet oder in Lkw, scannt und fertigt Israel derzeit mehr Lkw ab als je zuvor. Am 10. April wurde ein neuer Höchststand erreicht. Das ist in der Tat ein Schritt in die richtige Richtung. Er ist nicht genug, aber wir sehen, dass sich Dinge bewegen. Klar ist auch, dass diese Maßnahmen mit der schnellen Öffnung des Grenzübergangs Erez einhergehen müssen, wie von Israel angekündigt, der Öffnung des Hafens Aschdod, wie von Israel angekündigt, und auch mit einem wirksamen und effektiven Schutz der Zivilbevölkerung in Gaza genauso wie von humanitären Helferinnen und Helfern und dass auch die „deconflicting“-Maßnahmen so weit verbessert werden, dass Helferinnen und Helfer im Gazastreifen nicht in Gefahr sind.
Aber noch einmal: Die Anzahl der Hilfslieferungen nach Gaza hat sich erhöht. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung.
Zusatz
Genau. Aber wir hatten ja sonst immer die Zielgröße von mindestens 500 vollbeladenen Lkw pro Tag. Darum wundert mich jetzt, dass Sie sagen, es sei egal, ob in LKW oder Tonnen gerechnet werde. Lkw kann man ja nicht essen, die Tonnen an Hilfslieferungen schon.
Fischer (AA)
Nein, das ist ‑ ‑ ‑
Zusatzfrage
Darf ich ausreden?
Fischer (AA)
Nein, in diesem Fall nicht. Ich weiß ja, worauf Ihre Frage hinausläuft.
Zusatz
Sie dürfen mir nicht das Wort entziehen!
Fischer (AA)
Das können wir, denke ich, hier abkürzen. Der Punkt ist doch ganz einfach der: Wir bleiben bei unserer Forderung nach 500 Lkw pro Tag nach Gaza. Da sind wir noch nicht, aber dahin wollen wir.
Zusatzfrage
Das ist der Punkt. Wenn Israel behauptet, es habe 468 Lastwagen hineingelassen, dann kann es sagen: Wir erfüllen eure Forderungen ja fast schon. ‑ Aber wenn diese Lastwagen nur zur Hälfte gefüllt sind ‑ ‑ ‑ Sie meinen ja immer 500 voll befüllte Lkw, korrekt? Laut UN erfüllt Israel immer nur die Hälfte davon.
Fischer (AA)
Ich denke, wir müssen uns jetzt nicht auf die Diskussion einlassen, wie viele Lkw jetzt hinübergelangt sind. Ich habe das einen Schritt in die richtige Richtung genannt und auch gesagt, dass das, was jetzt hineinkommt, noch nicht ausreicht und dass die Zahl der Lastkraftwagen, die nach Israel hineingeht, erhöht wird. Ja, die Zielgröße ist 500. Das hat Israel auch zugesagt.
Das alles ist sehr konsistent. Deshalb habe ich auch ein bisschen Probleme damit, Ihre Nachfrage zu verstehen.
Frage
Ich habe eine Nachfrage zu Rafah. Es gibt Indizien dafür und auch entsprechende Aussagen israelischer Politiker, auch Regierungsmitglieder, dass die Menschen, die sich jetzt in der Region aufhalten, möglicherweise in andere Gebiete gehen sollen und dann eine Militäroperation in Rafah vorgenommen werden könnte. Ein Indiz dafür ist der Abzug bestimmter Truppenteile aus der Region Chan Junis. Offenbar ist auch das ein Gegenstand der Verhandlungen, ob Menschen im Zuge einer möglichen Waffenruhe in den Norden des Gazastreifens zurückkehren können.
Würde das die Situation oder die Einschätzung ändern?
Fischer (AA)
Ich werde jetzt nicht spekulieren, aber wir haben immer gesagt, dass die Menschen, die nach Rafah geflüchtet sind, natürlich in ihre alten Wohnorte zurückkehren müssen. Dass die israelische Armee sich jetzt aus Chan Junis zurückgezogen hat und dies die Rückkehr von Menschen nach Chan Junis ermöglicht, ist erst einmal ein Schritt in die richtige Richtung. Wenn es Möglichkeiten gäbe, auch in den Norden des Gazastreifens zurückzukehren, wäre auch das ein Schritt in die richtige Richtung.
Ich denke, Sie spielen darauf an, dass es derzeit Verhandlungen über eine Waffenpause und die Freilassung von Geiseln gibt, die wir unterstützen. All diese Dinge spielen dabei natürlich eine Rolle. Aber dabei geht es eben auch um eine Feuerpause.
Frage
Herr Fischer, die Außenministerin betont ihre Hoffnung sowohl auf eine Feuerpause in Gaza als auch, langfristig, auf eine Zweistaatenlösung. Was ist vor dem Hintergrund Ihr Kommentar dazu, dass der spanische Regierungschef jetzt Signale aussendet, einen palästinensischen Staat anzuerkennen?
Fischer (AA)
Ich habe mich zu diesem Thema in dieser Woche schon zweimal in anderem Zusammenhang geäußert. Daran hat sich nichts geändert.
Frage
600 Bundesbeamte haben die Bundesregierung in einem anonymen Brief dazu aufgefordert, die Waffenlieferungen nach Israel zu stoppen. Haben die Minister, die darin adressiert wurden, haben Frau Baerbock und Bundeskanzler Scholz diesen Brief wahrgenommen? Wie reagieren Sie auf diese Forderungen quasi aus den eigenen Reihen?
Hoffmann (BReg)
Ich kann allgemein sagen, dass wir uns zu offenen Briefen hier nicht äußern.
Es trifft zu, dass ein Schreiben, dessen Absender behaupten, für Angestellte und Beamtinnen und Beamte des Bundes zu sprechen, im Bundeskanzleramt eingegangen ist. Aber wir können die Urheberschaft nicht wirklich verifizieren.
Fischer (AA)
Dem kann ich mich für das Auswärtige Amt nur anschließen. Es ist ein anonymes Schreiben. Es ist bei uns zum Beispiel im Bürgerservice und bei einzelnen Kollegen eingegangen, die gar nichts mit dem Nahostbereich zu tun haben. Das spricht nicht unbedingt dafür, dass es Kolleginnen und Kollegen waren, die sich mit der Materie tiefer auskennen. Im Auswärtigen Amt kann jeder Kollege zum einen natürlich seine Meinung frei äußern und auf den vorgegebenen Wegen auch vorbringen. Zum anderen würde er aber auch wissen, wer zum Beispiel im Nahostbereich arbeitet. Dass diese Dinge bei keinem der Kollegen im Nahostbereich eingegangen sind, sondern in anderen Bereichen, spricht nicht dafür, dass so furchtbar viele Kolleginnen und Kollegen daran beteiligt sind.
Wir wissen in der Tat nicht, ob das Schreiben wirklich authentisch ist, und können das leider auch nicht überprüfen. Weil es anonym ist, können wir es halt auch nicht beantworten. Ich meine, wem sollten wir es beantworten? Das ist ein bisschen schwierig. Es müsste also zumindest Sprecherinnen oder Sprecher geben, die sich bekennen und dann zum Ausdruck bringen, wo sie stehen. Die Sorge, deswegen Nachteile zu erfahren, ist natürlich völlig unbegründet. Jeder kann innerhalb einer Bundesbehörde seine Meinung und auch seine abweichende Meinung zum Ausdruck bringen.
Zusatz
Man kann ja schon davon ausgehen, dass der Journalist, der darüber berichtet hat, auch überprüft hat, ob es sich tatsächlich um Menschen handelt, die dort arbeiten.
Fischer (AA)
Das will ich auch gar nicht bestreiten. Ich kann nur sagen: Wir wissen nicht, ob das Schreiben authentisch ist, und wir wissen vor allen Dingen nicht, ob sich 600 Kolleginnen und Kollegen daran beteiligt haben, wie das unterstellt wird.
In so eine Behörde spricht man ja miteinander. Man geht miteinander Kaffee trinken. Man weiß, wo die Kolleginnen und Kollegen stehen. Wenn es dann so ein Schreiben gibt ‑ es ist ja nicht das erste dieser Art, das zu unterschreiben Kolleginnen und Kollegen aufgefordert werden ‑, dann schickt man das an zehn Leute, und einer davon unterschreibt. Wenn das eine größere Bewegung gewesen wäre, hätten wir das also irgendwie, glaube ich, wahrgenommen, und das kann ich einfach nicht sehen.
Klage Nicaraguas gegen die Bundesrepublik Deutschland vor dem Internationalen Gerichtshof
Frage
Ich habe eine Frage zum Thema Gaza. Es geht um die Beschwerde Nicaraguas gegen die Bundesregierung wegen der Unterstützung des Völkermords in Gaza. Kritik gibt es aus Belgien, Spanien, Irland, Norwegen usw. Befindet sich die Bundesregierung eigentlich allein zu Hause?
Fischer (AA)
Ich sage es einmal so: Wenn Sie Deutschland als ein Haus darstellen, dann ist Deutschland ein wunderschönes Haus mit ganz vielen, ganz tollen, wunderbaren Menschen, umgeben von vielen anderen Häusern mit Menschen aus unseren Nachbarstaaten. Wir wohnen in der besten Nachbarschaft der Welt.
Zusatz
Es gibt überall Kritik an der Bundesregierung! Belgien, Spanien und Irland kritisieren die Bundesregierung und ihr Verhältnis zu Israel, was Gaza angeht.
Fischer (AA)
Ich glaube, wenn es um die Israelpolitik oder die Gazapolitik geht, diskutieren wir diese Dinge ja intensivst auf europäischer Ebene, und da gelingt es uns doch immer wieder, gemeinsame Erklärungen zu verabschieden, hinter denen alle 27 Mitgliedsstaaten stehen, ob nun beim Europäischen Rat oder beim Rat der Außenministerinnen und Außenminister. Ich glaube, da kommen wir bei den entscheidenden Fragen immer wieder zusammen.
Frage
Das Auswärtige Amt hatte am 8. April im Zuge dieser schon erwähnten IGH-Anhörung in Den Haag verkündet, dass es sich aktiv für Völkerrecht einsetze, den IGH unterstütze. Schon deswegen weise man den Vorwurf Nicaraguas zurück, Deutschland könnte gegen Völkerrecht verstoßen. Einmal von dem Zirkelschluss abgesehen, interessiert mich: Vertritt die Bundesregierung wirklich die Meinung, dass sie mit der politischen, diplomatischen, wirtschaftlichen und militärischen Unterstützung des israelischen Vorgehens in Gaza das Völkerrecht unterstützt?
Fischer (AA)
Gestern haben die Kolleginnen und Kollegen mehr als zwei Stunden vor dem Internationalen Gerichtshof vorgetragen und sehr deutlich gemacht, dass wir völkerrechtstreu sind. Sie haben die haltlosen Anschuldigungen Punkt für Punkt widerlegt. Insofern weiß ich nicht, worauf Ihre Frage abzielen sollte.
Zusatz
Darauf, dass man sagt, dass man sich für das Völkerrecht einsetzt; das ist in Bezug auf die Vorgänge in Israel gewagt!
Fischer (AA)
Aber das tun wir doch, wenn ich kurz darauf antworten dürfte! Deswegen ist die Ministerin ja so regelmäßig in der Region. Deshalb führt sie die Gespräche sowohl auf palästinensischer Seite als auch auf israelischer Seite als auch in der Region, weil es uns eben wichtig ist, bei einer Lösung für den Konflikt voranzukommen, und weil es uns wichtig ist, dass zum einen Israel natürlich sein verbrieftes Recht auf Selbstverteidigung ausüben kann, aber gleichzeitig natürlich, dass das humanitäre Völkerrecht eingehalten wird. Das ist doch der Kern dessen, worum es uns hier geht.
Zusatz
(ohne Mikrofon, akustisch unverständlich)
Vorsitzende Buschow
Es gilt: Frage, Nachfrage. – Sie haben es vorhin schon ausgereizt. Jedes Mal funktioniert es nicht. Ob Sie sich bei Ihrer Frage bzw. Nachfrage dann für einen Diskussionsbeitrag oder eine Frage entscheiden, ist ja hier längst nicht mehr sonderlich trennscharf. Aber damit die Regeln auszutricksen - so einfach ist es mit mir nicht!
Frage
Die Frage richtet sich sowohl an das Auswärtige Amt als auch an das Wirtschaftsministerium. Gestern, als ‑ Herr Fischer, Sie haben es gesagt ‑ das Auswärtige Amt der Klage Nicaraguas vor dem Internationalen Gerichtshof widersprochen hat, wurden sehr detaillierte Auskünfte zu den seit dem 7. Oktober genehmigten Rüstungsexporten nach Israel gegeben. Warum war es möglich, dort diese Auskünfte zu geben und auf inhaltlich identische Fragen, die hier in den vergangenen Wochen mehrfach gestellt worden sind, keinerlei inhaltliche Antwort zu geben? Warum ist Transparenz in einer öffentlichen Verhandlung dort möglich, und in der Öffentlichkeit der Bundespressekonferenz werden diese inhaltlichen Auskünfte nicht gegeben?
Fischer (AA)
Ich glaube, es gibt einfach einen Unterschied zwischen einem Verfahren vor dem Internationalen Gerichtshof und der Bundespressekonferenz. Wir waren dazu angehalten, Vorwürfe, die von dritter Seite gegen uns erhoben worden sind, zurückzuweisen. Das haben wir detailliert und in Absprache mit den innerhalb der Bundesregierung zuständigen Ressorts so gut getan, wie wir es tun konnten, und haben, glaube ich, dort mit dem Vortrag der Kolleginnen und Kollegen überzeugt und eben auch diese teilweise hanebüchenen Vorwürfen Nicaraguas Punkt für Punkt widerlegt. Dazu war es halt notwendig, in diesen Fragen auch ins Detail zu gehen.
Zusatzfrage
Selbstverständlich ist eine Bundespressekonferenz kein Gericht; das ist ja klar. Aber ein Transparenzinteresse einer Öffentlichkeit gibt es vielleicht doch auch hier.
Sind die nun bekannt gewordenen Waffenlieferungen an Israel in irgendeiner Weise geeignet, in der derzeitigen Kriegssituation eingesetzt zu werden, oder ist das nach Auffassung der Bundesregierung nicht der Fall?
Fischer (AA)
Dazu hat sich ja Herr Prof. Tams gestern ausführlich geäußert. Er hat ja sehr ausführlich dargelegt, um was für Typen von Waffen und sonstige Rüstungsgüter es sich handelt, und hat auch im Detail dargelegt, wofür sie und wofür sie nicht eingesetzt werden können. Deshalb würde ich Sie bitten, einfach in den Vortrag von Prof. Tams zu schauen, der sowohl bei uns auf der Webseite als auch auf der Webseite des Internationalen Gerichtshofs veröffentlicht worden ist.