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Erklärungen des Auswärtigen Amts in der Regierungspressekonferenz vom 15.07.2024

15.07.2024 - Artikel

Versuchtes Attentat auf Donald Trump

Frage

Herr Hebestreit, aufgrund der aufgrund des Attentats und der Umstände gestiegenen Wahrscheinlichkeit, dass Donald Trump amerikanischer Präsident werden wird, habe ich die Frage, ob der Bundeskanzler der Meinung ist, dass die bisherigen Planungen, was den Verteidigungshaushalt sowohl für 2025 als auch mittelfristig für 2028 und das Erreichen des Zwei-Prozent-Ziels angeht, ausreichend sind oder ob der Bundeskanzler aufgrund dessen, was man über Donald Trump auch schon aus der ersten Amtszeit weiß, überlegt, ob das erhöht werden müsste und ob zwei Prozent ausreichend sind.

Hebestreit (BReg)

Lassen Sie mich vielleicht auch von dieser Stelle aus noch einmal diesen Attentatsversuch auf den US-Präsidentschaftsbewerber klar verurteilen. Das war ein verabscheuenswürdiges Verbrechen. Wir haben uns gestern in den sozialen Medien schon dazu geäußert, und wir wünschen Herrn Trump eine schnelle und vollständige Genesung. Wir trauen natürlich auch um den Feuerwehrmann, der dabei ums Leben gekommen ist, und die beiden anderen Opfer.

Ob all die Unterstellungen oder Vermutungen, die Sie nach diesem Attentatsversuch jetzt angestellt haben, so berechtigt sind, entzieht sich meiner Kenntnis. Grundsätzlich ist es so, dass wir natürlich beide Varianten ‑ also dass US-Präsident Joe Biden noch einmal wiedergewählt werden wird oder dass der republikanische Präsidentschaftsbewerber gewählt werden wird ‑ in unsere Kalkulationen einbeziehen. Da hat sich in den letzten Tagen oder Stunden jetzt auch keine neue Lage ergeben. Insoweit ist das im Haushaltsentwurf, der am kommenden Mittwoch vom Bundeskabinett beschlossen werden wird, für das Thema der Verteidigung und des Zwei-Prozent-Ziels unterlegt. Das ist jetzt das, was die Bundesregierung für richtig und angemessen hält. Das ist der Ansatz, mit dem wir in das Parlament gehen, und dann ist es am Deutschen Bundestag, zu entscheiden, was am Ende beschlossen werden wird.

Frage

Sie haben ja gesagt, dass die Bundesregierung beide Varianten für möglich hält. Sehen der Bundeskanzler oder die Bundesregierung einen Unterschied, wenn man sich die zwei Prozent und den Verteidigungshaushalt anschaut, zwischen einem Wahlsieg von Joe Biden und einem Wahlsieg von Donald Trump? Müsste man dann also auf einen Wahlsieg von Donald Trump anders reagieren, was den Verteidigungshaushalt angeht?

Hebestreit (BReg)

In der vergangenen Woche war der Bundeskanzler beim NATO-Jubiläumsgipfel in Washington. Da sind 32 Staats- und Regierungschefs für drei Tage zusammengekommen. Von den 32 Staats- und Regierungschefs sind elf in den vergangenen zwölf Monaten neu gewählt worden und zu dieser Veranstaltung hinzugekommen. Das heißt, Demokratien haben auch immer wieder die Möglichkeit eines Regierungswechsels in sich. Das macht sie so attraktiv für die Wählerinnen und Wähler, für die Bürgerinnen und Bürger. Insofern muss man grundsätzlich immer damit rechnen, dass es demokratische Machtwechsel gibt, und sich darauf einstellen. Dann sind die Verbindungen, die wir zu einzelnen Ländern haben, natürlich über die Regierungen und einzelne Kandidaten hinaus tragfähig.

Jetzt zum Konkreten, was den amerikanischen Präsidentschaftskandidaten angeht: Ich habe ja gesagt, dass wir das schon in unsere Überlegungen einbeziehen. Egal ob der nächste US-Präsident Joe Biden heißt oder sich der republikanische Präsidentschaftsbewerber durchsetzen wird, ist die Bundesregierung und ist Deutschland gut gerüstet. All das, was wir im Augenblick auch in den internationalen Gremien, den internationalen Gesprächen, die wir führen, miteinander vereinbaren, ist im Geiste dieser Überlegung einzuordnen.

Zusatzfrage

Herr Hebestreit, ich habe auch eine Frage zu den USA: Hat der Bundeskanzler mit Donald Trump nach dem Attentat telefoniert, wie es zum Beispiel der britische Premierminister getan hat? Beabsichtigt er das noch?

Hebestreit (BReg)

Zum jetzigen Zeitpunkt hat er nicht mit Donald Trump telefoniert. Sollte sich das noch ändern, würde ich Sie informieren.

Frage

Das Verhältnis zwischen Deutschland und Trump war in den vergangenen Jahren bzw. während seiner Amtszeit nicht das allerbeste. Wäre das eine Gelegenheit, den Kontakt, den Gesprächsfaden zu intensivieren?

Hebestreit (BReg)

Der Bundeskanzler hat sich in der vergangenen Woche in den USA mit Vertretern der Demokratischen Partei und mit Vertretern der Republikanischen Partei getroffen. Das hat er bei all seinen US-Reisen und auch bei internationalen Foren wie NATO-Gipfeln oder auch der Münchner Sicherheitskonferenz immer wieder getan. Insofern bestehen Kontakte und Gesprächsfäden in beide Parteien hinein, die das US-System prägen, nach wie vor. Alles Weitere muss man dann sehen.

Frage

Herr Hebestreit, hat der Kanzler oder haben Sie eine andere Einschätzung, was die Erfolgschancen durch diesen Vorfall angeht? Etliche deutsche Politiker und internationale Politiker haben ja gesagt, dass dieser Vorfall Herrn Trump in die Hände spiele und dass deswegen Herr Biden verstärkt darüber nachdenken sollte, auf seine Kandidatur zu verzichten. Hat sich also im Kalkül oder Denken des Bundeskanzlers hier irgendeine Bewegung ergeben?

Hebestreit (BReg)

Nein, das hat es nicht, und ich wundere mich auch immer wieder über die hellseherischen Fähigkeiten, die viele Zeitgenossen da an den Tag legen, um ein solches Ereignis einzuordnen, in eine längere Perspektive. Grundsätzlich ist es ‑ das habe ich auch schon gesagt ‑ so, dass der Wechsel in der Demokratie immer wieder dazugehört. Gleichzeitig ist es so, und das hat der Bundeskanzler in der vergangenen Woche schon in einem Interview mit dem amerikanischen Sender PBS deutlich gemacht, dass man auch die Wahlkampffähigkeiten von Joe Biden nicht unterschätzen sollte. Insofern wäre es zu früh, schon zu glauben, dass die amerikanische Präsidentschaftswahl entschieden ist. Ich rate immer wieder auch dazu, Wahlen geschehen zu lassen, bevor man sich über ihr etwaiges Ergebnis äußert.

Zusatzfrage

Darf ich eine kurze Nachfrage stellen, eher an das Auswärtige Amt? – Sind eigentlich Vertreter der Bundesregierung bei der republikanischen Convention anwesend?

Fischer (AA)

Ja, es werden unter anderem der Transatlantikkoordinator Michael Link sowie Botschafter Michaelis anwesend sein, die den Parteitag der Republikaner in Milwaukee beobachten werden.

Aber das ist das übliche Vorgehen. Sie werden auch bei den Demokraten dabei sein. Das gehört halt zu dem Austausch mit beiden Parteien, den Herr Hebestreit ja gerade dargestellt hat.

Angekündigte Stationierung weitreichender US-amerikanischer Waffen in Deutschland

Frage

Herr Hebestreit, es gab ja am Rande des NATO-Gipfels die Bekanntgabe der Stationierung amerikanischer neuer Waffen in Deutschland. Das ist unter anderem auf Kritik gestoßen. Ist sich die Bundesregierung sicher, dass es bei dieser Stationierung auch dann bleibt, wenn es einen Regierungswechsel in den USA geben sollte?

Hebestreit (BReg)

Da versuche ich ein bisschen, Ihre Frage mit dem davor Gesagten in Verbindung zu bringen. Geht es Ihnen darum, über die Kritik zu sprechen, oder geht es Ihnen darum, wie wahrscheinlich es ist, dass die Stationierung tatsächlich stattfinden wird?

Zusatzfrage

Wir wahrscheinlich ist es, dass die Stationierung auch unter einem Präsidenten Trump stattfinden wird?

Hebestreit (BReg)

Erst einmal gehen wir davon aus, dass, wenn die amerikanische Regierung eine solche Ankündigung macht, sie dann auch, egal wie die Regierung ab dem 20. Januar des nächsten Jahres aussehen wird, befolgt werden wird. Ansonsten können wir darüber nicht spekulieren, sondern müssen abwarten.

Vielleicht gehe ich den Schritt zurück: Diese Entscheidung der amerikanischen Administration, im Jahr 2026 diese weitreichenden konventionellen Waffen in Deutschland zu stationieren, geht natürlich auf eine veränderte Bedrohungslage zurück, die wir haben. Die russische Regierung hat schon vor einigen Jahren den INF-Vertrag aufgekündigt. Es sind neue weitreichende Waffen nicht nur entwickelt, sondern auch stationiert worden. Gleichzeitig sehen wir, dass sich Russland gegenüber seinen Nachbarn deutlich aggressiver als in der Vergangenheit verhält. Insofern gehört es auch dazu, und da sind sich die Sicherheitsexperten einig, dass es einer nicht nuklearen Abschreckungskomponente auch in Europa, in Mitteleuropa und auch für Deutschland bedarf. Das haben wir im vergangenen Jahr in der Nationalen Sicherheitsstrategie schon einmal unter dem Titel “deep precision strike capability”, wie das auf Neudeutsch heißt, unterlegt. Es geht also darum, sehr präzise weiterreichende Waffen zu entwickeln. Der Bundeskanzler hat das auch im Februar bei seiner Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz noch einmal bestätigt. Wir befinden uns mit der französischen Regierung, mit der britischen Regierung, mit der italienischen Regierung und anderen in Gesprächen darüber, solche Waffen zu entwickeln. Es geht, wie gesagt, um Abschreckung. Das heißt, sie sollen sehr weitreichend, sehr präzise sein, aber sie sollen eben verhindern, dass andere glauben, Deutschland attackieren zu können. Die amerikanische Regierung hatte parallel dazu, weil die Entwicklung solcher Waffen eine ganze Weile dauern wird, entschieden, zwischenzeitlich ‑ ab 2026 ‑ rollierend einige dieser Systeme aus ihrem Depot hier zu stationieren, und die Bundesregierung begrüßt diese Entwicklung.

Frage

Herr Hebestreit, was die Kommunikation angeht, gab es viel Kritik, zumindest hierzulande, als Sie noch in Washington waren. Wann findet denn überhaupt einmal eine Information des Parlaments bzw. der Opposition statt? Herr Merz hat das gestern kritisiert. Wenn man mit Verteidigungspolitikern telefoniert hat, heißt es, sie seien auch nicht informiert worden. Ist so etwas also überhaupt geplant, oder wie kommen wir auf einen weitreichenderen Wissenstand als den, den der Verteidigungsminister und auch der Kanzler in Washington verkündet haben?

Hebestreit (BReg)

In Washington hat der Bundeskanzler und hat dann in mehreren Interviews der Verteidigungsminister doch sehr weitreichend informiert. Wenn es da noch weiteren Beratungsbedarf, Informationsbedarf gibt, dann ist diese Bundesregierung immer willens und in der Lage, den zu befriedigen. Aber ich habe es ja eben auch noch einmal deutlich dargelegt: Wenn das Parlament informiert werden möchte oder da einen Gesprächsbedarf hat, dann gehe ich fest davon aus, dass der Verteidigungsminister ‑ oder wer auch immer sich dazu berufen fühlt ‑ Rede und Antwort stehen wird. Dagegen gibt es also keinerlei Vorbehalte.

Zusatzfrage

Sie haben den US-Wunsch angesprochen bzw. es hat diese Verhandlungen gegeben. Aber wer war denn letztlich der Treiber? War das die Bundesregierung, oder waren es die US-Amerikaner, die gesagt haben, dass es diese Fähigkeitslücke gibt und dass man die jetzt einmal schließen muss? Wer hat also eigentlich einmal grundsätzlich die Idee gehabt, dass man diese Tomahawk-Marschflugkörper beispielsweise in Deutschland stationiert?

Hebestreit (BReg)

Ich glaube, da ergab das eine das andere. Die Bedrohungslage habe ich geschildert. Die Fähigkeitslücke, die schon vor einigen Jahren markiert worden ist, habe ich auch deutlich gemacht. Dann ist halt die Frage, wie man sie kurzfristig schließen kann ‑ das läuft über die Stationierung der amerikanischen Waffen ‑ und wie man sie mittelfristig schließen kann; das läuft über die Entwicklung eigener europäischer Fähigkeiten. Dann hat das eine zum anderen gefunden, und dann ist so etwas natürlich etwas, das man nicht breit auf dem Marktplatz miteinander diskutieren kann, sondern das erst einmal die zuständigen Stellen in den jeweiligen Regierungen diskutieren. Diese Entscheidung ist jetzt vergangene Woche seitens der Amerikaner getroffen worden und ist gemeinsam mit uns am Mittwoch kommuniziert worden, wenn ich mich richtig erinnere. Insoweit kann seit Mittwoch dann auch darüber gesprochen, informiert und es erklärt werden.

Frage

Herr Hebestreit, Sie haben ja dargelegt, dass die Stationierung dieser Waffen im deutschen Interesse ist. Ist denn schon entschieden und geklärt, wie sich Deutschland finanziell an dieser Stationierung beteiligt, oder ist das eine Frage, die mit einer etwaigen neuen Administration nächstes Jahr geklärt werden wird?

Hebestreit (BReg)

Dazu kann ich zum jetzigen Zeitpunkt nichts Konkretes sagen. Aber eigentlich ist es eine amerikanische Entscheidung, hier Waffen zu stationieren. Das gibt vielleicht einen kleinen Hinweis darauf, was die Antwort sein könnte.

Frage

Herr Hebestreit, Russland hat ja sehr scharf reagiert. Der Sprecher von Herr Putin hat gesagt, dass als Reaktion auf die Stationierung der US-Waffen von nun an alle europäischen Hauptstädte, also auch Berlin, ins Visier von russischen Raketen geraten. Wie ernst nehmen Sie solche Aussagen?

Hebestreit (BReg)

Solche Aussagen sind grundsätzlich immer ernst zu nehmen. Ich glaube aber, sie enthalten keinen Neuigkeitswert, weil das ja schon eine Reaktion darauf ist, dass die russische Regierung und das russische Militär europäische Hauptstädte ins Visier genommen haben. Insofern ist das vielleicht ein Henne-oder-Ei-Problem.

Zusatzfrage

Ich habe eine Nachfrage an das Auswärtige Amt. In ähnlichen Fällen wurde ja auch schon einmal der russische Botschafter eingestellt. Gibt es irgendwelche Pläne, den russischen Botschafter nach diesen Aussagen einzubestellen?

Fischer (AA)

Ich glaube, Herr Hebestreit hat ja darauf hingewiesen, wie die Sachlage ist, die sich nicht verändert hat. Es gibt diese russischen Raketen, die als Bruch des INF-Vertrags in Europa stationiert sind und europäische Ziele erreichen können. Insofern hat sich die Bedrohungslage nicht verändert, nämlich dass russische Raketen europäische Städte erreichen können. Ein Teil der Antwort darauf ist eben, dass wir die von Steffen Hebestreit beschriebene Fähigkeitslücke mit weitreichenden Waffensystemen schließen werden.

Um es klar zu sagen: Wir lassen uns nicht einschüchtern und lassen uns auch von solchen Äußerungen, die letztlich das Faktische beschreiben, keine Angst machen.

Frage

Ich würde gerne einmal zu verstehen versuchen, was das fachlich bedeutet. Vielleicht kann Herr Collatz helfen, vielleicht wissen aber auch Herr Fischer oder Herr Hebestreit etwas. Neben den Tomahawk-Marschflugkörpern, bei denen die Funktionsweise relativ klar ist, sollen ja die SM6-Raketen kommen. Ich würde gerne verstehen, ob die SM6-Raketen als “anti-air”-Variante kommen sollen oder ob die als “deep-precision-strike”-Bodenangriffswaffe kommen sollen. Ist das in irgendeiner Form determiniert oder mit den Amerikanern abgesprochen?

Collatz (BMVg)

Wenn ich da einsteigen soll: Mir sind keine Details bekannt. Soweit ich weiß, ist hier die defensive Variante beabsichtigt. Aber um das herauszufinden, müssten Sie tatsächlich mit den Amerikanern sprechen.

Zusatzfrage

Das heißt, auf politischer Ebene gab es auch keine Vorvereinbarungen dafür, Herr Hebestreit?

Hebestreit (BReg)

Keine, von denen ich hier berichten kann. Da müssten wir uns schlaumachen, ob wir etwas nachreichen können.

Frage

Herr Hebestreit, Sie haben gesagt, dass soll ab 2026 rollierend kommen. Können wir uns darunter vorstellen, dass, wenn es 2026 so etwas wie “Steadfast Defender” geben sollte, dann ein Teil dieses Manövers möglicherweise ein Raketenteil sein wird und die USA dann eben entsprechende Launcher per Lkw oder was auch immer nach Deutschland verlagern werden?

Hebestreit (BReg)

Nein, das ist nicht für einzelne Manöver oder für einzelne Zwecke gedacht, sondern ab 2026. Wie dauerhaft die dann hier stationiert sein werden oder ob immer wieder welche zurück in die USA gebracht und andere hierher gebracht werden, das muss sich dann mit der US-Administration noch genau herausmendeln.

Zusatzfrage

Was ist, was die konkrete Zahl der Abschussbasen angeht? Wenn man sich die Papiere, die in den USA öffentlich zugänglich sind, anschaut, dann können das möglicherweise zwölf Einheiten sein. Haben Sie dazu irgendwelche Erkenntnisse mitzuteilen, wie viele das wären?

Hebestreit (BReg)

Keine, die ich hier mitteilen darf, kann oder möchte.

Frage

Können Sie noch einmal erläutern, wo die auf Deutschland bzw. Europa gerichteten Waffen von russischer Seite stationiert sind? Ich habe gehört, in Kaliningrad und Belarus.

Zweite Frage: Als wie groß schätzen Sie die Wahrscheinlichkeit ein, dass Russland als Antwort auf die Stationierung amerikanischer Langstreckenwaffen wiederum aufrüstet und das dann sozusagen in einem gegenseitigen Wettrüsten mündet?

Hebestreit (BReg)

Zur ersten Frage kann ich Ihnen von dieser Stelle aus nichts mitteilen. Das, was Sie vermutet haben, habe ich auch gelesen. Aber ob das umfassend ist oder ob es noch andere Stellen gibt, müssen Sie anderweitig klären, vielleicht in Moskau nachfragen. Das kann ich von hier aus nicht liefern.

Zum zweiten Teil: Herr Fischer hatte ja schon deutlich gemacht, dass Raketen stationiert worden sind, die europäische Hauptstädte und Europa erreichen können und bedrohen. Insoweit ist jetzt die Reaktion darauf, dass man diese Fähigkeitslücke schließt. Die Sorge, die Sie ja zu Recht formulieren, dass es jetzt ein neues Wettrüsten geben könnte, ist nicht völlig von der Hand zu weisen. Deswegen müssen wir gleichzeitig auch mit der russischen Seite wieder in Gespräche kommen, was Abrüstungsinitiativen sein können. Da muss man aber wahrscheinlich einen langen Atem haben. Im Augenblick gibt sich Russland sehr aggressiv. Für diejenigen, die es vielleicht vergessen haben, darf ich noch einmal daran erinnern, dass seitens Russlands immer noch ein erbarmungsloser Krieg gegen die Ukraine geführt wird, der unlängst auch einen massiven Einsatz von Raketen auf die ukrainische Hauptstadt Kiew nach sich gezogen hat.

Insoweit ist klar, dass wir uns perspektivisch einerseits vor Bedrohungen schützen müssen und andererseits auch wieder in eine Abrüstungssituation kommen wollen, indem man mit der russischen Seite wieder Gesprächskanäle öffnet, um zu sehen, wie man wieder in die Mechanismen hineinkommt, die Russland in den vergangenen Jahren nach und nach aufgekündigt hat.

Fischer (AA)

Um das vielleicht noch zu ergänzen: Es geht hier ja um den Bruch des INF-Vertrags durch Russland, also des Intermediate-Range Nuclear Forces Treaty, der schon 1987 geschlossen wurde und in dem vereinbart wurde, dass landgestützte Raketen und Marschflugkörper mittlerer Reichweite ‑ das heißt, einer Reichweite von 500 bis 5 500 Kilometern ‑ vernichtet werden. Der Vertrag hat gleichzeitig verboten, neue Waffen, die in diese Kategorie fallen, zu produzieren oder zu testen. Wir haben ja schon vor mehreren Jahren beobachtet, dass Russland neue Raketentypen dieser Art getestet hat, und wir sind vorhin schon darauf eingegangen, dass diese auch wieder stationiert worden sind ‑ durchaus auch nuklear bestückt.

Insofern gibt es durch den Bruch dieses INF-Vertrags durch Russland ein großes Ungleichgewicht, und wir versuchen jetzt, das durch die Stationierung dieser weitreichenden Abstandswaffen auszugleichen und damit sozusagen unseren Frieden und unsere Sicherheit zu schützen. Vor diesem Hintergrund ist auch die gemeinsame Entwicklung eigener Waffen dieses Typs zu verstehen. Wenn Russland bereit ist, die neu entwickelten und stationierten Waffen wieder zu vernichten, kommen wir gerne auch zu den Vereinbarungen des INF-Vertrags zurück.

Frage

Sie haben die sogenannte Fähigkeitslücke erwähnt. Wann, glauben Sie, kann Europa oder können die europäischen NATO-Verbündeten diese Fähigkeitslücke selber schließen? Es gab ja in Washington auch schon eine Absichtserklärung zu einem Projekt namens ELSA, die unterzeichnet wurde. Reden wir von diesem Jahrzehnt, reden wir von einigen Jahren oder reden wir erst vom kommenden Jahrzehnt?

Hebestreit (BReg)

Das genauer zu präzisieren, wäre jetzt spekulativ. Wir haben das Jahr 2024, und wenn Sie das Jahrzehnt im Jahr 2030 beendet sehen, dann wäre ich skeptisch, ob man so schnell dabei ist, sich eines solch weitreichenden Projekts, zu dem es jetzt einmal Memorandum of Understanding und eine grundsätzliche Bereitschaft gibt, anzunehmen. Insofern gehe ich eher davon aus, dass wir diese Lücke in den 30er-Jahren selbstständig schließen können.

Frage

Herr Hebestreit, was hält die Bundesregierung von der Forderung von Friedrich Merz, sich an der Lieferung von Kampfflugzeugen an die Ukraine zu beteiligen?

An Oberst Collatz: Können Sie noch einmal ausführen, wie die Szenarien einer solchen Lieferung bisher aussehen. Es gibt ja die F-16-Koalition, an der Deutschland nicht unmittelbar beteiligt ist, richtig?

Hebestreit (BReg)

Das ist ja kein ganz neuer Vorschlag. Gleichzeitig verfügt die Bundeswehr, wie Herr Merz sicherlich auch weiß ‑ er hat ja selber Fliegererfahrung ‑ nicht über diesen Kampfflugzeugtyp. Insofern hat man sich darauf verlegt, dass Deutschland nicht an einer solchen Koalition teilnimmt. Es gibt andere Länder, die das tun. Da geht es um die Ausbildung von Piloten, da geht es um die Bereitstellung von Luftfahrzeugen und da geht es auch um die Beschaffung von Munition. Das läuft. Am Rande des NATO-Gipfels ist bekannt geworden, dass erste Flugzeuge noch in diesem Jahr der Ukraine übergeben werden und ‑ wie sagte es der amerikanische Außenminister ‑ im Himmel über der Ukraine auch ihren Dienst tun werden. Das ist das, was jetzt zählt.

Man sollte sich auch nicht vertun: Auch wenn Kampfflugzeuge von außen so ähnlich aussehen, sind sie sehr unterschiedlich zu handeln. Da geht es um langfristige Ausbildung. Es macht also keinen Sinn, der Ukraine verschiedenste Typen von Kampfflugzeugen zu übergeben ‑ unabhängig von der Frage, wer überhaupt in der Lage wäre, solche Flugzeuge zu liefern.

Dass jetzt F-16-Kampfflugzeuge von Dänemark und anderen Ländern ‑ unter anderem den Niederlanden, glaube ich ‑ bereitgestellt werden, unterstützt Deutschland also, aber wir haben keine eigenen und beteiligen uns vor allem mit Luftverteidigung und all den Dingen, die wir hier immer wieder vortragen.

Collatz (BMVg)

Ich kann dazu gerne noch ein paar Worte verlieren, aber nicht wirklich viele und schon gar keine neuen ‑ Herr Hebestreit hat es ja angedeutet, die Frage ist nicht neu. Es hat sich in der Vergangenheit in Bezug auf die Hilfe für die Ukraine herausgestellt, dass es nicht besser wird, wenn alle alles machen wollen, sondern dass es besser ist, wenn wir uns auf das konzentrieren, was das jeweilige Land oder die Länder in Gruppen am besten können. Auf unserer Seite sind da eben die Flugabwehr, die Luftverteidigung, die Artillerie, gepanzerte Fahrzeuge und andere Dinge zu nennen. Von unserer Seite aus in das Kampfflugzeuggeschehen einzugreifen, würde aber keinen Mehrwert bringen.

Nahostkonflikt

Frage

Herr Fischer, ein Luftangriff des israelischen Militärs in der Stadt Chan Junis in der Mawasi-Region im Gazastreifen führte zum Tod von 90 Personen und zur Verletzung von 300 weiteren Personen. Ebenso bombardierte das israelische Militär das Al-Schati-Flüchtlingslager im Gazastreifen, was zum Tod von 22 Personen führte. Was ist Ihr Kommentar dazu?

Fischer (AA)

Vielleicht muss man erst noch einmal herausstellen, dass der israelische Luftangriff am Samstagmittag, glaube ich, auf Chan Junis dem Militärchef der Hamas, Mohammed Deif, und auch dem Kommandeur der Chan-Junis-Brigade der Hamas-Terroristen, Rafa Salameh, galt. Zumindest der Letztere ist ja nach übereinstimmenden Angaben der israelischen Sicherheitskräfte und auch von palästinensischen Quellen bei dem Angriff getötet worden. Wir sehen immer wieder, dass sich die Hamas sich in Gaza hinter Zivilistinnen und Zivilisten verschanzt. Das ist eines der Grundprobleme dieses Konfliktes. Um es hier auch einmal klar zu sagen: Damit bricht die Hamas jeden Tag Völkerrecht.

Gleichwohl hat natürlich jeder Krieg Grenzen. Sie werden gesetzt durch das humanitäre Völkerrecht, und jeder Zivilist, jedes Kind, das in Gaza stirbt, ist eins zu viel. Zivilistinnen und Zivilisten dürfen nicht zwischen die Fronten geraten, und die israelische Armee ist dazu verpflichtet, Zivilistinnen und Zivilisten zu schützen. Je mehr Zivilisten in diesem Krieg sterben, umso dringlicher stellt sich die Frage, ob dies in ausreichendem Maße geschieht.

Wir appellieren daher an die Konfliktparteien, ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen und die Zivilbevölkerung zu schützen.

Ich glaube, es ist so, dass sich auch der israelische Ministerpräsident zu dem Angriff auf Chan Junis geäußert hat, bei dem in der Tat nach Angaben des Hamas-nahen Gesundheitsministeriums in Gaza Dutzende Zivilisten getötet worden sein sollen und auch mehrere Hundert verletzt wurden. Der Premierminister hat eine Untersuchung angekündigt, und wir erwarten, dass diese auch schnell kommt.

Wir appellieren gleichzeitig an die Konfliktparteien, die Waffenstillstandsverhandlungen jetzt mit Hochdruck weiter fortzusetzen; denn dieser Waffenstillstand ist dringend notwendig, um die Freilassung der Geiseln zu erreichen und die humanitäre Notlage der Zivilistinnen und Zivilisten in Gaza zu lindern.

Frage

Herr Fischer, man hat ja auch Videos von dem Angriff in Chan Junis gesehen. Der Angriff war ja perfide von Israel geplant. Als Rettungskräfte versucht haben, Verletzte zu bergen, wurde durch israelische Drohnen auf Verletzte und auf Rettungskräfte geschossen. Ein paar von denen sind in diesem Angriff auch gestorben. Noch einmal: Ist es für Sie akzeptabel, dass Israel Rettungskräfte angreift, die Tote und Verletzte bergen wollen?

Fischer (AA)

Ich habe gerade schon gesagt, was ich zu sagen habe, zumal mir der genaue Ablauf anders als Ihnen nicht in dieser Präzision bekannt ist. Wir wissen ‑ das hatte ich vorhin schon dargestellt ‑, dass die Hamas sich immer wieder hinter der Zivilbevölkerung versteckt. Dementsprechend fällt es wirklich schwer, aus der Ferne heraus einzelne Angriffe auf ihre Völkerrechtskonformität oder ‑widrigkeit zu überprüfen. Klar ist aber natürlich, dass medizinisches Personal in Konflikten besonders geschützt ist.

Frage

Herr Fischer, Sie haben gerade eben noch einmal betont, dass dieser Angriff dazu dienen sollte, einen Hamas-Offizier zu töten. Rechtfertigt aus der Sicht der Bundesregierung die versuchte Tötung eines Terroristen den Tod von 60 palästinensischen Zivilisten?

Fischer (AA)

Ich glaube, das ist nicht so einfach zu beantworten, weil wir zum Beispiel gar nicht wissen, wie viele von den Opfern Hamas-Terroristen gewesen sind und was das zu der Verhältnismäßigkeit sagt. Dass unter den Opfern hochrangige Hamas-Kader wie der Kommandeur der Chan-Junis- Brigade der Hamas gewesen sind, das wissen wir. Ob der militärische Führer der Hamas im Gazastreifen Deif auch unter den Opfern ist, ist, glaube ich, derzeit unklar. Die israelische Seite hält das für höchstwahrscheinlich; die Hamas bestreitet das. Dass sich dort offensichtlich Hamas-Terroristen aufgehalten haben, sieht man ja daran, dass auch die palästinensische Seite bestätigt hat, dass ihr Militärführer gefallen ist bzw. getötet worden ist. Gleichzeitig ist es aber so, dass wir nicht wissen, wie viele der Getöteten letztlich für die Hamas gekämpft haben. Insofern kann ich Ihnen von hier aus keine Einschätzung zu der Verhältnismäßigkeit geben. Klar ist aber, dass bei diesen Angriffen Zivilisten so weit wie möglich geschützt werden müssen.

Zusatzfrage

Sie haben gerade gesagt, dass Zivilisten bestmöglich geschützt werden müssen. Sind Sie mit Israel in Gesprächen darüber, warum es in so einem Fall keine präziseren Angriffsmittel nutzt? Wir wissen ja, dass Israel in der Lage ist, zum Beispiel „surgical strikes“ zu verwenden, wie es auch in Libanon in den letzten Monaten passiert ist, um bestimmte Menschen ganz präzise zu treffen.

Fischer (AA)

Ich glaube, wir sind zu allen Themen, die diesen Konflikt betreffen, mit Israel im Gespräch, und wir haben hier auch in der Vergangenheit schon gesagt, dass wir von der israelischen Seite angesichts der hohen Zahl der getöteten Zivilistinnen und Zivilisten erwarten, dass sie ihr militärisches Vorgehen so anpassen, dass die Zivilbevölkerung besser geschützt wird.

Reisen des ungarischen Ministerpräsidenten

Frage

Herr Fischer, es gibt ja in Brüssel die Diskussion, wie man auf die Reisediplomatie des ungarischen Ministerpräsidenten Orbán reagieren soll, und in dem Zusammenhang die Idee, das Gymnich-Treffen der Außenminister in Ungarn zu boykottieren. Wie würde die Außenministerin reagieren für den Fall, dass es zeitgleich zum ursprünglich geplanten Gymnich-Treffen eine Einladung zu einem formellen Außenministerrat nach Brüssel gäbe? Wo würde sie hinreisen?

Fischer (AA)

Wir haben uns ja schon am Freitag länger über die ungarische Ratspräsidentschaft unterhalten. Ich kann Ihnen zum jetzigen Zeitpunkt sagen, dass es eine Einladung zum Gymnich-Treffen gibt. Da stehen die Termine fest. Weitere Einladungen an diesem Tag sind mir nicht bekannt.

Zusatzfrage

Aber jetzt einmal formell gefragt: Sollte es eine Einladung zu einem formellen Rat geben, ist das dann automatisch so, dass das dann in der Hierarchie eine Einladung zu einem Gymnich-Treffen, zu einem informellen Rat, schlägt?

Fischer (AA)

Ich kenne keine Einladung zu einem regulären Außenrat.

Gleichzeitig ist es so, dass sich im Regelfall die Ratspräsidentschaft sehr eng mit dem Hohen Beauftragten abstimmt, der ja, wie Sie wissen, die Außenräte, aber auch die Gymnich-Treffen leitet. Der Hohe Beauftragte kann schlechterdings nicht zwei Treffen an verschiedenen Orten gleichzeitig leiten. Insofern liegt es in der Aufgabe und in der Verantwortung des Hohen Beauftragten zu entscheiden, wie er da vorgeht, sollte er sich mit solchen Plänen tragen. Aber ich gehe davon aus, dass zwischen dem Hohen Beauftragten und der ungarischen Ratspräsidentschaft sehr genau abgestimmt worden ist, wann das Gymnich-Treffen stattfindet.

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