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Erklärungen des Auswärtigen Amts in der Regierungspressekonferenz vom 07.08.2024

07.08.2024 - Artikel

Vorbereitungen für Evakuierungen aus dem Libanon / Nahostkonflikt

Frage

Ich habe zuerst einmal eine Frage an Herrn Fischer, und zwar wüsste ich gerne: Wie ist der Sachstand bei den Vorbereitungen für Evakuierungen? Sind da Schritte der Regierung nötig, beispielsweise Anmietung von Chartermaschinen oder auch eine schnelle Luftabholung durch die Luftwaffe? Für welche Staaten werden solche Maßnahmen geplant? Worauf gründen sich dabei die unterschiedlichen Lageeinschätzungen? Es gibt ja eine Ausreiseaufforderung für den Libanon, für die Palästinensergebiete und auch für den Iran, aber nicht für Israel.

Fischer (AA)

Das haben Sie richtig beschrieben. Sie wissen ja, dass wir die Lage im Nahen Osten sehr genau und umfassend verfolgen. Der Krisenstab der Bundesregierung tritt auch regelmäßig zusammen, zuletzt gestern Mittag. Wir sind jederzeit handlungsfähig und stimmen uns dazu auch insbesondere mit dem Verteidigungsministerium sehr eng ab.

Sehen Sie es mir nach, dass ich Ihnen aus Sicherheitsgründen hier keine Informationen über die konkreten Maßnahmen mitteilen kann. Wir haben ja bereits gesehen, dass es, wie Sie angesprochen haben, Berichterstattung über die schnelle Luftabholung gab. Wenn man sich die Lage im Libanon anschaut, dann haben wir das Beispiel von 2006 vor Augen. Die Situation ‑ das habe ich hier auch schon einmal ausgeführt ‑ ist jetzt noch einmal deutlich schwieriger. Eine Ausreise über Syrien kommt nicht in Betracht. Der Hafen in Beirut ist nicht vollständig operabel. Erinnern Sie sich an 2006: Damals war der Flughafen in Beirut eines der ersten Ziele der Luftangriffe und dann auch nicht mehr nutzbar. Insofern ist es nicht total wahrscheinlich, dass es zu einer schnellen Luftabholung kommt.

Wir haben jetzt das Problem, dass sich Bürgerinnen und Bürger, die sich im Libanon aufhalten, an uns wenden und sagen: Warum soll ich denn ausreisen? In ein paar Tagen kommt doch eh die Luftabholung und bringt uns hier raus. ‑ Deshalb möchte ich auch von dieser Stelle aus noch einmal alle Kolleginnen und Kollegen von Ihnen zu zurückhaltender Berichterstattung aufrufen, weil ansonsten sozusagen ein falsches Gefühl der Sicherheit bei den Menschen, die sich jetzt noch im Libanon befinden, entsteht und das möglichen Ausreiseplänen entgegensteht. Deshalb noch einmal auch von dieser Stelle aus: Eine Evakuierungsoperation ist keine Pauschalreise mit Reiserücktrittsversicherung. Eine Evakuierungsoperation ist mit Gefahren und Unsicherheiten verbunden und überhaupt nicht problemlos. Vor diesem Hintergrund rufen wir weiterhin alle Deutschen, die sich im Libanon aufhalten, dringend zur Ausreise auf. Wir sehen, dass sich jetzt auch immer mehr Deutsche bei uns melden und sich auf unserer Krisenvorsorgeliste eintragen. Wir haben am Montag von 2500 Personen gesprochen. Am Montag davor waren es 1300 Personen. Mittlerweile befinden sich 2900 Personen auf dieser Krisenvorsorgeliste. Deshalb auch von hier aus noch einmal der Appell an alle diese Personen: Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, aus dem Libanon auszureisen und die noch vorhandenen kommerziellen Möglichkeiten zu nutzen, selbst wenn das bedeutet, einen Umweg über die Türkei machen zu müssen, oder wenn es bedeutet, dass die Flugtickets möglicherweise ein bisschen teurer geworden sind.

Collatz (BMVg)

Ich würde gern die Gelegenheit ergreifen, hier auch noch, sagen wir einmal, Flankenschutz zu liefern. Denn wenn Sie uns Fragen stellen, werden Sie immer die Antwort bekommen ‑ das habe ich auch hier schon häufiger getan ‑, dass wir im Rahmen der Krisenvorsorge einen Dauerauftrag haben. Auf diesen sind wir vorbereitet und halten ihn lageangemessen auf der Höhe, die notwendig ist, um schnell reagieren zu können. Über Einzelheiten werden wir nie vor Abschluss einer solchen Maßnahme berichten. Jetzt rufen findige Kolleginnen und Kollegen direkt bei der Luftwaffe an und bekommen dann ‑ so habe ich es zumindest verstanden ‑ die Aussage, dass in Wunstorf Flugzeuge bereitgehalten werden. Das ist aber eine Binse. Den A400M, den wir dafür nutzen, gibt es nur in Wunstorf. Das ist nicht auf den Einzelfall bezogen.

Deswegen bitte auch ich darum, diese einigen vielleicht fein erscheinenden, aber doch entscheidenden Unterschiede in der Berichterstattung zu berücksichtigen. Denn wenn der Eindruck entsteht, die Luftwaffe mache das in Zusammenarbeit mit den anderen Kräften der Bundeswehr sozusagen aus dem Ärmel heraus, dann ist das ein falscher Eindruck, der auch nicht bei denjenigen erweckt werden darf, die vor Ort zur Ausreise aufgerufen sind.

Alle anderen Sichtweisen und auch eine Weigerung mit Berufung auf die Bundeswehr, selbst auszureisen, wären grundfalsch und ‑ ich möchte das auch so sagen ‑ verantwortungslos, und zwar nicht nur gegenüber sich selbst, sondern auch gegenüber den beteiligten Soldatinnen und Soldaten.

Zusatzfrage

Ein Teil meiner Frage blieb unbeantwortet, nämlich ob es nur Planungen in Bezug auf den Libanon gibt und weshalb man zu der Einschätzung kommt, dass man die Ausreiseaufforderung nicht für Israel ausspricht, wo sich Leute vor Ort praktisch schon jetzt auf die Gefahr eines möglichen Angriffs vorbereiten.

Da Herr Collatz sich eingebracht hat: Der Verteidigungsminister hat mit seinem israelischen Amtskollegen telefoniert. Das wissen wir, weil er darüber auf X informiert hat. Ging es dabei auch um deutsche Unterstützung, also konkret um militärische Hilfe, oder eher um die Fragen, die wir eben diskutiert haben?

Fischer (AA)

Zu Ihrer ersten Frage: Wir bereiten uns natürlich auf alle Szenarien vor. Aber, wie gesagt, aus Sicherheitsgründen ‑ OPSEC nennt sich das, meine ich ‑ können wir nicht näher darauf eingehen, welche es im Konkreten sind. Aber Sie können sich sicher sein, dass wir die verschiedensten Szenarien durchgespielt haben und auch die verschiedensten dann noch zur Verfügung stehenden Handlungsoptionen geprüft haben. Was Ihre Frage angeht, so gab es schon im vergangenen Oktober eine größere Evakuierungsaktion in Israel. Wir gehen davon aus, dass sich die Personen, die sich jetzt in Israel aufhalten, in vollem Bewusstsein der Lage in Israel aufhalten.

Im Übrigen gilt natürlich, dass wir die Lageeinschätzung so treffen, wie wir sie im Krisenstab treffen. Die Kolleginnen und Kollegen unseres Krisenreaktionszentrums monitoren die Situation vor Ort rund um die Uhr und sind deshalb zu diesen differenzierten Einschätzungen für die verschiedenen von Ihnen genannten Länder gekommen.

Collatz (BMVg)

Zu dem Austausch, der gestern stattgefunden hat: Ja, das ist richtig. Wir sind regelmäßig im Austausch mit unseren israelischen Counterparts, sowohl auf der Fachebene als auch bis hinauf zum Minister. Das findet immer einmal wieder auf unterschiedliche Veranlassung hin statt. Gestern ging es um einen allgemeinen Austausch. Ich kann Ihnen hier keine Gesprächsgegenstände vermitteln, die darauf abgezielt hätten, irgendeine Art von Entscheidung herbeizuführen. Es ging um Austausch, Lagebildabgleich, Festigung des Vertrauens. Das Vertrauen in der Zusammenarbeit zwischen unseren beiden Armeen ist sehr gut, und es wird alles getan, um diese Zusammenarbeit zu erhalten. Aber noch einmal: In dem Gespräch ging es nicht um konkrete Ergebnisse.

Frage

Frau Hoffmann, Herr Schuster hat davon gesprochen, dass Staatsräson in diesem Moment der Bedrohung auch ganz natürlich bedeuten würde, dass Deutschland Israel im Falle eines Angriffs militärisch zur Seite stehen würde. Deswegen die Frage: Was bedeutet Staatsräson in diesem Moment für die Bundesregierung?

Herr Collatz, Sie haben in Bezug auf Evakuieren von einem Dauerauftrag gesprochen. Inwieweit ist das Nachdenken darüber, wie der Schutz Israels aussehen müsste, ein Dauerauftrag für die Bundeswehr? Welche Abstimmungen finden dazu im Augenblick statt?

Collatz (BMVg)

Zu Ihrer letzten Frage kann ich nur wiederholen, was der Minister gesagt hat. Das ist im Moment überhaupt keine Frage, die gestellt wurde. Es ist kein Debattenthema für die Bundeswehr. Wir wissen, was politisch getan werden müsste, bevor überhaupt die Frage an die Bundeswehr gerichtet wird. Ich kann dazu nur den Minister zitieren. Das steht derzeit nicht zur Debatte und ist dementsprechend auch keine Daueraufgabe, auch deshalb nicht, weil es einen konkreten Bezug zur Einzelsituation hat, während die Daueraufgabe auf Krisenvorsorge der Bundesrepublik Deutschland abzielt. Diesbezüglich haben wir sehr wohl ständige Übungsaufgaben.

Hoffmann (BReg)

Zu der Frage in Bezug auf die Staatsräson: Zunächst einmal ‑ das hat der Kollege Büchner schon vor zwei Tagen gesagt ‑ konzentrieren sich im Moment alle Bemühungen darauf, zu verhindern, dass der Konflikt, der jetzt schon so lange andauert und so viele Opfer gefordert hat, noch weiter eskaliert. Über zukünftige Szenarien spekulieren wir an dieser Stelle nicht. Aber klar ist: Die Sicherheit Israels ist deutsche Staatsräson. Das ist eine Verpflichtung aus der Vergangenheit. Dass wir zu dieser Verpflichtung stehen, hat der Bundeskanzler immer wieder klargemacht, auch seine Vorgängerin. Wir haben gezeigt, dass wir seit dem 7. Oktober und den schrecklichen Überfällen an der Seite Israels stehen und solidarisch sind.

Zusatzfrage

Bedeutet Staatsräson auch, dass derzeit in der Bundesregierung Fragen wie die, wie man militärisch unterstützen könnte, wie es die anderen Verbündeten im April ja bereits gemacht haben, besprochen werden?

Hoffmann (BReg)

Über künftige Szenarien würde ich jetzt hier öffentlich nicht spekulieren. Wir konzentrieren uns jetzt sehr stark darauf, zu deeskalieren und darauf hinzuwirken, dass es gar nicht erst zu einer Eskalation kommt.

Frage

Herr Fischer, sowohl Hisbollahs Führer Hassan Nasrallah als auch der Iran haben noch einmal betont, dass es Vergeltung gegen Israel geben werde. Sehen Sie überhaupt noch eine Möglichkeit für eine diplomatische Lösung?

Fischer (AA)

Daran arbeiten wir derzeit mit Hochdruck rund um die Uhr auf allen Kanälen gemeinsam mit unseren Partnern in der Region, in der EU und in der G7. Ich kann dazu nur sagen ‑ die Ministerin hat sich dazu gestern noch einmal geäußert ‑: Es gibt die Möglichkeit, den Pfad der weiteren Eskalation zu verlassen. Deeskalation ist letztlich für die Menschen in der gesamten Region das Gebot der Stunde. Denn bei einer weiteren Eskalation würden Menschen in allen betroffenen Ländern leiden und möglicherweise sterben.

Deshalb ist unser Appell: Eine Eskalation gilt es unter allen Umständen zu vermeiden. Sie ist vermeidbar. Wir rufen alle, die Einfluss haben, dazu auf, sich dafür einzusetzen. Das gilt für diejenigen, die mit dem Iran sprechen. Das gilt zum Beispiel für die libanesische Regierung, die ihre Kontakte zu Hisbollah nutzen muss. Das gilt für uns in Bezug auf unsere Partner.

Zusatzfrage

Israel hat den zweimal iranisches Hoheitsgebiet angegriffen. Gestehen Sie Iran das Recht auf Widerstand gegen diese Angriffe zu?

Fischer (AA)

Ihre Hypothese würde ich in dieser Form jetzt erst einmal nicht unterstützen.

Zusatzfrage

Inwiefern?

Fischer (AA)

Allein mit Blick auf den letzten Anschlag gibt es auch von iranischer Seite drei verschiedene Thesen, wie er passiert sein könnte. Es könnte eine Mittelstreckenrakete gewesen sein, es könnte eine Bombe gewesen sein, es könnte eine Rakete gewesen sein, die aus Iran selbst abgeschossen wurde. Wenn noch nicht einmal klar ist, was überhaupt passiert ist, wie will man dann wissen, wer der Urheber war?

(Zuruf)

Frage

Herr Fischer, heute gibt es, glaube ich, ein Treffen verschiedener muslimischer Staaten, das von einigen Seiten als letzte Chance einer Eskalationsverhinderung angesehen wird. Hat die Bundesregierung in irgendeiner Weise direkte Kontakte oder Einwirkungsmöglichkeiten auf Teilnehmer dieses Treffens?

Haben Sie schon Rückmeldungen von denjenigen, an die Sie appellieren, mäßigend einzuwirken, dass Sie dies tun?

Fischer (AA)

Richtig ist, dass die Organisation für Islamische Zusammenarbeit heute zu einem Außenministertreffen zusammenkommt. Ich kann Ihnen aus den Gesprächen mit den verschiedenen Partnern in der Region berichten, dass wir alle am selben Strang ziehen. Ich habe Ihnen in der vorigen Regierungspressekonferenz von den Kontakten mit dem jordanischen Außenminister erzählt. Aber es gab natürlich weitere Kontakte. Die gesamte Region ist in Sorge vor einer weiteren Eskalation und dringt daher auch ihrerseits in ihren Gesprächen auf Mäßigung und Zurückhaltung.

Zusatzfrage

Frau Hoffmann, Sie sagten eben, Staatsräson bedeute natürlich auch, die Sicherheit des Staates Israel von deutscher Seite aus zu unterstützen. Gilt diese Staatsräson, diese Unterstützung der Sicherheit des Staates Israel, auch dann, wenn die Gefahr für die Sicherheit des Staates Israel auch durch Maßnahmen entsteht, die vonseiten der aktuellen israelischen Regierung ergriffen wurden? Kann man dann noch sagen: „Staatsräson ist“, ohne darauf zu gucken, wie die Gefährdung der Sicherheit des Staates Israel zustande kam?

Hoffmann (BReg)

Ich verstehe Ihre Frage. Aber ich würde jetzt nicht spekulieren wollen. Klar ist: Die Sicherheit des Staates Israel ist deutsche Staatsräson. ‑ Über Szenarien würde ich jetzt hier nicht spekulieren wollen.

Zusatzfrage

Sie sagen, Sie verstünden die Frage und das, was sozusagen dahinter steckt. Wenn es also so ist, dass die Sicherheit Israels auch durch Aktivitäten der derzeitigen israelischen Regierung in Gefahr gerät, geht das in die Formulierung ein, in welcher Weise Deutschland diese Staatsräson realisiert?

Hoffmann (BReg)

Israel befindet sich seit dem 7. Oktober und auch fortdauernd unter Angriff der Hamas und hat damit, auch von uns unterstützt, ein Recht auf Selbstverteidigung. Wir arbeiten daran und wirken darauf hin, dass dieser Konflikt in der Region nicht noch weiter eskaliert und Israels Sicherheit nicht noch weiter in Gefahr gerät. Das ist das, was wir im Moment tun.

Frage

Ich habe noch eine Frage zum Stichwort der Staatsräson. Wir haben offenkundig zum Teil Probleme, zu identifizieren, was das bedeutet. Es mag wie eine naive Frage klingen, aber ich halte es für wichtig. Frau Hoffmann und Herr Fischer, wenn Sie sich mit anderen Regierungen austauschen, wie wird dieser Begriff dann ins Englische übersetzt?

Fischer (AA)

« Raison d’état. »

Zusatzfrage

« Raison d’état »? Das heißt, der französische Begriff ist dann im Austausch ‑ ‑ ‑

Fischer (AA)

‑ der englische.

Zusatzfrage

Er ist dann auch der englische?

Fischer (AA)

Ja.

Zusatzfrage

Frau Hoffmann, im Bundeskanzleramt?

Hoffmann (BReg)

Können Sie die Frage noch einmal ausformulieren?

Zusatzfrage

Wenn der Bundeskanzler zum Beispiel mit dem US-Präsidenten telefoniert und das Stichwort aufkommt, ist das dann “reason of state” oder « raison d’état »? Was ist das im Englischen?

Hoffmann (BReg)

Das kann ich Ihnen nicht sagen. Ich bin mir ‑ das ist aber jetzt wirklich nur meine Annahme ‑ gar nicht sicher, dass dieser Begriff so häufig fällt. Denn in Gesprächen und im Austausch geht es in der Regel um konkrete Dinge, um konkrete Maßnahmen und konkrete Fragen, die anstehen, und nicht um theoretische Diskussionen. Insofern würde ich nicht davon ausgehen, dass dieses Wort ständig benutzt wird, sondern dass man sich konkret darüber unterhält, wie man eine Deeskalation ‑ von Lösungen sind wir ja sehr weit entfernt ‑ in der Region unterstützen kann. Eher dies, als dass man sich sozusagen philosophisch und theoretisch einlässt.

Zusatzfrage

Könnten Sie trotzdem nachfragen und die Antwort eventuell nachreichen?

Hoffmann (BReg)

Ja.

Frage

Herr Fischer, Sie haben darauf hingewiesen, dass die Außenministerin gestern alle Seiten noch einmal aufgefordert hat, zu deeskalieren. Sie haben gesagt, Sie nutzten Ihre Kanäle. Können Sie etwas konkreter sagen, welche Schritte die Ministerin im Moment unternimmt, um dabei zu helfen, dass eine Deeskalation möglich ist?

In diesem Zusammenhang habe ich eine Frage zu UNRWA. Neun Mitarbeiter sind entlassen worden. Reicht das aus der Sicht des Auswärtigen Amtes aus? Was bedeutet das für die Zahlungen des Auswärtigen Amtes?

Fischer (AA)

Das sind jetzt sehr viele Fragen auf einmal. Ich fange noch einmal mit der Ausgangsfrage an. Ich hatte vorhin gesagt, im Englischen ist es „raison d’état“. Die Kolleginnen und Kollegen haben jetzt einen Belegtext geschickt. Es gibt nämlich die Herzliya-Rede der Bundesaußenministerin, die sie Ende Juni in Israel gehalten hat. Darin heißt es:

“The security of the State of Israel is paramount for my country. It is part of our raison d’état, as Chancellor Angela Merkel put it when she addressed the Knesset in 2008. You have heard that many times from German politicians.”

Ich denke, damit haben wir jenseits jedes möglichen Zweifels klargemacht, dass “raison d’état” die englische Übersetzung von Staatsräson ist.

Jetzt zu Ihren Fragen: Die Außenministerin steht selbstverständlich in engem Kontakt mit ihren Partnern in der Region und, wie ich es vorhin geschildert habe, mit der G7 und der EU ‑ das kann telefonisch sein, das kann per SMS-Austausch sein ‑ und arbeitet daran, gemeinsam mit den anderen diesen Konflikt zu deeskalieren. Sie stimmt sich dazu eng ab, ebenso wie das Auswärtige Amt selbst. Wir alle arbeiten auf den verschiedensten Ebenen, vom Staatssekretär über den zuständigen Abteilungsleiter für den Nahen und Mittleren Osten bis hin zu den Referentinnen und Referenten, die sich um den Konflikt kümmern, gemeinsam daran, dass es zu einer Deeskalation kommt.

Was Ihre Frage zu UNRWA angeht, so hat in der Tat das United Nations Office of Internal Oversight Services die schwerwiegenden Vorwürfe der Beteiligung von insgesamt 19 UNRWA-Mitarbeitern an den Terrorangriffen des 7. Oktobers 2023 untersucht. Im Ergebnis lagen wohl bei einer Person überhaupt keine Beweise für eine Beteiligung und bei neun Personen keine ausreichenden Beweise vor. Bei den neun verbleibenden Personen deuten die vorliegenden Beweise auf eine mögliche Verbindung zur Hamas und auf eine mögliche Beteiligung an den Terroranschlägen hin. Diese Personen wurden oder werden von UNRWA entlassen. Das hat UNRWA gestern mitgeteilt. Die Vereinten Nationen haben zuvor öffentlich erklärt, dass Israel ihnen Einsicht in das Beweismaterial gestattet hatte, das Beweismaterial jedoch nicht übergeben hat und es daher laut den UN auch nicht unabhängig überprüft werden konnte, was dort zu großem Bedauern geführt hat.

Lassen Sie mich klar sagen: Dass sich die Vorwürfe bei diesen neun UNRWA-Mitarbeitern erhärtet haben, ist bestürzend und erschreckend. Denn Gewalttaten wie gerade dieser brutale Terrorakt gegen Israel sind niemals akzeptabel. Deshalb ist es auch richtig und die einzig mögliche Konsequenz, dass sich UNRWA von diesen neun Personen getrennt hat.

Gleichzeitig wirken wir darauf hin, dass UNRWA den begonnenen Reformprozess fortsetzt. Wie Sie wissen, gab es einen Aktionsplan zur Umsetzung des Colonna-Berichts der ehemaligen französischen Außenministerin, die sozusagen die Arbeit der UNRWA untersucht hat, zu dem Ergebnis gekommen ist, dass die Neutralitätsmaßnahmen innerhalb der Organisation weiter gestärkt werden können, und dazu 50 Vorschläge gemacht hat, die die UNRWA jetzt umsetzt.

Wir sagen auch im Lichte der neuen Ergebnisse: Weitere Reformen müssen folgen. Hierzu zählt natürlich auch, dass UNRWA aufklären muss, wie es möglich war, dass die neun beschuldigten Personen trotz existierenden Überprüfungen ‑ man nennt sie “vettings” ‑ und Neutralitätsmaßnahmen unentdeckt bei UNRWA arbeiten konnten. Die entsprechenden Maßnahmen werden wir weiterhin konsequent und regelmäßig von UNRWA einfordern.

Sie fragten nach der Förderung. Sie wissen, dass wir im April 2024 nach der Veröffentlichung des Colonna-Berichts und der Erklärung der Vereinten Nationen und der UNRWA, die Empfehlungen aus dem Colonna-Bericht so schnell wie möglich umzusetzen, ebenso wie viele andere Geber angekündigt haben, die Zusammenarbeit mit UNRWA fortzusetzen. Aber ‑ auch das sei gesagt ‑ seitdem haben wir noch keine weiteren Zahlungen als Auswärtiges Amt an UNRWA vorgenommen.

Frage

Herr Fischer, der israelische Finanzminister Smotrich hat gesagt, es sei legitim, Hunger als eine Waffe gegen Zivilisten in Gaza zu benutzen. Er hat gesagt, es sei gerechtfertigt und moralisch vertretbar, zwei Millionen Zivilisten in Gaza aushungern zu lassen, aber die Welt lasse das nicht zu. Ich hätte gern eine Stellungnahme dazu.

Fischer (AA)

Das sind völlig inakzeptable und empörende Äußerungen des israelischen Finanzministers. Wir weisen sie auf das Allerschärfste zurück. Sie wissen, dass wir als Deutschland, als Europäische Union und als internationale Gemeinschaft uns seit Monaten dafür einsetzen, das Leid der Menschen in Gaza zu lindern. Wir erwarten von der israelischen Regierung, dass sie dies ebenfalls tut. Es ist ein Gebot der Menschlichkeit und ein Grundprinzip des humanitären Völkerrechts, dass Zivilistinnen und Zivilisten auch im Krieg geschützt werden müssen und zum Beispiel Zugang zu Wasser und Nahrungsmitteln bekommen müssen. Umso empörender sind die Aussagen des israelischen Finanzministers.

Frage

In diesem völkerrechtlichen Rahmen spricht man von eventuellem “genocidal intent”, von genozidaler Intention. Bewertet die Bundesregierung diese Aussage als solche? Wenn nicht, was müsste dann passieren, um eine Aussage seitens der israelischen Regierung so zu bewerten, um dann Schritte einzuleiten?

Fischer (AA)

Ich habe dazu gesagt, was ich aus Sicht der Bundesregierung dazu zunächst einmal zu sagen hatte. Aber ich bin mir sicher, dass die Äußerungen auch in Den Haag sehr aufmerksam verfolgt werden, wo über diese Art von Fragen ja gerade beraten wird.

Frage

Sie sagten eben, seitens des Auswärtigen Amtes seien die Zahlungen an UNRWA noch nicht wieder aufgenommen worden. Erstens: Warum nicht? Zweitens: Wann wird das erfolgen?

Fischer (AA)

Wir haben seit dem 7. Oktober insgesamt über 300 Millionen Euro für humanitäre Hilfe in Gaza bereitgestellt. Ein Teil davon ist über verschiedenste Organisationen geflossen, auch andere. Wir sind derzeit mit UNRWA im Gespräch. Wir hatten gesagt, dass wir die Hilfe grundsätzlich wieder aufnähmen, auch über UNRWA Gaza. Wir hatten die Förderung von UNRWA in der Region schon wieder aufgenommen, zum Beispiel für UNRWA-Projekte in Jordanien. Jetzt geht es um Gaza. Wir sind mit UNRWA selbst im Gespräch über die Bedingungen, unter denen wir UNRWA in Gaza zukünftig weiter fördern können.

Zusatzfrage

Die jetzt entlassenen neun Mitarbeiter sind neun von 29 000. Das ist ein Anteil von 0,3 Promille, wenn ich richtig gerechnet habe. Rechtfertigt das tatsächlich so weitgehende Finanzierungsstoppmaßnahmen, wie es in der Vergangenheit geschehen ist?

Fischer (AA)

Ich denke, der Vorwurf, dass sich Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen einer Organisation an einem so brutalen Terrorangriff wie dem, der gegen Israel stattgefunden hat, beteiligt haben, musste dringend aufgeklärt werden. Dazu gehört auch, dass wir daraus unsere eigenen Konsequenzen ziehen und die Unterstützung für UNRWA temporär ausgesetzt haben. Aber das hieß nicht, dass wir unsere Unterstützung für die Menschen in Gaza ausgesetzt haben. Wir haben diese weiterhin mit hohen Summen fortgesetzt. Deutschland ist der größte oder möglicherweise zweitgrößte Geber humanitärer Hilfe für die Menschen in Gaza. Wir haben uns immer dafür eingesetzt, dass die Menschen in Gaza mit Nahrungsmitteln, mit Wasser, mit Elektrizität und mit Gütern des täglichen Lebens, die man zum Überleben braucht, versorgt werden, und haben das während der Aussetzung in der Tat über andere Organisationen abgewickelt.

Wie gesagt, fördern wir UNRWA in der Region jetzt wieder. Es hat auch schon Auszahlungen gegeben. Zu UNRWA Gaza sind wir mit der Organisation in intensiven Gesprächen über die Bedingungen, unter denen wir wieder Gelder auszahlen.

Berichterstattung zum Thema Visavergabe

Frage

Herr Fischer, es gibt neue Berichterstattung in Sachen Visavergabe. Ich beziehe mich auf den Bericht von „Business Insider“ und unterstelle, dass Sie ihn gelesen haben. Darin ist von Vetternwirtschaft die Rede und davon, dass das Auswärtige Amt von diesen Vorgängen schon lange gewusst habe. Was sagt das Auswärtige Amt zu diesem Bericht?

Fischer (AA)

Ich habe den Bericht gelesen und weise die darin enthaltenen Vorwürfe entschieden zurück.

Zusatzfrage

Wenn ich es richtig weiß, gibt es staatsanwaltschaftliche Ermittlungen. Ich gehe davon aus, dass es darüber hinaus interne Untersuchungen gibt. Wie weit sind diese gediehen? Können Sie uns darüber einen Zwischenstand geben?

Fischer (AA)

Die Berichterstattung im “Business Insider” ist von den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen zu trennen. Zu diesen habe ich mich hier schon länglich verhalten und auch länglich dazu ausgeführt. Das gibt den Stand ganz gut wieder. Das können Sie gern im Protokoll nachschauen.

Zusatzfrage

Zum Stichwort „länglich“: Es ist tatsächlich schon länger her. Ich habe ins Protokoll geguckt. Gibt es also seitdem keinen neuen Stand?

Fischer (AA)

Das ist der Stand, der mir vorliegt. Was die Behauptung der Interessensverquickung angeht, kann ich tatsächlich nur sagen: Das wurde intern geprüft. Es war nichts daran. Ein paar der Behauptungen in dem Bericht sind auch einfach völlig falsch. Der betroffene Kollege war nie Referatsleiter und ist auch weiterhin nicht als Referatsleiter eingesetzt. Er war zwar in der Rechtsabteilung und dort auch im Rechts- und Konsularbereich tätig, aber die Behauptung, es habe eine Verquickung mit den Interessen seiner Frau gegeben, ist letztlich nicht haltbar, weil er sich um Grundsatzfragen gekümmert hat und nicht um Visaverfahren. Er ist jetzt in einem vollständig anderen Bereich, in einer anderen Abteilung, tätig, der nichts mit Afghanistan zu tun hat. Insofern ist die unterstellte Interessenverquickung nicht gegeben. Da es sich bei dem Kollegen nicht um eine Person des öffentlichen Lebens handelt, würde ich es jetzt erst einmal dabei belassen.

Lage in Bangladesch

Frage

Der Bengale Muhammad Yunus wird in seiner Heimat die Übergangsregierung … (ohne Mikrofon, akustisch unverständlich) Wird die Bundesregierung ihn dabei unterstützen? Er ist auch beim Bundesentwicklungsministerium bekannt. Er war ein paar Mal hier in Berlin.

Fischer (AA)

Genau, Herr Yunus ist der Bundesregierung gut bekannt. Er ist auch Träger des Friedensnobelpreises.

Aber lassen Sie mich erst einmal sagen, dass wir den Angehörigen der bei den Protesten ums Leben gekommenen Menschen unser Beileid aussprechen und dass uns die hohe Zahl der Todesopfer bestürzt hat. Diese Gewaltakte müssen jetzt unabhängig untersucht und die Täter vor Gericht gebracht werden. Willkürlich festgenommene Personen müssen schnellstmöglich freigelassen werden.

Nun ist von entscheidender Bedeutung, dass in einem transparenten Prozess eine breitestmöglich aufgestellte Übergangsregierung benannt wird, die die politischen und zivilgesellschaftlichen Kräfte in dem Land repräsentiert. Die Gewalt muss beendet und insbesondere auch Minderheiten müssen geschützt werden. Wir habe in den letzten Tagen Meldungen darüber erhalten, dass sich Gewalt gezielt gegen Minderheiten richtet. Das muss aufhören.

Klar ist, dass die friedliche Ausübung des Demonstrationsrechts und die freie Meinungsäußerung elementare Grundrechte und Kernelemente einer Demokratie sind. Wichtig bleibt aus unserer Sicht ‑ das habe ich am Montag schon gesagt ‑ eine rasche Rückkehr Bangladeschs auf den Weg der Demokratie durch Wahlen, aus denen eine demokratisch legitimierte Regierung hervorgeht.

In der Tat begrüßen wir die Ankündigung einer Übergangsregierung. Die Frage der genauen Zusammensetzung der Übergangsregierung scheint mir zumindest vor dieser Regierungspressekonferenz noch nicht geklärt gewesen zu sein. Was Friedensnobelpreisträger Yunus für Millionen von Menschen geleistet hat, insbesondere auch für die Unabhängigkeit und Selbstbestimmung von Frauen, sucht seinesgleichen. Wir verstehen es so, dass sich gerade auch die Studentinnen- und Studentenorganisationen, die die Proteste in Bangladesch getragen haben, sehr dafür einsetzen, dass Professor Yunus eine wichtige Rolle in der Übergangsregierung spielt, die das Land dann rasch zu freien Wahlen führen soll und will.

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