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Erklärungen des Auswärtigen Amts in der Regierungspressekonferenz vom 02.10.2024

02.10.2024 - Artikel

Iranisches Atomprogramm, Nahostkonflikt

Frage

Es geht um Iran und um die Frage, ob es Überlegungen gibt, auf nationaler oder auch internationaler Ebene Sanktionen zu verschärfen, und auch um den Aspekt, ob es eine Möglichkeit wäre, den sogenannten Snapback-Mechanismus in Kraft zu setzen. Oder geht das nicht, weil das nicht direkt etwas mit dem Atomabkommen zu tun hat?

Fischer (AA)

Zu den Maßnahmen, die wir getroffen haben: Wir haben heute den iranischen Botschafter einbestellt; er war aber nicht in der Stadt, deshalb ist dann sein Geschäftsträger erschienen. Wir haben ihm noch einmal sehr deutlich gemacht, dass wir den direkten iranischen Angriff auf das Staatsgebiet Israels auf das Allerschärfste verurteilen und dass dieser Angriff durch nichts zu rechtfertigen ist. Wir haben den Iran dazu aufgerufen, weitere Angriffe auch über seine Verbündeten zu unterlassen. ‑ Das vielleicht vorweg.

Was sozusagen weitere Sanktionen angeht: Sie wissen ja, dass wir einen ganzen Instrumentenkasten an Maßnahmen haben, die wir uns jetzt gemeinsam mit unseren europäischen und internationalen Partnern anschauen werden. Das wird sicherlich auch ein Thema der Quintschalte sein, in der sich die Außenministerinnen und Außenminister der USA, Großbritanniens, Frankreichs, Italiens und Deutschlands heute Nachmittag abstimmen werden. Sie wissen, dass wir uns als Bundesregierung schon in den letzten Monaten ‑ teilweise auch gegen erhebliche Widerstände ‑ auf EU-Ebene intensiv für weitere Sanktionen gegen den Iran eingesetzt haben, und das natürlich auch schon mit Blick auf die Eskalation in der Region. Nun hat Iran Israel massiv mit Raketen angegriffen. Unsere Überzeugung ist, dass die EU hierauf reagieren muss. Aber wie gesagt, das liegt nicht allein in der Hand der Bundesregierung, sondern das liegt sicher in der Hand der Europäischen Union, und wir werden darüber jetzt in Brüssel mit unseren Partnern sprechen.

Zusatzfrage

Es gab auch Überlegungen, die Revolutionsgarden als terroristische Vereinigung einzustufen. Was ist die Haltung der Bundesregierung dazu?

Fischer (AA)

Die Position der Bundesregierung ist klar und unverändert: Wir sind für die Listung der Revolutionsgarden unter dem EU-Antiterrorsanktionsregime und setzen uns hierfür auch bei unseren Partnern ein.

Zusatzfrage

(ohne Mikrofon, akustisch unverständlich)

Fischer (AA)

Ich glaube, das Snapback-Verfahren bezieht sich in der Tat auf das JCPOA. Es sieht eine Reihe von möglichen Reaktionen im Rahmen des JCPOA vor, unter anderem solche Dinge wie die Ausrufung des Streitschlichtungsmechanismus. Das wäre hier in diesem Sinne nicht einschlägig, und das müsste sozusagen sehr genau geprüft werden, auch mit unseren Partnern im JCPOA.

[…]

Frage

Herr Fischer, es fällt auf, dass die Außenministerin explizit Israel nicht zur Zurückhaltung aufgefordert hat. In ähnlichen Fällen, in denen Israel Hisbollah-Stellungen oder iranische Stellungen angegriffen hat, sind der Iran bzw. die Hisbollah immer zur Zurückhaltung aufgefordert worden. Warum ist das so?

Fischer (AA)

Lassen Sie mich vielleicht erst einmal sagen: Wir haben – Ihr Kollege hatte das vorhin angedeutet ‑ Kenntnis von den Planungen gehabt, und die Außenministerin hatte deswegen gestern auch noch einmal Kontakt mit ihrem iranischen Kollegen und hat da noch einmal auf Zurückhaltung gedrängt und darauf gedrängt, diese Art von Angriff zu unterlassen. Ich habe dann vorhin gesehen, dass die iranische Seite verbreitet hat, es habe danach gestern Abend noch ein Telefonat gegeben. Das ist so nicht richtig. Die iranische Seite hat eine Sprachnachricht des iranischen Außenministers an unsere Botschaft übermittelt, die diese dann weitergeleitet hat. Darin hat die iranische Seite bzw. der iranische Außenminister noch einmal versucht hat, den nicht zu rechtfertigenden Angriff doch irgendwie zu rechtfertigen.

Was unsere Haltung angeht: Es ist doch ganz klar, dass dieser Angriff letztlich vollständig grundlos war. Israel hat Iran nicht angegriffen, aber der Iran hat Israel angegriffen, und das mittlerweile schon zum zweiten Mal.

Zusatzfrage

Es gab Angriffe auf iranische Generäle, es gab Angriffe auf die iranische Botschaft in Damaskus ‑ das war iranisches Staatsgebiet ‑ und es wurden auch Hisbollah-Stellungen bombardiert. Gefühlt bombardiert Israel den halben Nahen und Mittleren Osten. Wieso fordern Sie Israel nicht zur Zurückhaltung auf, wenn Sie wissen, dass das in einem Flächenbrand enden kann?

Fischer (AA)

Wir sehen alle, dass wir in der Region in eine Eskalationsspirale abrutschen können; deshalb sind wir auch im Gespräch mit allen Seiten, deshalb finden diese Quintschalten statt, deshalb findet das G7-Gespräch statt, deshalb hatte die Außenministerin am Rande der Vereinten Nationen ein Gespräch mit dem iranischen Außenminister, deshalb hatte sie gestern noch einmal Kontakt und deshalb sind wir mit der israelischen Seite im Kontakt.

Ich glaube, wenn es gestern eine gute Nachricht oder einen Lichtblick gab, dann war das, dass es gelungen ist, diese Angriffe in beeindruckender Weise durch die israelische Luftabwehr und verbündete Kräfte abzuwehren, sodass es zu keinen Personenschäden gekommen ist. Ich glaube, wichtig ist auch festzuhalten, dass Besonnenheit eben auch Stärke ist.

Frage

Ich habe auch noch eine Verständnisfrage: Herr Fischer, Sie haben gesagt, dass Israel Iran nicht angegriffen habe. Zum einen wurde das Gesicht des iranischen Botschafter im Libanon durch eine mutmaßlich israelische Sprengfalle zerfetzt. Außerdem gab es das politische Attentat mitten in Teheran im Juli, woraufhin die Iraner auf Vergeltung verzichtet haben ‑ zumindest nach eigener Darstellung ‑, weil sowohl die USA als auch die EU zugesichert haben, dass es zu Friedensverhandlungen in Gaza und auch mit Libanon kommen sollte. Deswegen bin ich ein bisschen irritiert, in welcher Einseitigkeit Sie hier sozusagen auf den Iran zeigen, während Sie bisher kein einziges kritisches Wort zur Rolle Israels verloren haben. Könnten Sie noch einmal darlegen, wieso Sie Israel da komplett aus der Verantwortung nehmen?

Fischer (AA)

Ich glaube, was wir gestern gesehen haben, war ein massiver iranischer Angriff auf israelisches Staatsgebiet in einer präzedenzlosen Weise, der sogar noch eine andere Qualität hatte als der erste Angriff Irans auf Israel. Damals waren es ja zunächst Drohnen, die losgeschickt worden sind, und das mit ganz anderen Vorwarnzeiten. Ich glaube, das sollte man alles nicht unterschätzen.

Was die Dinge betrifft, die im Libanon passiert sind, sehe ich jetzt nicht, wie diese den Iran betreffen würden. Dass möglicherweise ein iranischer General bei einem Treffen mit dem Führer der Hisbollah zugegen war, also eine terroristische Organisation unterstützt hat, kann man jetzt nicht Israel vorhalten, würde ich einmal sagen.

Zusatzfrage

Zum einen habe ich davon gesprochen, dass Israel mit einer Sprengfalle das Gesicht des iranischen Botschafters zerfetzt hat; das ist mitnichten ein Militär gewesen. Zum anderen gab es den mutmaßlichen Angriff Israels bei der Tötung des Hamas-Führers in Teheran, der zumindest indirekt auch bestätigt wurde. Das war sicherlich auch nicht völkerrechtswidrig, auch nicht aus Sicht der Bundesregierung.

Meine Frage zielt aber auf einen anderen Aspekt: Wenn man sich die Ziele anschaut, die vom Iran anvisiert wurden, dann sieht man, dass das nach aktuellem Stand zwei Luftwaffenbasen, das Mossad-Hauptquartier und eine weitere militärische Installation waren, also ausschließlich militärische Ziele. Deswegen würde mich noch interessieren, wie das Auswärtige Amts das sieht. Einerseits wurden ‑ zumindest soweit wir das wissen; widersprechen Sie mir gerne ‑, ausschließlich militärische Ziele vom Iran angezielt. Andererseits wurden von Israel im Libanon zivile Wohnhäuser in dicht besiedelten Wohnvierteln in Beirut und um Beirut herum beschossen. Wieso erscheint Ihnen die Inzielnahme von militärischen Objekten verurteilenswürdiger als Angriffe auf Wohngebiete in Beirut?

Fischer (AA)

Erst noch einmal zu den Pagern: Ich glaube, das war ein militärisches Kommunikationsinstrument der Hisbollah. Ich bin mir nicht sicher, ob man davon ausgehen kann, dass der iranische Botschafter solcherlei Kommunikationsinstrumente militärischer Art einer terroristischen Organisation bei sich trägt. Das würde ich einmal in den Raum stellen.

Iran hat sich zwar auf das Selbstverteidigungsrecht berufen, aber von Selbstverteidigung kann man eben nur sprechen, wenn es um die Abwehr eines andauernden oder unmittelbar bevorstehenden Angriffs geht. Sonst ist es Vergeltung. Dieses Vergeltungsmotiv haben wir ja gestern in den iranischen Stellungnahmen auch gesehen. Vergeltung ist aber eben keine Kategorie des Völkerrechts; Vergeltungsschläge sind nicht vom Völkerrecht gedeckt. Iran hat, wie ich gerade sagte, die militärische Aktion gestern Abend immer wieder auch als Rache, Vergeltung, Bestrafung bezeichnet. Schläge dieser Art sind aber völkerrechtswidrig. Das heißt, der Angriff des Iran ist durch nichts zu rechtfertigen. Das iranische Regime hatte keine völkerrechtliche Begründung, um Israel anzugreifen.

Frage

Herr Fischer, Sie meinten gerade, dass es gestern zu keinem Personenschaden gekommen sei. Die IDF hat bekanntgegeben, dass ein 37-jähriger Palästinenser umgekommen ist. Zählen Sie Palästinenser nicht? Das kommt jetzt ein bisschen komisch rüber, darum frage ich.

Fischer (AA)

Dann ist mir da ein Lapsus unterlaufen. In der Tat, ich habe auch mitbekommen, dass offensichtlich in Hebron ein aus Gaza stammender Palästinenser von herabfallenden Trümmerteilen getroffen worden ist. Insofern ist es nicht richtig, dass es keine Opfer gab. Ich glaube aber, mit Blick auf die beabsichtigten Schäden und die beabsichtigten Opferzahlen, die man dahinter vermuten muss, wenn ein Land mit 180 massiven Raketen angegriffen wird, kann man sagen, dass die israelische Luftverteidigung gemeinsam mit der Unterstützung einiger Verbündeter sehr gut funktioniert hat und das Land vor wirklich noch viel schlimmerem Schaden bewahrt hat. Es ist auch wahr, dass es in Israel offensichtlich Verletzte durch herabfallende Trümmerteile gegeben hat. Es ist schrecklich, dass diese Dinge passiert sind, aber ich glaube, wenn man sich anschaut, was alles hätte passieren können, kann man sagen: Es hätte noch viel, viel, viel schlimmer kommen können.

[…]

Frage

Herr Fischer, die israelische Regierung hat den UN-Generalsekretär zur unerwünschten Person erklärt und eine Einreisesperre verhängt, und zwar mit der Begründung, er stärke Mördern, Vergewaltigern und Terroristen den Rücken. Namentlich wird auch Iran erwähnt.

Wie bewertet die Bundesregierung diese Brüskierung des UN-Generalsekretärs, wenn man es so sagen will? Beschädigt oder erschwert das die Rolle der Vereinten Nationen bei der Suche nach einer friedlichen Konfliktlösung?

Fischer (AA)

Ich habe diese Meldungen zur Kenntnis genommen. Wir alle wissen von den bestehenden Spannungen zwischen Israel und den Institutionen der Vereinten Nationen. Ich glaube, dieser Schritt ist nicht besonders hilfreich. Denn am Ende braucht es mehr Gespräche und nicht weniger Gespräche. Wir sollten uns nicht selbst Gesprächskanäle nehmen, die möglicherweise dazu beitragen können, eine Lösung herbeizuführen.

Zusatzfrage

Bedeutet das, dass die Bundesregierung die israelische Regierung bittet oder auffordert, diese Einreiseverweigerung, diese Ernennung zur Persona non grata zurückzunehmen?

Fischer (AA)

Ich denke, Sie haben gehört, wie ich die Entscheidung eingeschätzt habe, nämlich als nicht sehr hilfreich. In diesem Sinne werden wir uns sicherlich auch in unseren Kontakten mit der israelischen Seite äußern.

Frage

Herr Fischer, nach der Logik der gegenwärtigen Dynamik wäre jetzt eigentlich Israel am Zug, auf den iranischen Angriff zu reagieren. Was sollte die israelische Regierung nach Meinung der Bundesregierung jetzt tun?

Fischer (AA)

Lassen Sie es mich vielleicht so sagen: Die ganze Kaskade der Ereignisse, die wir jetzt beobachten, ist am 7. Oktober mit dem furchtbaren Terroranschlag der Hamas gegen Israel in Gang gesetzt worden. Dem hat sich am 8. Oktober aus eigenem Antrieb und ohne jegliche Not die Hisbollah angeschlossen, die Israel, den israelischen Norden, bombardiert hat. Das hat, wie Herr Hebestreit schon ausgeführt hat, dazu geführt, dass Zehntausende Israelis ihre Heimat im Norden Israels verlassen mussten und bislang nicht zurückkehren konnten. Daraus hat sich die Situation entwickelt, die wir jetzt sehen. Gestern Nacht hat es einen in der Tat präzedenzlosen Raketenangriff auf Israel gegeben.

Wir appellieren an alle Akteure in der Region und rufen alle Akteure in der Region dazu auf, auch in unseren Gesprächen, verantwortlich zu handeln. Sicherlich zeigt sich Stärke eben auch in Besonnenheit.

Frage

Herr Fischer, Herr Hebestreit hat das Stichwort angedeutet: diplomatische Lösung. Wer könnte ein potenzieller Vermittler sein? Ein Land in der Region, das gute Beziehungen zum Iran und auch zu Israel hat, ist Katar. Der katarische Emir wird in den nächsten Tagen in Berlin erwartet. Glauben Sie, dass Katar solch eine Rolle spielen könnte, zumindest wenn es darum geht, in diesem Konflikt zu deeskalieren?

Fischer (AA)

Katar ist sicherlich eines der Länder, die einen Beitrag dazu leisten können, die Situation nicht weiter eskalieren zu lassen. Katar ist in die Gespräche über die Waffenruhe in Gaza eingebunden, die weitergehen und von denen wir hoffen, dass sie zu einem guten Abschluss kommen und dazu führen, dass die letzten israelischen Geiseln freigelassen werden.

Frage

Meine Frage geht auch an das BMVg. Plant die Bundesregierung weitere Evakuierungen deutscher Staatsbürger oder Mitglieder deutscher Botschaften aus der Region, nicht nur aus dem Libanon, sondern möglicherweise auch aus der weiteren Umgebung?

Wenn das der Fall ist: Welche Vorbereitungen werden dafür getroffen?

Müller (BMVg)

Sie wissen, dass wir üblicherweise im Nachgang von möglichen Flügen oder anderweitigen Aktionen berichten. Das hat Sicherheitsgründe. Insofern habe ich aktuell nichts mitzuteilen.

Unsere Aufgaben im Rahmen der nationalen Krisenvorsorge bestehen natürlich. Sie werden von uns wahrgenommen. Wir sind darauf vorbereitet, beobachten die aktuelle Lage und stimmen uns natürlich über die Ressorts sehr genau ab, um diesen Auftrag bei Bedarf zu erfüllen.

Fischer (AA)

Ich kann noch ergänzen, dass der Krisenstab der Bundesregierung heute Morgen unter Leitung von Staatssekretär Bagger im Auswärtigen Amt zu der aktuellen Lage getagt hat und es dabei darum ging, sich nach den dramatischen Entwicklungen der letzten Stunden ein Lagebild zu verschaffen und zu analysieren, welche unserer Szenarien, die wir im Kopf haben, wir weiter ausplanen müssen, welche Szenarien möglicherweise jetzt in den Blick gekommen sind, wie sich das Lagebild verändert hat und welche veränderten Lage- und Handlungseinschätzungen sich daraus ergeben. Bestimmte Dinge können wir hier auch zum Schutz der operativen Sicherheit der Beteiligten nicht sagen.

Müller (BMVg)

Ich erlaube mir noch eine Ergänzung. Auch der Flug am Montag war keine Evakuierung, sondern diplomatische Luftabholung. Das sind für uns auch im Bereich der Operationsformen wichtige Unterschiede. Das ist natürlich zwischen den Ressorts abgestimmt. So war der Bedarf.

Zusatz

Ich entnehme den Antworten, dass die Bundesregierung aber durchaus um die Sicherheit deutscher Staatsbürger in der Region besorgt ist.

Fischer (AA)

Was Sie wissen, ist, dass wir schon seit mehreren Monaten, praktisch seit dem 7. Oktober, zum Beispiel eine Ausreiseaufforderung für deutsche Staatsbürgerinnen und Staatsbürger in Libanon haben. Wir haben sie im Juni verschärft und dringend zur Ausreise aufgerufen. Insofern sind wir in der Tat besorgt. Wir haben am Montag den Flug mithilfe der Luftwaffe durchgeführt, bei dem Angehörige von Botschaftsmitarbeitern, einige Botschaftsmitarbeiter, aber auch über 60 besonders gefährdete Deutsche aus dem Libanon ausgeflogen wurden. Wir haben das im Rahmen einer diplomatischen Abholung getan, um sie bei der Ausreise zu unterstützen, die jetzt noch einmal deutlich schwieriger geworden ist, wovor wir die letzten Monate ja gewarnt hatten.

Frage

Herr Fischer, Sie haben die Angriffe des Irans eben als Vergeltungsschläge bezeichnet und unter anderem auch auf entsprechende Äußerungen von iranischer Seite verwiesen. Sie seien daher völkerrechtswidrig gewesen. Nach dem 7. Oktober hat Israel seine Militäroperation ‑ dafür gibt es zahlreiche Zeugnisse ‑ ebenfalls in der Sprache der Vergeltung und Rache begleitet. Ihr sind bisher 40 000 Palästinenser zum Opfer gefallen, mehrheitlich Frauen und Kinder.

Können Sie mir darlegen, wieso Sie diesen Aspekt der Vergeltungsangriffe nicht für die militärische Operation der Israelis in Gaza benutzen?

Fischer (AA)

Der Unterschied liegt auf der Hand. Am 7. Oktober hat es einen brutalen Terrorangriff der Hamas auf Israel mit mehr als 1100 Todesopfern gegeben. Dass Israel darauf reagieren kann und dass Israel dagegen das Recht auf Selbstverteidigung im Rahmen des humanitären Völkerrechts zusteht, ist, denke ich, unzweifelhaft. Das Entscheidende ist, dass das humanitäre Völkerrecht bei den Operationen eingehalten wird und dass die Dinge, die getan werden, verhältnismäßig sind.

Das Gleiche gilt auch für die Hisbollah. Ich habe vorhin schon dargelegt, dass diese Terrororganisation am 8. Oktober vollständig unprovoziert mit Angriffen auf Nordisrael begonnen hat. Auch dagegen steht einem natürlich das Selbstverteidigungsrecht im Rahmen des Völkerrechts zu.

Zusatzfrage

Meine Frage zielte darauf, dass die israelische Regierung selbst auf ministerieller Ebene mehrmals von Rache und Vergeltung gesprochen hat. Auch die Art und Weise der Kriegsführung deutet darauf hin, dass es sich unter Umständen auch um Vergeltungsschläge und nicht um Selbstverteidigung gehandelt hat. Auch die hohe Zahl toter Zivilisten deutet darauf hin.

Deswegen will ich sichergehen: Die Bundesregierung sieht in dem israelischen Vorgehen in Gaza keine Form von Vergeltung, sondern nur von legitimer Selbstverteidigung. Richtig?

Fischer (AA)

Wir haben diese Äußerungen zur Kenntnis genommen, und wir haben sie auch hier immer wieder kritisiert. Aber wenn man sich sozusagen die völkerrechtliche Substanz anschaut, dann muss man feststellen, dass sich Israel auf Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen berufen kann und dass Iran das für diesen Angriff, den er durchgeführt hat, eben nicht kann. Das ist der entscheidende Unterschied.

Was die israelische Operationsführung in Gaza angeht, haben wir uns an dieser Stelle schon häufiger darüber unterhalten und haben auch schon häufiger dargestellt, dass wir erwarten, dass Israel die Zivilbevölkerung bei seinen Einsätzen schützt und zwar auch besser schützt, als es in der Vergangenheit der Fall war.

Frage

Herr Fischer, fallen Invasionen unter Selbstverteidigung?

Fischer (AA)

Es geht darum, die Gefahr, die besteht, in angemessener Weise zu bekämpfen.

Zusatz

Ich habe bisher noch nicht gehört, dass eine Invasion fremden Staatsgebiets unter Selbstverteidigung fällt.

Fischer (AA)

Ich weiß nicht, worauf Sie sich beziehen.

Zuruf

(ohne Mikrofon, akustisch unverständlich)

Fischer (AA)

Natürlich steht Israel gegenüber der Hamas das Selbstverteidigungsrecht zu. Wenn sich die Hamas nur in Gaza bekämpfen lässt, dann ist das durchaus vom Völkerrecht gedeckt. Wenn in Südlibanon entgegen Resolution 1701 der Vereinten Nationen Hisbollah-Kämpfer stationiert sind, die Israel auch immer wieder beschießen, dann kann man Artikel 51 zumindest nicht einfach vom Tisch wischen.

[…]

Besuch von Rolf Dieter Reinhard bei der Minenräumorganisation HALO in Afghanistan

Frage

Herr Fischer, können Sie uns etwas über die Rolle von Herrn Rolf Dieter Reinhard in Afghanistan sagen? Die Minenräumorganisation HALO hat darüber berichtet, dass er sie dort bei Minenräumaktionen besucht habe. Er wurde als deutscher Geschäftsträger für Afghanistan bezeichnet. Ist Deutschland damit in Afghanistan diplomatisch offiziell vertreten? Welche Rolle hat er dort? Welche Aktivitäten nimmt er dort wahr?

Fischer (AA)

Ich kann Ihnen zu dem Fall nichts sagen, einfach deshalb nicht, weil er mir nicht bekannt ist. Aber an dem Stand hat sich nichts geändert. Wir haben unsere Botschaft in Kabul geschlossen.

Zusatzfrage

Ja. Aber wenn eine internationale NGO, die auch von Deutschland unterstützt wird, in Text und Bild von diesem Besuch berichtet und Herrn Reinhard, der als Diplomat ja durchaus nicht unbekannt ist, als Geschäftsträger bezeichnet, dann wäre es schön, wenn Sie nachliefern können, welches seine konkrete Funktion dort ist, wo er stationiert ist, möglicherweise in Doha, und ob er mit der afghanischen Regierung zum Beispiel über Fragen von Rückführung spricht oder was er dort macht.

Fischer (AA)

Richtig ist ‑ das haben wir auch hier gelegentlich gesagt ‑, dass wir ein Verbindungsbüro in Doha unterhalten, das für Afghanistan zuständig ist. Ich kann jetzt nicht sagen, ob Herr Reinhard dort eine Rolle und gegebenenfalls welche Rolle er hat. Aber natürlich ‑ auch das haben wir hier gelegentlich gesagt ‑ gibt es durchaus punktuelle Kontakte mit den Taliban. Das heißt natürlich auch, dass es immer einmal wieder Gespräche auch in Afghanistan gibt. Ob es sich um solch ein Gespräch gehandelt hat, müsste ich klären.

[…]

Fischer (AA)

Ich kann noch zu Herrn Reinhard nachliefern, um das hier abzuschließen. In der Tat war der Kollege Reinhard, der in unserem Verbindungsbüro in Doha tätig ist, in Afghanistan und hat dort auch Projektbesuche durchgeführt, unter anderem bei der von Ihnen erwähnten Organisation HALO und „Save the Children“. Sie wissen, dass wir, wenn wir mit den De-facto-Vertretern in Afghanistan in Kontakt treten, diese Kontakte nutzen, um uns für die Menschen in Afghanistan einzusetzen, insbesondere für die Rechte von Mädchen und Frauen. In diesem Zusammenhang finden dann auch Projektbesuche diese Art statt. Sie wissen, dass wir auch weiterhin Projekte im Rahmen der humanitären Hilfe in Afghanistan fördern.

Frage

Die Unterstützung für humanitäre Hilfe ist ein Aspekt, den Sie jetzt betonen. Meine Frage war aber, ob er im Rahmen möglicher Regierungskontakte mit den Taliban auch über Rückführungsfragen gesprochen hat. Das ist ein anderes Thema. Vielleicht könnten Sie dazu im Zweifelsfall auch noch etwas nachliefern.

Fischer (AA)

Die Fragen der Rückführung liegen beim BMI.

Frage

Hat sich Herr Reinhard nur mit HALO und „Save the Children getroffen“? Wenn nicht, mit wem noch?

Fischer (AA)

Die Frage Ihres Kollegen ging in Richtung von Hilfsorganisationen und HALO, weil HALO berichtet hat. Das haben mir die Kollegen jetzt bestätigen können. Aber mir liegt in der Tat nicht das gesamte Besuchsprogramm von Herrn Reinhard vor.

Zusatz

Das können Sie uns ja nachreichen.

Fischer (AA)

Damit habe ich gar kein Problem.

Zusatz

Gerade dann, wenn er vielleicht die afghanische Seite getroffen hat.

Fischer (AA)

Ich habe schon gesagt ‑ und das das wissen Sie ‑, dass wir auf technischer Ebene punktuell immer wieder einmal mit Vertretern der De-facto-Regierung in Afghanistan in Kontakt treten.

Zuruf

In Doha!

Fischer (AA)

In Doha, aber es gibt auch immer einmal wieder Reisen nach Afghanistan. Daraus haben wir hier nie ein Geheimnis gemacht. Diese Reisen werden dafür genutzt, dass wir uns für die Menschenrechte dort einsetzen und versuchen, insbesondere die Situation der Frauen und Mädchen zum Besseren zu wenden. Das alles findet, wie gesagt, auf technischer Ebene statt.

Frage

Dem Hinweis von Herrn Fischer folgend, die Frage ans BMI: Führt das BMI, vermittelt über die Person von Herrn Reinhard, mit den Taliban Rückführungsgespräche?

Funke (BMI)

Ich denke, das haben wir hier in diesen Räumlichkeiten schon mehrmals besprochen. Wir führen vertrauliche Gespräche, um Rückführungen nach Afghanistan zu ermöglichen. Wir haben bereits wieder Rückführungen nach Afghanistan ermöglicht. Aber nein, wir sind nicht in Kontakt mit der De-facto-Regierung in Afghanistan.

Zusatz

Das heißt, Herr Reinhardt spielt bei diesen Gesprächen keine Rolle als Person.

Funke (BMI)

Das ist mir nicht bekannt, in der Tat.

Frage

Hat Herr Reinhard technische Gespräche in Afghanistan geführt?

Fischer (AA)

Wie gesagt, es tut mir furchtbar leid ‑ ‑ ‑

Zusatz

Das können Sie uns ja nachreichen!

Fischer (AA)

Ja, das werde ich auch tun. Aber es tut mir furchtbar leid, dass ich nicht auf den Social-Media-Post von HALO vorbereitet war und deshalb das Gesamtbesuchsprogramm von Herrn Reinhardt nicht kenne. Das, was wir Ihnen mitteilen können, reichen wir Ihnen gern nach.

Fall Julian Assange

Frage

Ich will noch einmal auf meinen Fauxpas hinsichtlich des Europäischen Rats bzw. des Europarats zurückgekommen. Die Antwort würde mich trotzdem interessieren. Heute hat der Europarat mit großer Mehrheit eine Resolution angenommen, die Julian Assange als politischen Gefangenen eingestuft hat. Folgt die Bundesregierung dieser Einschätzung des Europarats?

Fischer (AA)

Ich fürchte, ich muss noch einmal präzisieren: Es war die Parlamentarische Versammlung des Europarates, nicht der Europarat. Der Parlamentarischen Versammlung gehören Abgeordnete von Parlamenten aus 46 Europaratsmitgliedstaaten an. Sie haben dort eine beratende Funktion.

Wir haben natürlich zur Kenntnis genommen, was die Abgeordneten dort verabschiedet haben, und schauen uns das jetzt genau an. Aber gleichzeitig gilt natürlich auch, dass wir Entscheidungen anderer Verfassungsorgane ‑ dazu gehören nun einmal Abgeordnete des Deutschen Bundestages ‑ nicht kommentieren.

[…]

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