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Erklärungen des Auswärtigen Amts in der Regierungspressekonferenz vom 18.12.2024

18.12.2024 - Artikel

16. Bericht der Bundesregierung über ihre Menschenrechtspolitik

Büchner (BReg)

[…] Dann hat die Bundesregierung heute den 16. Bericht über ihre Menschenrechtspolitik für den Zweijahreszeitraum von 1. Oktober 2022 bis 30. September 2024 beschlossen. Die Förderung und der Schutz der Menschenrechte sind eine tragende Säule der Politik der Bundesregierung, sowohl in Deutschland als auch weltweit. Der vorliegende Bericht hebt den Einsatz für die Menschenrechte als Querschnittsaufgabe hervor, die alle Politikfelder durchzieht. Er präsentiert die innen- und außenpolitischen Aktivitäten und Initiativen der Bundesregierung sowie mehrere thematische Schlaglichter. Darüber hinaus zeigt der Bericht die menschenrechtlichen Entwicklungen in ausgewählten Länderkontexten sowie die jeweiligen Maßnahmen der Bundesregierung und der Europäischen Union zur Förderung der Menschenrechte auf. Der gut 150 Seiten lange Bericht wird dem Bundestag zugeleitet und auch auf der Internetseite des Auswärtigen Amtes eingestellt.

Lage in Syrien

Frage

Herr Wagner, können Sie mit uns etwas davon teilen, was gestern bei Ihrer Erkundungsmission in Damaskus herausgekommen ist?

Wagner (AA)

In der Tat war gestern eine deutsche Delegation unter Leitung des Nah- und Mittelostbeauftragten des Auswärtigen Amtes, Tobias Tunkel, in Damaskus und hat dort erste Gespräche geführt. Im Zentrum dieser Gespräche standen die politischen Umbruchprozesse, die jetzt in Syrien laufen, und natürlich die Erwartungen mit Blick auf den Schutz der Rechte ethnischer und religiöser Gruppierungen, aber eben auch der Frauenrechte und die Frage, inwiefern wir beitragen können.

Sie wissen, dass die Lage vor Ort weiterhin sehr dynamisch ist und dass es eigentlich noch vollkommen unklar ist, in welche Richtung es geht. Umso mehr ist im Moment die internationale Gemeinschaft gefragt, sich jetzt dort zu engagieren. Insofern waren das, denke ich, hilfreiche Gespräche, um unser Lagebild zu vervollständigen.

Zu den Gesprächspartnern kann ich Ihnen noch sagen, dass die AA-Kollegen den Führer der HTS getroffen haben, den Bildungsminister der von der HTS eingesetzten Übergangsregierung und auch den vonseiten der HTS Zuständigen für die Auslandsbeziehungen. Es gab auch Termine mit syrischer Zivilgesellschaft und, meine ich, auch einen Termin mit Religionsvertretern.

Natürlich hat die Mission auch Gelegenheit geboten, die die Liegenschaft der deutschen Botschaft in Damaskus in Augenschein zu nehmen.

Zusatzfrage

Wurde mit der HTS auch über das Thema von Abschiebungen gesprochen?

Wagner (AA)

Ich werde hier nicht aus den Gesprächen berichten können. Aber lassen Sie mich zu dem Thema sagen: Ich denke, wir sollten jetzt nicht Schritt fünf vor Schritt eins machen. Im Moment stellen sich doch in Syrien die Fragen, wie dieser Umbruchprozess gestaltet werden wird und ob sich Syrien auf den Weg in eine friedliche, stabile und sichere Zukunft macht, was sich unserer Wahrnehmung nach viele Menschen in Syrien wünschen. Dabei stellen sich sehr viele Fragen elementarster Daseinsvorsorge. Es gibt in Teilen des Landes weiterhin auch Kämpfe. Insofern, denke ich, stellt sich im Moment wirklich die ganz dringende und essenzielle Frage der Stabilisierung Syriens, und dabei ist jetzt die internationale Gemeinschaft gefragt.

Frage

Meine Frage richtet sich an Herrn Wagner und vielleicht auch Herrn Kall. Blieb es bei den Gesprächen über die Einschätzung, was HTS machen will, oder gab es auch Gespräche über mögliche Rückführungsflüge? Ich meine damit jetzt nicht ‑ in Anführungszeichen ‑ normale Flüchtlinge und Menschen, die hier Bleiberecht haben, sondern Straftäter. Denn es wurde von der Bundesregierung mehrfach angekündigt, dass man Straftäter auch nach Syrien zurückführen werde.

Wagner (AA)

Ich weiß nicht, ob Sie gerade abgelenkt waren, aber ich denke, dass ich dazu eben relativ umfangreich Stellung genommen habe. Also noch einmal: Das war jetzt eine erste, gute Gelegenheit mit HTS und mit den De-facto-Machthabern in Damaskus in Kontakt zu treten. Wir haben immer gesagt, dass wir natürlich wissen, woher HTS auch ideologisch ursprünglich kommt. Soweit man das jetzt überhaupt sagen kann, agieren, denke ich, die De-facto-Machthaber in Damaskus gerade in eine sehr umsichtige Richtung. Aber man muss schauen, wohin das geht. Insofern war das eine erste Kontaktaufnahme.

Wie gesagt, ist die dringende Frage, die sich im Moment stellt, die Frage nach der Stabilisierung Syriens. Das steht jetzt, denke ich, im Vordergrund.

Zusatz

Das habe ich schon verstanden. Aber ich wollte konkret wissen, ob deshalb ‑ Sie haben es so begründet ‑ nicht über Fragen wie die der Rückführung gesprochen wurde.

Wagner (AA)

Die Lage in Syrien ist weiterhin so, wie sie ist. Die humanitäre Lage ist katastrophal. Wir haben in Teilen des Landes Kämpfe. Wir haben einen politischen Prozess in Damaskus, bei dem vollkommen unklar ist, in welche Richtung es gehen wird. Insofern steht jetzt, denke ich, wirklich die Frage der Stabilisierung Syriens im Vordergrund. Aber vielleicht will Max Kall noch ergänzen.

Kall (BMI)

Das kann ich für das BMI nur unterstreichen. Wir sind an der Syrientaskforce des Auswärtigen Amtes selbstverständlich eng beteiligt. Das, was Herr Wagner beschrieben hat, ist das Entscheidende, nämlich die weitere Stabilisierung der Lage. Erst dann sind konkrete Rückkehrmöglichkeiten nach Syrien für Menschen gegeben, die kein Bleiberecht in Deutschland haben oder die ihr Bleiberecht verloren haben, und insbesondere auch für Straftäter, die wir natürlich zurückführen und abschieben wollen.

Dazu laufen seit Längerem Prüfungen, die sich bisher darauf fokussiert hatten, Wege über die Region, über Nachbarstaaten, zu finden. Jetzt kann es vielleicht auch wieder direkte Wege geben.

Kall (BMI)

Natürlich geht es auch deshalb darum, Gesprächskanäle aufzubauen. Aber die Voraussetzung dafür, dass man rechtmäßig nach Syrien zurückführen kann und das nicht auch sofort zu Recht vor Gerichten in Deutschland scheitert, sind ja so sichere Verhältnisse, dass Menschen dort nicht an Leib und Leben bedroht sind. Deswegen geht es um die weitere Aufklärung der Lage, um die weitere Stabilisierung der Lage und natürlich darum, differenziert alle Möglichkeiten zu prüfen, auch die der Rückkehr, und da sehr genau zu differenzieren zwischen Menschen, die natürlich gut in Deutschland integriert sind und deshalb hier auch sehr gute Bleibeperspektiven haben ‑ wir wollen auch, dass Menschen bleiben, die beispielsweise auf dem Arbeitsmarkt oder in der Ausbildung oder in anderen Bereichen schon sehr gut integriert und in Deutschland angekommen sind ‑, und anderen, die Sie angesprochen haben. Bei Straftätern haben wir ein großes Interesse, dass diese Personen zurückkehren. Aber bei alledem hängt das von der weiteren Stabilisierung der Lage ab.

Frage

Herr Wagner, manche Dinge müssen jetzt schnell gehen in Syrien. Haben Sie einen Zeithorizont für die Wiedereröffnung der Botschaft - im Januar, im Februar, erst im Sommer?

Wagner (AA)

Ich kann hier keine konkreten Daten nennen, weil, wie Sie sich vorstellen können, auch dafür ja bestimmte Voraussetzungen gelten müssen. Aber, wie gesagt, gestern war jetzt eine gute Gelegenheit, einmal unsere Liegenschaft dort in Augenschein zu nehmen. Wir prüfen jetzt alle Optionen in Bezug darauf, inwiefern und wann wir eine Präsenz auch in Damaskus wieder herstellen können. Ich glaube, man kann schon sagen, und das geht ja, glaube ich, auch aus dem hervor, was wir hier gerade vortragen, dass wir natürlich ein Interesse daran haben, dass Syrien stabilisiert wird, und dass die internationale Gemeinschaft und auch wir dort eine Rolle zu spielen haben. Das setzt natürlich auch eine diplomatische Präsenz in Damaskus voraus. Aber ich kann hier keine konkreten Zeitlinien nennen.

Zusatzfrage

Ich habe ja explizit nicht nach einem konkreten Datum gefragt, sondern nach einem Horizont, also dem Anfang des Jahres oder so. Dazu wollen Sie sich auch nicht äußern?

Wagner (AA)

Der Horizont, den ich gerade beschrieben hatte, ist Ihnen wahrscheinlich zu vage, aber ich bleibe bei dem, was ich gesagt habe.

Frage

Herr Wagner und möglicherweise Herr Büchner, die Türkei wird ja auch in einem Nach-Assad-Syrien oder beim Wiederaufbau eine Rolle spielen. Die EU-Kommissionspräsidentin hat sich jetzt mit Erdoğan getroffen. Plant die Bundesregierung auch, sich entsprechend mit türkischen Vertretern oder mit Erdoğan zu treffen und mit denen über Syrien zu sprechen?

Wagner (AA)

Wir befinden uns ja in einer sehr engen Abstimmung in unseren türkischen Partnern. Sie wissen, dass der Syrien-Koordinator des Auswärtigen Amtes, Staatsminister Tobias Lindner, ja erst vor Kurzem mit dem stellvertretenden türkischen Außenminister gesprochen hat. Auch die Außenministerin steht natürlich in Kontakt mit ihrem türkischen Amtskollegen. Es ist in der Tat so, dass jetzt der Austausch mit den Nachbarn Syriens, und da ist die Türkei natürlich ein ganz wichtiger, aber eben auch mit den anderen, arabischen Nachbarn Syriens ganz wichtig ist. In diesen Formaten, die es gibt, und in den internationalen Treffen, die es gibt, stimmen wir uns natürlich eng ab, aber eben auch im direkten Kontakt.

Frage

Genau dazu: Bei der ersten Pressekonferenz von Donald Trump sprach er von Erdoğan als dem „smart guy“, was das Zustandekommen und den jetzigen Stand in Syrien angeht. Teilt die Bundesregierung bzw. teilte Ihre Chefin, Herr Wagner, diesen Eindruck von der Bedeutung Erdoğans für die weitere Entwicklung, die Stabilisierung, wie Sie es gerade nannten, in Syrien? Gibt es möglicherweise eine bilaterale Kontaktaufnahme, auch schon deutlich vor dem 20. Januar, sodass man in dieser Richtung einmal gemeinsam an einem Strang zieht, oder ist das ein überbetonter Eindruck von diesem Auszug aus der Pressekonferenz von Herrn Trump?

Wagner (AA)

Na ja, im Moment stehen wir ja noch vor der Amtseinführung von Präsident Trump. Insofern arbeiten wir natürlich im Moment besonders eng mit der noch bestehenden US-Administration zusammen. Das ist ja für die Außenministerin ihr amerikanischer Amtskollege Blinken. Natürlich schauen wir auch, und das gehört ja auch zu einem umsichtigen Vorgehen, wie sich die zukünftige US-Regierung dazu positioniert.

Vielleicht noch einmal zur Rolle der Türkei: Es ist doch vollkommen unbestritten, dass die Türkei in der Region eine wichtige und zentrale Rolle spielt. Insofern sage ich noch einmal: Wir stehen da in einem engen Austausch und werden den auch fortführen.

Wir schauen natürlich im Moment mit einer gewissen Besorgnis auf die Lage in den Gebieten in Nordost- und Nordwestsyrien. Sie haben ja vielleicht gestern auch die Einlassung der Ministerin auf der Plattform X dazu gesehen. Es ist jetzt eben ganz wichtig und essenziell, dass alle Akteure, die da eine Rolle spielen wollen und spielen können, eine konstruktive Rolle in Syrien spielen, und dass wir es als internationale Gemeinschaft eben schaffen, die Entwicklung in Syrien so zum Positiven zu befördern, dass wir auf einen friedlichen und stabilen und sicheren Weg für Syrien kommen. Syrien war ja sehr lange ‑ das brauche ich Ihnen nicht zu erzählen; die letzten Jahre, wenn nicht sogar Jahrzehnte ‑ sehr stark von den auch ausländischen Interessen geprägt und von einem Bürgerkrieg geprägt, der ein riesiges Leid, eine riesige Flucht, eine riesige Zerstörung in diesem Land hinterlassen hat. Deshalb muss es uns doch jetzt darum gehen, die Dinge dahin zu lenken, dass wir zu einer stabilen Entwicklung kommen.

Frage

Herr Wagner, Sie haben gerade die Rolle der ausländischen Mächte angesprochen. Eine dieser Mächte ist Israel. Gestern war der israelische Ministerpräsident auf dem Berg Hermon und hat gesagt, dass Israel auf unbestimmte Zeit in der Pufferzone zu den Golanhöhen bleiben werde. Wurde das auch mit den neuen syrischen Machthabern thematisiert, und gibt es eine Reaktion zu den Äußerungen von Netanyahu, auch denen von gestern?

Wagner (AA)

Ich würde Sie bezüglich der Frage nach dem Golan und danach, wie die israelische Regierung da gerade agiert, auf meine Einlassungen von Montag verweisen. Darin war ich ja sehr deutlich. Ich glaube, das ist weiterhin unsere Position dazu.

Zusatzfrage

Eine Reaktion zu Netanjahus Äußerungen, dass man auf unbestimmte Zeit dableiben werde?

Wagner (AA)

Na ja, ich habe ja am Montag ‑ ich wiederhole es jetzt gerne auch noch einmal – gesagt: Es gibt eine klare Positionierung der Bundesregierung. Der Golan ist annektiertes Gebiet. Diese Annexion akzeptieren Deutschland und viele andere internationale Partner nicht, weil sie völkerrechtswidrig ist. Insofern ist die Positionierung der Bundesregierung da eine sehr klare, und das ist natürlich auch etwas, das wir gegenüber unseren israelischen Partnern thematisieren.

Zusatzfrage

Wurde das aber gegenüber den syrischen Machthabern thematisiert?

Wagner (AA)

Auch da haben wir, glaube ich, unsere Position sehr deutlich beschrieben. Es ist doch vollkommen klar, dass die territoriale Integrität Syriens, wenn wir eine stabile Entwicklung in Syrien haben wollen, ganz wichtig ist. Da haben wir eben noch einmal den Appell, aber den haben wir hier ja auch schon formuliert, dass all die Einflussgrößen aus der Region, die da Einfluss nehmen und ja auch zum Teil legitime Sicherheitsinteressen geltend machen, es sozusagen mit maximaler Zurückhaltung tun und die Prozesse und die Dynamik in Syrien jetzt zu etwas Positivem mitgestalten. Ich glaube, das kann ich hier jetzt an der Stelle nur noch einmal wiederholen.

Frage

Zur Situation in den von Kurden bewohnten Gebieten im Nordosten: Dort fliehen jetzt Kurden, weil unter anderem von der Türkei unterstützte syrische Milizen sie vertreiben. Welche Erwartungen oder welche Forderungen haben Sie zum einen gegenüber der Türkei? Hat zum anderen in den Gesprächen in Damaskus eine Rolle gespielt, was die derzeitigen Machthaber tun können, um eine solche Vertreibung zu verhindern?

Wagner (AA)

Ich glaube, unsere Haltung und die unserer Partner ist da klar. Alle ausländischen Akteure, die jetzt in Syrien sozusagen Einfluss nehmen, sind natürlich aufgerufen, sich konstruktiv einzubringen. In der Tat sind wir besorgt mit Blick auf die Kämpfe, die es weiterhin im Nordosten und im Nordwesten Syriens gibt. Ich habe Sie ja schon auf die Äußerungen der Ministerin von gestern verwiesen. Wir messen der Einheit des syrischen Staates eine ganz große Bedeutung zu. Die territoriale Integrität ist da sehr wichtig. Ich glaube, das Letzte, was Syrien jetzt braucht und diese Ecke Syriens braucht, sind eine neue Gewaltspirale und neue Kämpfe. Insofern gibt es ja Bemühungen vor allen Dingen unserer amerikanischen Partner, dort einen Waffenstillstand als ersten Schritt zur Beruhigung zu halten. Der ist jetzt noch einmal verlängert worden. Der ist sehr brüchig. Es gibt weiterhin auch Kämpfe. Aber ich glaube, diese Bemühungen gilt es zu unterstützen. Natürlich ist das etwas, das wir auch in Damaskus aufgenommen haben, eine Frage, die auch bei den Gesprächen in Damaskus eine Rolle gespielt hat. Aber noch einmal: Wirklich alle Teile der internationalen Gemeinschaft sind dazu aufgerufen, jetzt das zu tun, was es für eine Stabilisierung Syriens braucht.

Zusatzfrage

Aber es findet ja im Moment das genaue Gegenteil statt, vor allem vorangetrieben durch die Türkei, wenn es um den Anspruch des Schutzes religiöser und ethnischer Minderheiten geht, den sowohl die Bundesregierung als auch HTS formuliert haben. Im Moment findet da das Gegenteil statt. Die Türkei unterstützt Milizen, die die Kurden vertreiben, und die Türkei bereitet sich offenbar auf eigenes militärisches Eingreifen vor. Was tut die Bundesregierung, um das zu verhindern, über die Äußerung von Besorgnis hinaus?

Wagner (AA)

Wir sprechen mit unseren türkischen Partnern und formulieren sehr klar, was ich jetzt hier ja schon mehrfach zum Ausdruck gebracht habe. Natürlich haben wir Verständnis für die legitimen Sicherheitsinteressen der Türkei. Aber bei allem Verständnis für diese legitimen Sicherheitsinteressen gilt eben auch, dass die Türkei sich in ihrem Vorgehen an das Völkerrecht halten muss und dass jetzt Zurückhaltung das Gebot der Stunde ist, um die Gewaltspirale im Norden Syriens eben nicht weiter anzufachen und zu deeskalieren.

Frage

Ich habe noch einmal eine Nachfrage zu dem gestrigen Besuch in Damaskus, Herr Wagner. Wie plant die Bundesregierung jetzt den Kontakt zu HTS zu halten? Läuft das auf der Ebene von Herrn Tunkel? Wird es weitere Reisediplomatie geben? Sie haben ja auch einen Syrien-Sonderbeauftragten ernannt. Plant die Ministerin irgendwann eine Reise nach Syrien? Können Sie etwas in dieser Richtung sagen?

Wagner (AA)

Sie kennen den Standardspruch. Ich weiß, der ist nicht sehr befriedigend für Sie, aber Reisen der Ministerin kündigen wir an, wenn Sie anzukündigen sind.

Ja, diese Bemühungen gehen natürlich sehr intensiv weiter. Es gibt den Syrien-Koordinator Tobias Lindner, den ich ja schon erwähnt habe, der jetzt auch noch einmal in die Region reist und an seine Gespräche, die er ja schon geführt hat, anknüpft, vor allen Dingen auch mit den Partnern im Golf. Es gibt natürlich die Kontakte, die da jetzt etabliert sind, die wir auch weiter bespielen werden. Aber man muss jetzt schauen, und deshalb sind, glaube ich, auch die nächsten Wochen wirklich sehr entscheidend, was wir als internationale Gemeinschaft tun können. Dabei ist eben die Abstimmung mit unseren Partnern so wichtig, nicht nur mit den Amerikanern, sondern auch mit den europäischen Partnern und mit den Partnern in der Region, die wir ganz intensiv führen, um zu schauen, wie die internationale Gemeinschaft die Entwicklung in Syrien begleiten kann und eine Stabilisierung unterstützen kann.

Frage

Herr Wagner, Sie meinten, die deutschen Diplomaten hätten sich in Damaskus auch mit dem HTS-Führer getroffen. Einfach nur eine Verständnisfrage: Ist es eigentlich richtig unproblematisch, einen gesuchten Terroristen bzw. den Führer einer terroristischen Vereinigung zu treffen?

Wagner (AA)

Sie haben recht, dass HTS von der UN als Terrororganisation gelistet wird. Aber es ist rechtlich auch eindeutig so, dass Kontakte dadurch nicht unterbunden sind oder unmöglich sind. Es geht ja hier vor allen Dingen um wirklich ganz essenzielle diplomatische Kontakte, die sozusagen der Stabilisierung und dem Frieden dienen. Insofern ist das möglich.

Ich kann aber noch einmal betonen: Wir sind dabei nicht naiv. Wir wissen, wo die HTS ideologisch herkommt, und wir haben ja auf unterschiedlichen Ebenen auch schon mehrfach betont, dass wir HTS natürlich auch daran messen werden, wie sie jetzt mit Gruppierungen unterschiedlicher Ethnie, unterschiedlicher Religionen in Syrien umgeht. Da muss man jetzt, glaube ich, einfach sehr genau hinschauen. Die ersten Signale, die man da sieht, sprechen eher für ein umsichtiges Vorgehen. Aber das ist etwas, was wir und was die internationale Gemeinschaft natürlich sehr genau beobachten werden.

Zusatzfrage

Herr Kall, für den Generalbundesanwalt ist HTS in Deutschland ja eine terroristische Vereinigung. Ist der Plan der Bundesregierung weiterhin, dass HTS hier als Terrororganisation verboten bleibt?

Kall (BMI)

Dafür wäre das BMJ der richtigen Ansprechpartner.

Dr. Fuchs (BMJ)

Wir sind in der Tat dafür zuständig. Ich kann Ihnen hier vielleicht bestätigen, dass das Bundesministerium der Justiz in der Tat schon 2018 eine allgemeine Strafverfolgungsermächtigung nach § 129b StGB für die Verfolgung von Straftaten der HTS erteilt hat. Das Bundesjustizministerium überprüft fortlaufend, ob das auch weiterhin so der Fall ist. Mehr kann ich Ihnen zum jetzigen Zeitpunkt dazu leider nicht mitteilen.

Frage

Herr Wagner, Syrien unterliegt ja nach wie vor einem sehr umfassenden Sanktionsregime. Jetzt kam aus der EU-Kommission und auch gestützt von einigen EU-Hauptstädten die Forderung auf, dass man die Aufhebung der Sanktionen dermaßen oder in der Form konditionalisiert, dass man sagt, die würden erst aufgehoben, wenn die russischen Stützpunkte in Tartus und Hmeimim aufgekündigt werden. Da würde mich interessieren: Unterstützt denn die Ministerin diese Forderung, oder spricht sie sich eher dagegen aus?

Wagner (AA)

Danke für die Frage. Das knüpft ja im Grunde auch an eine Thematik an, nach der hier vorher auch schon gefragt worden ist. Natürlich ist die Frage, wie wir jetzt mit Blick auf Syrien mit den bestehenden Sanktionen umgehen, eine wichtige, die jetzt auch international sehr intensiv beraten wird. Es ist ja einfach so, dass es da eine Lageentwicklung gibt. Wir sind ja nicht mehr dort, und man hat ja die Entwicklung auch nicht voraussehen können, wo wir vor zwei Monaten waren, als sozusagen große Teile Syriens noch unter der Kontrolle des Assad-Regimes standen. Insofern ist das eine Diskussion, die geführt wird. Ich kann jetzt hier sozusagen nicht vorschattieren, wo es hingehen wird. Aber es stellt sich natürlich die Frage, wie man die Weichen stellen kann, um die Stabilisierung Syriens eben auch von internationaler Seite her zu begleiten.

Weil Sie mich nach dem russischen Einfluss in Syrien fragen: Ich glaube, es hat in Damaskus keiner so richtig vergessen, wie sich Russland in den letzten Jahren in Syrien betätigt hat und mit welcher Gewalt auch gegen die Zivilbevölkerung Russland dort aufgetreten ist, mit welchen Bomben. Insofern ist das, glaube ich, ein Aspekt, der in der Bewertung Russlands zukünftiger Rolle in Syrien auch bei den Menschen dort eine gewisse Rolle spielt. Aber ich spekuliere jetzt hier nicht über Konditionierungen oder sozusagen über die weiteren Entwicklungen. Das sind alles Diskussionen, die jetzt geführt werden.

Zusatzfrage

Das ist ja nicht nur eine Spekulation. Das wurde explizit aus Brüssel so kommuniziert.

Da wäre meine Verständnisfrage, jetzt unabhängig von Russland: Generell wird ja auch von der Bundesregierung eine freie Bündniswahl propagiert. Wie sieht sich denn die Bundesregierung in Bezug auf die Aufhebung der Sanktionen? Will sie das als Instrument nutzen, um Einfluss auf die Bündniswahl der aktuellen Übergangsregierung auszuüben, sei es in Bezug auf China oder auf Russland, oder ist die Aufhebung der Sanktion davon völlig unbenommen?

Wagner (AA)

Ich glaube, wir werden da nicht zusammenkommen, weil wir da eine sehr unterschiedliche Auffassung haben. Aber ich glaube, es wäre ein großer Fehler, darzustellen, dass die Rolle, die ein großer Teil der internationalen Gemeinschaft, die Deutschland, Europa sowie die amerikanischen Partner spielen können, und die Rolle, die Russland in breiten Teilen dieser Welt spielt, sozusagen auf einer gleichen Ebene zu betrachten wären. Russland führt einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg in der Ukraine. Russland nimmt einen sehr destruktiven Einfluss in breiten Teilen der Welt. Ich will den Sahel nennen, ich kann aber eben auch auf die Geschichte in Syrien schauen. Insofern, glaube ich, wird so etwas bei einer Bewertung dessen, was Sie als Bündnisfreiheit beschreiben, sozusagen der Partnerschaft, die man da eingehen kann, auch eine Rolle spielen.

Frage

Herr Wagner hat ja sehr klar ausgeführt, warum es wichtig ist, die Türkei als konstruktiven Akteur möglichst im Griff zu haben. Hier in der BPK war vor wenigen Stunden Kritik an der Bundesregierung und den Rüstungsexporten an die Türkei von der GKKE zu hören. Ich würde gerne wissen, ob es bei Ihren Erwägungen auch eine Rolle spielt, dann möglicherweise auch weniger Rüstungsgüter in die Türkei zu exportieren, eben vor dem Hintergrund, dass es diese Gefahren im Norden Syriens gibt.

Wagner (AA)

Dafür müsste ich an das zuständige BMWK verweisen.

Haufe (BMWK)

Es gilt hier das, was wir immer dazu sagen: Auf der einen Seite ist die Türkei natürlich ein NATO-Mitglied, und damit spielt sie eine wesentliche Rolle bei der Verteidigung des Bündnisses. Ich kann mich aber zu konkreten Ausfuhrgenehmigungen im Einzelnen nicht äußern. Sie wissen, dass wir das nicht kommentieren. Sie wissen auch, dass wir solche Entscheidungen grundsätzlich wie immer genauer prüfen. Alle außen- und sicherheits- und verteidigungspolitischen Erwägungen werden von der Bundesregierung getroffen, nicht im BMWK. Aber, wie gesagt, die Türkei ist ein wichtiges Mitglied der NATO und damit eben auch für die Verteidigung des Bündnisses wichtig.

[…]

Frage

Herr Wagner, ich möchte noch einmal zu den gestrigen Gesprächen nachfragen: Können Sie uns vielleicht auch ein bisschen verraten, was HTS eigentlich von Deutschland wollte? Gab es da konkrete Vorschläge oder Forderungen nach humanitärer Hilfe, Ausrüstung, Wiedereröffnung der Botschaft oder was auch immer? Können Sie uns daran teilhaben lassen, was die syrische Seite von Deutschland möchte?

Wagner (AA)

Sehen Sie es mir nach, dass ich Sie da nur sehr begrenzt teilhaben lassen kann. Wie gesagt, die zentralen Gesprächspunkte gestern drehten sich darum, sozusagen einmal ein Gefühl dafür zu bekommen, wie sich HTS die weitere Gestaltung des politischen Umbruchs in Syrien vorstellt. Es ging aber natürlich auch darum, unsere Erwartungen mit Blick auf den Schutz von religiösen und ethnischen Gruppierungen in Syrien, mit Blick auf Frauenrechte zu formulieren, und auch um die Frage, wie man das in Zukunft begleiten kann. Ich will jetzt hier ungern allzu konkret werden; denn ich glaube, die Frage, wie, wann und mit was man da begleitend tätig sein kann, ist eine Frage, die wir uns jetzt sehr genau anschauen.

Zusatzfrage

Aber es gab gestern auch konkrete Forderungen an die Bundesregierung seitens HTS?

Wagner (AA)

Ich war nicht mit in Damaskus, insofern kann ich das so konkret nicht beantworten.

Frage

Frankreich hat gestern seine Botschaft wieder geöffnet. Wann wird die deutsche Botschaft wieder geöffnet?

Wagner (AA)

Dazu habe ich eben schon etwas gesagt. Wir haben gestern die Liegenschaft in Augenschein genommen und wir prüfen jetzt alle Optionen mit Blick auf einen möglichen Zeitplan, um unsere diplomatische Präsenz auch in Damaskus wiederaufzubauen.

Treffen des NATO-Generalsekretärs und der Staats- und Regierungschefs einiger NATO-Staaten mit dem Präsidenten der Ukraine

Frage

Herr Büchner, für heute Abend ist ja ein Treffen führender NATO-Vertreter mit Selenskyj geplant. Gibt es jetzt eine offizielle Bestätigung, dass auch Bundeskanzler Scholz dabei ist?

Es soll bei diesem Treffen unter anderem um Sicherheitsgarantien für den Fall eines Waffenstillstands gehen. Nachdem der Kanzler bisher immer gesagt hat, deutsche Soldaten würden da nicht mitkämpfen ‑ das ist wenig überraschend ‑, stellt sich die Frage, ob deutsche Soldaten in einer solchen Friedenstruppe mitkämpfen könnten bzw. mit dabei sein könnten ‑ ich nehme das Wort kämpfen einmal zurück.

Büchner (BReg)

Es ist richtig, mehrere EU-Staaten beraten mit dem NATO-Generalsekretär und dem ukrainischen Staatspräsidenten Selenskyj heute in Brüssel, und heute findet auf Einladung des NATO-Generalsekretärs ein informelles Treffen einiger NATO-Staaten statt. Bundeskanzler Scholz wird daran teilnehmen. Bei dem Treffen soll es unter anderem um die weitere Unterstützung der Ukraine gehen. Was Details zu den Inhalten betrifft, so kann ich dem Treffen an dieser Stelle aber nicht vorgreifen.

Frage

Herr Büchner, direkt daran anschließend: Können Sie auch bestätigen, dass der Bundeskanzler den französischen Präsidenten bei diesem Event und auch beim EU-Gipfel vertreten wird?

Büchner (BReg)

Genau, beim Europäischen Rat wird er den französischen Staatspräsidenten vertreten, weil der ja nach Mayotte fliegen wird.

Frage

Was die Unterstützung der Ukraine betrifft, so gibt es dazu ja nicht nur in Brüssel, sondern auch in Berlin Treffen ‑ informell beziehungsweise von einigen Partnern. Neulich waren dabei Deutschland, Polen, Italien, Frankreich, UK und Spanien vertreten. Nachdem der Name des niederländischen Ministerpräsidenten nicht sonderlich bekannt war: Gibt es eine Einladung an die Niederlande, diesem Format bzw. dieser Gruppe beizutreten?

Wagner (AA)

Sie nehmen ja Bezug auf das Treffen im Berlin-Format, das letzte Woche in der Villa Borsig stattfand. Das ist ein Folgetreffen eines Formates gewesen, das wir davor auch schon in Warschau zusammen mit unseren polnischen Partnern hatten.

Zu dem Teilnahmeformat bei dem Treffen heute Abend vorab des Europäischen Rates müsste Herr Büchner etwas sagen, oder wir reichen das dann noch nach.

Büchner (BReg)

Das reichen wir nach.

Zusatzfrage

Ich meine nicht nur das Außenministertreffen, sondern auch das Treffen der Verteidigungsministerinnen und ‑minister bzw. Staatssekretäre. Ich frage das nur deshalb, weil die Niederlande nach Deutschland, glaube ich, mit neun Milliarden Euro, Frankreich mit sechs Milliarden Euro, Polen mit drei Milliarden Euro, Spanien mit zwei Milliarden Euro und Italien mit einer Milliarde Euro an militärischer Unterstützung vertreten sind. Was ist also das Kriterium, um zu dieser Gruppe dazuzugehören?

Wagner (AA)

Ganz im Gegenteil: Es gibt ja ganz unterschiedliche Formate. Ich würde Ihnen sehr empfehlen, da von unserer Seite keine Geringschätzung einzelner Partner hineinzulesen.

Sie wissen, dass im Moment die Unterstützung der Ukraine in ihrer Verteidigung gegen den völkerrechtswidrigen russischen Angriffskrieg ein ganz zentrales europäisches Thema ist. Das ist es im Rahmen der EU, das ist es im NATO-Rahmen, das ist es im Rahmen anderer Ad-hoc-Formate. Insofern würde ich die Prämisse, die Ihrer Frage zugrunde liegt, zurückweisen.

Zusatz

Das war eigentlich eine Frage an das Verteidigungsministerium, weil es ein militärisches Thema betrifft, die Militärhilfe.

Müller (BMVg)

Im Grunde hat der Kollege vom Auswärtigen Amt schon alles gesagt. Die Formate sind nicht exklusiv, die Formate sind immer inklusiv. Das spezielle Format, das Sie ansprechen, diese Gruppe der fünf, ist erwachsen aus einem bilateralen Treffen zwischen Bundesminister Pistorius und Minister Lecornu ‑ und es ist hat sich dann entwickelt, auch mit den Partnern.

Auch in den Pressestatements, auf die ich verweise ‑ Sie können gerne hineinhören ‑, wurde immer gesagt, dass die Treffen inklusiv sind. Andere Formate ergänzen, bei denen auch die Gesamtheit der Unterstützer anwesend ist, UDCG zum Beispiel. Weitere Abstimmungen gibt es im bilateralen Bereich.

Die Zusammenarbeit mit Niederlanden ist hervorragend. Wir haben im militärischen Bereich eine ganz enge Kooperation ‑ das wissen Sie ‑, im Bereich der Rüstungsprojekte, im Bereich der aktiven Zusammenarbeit der Truppe. Da gibt es überhaupt keine Vorbehalte. Wie gesagt, die Formate sind inklusiv und werden sich sicherlich weiterentwickeln.

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