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Erklärungen des Auswärtigen Amts in der Regierungspressekonferenz vom 30.12.2024
Nahostkonflikt
Frage
Frau Deschauer, die Weltgesundheitsorganisation hat den Angriff auf das letzte verbliebene Krankenhaus in Nordgaza scharf verurteilt. In dem Krankenhaus waren Hunderte von Patienten, die verschleppt worden sind. Man weiß nicht, wohin sie verschleppt worden sind. Es kursieren in den sozialen Netzwerken Bilder, auf denen zu sehen ist, dass diese Patienten und das medizinische Personal entkleidet worden sind und in der Kälte durch die Ruinen laufen mussten. Ich hätte gern eine Reaktion dazu.
Und es sind in den letzten zwei Tagen mindestens sechs Babys erfroren, weil Hilfslieferungen nicht nach Nordgaza hereinkommen. Dazu hätte ich auch gern eine Reaktion.
Deschauer (AA)
Vielen Dank, für Ihre Frage, mit der Sie auf die weiterhin sehr dramatische Lage im Gazastreifen, insbesondere für die Zivilbevölkerung, hinweisen. Wir, die Bundesregierung, das Auswärtige Amt, kennen entsprechende Berichterstattungen. Ich kenne jetzt nicht persönlich jedes einzelne Bild, das Sie geschildert haben.
Aber ich muss es doch noch einmal so einordnen: Die Lage für die Menschen im Gazastreifen, insbesondere für die Zivilbevölkerung, ist dramatisch. Die Äußerung der WHO, dass insbesondere zivile Infrastruktur wie Krankenhäuser einem besonderen Schutz unterliegen, haben wir zur Kenntnis genommen, und das gilt natürlich auch in völkerrechtlicher Hinsicht.
Gleichwohl berichtet die israelische Seite ihrerseits davon ‑ das ist zumindest unsere Erkenntnis ‑, dass sie gegen terroristische Strukturen vorgegangen ist. Die Bundesregierung ruft dazu auf ‑ und das tut sie schon seit langem, insbesondere in solchen dramatischen Fällen, die wir im Einzelnen nicht bis ins Letzte nachvollziehen können; das wissen Sie ‑, dass Israel sich an die Maßgaben des Völkerrechts hält, dass Israel größtmöglichen Schutz von zivilen Strukturen, Einrichtungen, insbesondere der Zivilbevölkerung, walten lässt, gerade in diesen Zeiten.
Sie sprachen auch Berichterstattungen zur dramatischen Lage von kleinen Kindern, von Babys, an. Das sind natürlich erschütternde Berichte. Auch hier werde ich sie nicht im Einzelnen von dieser Stelle ‑ sehen Sie es mir nach ‑ verifizieren können. Aber allein die Lage, dass Kleinstkinder, Babys, in einer so schwierigen Lage sind, dass nicht genügend humanitäre Hilfe zu ihnen gelangt, dass sie hungern, dursten und frieren, ist erschütternd. Wir rufen die israelischen Stellen wie bisher nachhaltig dazu auf, humanitären Zugang zu ermöglichen.
Frage
Seit über einem Jahr appelliert die Bundesregierung an die Vernunft von Israel, dass Israel sich an das Völkerrecht halten soll. Diese Szene, die der Kollege gerade angesprochen hat, ist ja durch die Welt gegangen. Ich frage Sie jetzt: Woher nehmen Sie die Zuversicht, dass der Staat Israel jetzt auf das Völkerrecht achten wird?
Deschauer (AA)
Ich glaube, ich bin hier eben mit einem eindringlichen Appell zu hören gewesen, der natürlich immer damit verbunden ist, dass man versucht, Dinge zu verbessern und zu verändern, und das im Rahmen unserer sehr intensiven Krisendiplomatie, die seit über einem Jahr stattfindet.
Ich glaube, wir haben das hier schon einmal gesagt: Wenn wir nicht glauben würden, dass wir mit unserer Arbeit ‑ und mit eindringlichen Appellen und Gesprächen und unserem Tun auch im Kleinsten ‑ gelegentlich Schritte verändern können, dann wären wir, glaube ich, fehl am Platze. Ich weiß, dass das alles sehr unbefriedigend ist, dass natürlich die Lage für die Menschen vor Ort weiterhin dramatisch ist.
Wenn wir im Zeitverlauf dieses schreckliche Jahr für viele Menschen im Nahen Osten Revue passieren lassen, dann stellen wir fest, dass es Situationen gab, in denen auch durch Krisendiplomatie insbesondere der Außenministerin und der gesamten Bundesregierung zumindest sehr kleine Schritte nach vorne gegangen werden konnten, was die Lieferung von humanitärer Hilfe angeht. Das ist nicht genug, aber ich glaube, daraus schöpfen wir zum Jahresende in der Bilanz eines gerade außenpolitisch schwierigen Jahres die Hoffnung und die Kraft, intensiv weiter daran zu arbeiten.
Absturz eines aserbaidschanischen Flugzeugs in Kasachstan
Frage
Russland hat zugestanden, dass es beim Absturz eines aserbaidschanischen Flugzeugs in Kasachstan eine Rolle gespielt hat. Ich bitte um eine Reaktion dazu.
Deschauer (AA)
Ich möchte zunächst in dieser ebenfalls schwierigen Lage den Angehörigen, den Hinterbliebenen derjenigen Menschen, die bei diesem Flugzeugabsturz den Tod gefunden haben, seitens des Auswärtigen Amts das aufrichtige Beileid der Bundesregierung ausdrücken. Das ist ein schwieriger und sehr dramatischer Vorfall für sehr viele Menschen, die sicherlich in der Zeit zwischen den Jahren zu ihren Liebsten reisen wollten und dabei den Tod gefunden haben. Ich kenne die Berichterstattung, die Sie ansprechen, laut der sich Putin in einem Telefonat gegenüber Präsident Aliyev geäußert hat, und ich kenne auch die Äußerung des aserischen Präsidenten. Ich möchte das vielleicht einmal so einordnen: In der Gesamtschau hätte dieser Vorfall, dieser tragische Tod von so vielen Menschen vermutlich nicht stattgefunden, wenn Russland nicht im inzwischen dritten Kriegswinter seinen schrecklichen Angriffskrieg gegen die Zivilbevölkerung der Ukraine führen würde.
Zusatzfrage
Würden Sie eine internationale Untersuchung befürworten, um Aufklärung zu bekommen, was genau passiert ist?
Deschauer (AA)
Ich glaube, die Aufklärung dieses Absturzes ‑ Herr Aliyev spricht von einem Abschuss und nennt auch die entsprechenden Indizien ‑ über Kasachstan ist jetzt zunächst eine Sache der Stellen der involvierten Länder, insbesondere, wenn ich das korrekt verfolgt habe, Aserbaidschans. Insofern scheint die Aufklärung dort jetzt auf dem Wege zu sein.
Aber noch einmal: Wir sprechen hier von einer Situation, die, soweit wir das hier nachvollziehen können, mit großer Wahrscheinlichkeit nicht stattgefunden hätte, wenn Putin nicht seinen schrecklichen Angriffskrieg fortführen würde. Das nehme ich jetzt zum Jahresende auch noch einmal zum Anlass, in aller Deutlichkeit für die Bundesregierung zu fordern, im dritten Kriegswinter sein menschenverachtendes, brutales Vorgehen gegen die Zivilbevölkerung der Ukraine einzustellen ‑ das ja, wie wir sehen, auch noch andere Menschen in Mitleidenschaft nimmt.
Lage in Georgien
Frage
Frau Deschauer, in Georgien ist gestern der neue Präsident vereidigt worden. Frau Baerbock hatte sich schon kurz nach Weihnachten geäußert und dabei auch eine Suspendierung des EU-Beitrittsprozesses in den Raum gestellt ‑ sie hat gesagt, darüber müsse man beraten. Da ging es auch um Einschränkungen oder zum Beispiel die Rücknahme der Visumsfreiheit. Wie ist da der aktuelle Stand und wie geht es da weiter?
Stößt man nicht, wenn man die Visumsfreiheit wieder zurücknimmt, auch diejenigen vor den Kopf, die letztlich weiterhin für den Beitritt sind?
Deschauer (AA)
Vielen Dank für die Frage. Auch das möchte ich erst einmal noch etwas grundsätzlicher einordnen. Das war ja schon vor den Weihnachtstagen ein Thema, und Sie sagen es richtig: Die Außenministerin hatte sich wegen der schwierigen Entwicklung in Georgien vor einigen Tagen, nämlich am 26. Dezember, noch einmal geäußert. Für alle, die es noch nicht nachvollziehen konnten, möchte ich noch einmal darauf hinweisen, weil dies auch noch einmal sehr gut die Positionierung der Bundesregierung beschreibt.
Wir beobachten die Entwicklung in Georgien mit großer Sorge. Wir haben stets betont, dass wir Georgien ebenso wie andere Länder im EU-Beitrittsprozess unterstützen und seinen Platz in der Europäischen Union sehen, sofern die Voraussetzungen erfüllt sind. Nun müssen wir feststellen, dass Georgien sich in einer sehr schwierigen Krise befindet. Ich möchte es noch einmal klar benennen: Es ist eine Gruppierung, die dafür die Verantwortung trägt, und das ist der Georgische Traum.
Wie Sie richtigerweise sagen, finden natürlich intensive Überlegungen statt, wie man mit so einer Situation umgeht. Das findet natürlich im EU-Kreis statt, und die Ministerin ist dazu im engen Austausch. Es gab vor Weihnachten auch noch einen EU-Außenrat ‑ ich meine am 18. Dezember ‑, der sich auf unsere Initiative hin mit dem Thema Georgien beschäftigt hat. Auch da hat man die Entwicklung in Georgien mit großer Sorge betrachtet.
Die konkreten Schritte, über die wir aus deutscher Perspektive jetzt nachdenken bzw. die wir zum Teil auch schon angegangen sind, sind die folgenden: Wir haben die Zusammenarbeit mit Behörden des Landes heruntergefahren, und das betrifft auch ganz konkret Unterstützungsprojekte mit einem Umfang von mehr als 200 Millionen Euro, die ausgesetzt wurden. Gleichzeitig beraten wir auch mit den EU-Partnern über weitere Maßnahmen. Da braucht es natürlich immer EU-Einigkeit, das kennen Sie. Zu den Maßnahmen, die im Gespräch sind, gehören zum Beispiel Fragen wie die Rücknahme der Visafreiheit für georgische Verantwortungsträger bis hin zu gezielten Sanktionen. Wie die Ministerin ausgeführt hat, sind wir der Ansicht, dass wir in der EU aufgrund der immer autoritäreren Politik des Georgischen Traums auch eine förmliche Suspendierung des georgischen Beitrittsprozesses überlegen müssen. Das sind im Maßnahmenkatalog die Überlegungen bzw. auch die konkreten Schritte, die wir schon angegangen sind.
Zu Ihrer Frage, ob das nicht die Falschen treffen würde: Ich glaube, mit der Aussage, dass wir uns die Frage stellen, ob es eine Rücknahme der Visafreiheit für georgische Verantwortungsträger gibt, habe ich das schon beantwortet. Natürlich ist uns bewusst, dass ein Großteil der georgischen Bevölkerung ‑ das sieht man ja auch auf den Straßen ‑ weiterhin ein stark pulsierendes europäisches Herz hat und gerade nach Europa strebt. Insofern ist es immer eine Abwägungssache und auch eine Überlegung, die wir jetzt anstellen, wie wir diejenigen, die für diesen schwierigen Kurs verantwortlich sind, adressieren können.
Ein letzter Punkt, der noch einmal in das Nationale hineingeht: Unabhängig von möglichen restriktiven Maßnahmen der EU werden wir auch einzelfallbezogen innerhalb der Bundesregierung prüfen, inwieweit einreiseverhindernde Maßnahmen veranlasst werden können. Dazu stehen wir auch mit den Kollegen des BMI im engen Austausch.
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Lage in Syrien
Frage
An das AA und an das BMZ: Es gibt jetzt schon verschiedene Vorstöße, Kontakt aufzunehmen und sich ein Bild von der Lage in Syrien zu machen. Können Sie uns auf den aktuellen Stand bringen, was die Bundesregierung ‑ konkret das Auswärtige Amt und das BMZ ‑ gerade tut?
Deschauer (AA)
Ich fange vielleicht einmal an. ‑ Dieses Thema war hier ja auch schon vor den Feiertagen intensiv im Gespräch. Sie haben mitbekommen, dass sich die Außenministerin mit den Vorstellungen der Bundesregierung in Form eines Acht-Punkte-Plans dazu geäußert hat, wie wir als Bundesregierung auf die volatile Lage in Syrien blicken, die einerseits einen Grund zum Aufatmen nach so vielen Jahren schrecklicher Assad-Herrschaft gibt, gleichzeitig aber für viele Menschen in der Region und im Lande ‑ gerade Minderheiten ‑ auch große Sorgen hinsichtlich der Frage aufwirft, wie es wohl weitergehen mag.
Ich möchte jetzt nicht noch einmal über den Acht-Punkte-Plan referieren, aber ich glaube, er beschreibt unsere Maßgabe, dass dort ein inklusiver Übergangsprozess stattfinden muss, der insbesondere Minderheiten ethnischer und religiöser Art, aber natürlich auch Frauen einbezieht, der darauf Wert legt, dass die territoriale Integrität Syriens gewahrt bleibt und der in dieser sehr schwierigen Lage natürlich auch das Thema humanitäre Hilfe in den Vordergrund stellt. Für diese Maßnahmen sind wir mit unseren internationalen Partnern, aber auch mit regionalen Partnern intensiv im Gespräch. Sie haben die Reise der Ministerin mitbekommen, die sich am 20. Dezember just darüber mit ihrem türkischen Amtskollegen intensiv ausgetauscht hat und einen Sonderkoordinator ernannt hat, der im intensiven Gespräch ist und der auch in der Region, in Jordanien vor Ort war. Sie haben auch mitbekommen, dass eine Delegation des Auswärtigen Amtes mit Beteiligung von anderen Vertretern der Bundesregierung bereits vor Ort war und sich auch mit HTS-Vertretern ausgetauscht hat. Wir müssen die Lage jetzt weiter eng beobachten und müssen weiter eng im Gespräch sein. Wir werden die neue Übergangsführung an ihren konkreten Taten messen, und das bedeutet, wie ich beschrieben habe, insbesondere die Einbeziehung von allen relevanten Gruppen in einen Übergangsprozess.
Ich sprach die humanitären Bedarfe an: Die sind massiv, gerade in den Regionen, in denen Assad die Herrschaft hatte und teils auch keine Hilfe zugelassen hatte. Das Auswärtige Amt leistet in Syrien allein in 2024 humanitäre Hilfe im Umfang von bis zu 220 Millionen Euro, die wir flexibel und bedarfsorientiert in allen Landesteile zur Verfügung stellen können. Die Ministerin hat kürzlich auch eine weitere Erhöhung der Mittel für humanitäre Hilfe um acht Millionen Euro angekündigt.
Zusammengefasst: Wir sind auf allen Kanälen aktiv, führen diplomatische Gespräche und beobachten die Region genau, und wir können dort jetzt auch an die guten und engen Kontakte anknüpfen, die wir über die Jahre in die Region etablieren konnten, gerade weil wir als glaubwürdiger Makler gelten, wenn ich das so sagen darf, und eben nicht versucht haben ‑ wie einige bereits das Wort geredet hatten ‑, mit der Assad-Regierung ins Geschäft zu kommen und eine Normalisierung anzustreben.
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Frage
Gibt es inzwischen Überlegungen zur Terroreinstufung der HTS? Hat sich da irgendetwas an der ersten Haltung geändert?
Harmsen (BMI)
Wir prüfen die Lage vor Ort natürlich genau. Die Kollegin vom Auswärtigen Amt hat das ja auch gesagt: Wir werden die Lage weiter genau beobachten und die neue Regierung an ihren Taten messen. Es gibt dazu natürlich Überlegungen, aber es gibt jetzt keinen Stand, den ich hier kundtun kann, der wirklich konkret wäre.
Deschauer (AA)
Ich stimme den Ausführungen des Kollegen zu, kann aber vielleicht noch kurz ergänzen und noch einmal einen Schritt zurück gehen: Die HTS ist ja von den Vereinten Nationen eingestuft worden und wird folglich auch von der EU als Terrororganisation gelistet. Wir kennen die dschihadistischen Ursprünge der HTS, und gleichzeitig sehen wir die Schritte ‑ zumindest nach dem, was wir bisher wahrnehmen können ‑, mit denen die HTS-Führung in der vergangenen Zeit versucht hat und auch jetzt versucht, sich davon klar zu distanzieren. Das werden wir genau beobachten. Da kommt es am Ende mehr auf die konkreten Taten als auf die Worte an. Das ist unser Blickwinkel auf den politischen Übergangsprozess.
Weil wir uns gerade in einem historischen Zeitfenster befinden, das die Möglichkeit eröffnet, dass die Menschen in Syrien endlich in Frieden und gemeinsam leben können, sind wir auch in dieser Fragestellung dabei, uns mit den USA und mit unseren internationalen Partnern im EU-Rahmen auch zum Umgang mit der HTS weiter abzustimmen.
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