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LSBTI-Inklusionskonzept: „Alle in der EU müssen Flagge zeigen“
Heute beschließt das Bundeskabinett ein Konzept zur Inklusion von LSBTI-Personen in der Außenpolitik. Staatsminister für Europa Michael Roth dazu im Interview mit der taz.
taz: Herr Roth, Gibt es unter den deutschen Botschafter*innen aktuell LSBTI-Personen?
Michael Roth: Meines Wissens ja. Warum auch nicht?
Frage: Gibt's dafür bald eine Quote? Im LGBTI-Konzept steht: „Unser Einsatz für Vielfalt spiegelt sich in unsere Personalpolitik.“
Roth: Wir sind erfreulicherweise in den vergangenen Jahren noch viel bunter geworden. Viele Kolleginnen und Kollegen machen kein Geheimnis aus ihrer sexuellen Identität. Zugleich ist das die individuelle Entscheidung eines und einer jeden Einzelnen. Wir sind das einzige Ministerium mit einer eigenen LGBTI-Gruppe namens Rainbow mit mehreren hundert Mitgliedern. Ich bin natürlich auch dabei.
Frage: Warum braucht es dann ein LGBTI-Konzept für Außen- und Entwicklungspolitik?
Roth: Weltweit, aber auch in Europa, gehören LGBTI nach wie vor mit zu den verwundbarsten Gruppen, die Diskriminierung, Ausgrenzung und Gewalt ausgesetzt sind. In mehr als 70 Staaten weltweit werden LGBTI vom Staat verfolgt und bestraft. In einigen Staaten steht auf Homosexualität sogar noch die Todesstrafe. Wir wollen unser Engagement weniger abhängig machen vom persönlichen Einsatz der Kolleginnen und Kollegen - sondern es soll Grundsatz der Politik der Bundesregierung in der internationalen Politik sein, dass LGBTI-Rechte Menschenrechte sind. Und zwar überall.
Frage: Verbände fordern ein solches Konzept seit Jahren. Warum kommt es erst jetzt?
Roth: Wenn es nach dem Auswärtigen Amt gegangen wäre, hätten wir das längst. Aber es ist ein Konzept der gesamten Bundesregierung. Auch das Ministerium für Entwicklungszusammenarbeit hat entsprechend mitgearbeitet.
Frage: Man hört, es habe blockiert.
Roth: Die Zusammenarbeit, vor allem auf der Arbeitsebene, war gut. Wir haben beharrlich diskutiert. Jetzt steht das Konzept. Und ich freue mich.
Frage: Am Mittwoch geht das Konzept durchs Kabinett. Was werden danach die ersten konkreten Schritte sein?
Roth: Es ist zunächst eine große Anerkennung für unsere Front Runner – für diejenigen meiner Kolleginnen und Kollegen, die sich weltweit auch ohne ein solches Konzept für LGBTI-Rechte engagiert haben. Jetzt wollen wir uns noch stärker verpflichten. Für uns ist wichtig: Das Thema muss essentieller Bestandteil der Menschenrechtspolitik sein. Die Zusammenarbeit mit der jeweiligen Zivilgesellschaft muss ausgebaut werden. Wir wollen geschützte Räume für LGBTI zur Verfügung stellen. Wir werden unsere Projektförderung verstetigen. Und wir wollen unsere Kolleginnen und Kollegen vor Ort ermutigen, klare Worte gegenüber den Regierungen zu finden, wenn es nötig ist. Ich würde gern an die nordischen Staaten oder die Niederlande aufschließen, die seit Jahren eine sehr engagierte Arbeit in Sachen LGBTI betreiben.
Frage: Mit welchen Ländern ist es dagegen schwierig?
Roth: In der EU haben wir in den vergangenen Jahren leider Rückschritte zu verzeichnen. In Ungarn werden intersexuelle Menschen in ihrer Würde und Freiheit massiv attackiert. Geschlechtsangleichungen sind nicht mehr möglich. In Polen gibt es zwar eine sehr lebendige und kritische Zivilgesellschaft, aber auch sogenannte LGBTI-freie Zonen. Das sind Entwicklungen, die sich mit europäischen Werten nicht vereinbaren lassen.
Frage: Was kann die Bundesregierung konkret tun?
Roth: Das Thema ansprechen, Koalitionen mit anderen Staaten knüpfen. Die EU-Kommission ermutigen, ihrer Rolle als Hüterin der Verträge und Verteidigerin der europäischen Werte gerecht zu werden. In der deutschen Ratspräsidentschaft haben wir die neue LGBTI-Strategie der Kommission engagiert unterstützt. Das sind Schritte in die richtige Richtung. Aber alle in der EU müssen Flagge zeigen.
Frage: Reichen die Instrumente der EU dafür aus?
Roth: Die Gründungsmütter und -Väter hätten sich vermutlich nicht vorstellen können, dass wir mal derartige Probleme mit der Verteidigung unserer eigenen Werte haben würden. Wir haben in der Präsidentschaft neue Instrumente auf den Weg gebracht, etwa den Rechtsstaatmechanismus. Das kann helfen, um die Staaten zu verpflichten, sexuelle Minderheiten als selbstverständlichen Teil der Gesellschaft zu respektieren und anzuerkennen. Aber letztlich können wir das durch Gesetze allein kaum bewerkstelligen, weil es eben auch kulturelle und religiöse Kontroversen sind. Es bringt nichts, wenn sich nur die Politik dieser Fragen annimmt. Wir brauchen ein breites Bündnis, das Religion, Bildung, Wirtschaft, Kultur und Sport einbezieht. Auch darum wollen wir uns im Rahmen des Konzepts bemühen.
Frage: Noch gravierender ist die Situation in Ländern wie Saudi-Arabien. Wie gehen Sie da vor?
Roth: Das sind die schwierigsten Fälle. Es gibt nach wie vor Staaten, wo auf Homosexualität die Todesstrafe droht. Da muss man im Interesse der Betroffenen sehr sensibel vorgehen. Schließlich geht es um ihre Sicherheit. Ich erinnere mich an meine einzige Reise in den Iran. Als ich unsere Botschaft darum bat, auch Kontakte zu LGBTI-Aktivistinnen und -Aktivisten herzustellen, hat man mir gesagt, ich könne die nicht treffen, weil eine Begegnung das Leben dieser Menschen gefährden würde.
Frage: Diese Länder fallen aus Ihrem Konzept heraus?
Roth: Natürlich nicht. Wir kapitulieren doch nicht vor dem Unrecht. Aber man muss maßgeschneiderte Konzepte entwickeln. Dazu gehört auch, das Thema immer wieder gegenüber den politisch Verantwortlichen zur Sprache zu bringen. Mal hinter den Kulissen, mal öffentlich.
Frage: Gleichzeitig exportiert Deutschland Waffen an Länder, die LGBTI verfolgen.
Roth: Deutschland hat eine der restriktivsten Rüstungsexportrichtlinien und wir entscheiden immer auch im Einzelfall, welche innerstaatlichen Entwicklungen einen Export gefährden. Selbstverständlich schließen wir dabei vor Menschenrechtsverletzungen in bestimmten Staaten nicht die Augen. Deshalb haben wir teilweise Rüstungsexporte auf Eis gelegt.
Frage: Im Konzept beansprucht die Bundesregierung für sich, international eine „Vorreiterrolle“ einzunehmen. Aber auch hierzulande haben LGBTI nicht dieselben Rechte wie andere Menschen. Ist es nicht wohlfeil, von oben herab ins Ausland zu schauen?
Roth: Ich gucke nicht von oben herab. Ich erwähne in Gesprächen mit LGBTI-Aktivistinnen und -Aktivsten immer, welchen Weg ich persönlich gegangen bin. Der war nicht immer leicht. Deutschland hat sich über Jahrzehnte sehr schwer getan.
Frage: Tut es noch immer.
Roth: Nur weil es in Deutschland noch Baustellen gibt, heißt das noch lange nicht, dass wir unseren Einsatz auf der internationalen Ebene nicht ausbauen sollen. In all diesen Fragen hilft es auch immer, den internationalen Austausch zu pflegen. Da lernen wir auch gern von anderen. Deutschland ist nicht immer an der Spitze der Bewegung.
Interview: Patricia Hecht und Tobias Schulze.