Willkommen auf den Seiten des Auswärtigen Amts

Rede von Außenministerin Annalena Baerbock zum Tag des Peacekeeping

27.06.2024 - Rede

„Sicherheit lässt sich daran bemessen, wie es den Schwächsten in einer Gesellschaft geht. Sicherheit ist, wenn eine werdende Mutter in Somalia Zugang zu Medikamenten hat.“

Das haben Sie, Frau Dörlemann, in der Vorbereitung des heutigen Tages gesagt.

Was Sie sagen, das spiegelt eigentlich Eins zu Eins den Gedanken unserer gemeinsamen Nationalen Sicherheitsstrategie der Bundesregierung wider. Nämlich, dass Sicherheit mehr ist als nur die Abwesenheit von Krieg und Gewalt.

Dass das der Verteidigungsminister eben genauso formuliert hat, zeigt, dass wir das nicht nur gemeinsam ressortübergreifend aufgeschrieben haben, sondern auch gemeinsam denken und leben.

Was das für das gemeinsame Leben aber dann vor Ort bedeutet, das wissen vor allen Dingen Sie, liebe Peacekeeperinnen und Peacekeeper. Sie erleben es jeden Tag in ihren Einsätzen.

Sicherheit bedeutet im positiven Sinne formuliert auch:

Wenn ich zur Arbeit gehe, muss ich keine Angst haben, von einer bewaffneten Miliz überfallen zu werden.

Wenn ich ins Krankenhaus fahre, kann ich mich darauf verlassen, dass der Strom dort nicht plötzlich ausfällt.

Wenn ich ausgeraubt werde, hilft mir die Polizei und helfen mir die Gerichte, unabhängig von meiner Hautfarbe und meinem Geschlecht.

Diese Fragen der Sicherheit stellen sich Peacekeeperinnen und Peacekeeper für sich selbst, aber vor allen Dingen für die vielen, vielen Menschen, für die sie täglich arbeiten, immer wieder aufs Neue.

Und sie beantworten diesen Fragen im besten Sinne. Sie machen deutlich: militärische Mittel allein schaffen keine nachhaltige Sicherheit, genauso wenig wie Diplomatie oder Polizeikräfte allein für Sicherheit sorgen. Sondern: Sicherheit gibt es nur, wenn sich diese Instrumente jeden Tag aufs Neue ergänzen. Weil eins ins Andere greift.

Dieser Ansatz liegt nicht nur unserer Nationalen Sicherheitsstrategie zugrunde, die wir erstmalig geschrieben haben, sondern auch seit Jahrzehnten schon dem Peacekeeping.

Sie sind in diesem Sinne also auch Vorbild für unseren integrierten Ansatz. Deswegen ist Peacekeeping auch in der Zeitenwende nicht, wie das manche ursprünglich dachten, weniger wichtig geworden. Sondern Peacekeeping ist mit und durch die Zeitenwende relevanter als je zuvor.

Peacekeeping dient nämlich unserem Einsatz für das Völkerrecht ebenso wie unserer Sicherheit. Peacekeeping ist gerade in diesen herausfordernden geopolitischen Zeiten zutiefst in unserem geopolitischen Interesse. Weil unsere Sicherheit mit anderen Weltregionen verknüpft ist, weil es keine „fernen“ Krisen gibt, die uns nicht betreffen. Weil jede Krise immer auch Auswirkungen für unsere Sicherheit im Inneren bedeutet, wie die Innenministerin gleich noch einmal deutlich machen wird.

Und weil wir - und das ist nach dem 24. Februar und der Zeitenwende vielleicht neu - in einer Zeit leben, in der auch wir auf internationale Unterstützung angewiesen sind. In der auch wir andere brauchen, um unseren Frieden in Europa zu sichern. In einer Zeit, in der wir andere Länder dazu auffordern, international gegen Russlands Angriffskrieg aufzustehen, bedeutet das eben auch: in dem Moment, in dem andere unsere Hilfe brauchen, können wir nicht den Eindruck vermitteln – gerade auch in den angesprochenen Haushaltsverhandlungen – jetzt wäre unsere Haushaltslage uns wichtiger als die Sicherheit von unseren Partnern und Freunden.

Wir wissen auch, dass die Bedingungen für Sie als Peacekeeperinnen und Peacekeeper – oder, auf Deutsch: für Sie als Friedensschützerinnen und Friedensschützer - alles andere als einfacher geworden sind.

Denn obwohl das globale Gewaltgeschehen so hoch ist wie nie seit dem Kalten Krieg, ist der VN-Sicherheitsrat viel zu häufig blockiert, um darauf angemessen zu reagieren. Mehrere Peacekeeping-Missionen mussten auf Drängen oder durch Putsche in den Gastländern vorzeitig beendet werden. Auch Desinformationen und Fake News spielten hier eine fatale Rolle. Und in bestehende Missionen fehlt es häufig am klaren politischen Auftrag – und vor allen Dingen an den notwendigen Ressourcen. Das müssen und werden wir gemeinsam ändern.

Aber wir wissen auch: Peacekeeping macht trotz aller Herausforderungen und Widrigkeiten jeden Tag einen Unterschied, einen Unterschied für Millionen Menschen auf der Welt. Weil so mutige und verantwortungsvolle Friedensschützerinnen und Friedenschützer wie sie heute diese Arbeit leisten.

Menschen wie Sie Herr Dr. Ntagahoraho Burihabwa.

Wir haben von UNIFIL gerade schon etwas gehört. Dem möchte ich nicht viel hinzufügen. Seit dem schrecklichen Angriff der Hamas auf Israel und dem Beginn des intensiven Beschusses Nord-Israels durch die Hisbollah erleben Sie, wie wir es gerade auch schon von den Soldatinnen gehört haben, in der UNIFIL-Mission eine andere Welt.

Zehntausende Menschen mussten auf beiden Seiten der Grenze fliehen. Auch viele Ihrer Kolleginnen und Kollegen in der Mission sind aus Sicherheitsgründen aus dem Hauptquartier in Naqoura in die Hauptstadt Beirut verlegt wurden, wo ich gerade vor zwei Tagen auch noch einmal war.

Sie sind geblieben. Bewusst. Sie sind als wichtiger Berater des stellvertretenden Missionsleiter vor Ort. Weiterhin, oder wie Sie es sagten, gerade jetzt, obwohl Ihre Arbeit in den letzten Wochen noch herausfordernder geworden ist. Sie ist zugleich wichtiger als je zuvor.

Denn es geht darum, mit ihrer Arbeit Kommunikation zwischen Israel und dem Libanon zu ermöglichen und damit das Risiko eines Flächenbrandes in der Region zu reduzieren.

„Wir sind alle müde“, haben sie erzählt. „Aber mir geht es darum, Schlimmeres für die Menschen zu verhindern. Meinen Beitrag zu leisten.“

Und dafür ehren wir sie heute. Herzlichen Dank, Herr Burihabwa, für Ihren Einsatz. Stellvertretend für so viele.

Wir ehren heute zudem Frau Michelle Dörlemann, die ich eingangs zitiert habe.

Frau Dörlemann, Sie arbeiten für UNSOM, die Mission in Somalia. In diesen Tagen nicht so ganz geläufig, aber das macht Ihre Arbeit gerade umso wichtiger.

Wir wissen, dass die großen Kriege und Krisen, die uns geografisch im Zweifel etwas näher liegen, auch überlagern, dass es so viele andere gibt, wo weiterhin so viele Peacekeeperinnen und Peacekeeper unterwegs sind.

Unter anderem sorgt die Mission in Somalia, wo sie tätig sind, dafür, dass alle gesellschaftlichen Gruppen an der Ausarbeitung einer neuen somalischen Verfassung beteiligt werden.

Und das tun sie in einem mehr als herausfordernden Kontext. Als sie vor wenigen Wochen ein Field Office ihrer Mission besucht haben, sind dort, direkt nachdem Sie selber abgereist waren, neun Mörsergranaten eingeschlagen. Zum Glück wurde niemand vor Ort verletzt.

Aber was ich am bemerkenswertesten finde: Eigentlich wollten Sie uns das gar nicht erzählen. Sie wollten nicht - und das zeichnet, glaube ich, die Arbeit von Ihnen und vielen Ihrer Kolleginnen und Kollegen aus – dass die Gefahr im Mittelpunkt steht. Sondern das, was man vor Ort bewirken kann.

Sie wollten darüber sprechen, dass es um die Menschen geht. Darüber, wie die Arbeit Ihrer Mission in Somalia dazu führt, dass gerade in Regionen, die stark durch traditionelle Clans und Clan-Recht geprägt sind, Frauen jetzt dank UNSOM eine stärkere Rolle kriegen bei der Lösung von Konflikten in Dorfgemeinschaften. Und damit mehr Sicherheit für alle entsteht. Ganz im Sinne unserer feministischen Außenpolitik: Wenn Frauen sicher sind, sind alle sicher.

Sie haben es so formuliert: „Einen Staat aufzubauen ist ein ziemlich schwieriges Geschäft. Aber man darf nicht den Mut verlieren. Ich leiste hier einen ganz kleinen Beitrag auf dieser Reise.“

Diese Bescheidenheit und zugleich dieses Commitment, auch unter widrigsten Umständen es immer wieder zu versuchen, nötigen mir nicht nur den tiefsten Respekt ab. Sie bedeuten auch, dass Frieden möglich ist. Herzlichen Dank für Ihre so wichtige Arbeit.

Und der Dritte im Bunde, im Bereich der zivilen Friedenskräfte, ist Herr Dr. Ousman Njikam.

Lieber Herr Njikam, als Sie Ihren Kolleginnen und Kollegen damals vor zwei Jahren in New York gesagt haben „ich ziehe nach Bangui, in die Zentralafrikanische Republik“, da haben Sie einige selbst in New York schief angeschaut. Am Special Criminal Court sind Sie jetzt der Leiter der Verwaltung. Und das heißt ganz konkret: Sie sind verantwortlich für die Sicherheit der Zeuginnen und Zeugen, deren Aussagen häufig das einzige Beweismaterial gegen mutmaßliche Kriegsverbrecher sind.

Sie machen mit Ihrer Arbeit deutlich, dass wir die Ungerechtigkeiten und die Gewalt sehen, das große Thema unserer Zeit, Recht und Unrecht. Auf welcher Seite steht man: auf der Seite des Angreifers oder des Opfers? Es gilt auch für die internationale Gemeinschaft an jedem Ort der Welt heute, deutlich zu machen: wir sehen die Opfer nicht nur, sondern wir stehen auf ihrer Seite.

Heute herrscht für Sie jeden Tag ab 22 Uhr eine strenge Ausgangssperre. Wasser und Strom gibt es nur unzuverlässig, und hinter Ihnen stehen an der Supermarktkasse nicht drängelnde andere Kundinnen und Kunden, die einkaufen wollen, sondern immer wieder auch Wagner-Söldner mit Ihnen an.

Und Sie haben uns gesagt, warum Sie genau das in diesen schwierigen Zeiten auf sich nehmen - Sie hätten ja auch einfach in New York bleiben können: „Für mich ist es der wichtigste Moment, wenn die Opfer, die gegen ihre Vergewaltiger aussagen, sehen, dass dieser keine Macht mehr über sie hat. Dass er auf der Anklagebank sitzt. Diese Genugtuung für die Opfer. Für diesen Moment nehme ich all das gerne auf mich.“

Herzlichen Dank, dass Sie das stellvertretend für unsere Werte, für unser Verständnis von Rechtsstaatlichkeit, tun!

Ihnen Dreien herzlichen Dank, stellvertretend für alle deutschen Expertinnen und Experten, die weltweit im Einsatz sind, für das Auswärtige Amt, über das Zentrum Internationale Friedenseinsätze. Derzeit sind das 170 Personen - das sind Väter und Mütter, Töchter und Söhne. Und daher nicht nur Ihnen herzlichen Dank, sondern auch all Ihren Familienangehörigen, die vielleicht heute auch mit dabei sind.

In diesem Sinne möchte ich jetzt gerne Michael Roth mit auf die Bühne bitten, den Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages, weil, wie mein lieber Kollege Boris Pistorius schon gesagt hat, nicht nur die Bundesregierung, sondern auch der gesamte Deutsche Bundestag Ihnen für Ihren Einsatz heute hier dankt.

Schlagworte

nach oben